Schadenfreude

Am Lügen ist nichts gut, aber am Versuch, dankbar zu sein für das Gute

Hallo Elke,

die Erinnerung an sich ist nicht zu verdammen. Es kann dabei auch sein, dass über einen Toten schlechte Einzelheiten erinnert werden. Falls es um einen Toten an sich geht, wäre es dann aber angebracht, das Schlechte in einen guten Zusammenhang zu stellen und abschliessende „Urteile“ über das Gesamtleben eines Menschen zu vermeiden, wenigstens solange sie negativ zu werden drohen, da man ihn sogar dann nicht total kennt, wenn man sehr viel von ihm zu wissen meint. Aus schlechten Taten zu lernen bleibt uns deswegen unbenommen; es geht um die Besprechung von Menschen und ihrem Dasein.

Gruss
Mike

Hallo Kreszenz,

aber das Erinnern an das Gute ist keine Verstrickung in Schuldvorwürfe

Darin können
dann auch schlechte Gedanken auftauchen, die aber nicht durch
Schuldzuweisungen zu beheben sind.

Würdest Du bitte an Beispielen erläutern, was Du in diesem Zusammenhang unter „schlechten Gedanken“ und „Schuldzuweisungen“ verstehst?

Gruß
Kreszenz

Präzisierung von ‚nichts Schlechtes‘
Hallo =^…^=,

ungeschehen

natürlich nicht. Es ist an sich richtig, Geschehenes zu erinnern. Wenn es eine „an sich schlechte Tat“ war, also etwas, von dem man fest glaubt, es sei schon unabhängig vom Täter eine schlechte Tat, hat das Platz in der Geschichte und sogar in der Erinnerung an den Toten, die man aber als gute darstellen kann, weil auch der Mensch, der anscheinend der Schlechteste ist, in der Gesamtbetrachtung als solcher gut erinnert werden kann. Dies ist Recht, weil uns das abschliessende Urteil über keinen Menschen möglich ist.

Gruss
Mike

Hallo Kreszentia,

nehmen wir an, X hat mich geschlagen, bevor er starb. Ich habe nichts anderes von ihm in Erinnerung, er hat mich nur immer geschlagen. Wenn ich mich nun beim Gedanken an X daran gewöhne, zu denken, er sei wohl insgesamt sicher auch nicht nur schlecht gewesen, dann gewinne ich an Abstand, kann mich später langsam von ihm lösen und kann auch versuchen, das Schlechte zu relativieren. Schände ich statt dessen sein Grab und glaube „meine Wut auszulassen“, kämpfe ich gegen einen Grabstein und werde unzufrieden, weil ich von niemand Recht bekomme.

Gruss
Mike

Hallo,

das Erinnern an das Gute ist keine Verstrickung in
Schuldvorwürfe

wenn aber entgegen den tatsächlichen Erfahrungen, die man zu seinen Lebzeiten mit ihm machte, so getan werden soll, als gebe es über den Verstorbenen ausschließlich Gutes zu sagen, erscheint mir das als „Verstrickung“ in schönfärberisches Pharisäertum.

Gruß
Kreszenz

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Wem nützt es? Cui bono?
Hallo Kreszenz,

nehmen wir an, meine Erfahrungen mit einem Menschen sind schlecht. Meinst Du jetzt, es gebe nur Schlechtes zu berichten? Es gibt auch über keinen Menschen nur Gutes zu berichten, aber über Schlechtes in Bezug auf den Menschen zu schweigen steht uns schon deswegen an, weil wir selber genug Schlechtes an uns zu korrigieren haben. Wenn wir uns an die Geschichte als Ganze erinnern, werden schlechte Dinge natürlich vorkommen, aber wenn wir an den Menschen als solchen denken (und das tun wir z. B. wenn wir an sein Ableben denken), ist es leicht möglich, dass das Gute in seinem Leben viel wichtiger war.

Gruss,
Mike

Am Lügen ist nichts gut, aber am Versuch, dankbar zu sein für das Gute

Das Nennen des Schlechten hindert doch nicht an der Dankbarkeit für das Gute.

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aber über Schlechtes in Bezug auf den Menschen zu schweigen steht uns :schon deswegen an, weil wir selber genug Schlechtes an uns zu :korrigieren haben

setzt Du hier nicht berichten mit bewerten gleich?

Frage der Formulierung der Taten als ‚schlecht‘
Hallo Cassius,

ja. Ich kann also das „Schlechte“ berichten, wenn ich aber versuche, es neutral bis (womöglich) gut zu formulieren, werde ich es auch nicht als Schlechtes

bewerten

müssen.

