Hallo grilla,
Ich will auf folgendes hinaus, bezug nehmend auf Deine
Äußerung:
Andererseits muß man sehen, daß unsere Gesellschaft ein
Interesse daran hat, daß die nachwachsenden Generationen ihren
historisch gewachsenen Wertekonsens kennen und auch
akzeptieren. Das war wohl einfach, solange die Rolle der
Kirchen nicht hinterfragt wurde.
Muß denn die Kirche hinterfragt werden?
Oh ja, als überzeugte Protestantin, Theologin und treue Angehörige meiner Kirche sehe ich das als notwendig an. Jedoch wird „Kirche“ sicherlich heute nicht wirklich ernsthaft hinterfragt, sondern aus einem Konglumerat aus undifferenzierten Meinungen. So erlebe ich oft, daß man mir in einem Gespräch entschuldigend sagt, daß es ja am „Christentum viel zu kritisieren gibt“. Sicher, aber meist wissen die Leute gar nicht, was sie damit meinen, sprechen sie von der Geschichte des Christentums, das Christentum zu einer gewissen Zeit, wenn sie vom Papst sprechen, meinen sie nicht eine bestimmte Ausgestaltung des Christentums?
Ein zumindest evangelischer Christ, der seinen Luther verstanden hat, wird es sogar als seine religiöse Pflicht ansehen, die menschliche Institution zu hinterfragen (sie aber nicht zu verlassen)
Bei unserer Religionslehrerin hatte ich bisher nicht den
Eindruck, dass sie auf der einen Seite unter dem Druck ihrer
Kirche ihr Wissen vermittelte, und auf der anderen Seite
Schwierigkeiten hatte dieses Wissen weiterzugeben, weil sie
dafür keine Abnehmer (Zuhörer) fand. Die Kirche (in meinem
Fall die evangelische) bietet sozusagen meinen Kindern ein
kompaktes Wissen über bestimmte Lebensideale an, die mit
meiner Erziehung einher geht, soweit ich das mitbekomme.
Ob es nun Kirchenvertreter gibt, die schwärzer sind als
schwarze Schafe, ob es immer mehr Menschen gibt, die ohne
Skrupel sich über all die Werte trotz besseres Wissens
hinwegsetzen, ist ein gesellschaftliches aber nicht mein
Problem.
Ja. Eigentlich geht es mir auch mehr darum, auf ein Problem hinzuweisen, auf das ich selbst keine Lösung weiß. Ich selber hatte zwar einen sehr schlechten RU, meine ehemaligen Mitstudenten, die vor allem Theologie studierten, weil es ihre Chancen als Lehrer erhöhte, lassen mich auch nicht wirklich hoffen, aber wie so oft ist es immer vom Lehrer abhängig, was ein UNterricht über das rein Kognitive hinaus bringt.
Was spricht dagegen Lebensideale der Kirchen (am liebsten von
allen Kirchen zusammen, weil jede gute Ideen im peto hat) für
gut zu heissen und sie an Kinder weiter zu geben? Könnte das
ein Ethikunterricht besser als ein Religionsunterricht, wenn
er, wie von mir vorgeschlagen, alle guten Werte in einen
Lehrplan packt? Ist dieser Unterricht für unsere Kinder
glaubwürdig?
Hier steckt für mich der problematische Punkt:
Wer entscheidet, was gute Werte sind? Eigentlich geht es bei der „Wertbilung“ ja nicht darum, einem Kind zu sagen, daß es nicht stehlen soll, sondern darum, ihm die dahinter stehende Idee plausibel zu machen. Hier könnte man z.B. auf die folgende Strafe aufmerksam machen oder aber die Zerstörung des menschlichen Miteinanders, natürlich auch auf eine strafende höhere Macht, oder aber auf eine, die einen trotz dieser Tat liebt, aber diese Tat selbst verachtet. Es gibt also verschiedene Plausibiliserungsstrategien. Die kann man nicht unbedingt alle durcheinander wirbeln, will man, daß jemand auch selbstständig eine Entscheidung in schwierigen Fällen treffen kann. Es geht darum, nicht nur eine Ethik, sondern auch die dahinter stehende Systematik soweit vertanden zu haben, daß man sich darin eigenmächtig bewegen kann. Wenn man so will, steht auch hinter der Jurisprudenz eine solche Systematik. Viele Urteile, die uns spontan ungerecht erscheinen, werden erst dann nachvollziehbar, wenn man das dahinter stehende Abstractum sieht.
