Die Ukraine ist ein ziemlich großes Land und hatte vor dem Krieg ca. 45 Millionen Einwohner. Das bedeutet, dass hier einiges an ‚Reserven‘ vorhanden ist.
Die Ukraine und Russland kämpfen zudem sehr unterschiedliche Kriege. Russland folgt noch bzw. eigentlich wieder der sowjetischen Doktrin, die auf Quantität setzt und dem individuellen Soldaten keinerlei Bedeutung beimisst. Die Verluste sind enorm, aber überspitzt formuliert ist das der Kern dieser Doktrin.
Die Ukraine hatte bis 2014 eine ganz ähnliche Armee. Der russische Einmarsch im Donbas und der Krim hat hier aber zu einem Umdenken geführt und schon vor dem Krieg gab es einen regen Informationsaustausch und gemeinsame Manöver mit der NATO. Was bisher gefehlt hat, waren die notwendigen Waffensysteme um das Gelernte auch vollständig umsetzten zu können. Westliche Waffensysteme können natürlich auch zerstört werden, in der Regel überlebt aber die Besatzung. Solange die Moral stimmt (und der Westen mitspielt), kann die Ukraine diesen Krieg noch mehrere Jahre lang führen. Die ukrainische Armee war in ihrer Geschichte noch nie so schlagkräftig wie heute.
Theoretisch ja, praktisch nein. Zumindest nicht ohne innenpolitisch einen hohen Preis zahlen zu müssen und bisher war Putin dazu (noch) nicht bereit.
Die russischen Streitkräfte sind eine heterogene Ansammlung an Teilstreitkräften mit teils sehr unterschiedlichen Aufgaben:
- Armee: Besteht hauptsächlich aus Wehrpflichtigen mit einem Kern aus Berufssoldaten. Hauptaufgabe ist die Verteidigung des Vaterlandes und die Sicherung von eroberten Gebieten. Für eine großangelegten Bodenoffensive ist sie wieder ausgerüstet noch ausgebildet. Das war mit ein Grund, wieso die Invasion in den ersten Wochen gescheitert ist.
- Speznas: Spezialeinheit der Armee. Überall anzutreffen, wo Russland im Ausland mitmischen möchte. Allerdings gibt es davon nur ca. 13.000 Mann und die Bewaffnung ist leicht.
- VDV: Luftlandetruppe der russischen Armee. Sehr gut ausgebildet, relativ schwere Bewaffnung und naturgemäß auf Offensive ausgerichtet. Gesamtstärke ca. 45.000 Mann vor dem Krieg. Angeblich verlor man 90% der beim Überfall eingesetzten Einheiten. Hauptproblem: Man musste aus Mangel an Alternativen als Infanterie kämpfen, wofür man weder ausgebildet noch bewaffnet war.
- Rosgvardiya: Die russische Nationalgarde und zahlenmäßig der größte Verband. Hauptaufgabe ähnlich wie die der Armee: Verteidigung der Heimat und Sicherung von eroberten Gebieten. Ausbildung und Ausrüstung (keine schweren Waffen) sind eher unterdurchschnittlich und in der Ukraine war bisher afaik nur das tschetschenische Regiment im Einsatz. Und hier zeichnete man sich eher durch sinnlose TikTok Videos, Folterungen von POW und dem Erschießen der eigenen Leute aus.
- Marineinfanterie: Gehört eigentlich zur Marine. Hauptaufgabe sind amphibische Einsätze (= Angriffe vom Meer aus) und vermutlich hätte man sie für einen Angriff auf Odessa vorgesehen. Nach dem Untergang der Moskwa wurden sie aber wie Infanterie eingesetzt und teilweise völlig aufgerieben. Die Stärke vor dem Krieg betrug ca. 12.000 Mann.
Russland ist auf einen Krieg, wie er gerade in der Ukraine geführt wird, weder vorbereitet noch hat man ihn gewollt. In den ersten Kriegsmonaten hat man die besten Einheiten verheizt und diese Verluste kann man nicht so einfach ersetzen.
Das Problem der russischen Militärführung ist, dass man offiziell keinen Krieg führt und man dadurch nicht alles einsetzen darf, was man kann bzw. will. Und das, was man einsetzen darf, ist eigentlich nicht für diese Art der Kriegsführung geeignet. Russland hat noch immer exzellente Einheiten, aber das wäre so, als würde man Messi als Libero auflaufen lassen.
Solange Putin keinen Krieg erklärt, tut sich Russland sehr schwer, die laufenden personellen Verluste auszugleichen. Das ist auch der Grund, wieso man auf Söldnertruppen wie Wagner setzt und zigtausende Strafgefangene an die Front schickt.