Gruss
Mike

Du täuschst dich, es ist nur Erleichterung
owt

Hoffentlich nicht
Hallo Cassius,

im Extremfall (also wenn es um Taten geht, die ich als eindeutig in sich schlecht betrachte) ist es immer noch möglich, dass der Tote das kleinste Übel wählte und ich es nicht weiss. Ich werde dann beim Erinnern nicht etwas Schlechtes sagen, sondern es wenigstens neutral formulieren, wenn ich ungerechtes Urteilen vermeiden will. Ist die Tat an sich nur schlecht, werde ich sie doch Gutem gegenüberstellen (also z. B.: „Der hat mich gehasst, ich habe mich sogar einen Moment befreit gefühlt, er hat aber wohl noch mehr geliebt und möge ruhen.“)

Gruss
Mike

Hallo smalbop,

das hoffe ich letztlich auch.

Gruss,
Mike

mach Dir nichts draus
Moin,

in unserer Zeitung konnte man vor Jahren eine Todesanzeige lesen, in der sinngemäß stand „Du hast die ewige Ruhe gefunden, und wir haben nun endlich Ruhe vor Dir.“ Die sorgte für einiges Kopfschütteln in der Lehrerzimmerpausentratschrunde.
Schau mal, was es sonst noch gibt: http://www.todesanzeigensammlung.de/Hassanzeigen.htm

Pit

Hallo, Mike,

nehmen wir an, X hat mich geschlagen, bevor er starb. Ich habe
nichts anderes von ihm in Erinnerung, er hat mich nur immer
geschlagen. Wenn ich mich nun beim Gedanken an X daran
gewöhne, zu denken, er sei wohl insgesamt sicher auch nicht
nur schlecht gewesen, dann gewinne ich an Abstand, kann mich
später langsam von ihm lösen und kann auch versuchen, das
Schlechte zu relativieren.

natürlich ist es wichtig, negative Erfahrungen zu verarbeiten, damit sie irgendwann ad acta gelegt sind.
Aber die wenigsten werden das so steuern können, dass sie ihre wahren Empfindungen beim Tod eines Menschen, mit dem sie nur oder vorwiegend schlechte Erfahrungen gemacht haben, zu unterdrücken vermögen, indem sie sich mantraartig vorbeten, er sei doch eigentlich wohl ein guter Mensch gewesen.

Schände ich statt dessen sein Grab
und glaube „meine Wut auszulassen“, kämpfe ich gegen einen
Grabstein und werde unzufrieden, weil ich von niemand Recht
bekomme.

Es besteht m. E. doch ein wesentlicher Unterschied zwischen posthumen wut- und hasserfüllten Aktionen wie Grabschändung oder dem Veröffentlichen zynischer Todesanzeigen und dem Zulassen spontaner Empfindungen (wie Gleichgültigkeit, Erleichterung, vielleicht auch Genugtuung). Letzteres kann für manchen sogar insofern ein Schlusspunkt sein, als er sich von da an nicht mehr gedanklich mit dem Verstorbenen beschäftigt, nicht mehr „Recht bekommen“ will - und somit auch der Groll verblasst.

Die Forderung, man müsse sich auf jeden Fall dazu durchringen, nur Gutes über einen Menschen zu äußern, der einem Unrecht getan, einen verletzt oder geschädigt hat, halte ich nach wie vor für unrealistisch und überzogen.

Gruß
Kreszenz

Hallo Kreszenz,

ihre wahren Empfindungen

sind, wenn sie gehasst wurden, z. B. „Erleichterung“ (vgl. oben bei smalbop)

mantraartig vorbeten

ist regelmässig besser als schimpfen

Zulassen spontaner Empfindungen

finde ich richtig

ein Schlusspunkt

ist zulässig, ich würde aber schon ein Fragezeichen setzen, sobald man sich gegenüber Dritten äussert.

müsse sich auf jeden Fall dazu durchringen

immerhin ist es zu empfehlen

unrealistisch und überzogen

ist das nicht, wüsste nicht warum—

Gruss
Mike

Hallo, Mike,

nehmen wir an, meine Erfahrungen mit einem Menschen sind
schlecht. Meinst Du jetzt, es gebe nur Schlechtes zu
berichten?

nein, aber meine Reaktion ergibt sich zunächst aus meinen Erfahrungen.

