Hallo Ralf,
wie ich sehe, sind wir durchaus einer Meinung
sagen wir einmal so: Ich sehe nur graduelle Unterschiede… ;o)
wenn heute dem geschichtlich ungebildeten
Publikum von der Toleranz des mittelalterlichen Islam
vorgeschwärmt wird, dann wird genau das Mißverständnis
erzeugt, das Du hier beklagst. Dann wird suggeriert, der
mittelalterliche Islam sei nach heutigen Maßstäben
tolerant gewesen. Was er definitiv nicht war.
Damit hast Du nicht unrecht, berührst allerdings ein Grundproblem: Historische Abläufe (aber auch aktuelles Ereignisse) sind mit schöner Regelmäßigkeit sehr komplex und nicht monokausal zu erklären; aber noch nicht einmal im gymnasialen Geschichtsunterricht wird, wie ich gerade erst zu meiner Erschütterung feststellen musste (die GFS meiner Tochter zur deutschen Kolonialgeschichte, welche sie quasi bis aufs nackte Gerippe gekürzt hatte, war ihrem Lehrer ‚zu sehr in die Tiefe gehend‘), Wert darauf gelegt, dass in Zusammenhängen und über Jahreszahlen und Herrschernamen hinausgehend gedacht wird.
Unter anderem auch deswegen, weil einige
historische Bedingungen anders waren als im christlichen
Europa. Insbesondere war das zahlenmäßige Verhältnis von
islamischen Erobereren zu nicht-islamischen Beherrschten so,
dass ein Mindestmaß an Tolerierung schlicht militärischer und
politischer Vernunft entsprach.
Das ist ein wichtiger Punkt. Wohingegegen bei gewissen Verfechtern der ‚friedlichen Ausbreitung des Christentums‘-These unter den Tisch fallen gelassen wird, dass das Christentum die ersten paar Hundert Jahre eben nicht Staatsreligion war, mithin gar nicht die Möglichkeit zur militärisch beförderten Ausbreitung bestand.
Die Ursachen einer partiellen relativen religiösen Toleranz
(= milderen Intoleranz) sind also politischer und
wirtschaftlicher Natur, nicht etwa eine überlegene Ethik oder
Moral.
Das habe ich auch nicht behauptet; letztendlich ging es mir nur um die konkreten Auswirkungen der jeweiligen ‚Toleranz‘ auf die davon Betroffenen.
Nein, es gab keine Missionare. Angehörige von Buchreligionen
durften nach dem Koran nicht zwangsbekehrt werden. Andere
wurden hingegen - ebenfalls nach dem Koran - vor die
Alternative Annahme des Islam oder Tod gestellt. Dazu brauchte
man in der Tat keine Missionare, sondern Jihadisten. Über der
Tolerierung von Christen und Juden wird nur allzu leicht
vergessen, dass es im islamischen Eroberungsraum auch in nicht
unbeträchtlicher Anzahl z.B. Zoroastrier und Manichäer (um nur
Hochreligionen zu nennen) gab. Nicht ganz zufällig sind die
bis auf die parsische Diaspora Indiens aus der Geschichte
verschwunden - wohl kaum freiwillig.
Ja, Heide zu sein war nirgendwo so richtig lustig, wenn erst einmal die einzig wahren Gläubigen losgelassen waren… ;o)
Zur persischen Ecke kann ich nicht wirklich viel sagen, was ich allerdings im nord- und westafrikanischen Islam immer extrem spannend fand, war der hohe Anteil synkretistischer Elemente, wie sie mir in dem Ausmaß zumindest im mittelalterlichen europäischen Christentum noch nicht über den Weg gelaufen sind; trotz der teilweise recht rasch erfolgten recht flächendeckenden Islamisierung scheint man dort weniger Berührungsängste gegenüber alten ‚heidnischen‘ Traditionen gehabt zu haben.
Karl Heinz rügt völlig zu recht, dass es kein stichhaltiges
Argument ist, Andere hätten es noch schlimmer getrieben.
Das war auch nicht mein Argument; vielmehr habe ich gesagt, dass der Islam vergleichsweise tolerant war - und dann muss ich ja wohl auch etwas zu denen sagen, mit denen ich den Islam da vergleiche… ;o)
Natürlich ist es richtig, dass vor allem die heterodoxen
Christen des Orients (Nestorianer, Armenier, Jakobiten,
Kopten, Nestorianer) unter islamischer Herrschaft immer noch
deutlich besser dran waren als unter der Fuchtel der
byzantinischen Staatskirche. Ein Faktor, der nicht
unbeträchtlich zu den Erfolgen der muslimischen Eroberer
beigetragen hat; die Unterdrückung christlicher ‚Häretiker‘
(in dieser Region die Mehrzahl der Christen) hatte nicht
gerade für Loyalität zu Byzanz gesorgt, so mancher Christ
dürfte die Muslime als Befreier begrüßt haben. Dies mal Karl
Heinz ins Stammbuch.
Interessant finde ich wiederum den Blick nach Afrika, wo sich der Islam in weiten Gebieten der islamischen Herrschaft vorauseilend ausgebreitet hat, da er auch über eine zugkräftige ‚zivile‘ Komponente verfügte: Schriftkultur, Buchhaltungswesen, gemeinsame Geschäftssprache, Anschluss an ein weitgespanntes Handelsnetz…
Deine ganzen Einzelargumente auf meine Beispiele laufen jedoch
alle auf dasselbe hinaus: die Christen aber auch.
Nein, Du weißt doch, die Christen schlimmer… ;o)
Denn es gibt imho tatsächlich einen grundlegenden Unterschied: Im Islam werden die anderen Buchreligionen zumindest grundsätzlich akzeptiert (es sei jetzt einmal egal aus welchem Grund), im Christentum nicht. Und außerdem…
So anders als im christlichen Europa waren die Verhältnisse im
islamischen Nahen Osten, Spanien und Sizilien nämlich nicht.
…sage ich jetzt besser nichts zur Blüte der islamischen Hochkultur, während zur selben Zeit in Europa die Leutchen kaum aus ihren Schweinekoben herauskamen, denn bestimmt taucht gleich der hiesige Hoppelhase auf und legt gnadenlos unserer weit jenseits des Themas dahinjagende Diskussion Fesseln und Knebel an… ;o)
Und deswegen ist die Verklärung dieser Verhältnisse unter dem
Etikett ‚religiöse Toleranz‘ schlicht Geschichtsklitterung.
Verklären möchte ich nichts, nur auf die tatsächlich bestehenden Unterschiede hinweisen.
Natürlich waren die Kreuzzüge nicht einfach eine
europäisch-christliche Aggression, sie waren Teil eines
jahrhundertelangen Rollback, eine Antwort auf
die aggressive Expansion des Islam.
Nicht nur dieses, sie gehen imho bis auf das Auseinanderbrechen des Römischen Reiches zurück; und die islamische Expansion war ja in den Folgejahrhunderten auch keineswegs die einzige einflussreiche massive Verschiebung von Macht und Menschen gewesen.
Beste Grüße
=^…^=