Wenn ich also Werte wirklich vermitteln möchte, so vermittele ich immer eine Weltanschauung.
Hier kommt der „Vorteil“ unseres in Deutschland üblichen RU zum Tragen, der verfassungskonform in Verantwortung der Kirchen steht: Ein RU-Lehrer ist kontrollierbar. Er ist gewissen Lehrsätzen und einer Systematik verpflichtet. D.h. nicht, daß es keine Vielfalt innerhalb der KOnfessionen gibt, aber d.h., daß ich einen Lehrer auf bestimmte Grundlinien verpflichten kann. (Leider ist das allzu oft nur der theoretische Hintergrund…).
Ich finde es sehr wichtig, daß ich als Eltern mein verfassungsmäßiges Recht auf Erziehung auch in dieser Hinsicht durchsetzen kann, indem ich mein Kind zwar vielleicht einerseits mit einer Weltanschauung konfrontiere, die nicht seine sind, andererseits aber ich eine genaue Definition dessen habe, was denn nun diese Weltanschauung ist.
Um es kurz zu sagen: 1. Ein Ethikunterricht, der WErte vermitteln soll, vom Staat verantwortet (der doch weltanschaulich neutral sein soll), halte ich für einen völlig falschen Weg. Sollte man mein Kind da rein zwingen, würde ich mich mit allen mir zur Verfügung stehenden MIttel dagegen wehren.
2. Wenn schon ein solcher Unterricht, dann Religionsunterricht, mit Lehrern, die ihr religiöses Bekenntnis offen gelegt haben und die eine wissenschaftliche Ausbilund hinter sich haben. Meine Ablehnung hat auch eher was damit zu tun, daß ich nicht glaube, daß diese Institution den Kirchen gut tut. Zudem geht dem RU selbst die Plausibilität verloren. Das ist eine gesellschaftliche Tatsache, an die man nun mal nicht vorbei kann.
kann man ohne den Versuch einer Wertevermittlung eine
Generation aufwachsen lassen?
Ich denke, dass in jeder Familie Werte vermittelt werden, so
wie sie von der Elterngeneration der Eltern erfahren wurde. Je
enger Menschen zueinander Kontakt haben, desto einheitlicher
werden diese Werte (z.B. wie in einer Dorfgemeinschaft). Also,
zugegebener Maßen kommen unsere Kinder wahrscheinlich schon
ohne Reli-Unterricht aus. Doch wer sind „unsere Kinder“.
Welche Lebensideale erfahren Kinder, die von Schule zu Hort
zum Abendbrottisch ihrer überarbeiteten allein lebenden Mutter
wandern, oder wo die Oma die Kinder mit viel Essen aber wenig
Gesprächen versorgt, bis die Eltern von der Arbeit kommen?
Und es geht mir nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch
um die Erfahrung, dass sie selbst Anspruch auf Wertschätzung
genießen dürfen, weil das zu den Lebensidealen dazugehört.
Überall kann gelesen werden, dass Kinderseelen einen Anspruch
auf Untastbarkeit haben. Und wir Erwachsene haben uns bisher
nicht besonders glorreich erwiesen, diesen Anspruch gerecht zu
werden. Ein guter Reli-Unterricht könnte eine von vielen
Möglichkeiten dafür sein.
Und auch hier gebe ich Dir recht und ich habe manchmal echte Zweifel, daß Eltern, egal wieviel Zeit sie mit ihren Kindern verbingen, überhaupt irgendetwas vermitteln. Da wächst eine „kann alles, darf alles, kriegt alles“-Generation heran. Sicherlich hast Du auch recht, daß gute Schule allgemein viele Perspektiven eröffnen können. Nur auch hier sollte man zuerst Eltern an ihre Erziehungspflicht gemahnen… Jedenfalls kann Schule nie gegen das Elternhaus erziehen, auch nicht nebenher, sondern höchstens ergänzend und bestärkend…
viel Grüße,
Taju