Da gibt es noch eine dritte Option: Kapitulation. Die Leute zitieren gerne Sunzi, vergessen aber dabei, dass sich in den letzten 2500 Jahren einiges getan hat. Die Ukraine behandelt Kriegsgefangene entsprechend den aktuell gültigen Regeln und das weiß man auch in Russland.
Außerdem wird wohl niemand glauben, dass Putin irgendjemand über diese Brücke fliehen lässt, wenn er das nicht möchte. Es gibt Videos, auf denen man sieht, wie Tschetschenische Einheiten russische Soldaten erschießen, weil die ihre Stellungen verlassen haben. Das ist die Mentalität in der russischen Armee.
Wenn bekannt wäre, dass die Ukraine über Taurus verfügt, würde schon das alleine zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse auf der Krim führen. Der Wert der Krimbrücke ist ja nicht, dass man über sie die Krim verlassen kann, sondern dass damit Nachschub in großen Mengen auf die Krim gelangt. Es gibt zwar eine alternative Route über das Festland, aber die ist in Reichweite der ukrainischen Drohnen.
Und über genau diese Route könnte ein Abzug der Russen erfolgen, wenn es die Brücke nicht mehr gäbe. Wir hatten in Cherson eine ganz ähnliche Situation, es wäre also nicht völlig aus der Luft gegriffen. Aber auch wenn Cherson ein taktischer Erfolg für die Ukraine war, konnte man auf strategischer Ebene auch Vorteile für Russland sehen. Nicht zuletzt deswegen, weil sie eben ihre Truppen mehr oder weniger intakt abziehen konnten.
Ein Verlust der Krim wäre ein politisches Desaster für Russland. Der Stützpunkt bei Sewastopol war einer der Hauptgründe für die Annexion und die daraus folgende Eskalation und historisch gesehen sind die russischen Ansprüche hier deutlich stärker (aber natürlich noch immer völkerrechtswidrig), als in den anderen Gebieten. Insgeheim wäre der Westen vermutlich am ehesten bereit, Russland die Krim zuzugestehen und auch bei den gescheiterten Verhandlungen 2022 hatte die Krim einen Sonderstatus.
Militärisch hätte der Verlust der Krim nur dann Folgen, wenn eine größere Menge an Soldaten und Material mit verloren gingen. Die Schwarzmeerflotte hat sich schon zurückgezogen und soweit ich das mitbekommen habe, sind auch kaum mehr Kampfflugzeuge dort stationiert. Die Krim ist wenig mehr als eine riesige Zielscheibe für ukrainische Luftangriffe und die russische Luftabwehr wird dort täglich dezimiert. Während Russland weiterhin wahllos Zivilisten ermordet, zerstört die Ukraine gerade auf der Krim systematisch hochrangige militärische Ziele.
Neben diesen militärischen Aspekten hätte die Taurus-Lieferung aber auch eine politische Ebene. Putin muss einsehen, dass der Westen die Ukraine rückhaltlos unterstützt. Jedes Zögern wie jenes von Scholz wird von ihm als Schwäche ausgelegt und als Zeichen, dass er nur lange genug aushalten muss, damit der Westen das Interesse verliert. Imho hätte die Taurus die Möglichkeit, den Krieg zu verkürzen.