Gottesbeweis
Hallöchen,
es ist wie mit der Natur: Als Naturwissenschaftler siehst du andere Wunder als die alte Frau vor der Holzhütte. Doch jeder der beiden hat ein Auge, mit dem ihm ein anderer Aspekt dieses Wunders enthüllt wird. Er muss es nur öffnen.
Soweit so gut.
Nur, dass Dein Argument genau in die falsche Richtung geht.
Offensichtlich wird der Wissenschaftler Dinge über die Natur verstehen, welche die Holzfällerin nicht zu erahnen vermag, aber die Holzfällerin kann in ihrer Einfachheit ohne große Bildung trotzdem die unendliche Schönheit des Sonnenaufgangs erfassen.
Aber ein illiterater Chinese wird niemals verstehen, was Gott ihm da Tolles vorenthalten hat, da „entspannen und Hinsehen“ einfach nicht reicht: zum „Hocharabisch und Liturgie des orientalischen Mittelalters lernen“ gehört doch etwas mehr als nur „Augen öffnen“.
Oder sind alle Menschen, die dies nicht können, ungebildete, faule Ignoranten, welche die einfachsten Dinge nicht hinbekommen?
Viele Menschen lesen nur eine Koranübersetzung, um den göttlichen Ursprung dieses Buches zu spüren. Aber das ist dann ein individuelles Erleben, auf das der Threaderöffner nicht hinauswollte.
Der Threadersteller sagte:
als ein angeblicher „Beweis“ für die „göttliche Herkunft“ des Koran wird ja oft seine angeblich „unnachahmliche Dichtung“ herangeführt
Will sagen, man spürt nichts vom „göttlichen Ursprung“, und darum greift man auf Brechstangen-Beweise zurück, die bei den meisten Menschen einfach nur auf völliges Unverständnis stoßen.
Und dann argumentiert man: „Du bist einfach zu ungebildet, um das zu verstehen“?
Wie gesagt, wie göttlich kann der Islam als Solcher sein, wenn man den Koran durch unverständliche „Beweise“ vergöttern muss, und wenn diese auf totales Unverständnis stoßen, und dann mit der -bei weitem nicht göttlichen - menschlichen Weisheit kommt, um mal ganz fix die breite Masse der Bevölkerung als „zu primitiv für dieses Verständnis“ darzustellen?
Ich sagte doch außerdem, dass es neben der literarischen Ebene genügend andere Ebenen der koranischen Unnachahmlichkeit gibt:
http://www.lichtwort.de/indikatoren
Um die geht es aber gerade nicht.
Warum benötigt ein göttliches Werk „Beweise“, die primär darauf basieren, dass man Andere als Vollidioten darstellt?
„Wer das nicht versteht, ist nur zu ungebildet“ - das ist für mich kein Gottesbeweis, sondern eher das Gegenteil.
Bitte, nochmal, um mich nicht mißzuverstehen.
Ich habe kein Problem mit dem Koran.
Ich habe ein Problem mit fadenscheinigen, irreführenden „Beweisen“, die sich Menschen ausdenken, um aus etwas, das keine göttliche Aussage ist, eine göttliche Aussage zu machen.
Nirgendwo fordert der Koran ein, dass er ein „gottgegebenes Reimschema“ besitzt.
Deswegen sollte auch kein Mensch sich anmaßen, dies zu einem inhärenten Attribut zu machen, weil damit der Koran auf ein für viele Menschen nicht nachvollziehbares Niveau gebracht wird.
Plötzlich ziehen irgendwelche Leute eine Grenze zwischen Menschen, die wegen ihrer kenntnis in Liturgie und der hocharabischen Sprache eine „Einsicht über das göttliche Reimschema haben“ und dem Rest der Welt: Ist dies eine relevante Botschaft des Korans, dass Menschen nach ihrem Bildungsniveau in Schubladen gesteckt werden?
Nein - also warum sollte dem eine Relevanz zugemessen werden bzw. noch härter: Wie kann dies als Argument gegenüber Zweiflern (denen ohnehin die Vorkenntnis fehlt) genutzt werden?
Wie gesagt, zurück zum Start:
Wenn man erst mal Hocharabisch und Liturgie lernen muss, um den Wert des Korans zu verstehen, dann hat er keinen Wert für die breite Masse der Menschheit.
Wenn man dies nicht muss, dann kann man dies auch nicht gegenüber der breiten Masse in seiner Argumentation als Annahme treffen.
Ein „Beweis“, der Annahmen trifft, welche für die Zielgruppe nicht nachvollziehbar sind, ist kein Beweis.
Gruß,
Michael