Um zum Ausgang zurückzukommen: Die Posterin schildert ihre Gefühle beim Tod eines Menschen, der sie (nicht umgekehrt) gehasst, verunglimpft, bedroht hat.
Eine generelle Diffamierung des Verstorbenen oder den Versuch, sein Andenken bei anderen, die ihn kannten, zu schmälern, lese ich da nicht heraus.

über Schlechtes in Bezug auf den Menschen zu
schweigen steht uns schon deswegen an, weil wir selber genug
Schlechtes an uns zu korrigieren haben.

Du meinst vermutlich die Geschichte mit dem ersten Stein. Falls Du die so interpretierst, dass uns die eigene Fehlerhaftigkeit jegliche Kritik verbietet; dass wir uns zu Verstößen anderer gegen – objektive und auch subjektive – Werte und Normen grundsätzlich nicht äußern dürfen, werden wir in diesem Punkt sicher nicht zu einem Konsens gelangen.

Wenn wir uns an die
Geschichte als Ganze erinnern, werden schlechte Dinge
natürlich vorkommen, aber wenn wir an den Menschen als solchen
denken (und das tun wir z. B. wenn wir an sein Ableben
denken), ist es leicht möglich, dass das Gute in seinem Leben
viel wichtiger war.

Möglich ist aber auch das Gegenteil – vielleicht sind tatsächlich die Menschen, denen er das Leben schwer gemacht hat, in der Überzahl.
Ein Bild, das dem Wesen des Betreffenden annähernd gerecht werden kann, ergibt sich m. E. aus der Summe der Erfahrungen aller, die ihn kannten, und nicht daraus, dass, egal, was er getan hat, von einem hypothetischen „Grund-Gutsein“ ausgegangen wird.

Gruß
Kreszenz

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Moin

Und deinem Hund gibst du einen
großen Knochen zum Abnagen.

Von der Leiche?
Gruß,
Branden

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Es gibt Kritik und Kritik - an Lebenden und Toten
Hallo Kreszenz,

Eine generelle Diffamierung des Verstorbenen oder den Versuch, sein
Andenken bei anderen, die ihn kannten, zu schmälern, lese ich da
nicht heraus

Es ging um ein Gefühl von Schadenfreude, und die Frage ist, wie man damit umzugehen hat. Vielleicht kann schon die Reflexion genügen, dass es eigentlich Erleichterung oder ein Gemisch aus Schrecken, Mitleid, Barmherzigkeit und Entlastung ist. Aber das bedeutet eben eine Veränderung seitens derjenigen, die überlegt, und also eine ethische Klarstellung, ohne die ein Verharren in Schadenfreude erfolgen würde, welches somit ethisch geringer wäre - um nicht zu sagen unzulässig.

Meine Kritik an der Fragestellerin ist somit keine persönliche, sondern eine allfällige (falls sie verharrt und, wie ich schrieb, „herausposaunt“ - was sie ja mit der blossen Frage strenggenommen noch nicht getan hat).

jegliche Kritik verbietet

nicht einmal an Toten

dass wir uns zu Verstößen anderer gegen –
objektive und auch subjektive – Werte und Normen grundsätzlich
nicht äußern dürfen

meine ich weder bei Lebenden noch bei Toten. Bei Lebenden gibt es zwar eine hohe Hemmschwelle (im Religionsbrett finge ich jetzt vom „Balken im eigenen Auge“ an, hier genügt es wohl, wenn ich sage „vor der eigenen Tür kehren“). Bei Toten ist die Hemmschwelle da, wo eine Kritik (die ja persönlich-aufbauend nicht mehr sein kann) nicht bloss an Verhältnissen, sondern an bestimmten Menschen festgemacht wird. Verhältnisse aber (und auch einmalige Begebenheiten) lassen sich sehr wohl auseinandernehmen und auch wenn Tote dabei waren die Verantwortlichkeiten klären. Nur ist damit eben nicht die subjektive Schlechtigkeit des Toten mitzuzählen, er wird übrigens auch strafrechtlich nicht verfolgt.

Überzahl

zählt nicht, weil die Güte eines Menschen nicht nach Mehrheiten gemessen wird, das ist also auch eine Grenze der Demokratie
Auch wenn Du statt „Überzahl“ Übergewicht meinst, wer und wo kann das bitteschön messen? Ich jedenfalls würde das nicht versuchen.

Summe der Erfahrungen aller, die ihn kannten

und wie steht es mit der Qualität der Erfahrungen? Wer kann sie bleibend und gültig festsetzen (und bleibend und gültig ist, was man sagt, schon deshalb, weil er keinen Raum zum Reagieren hat)

Grund-Gutsein

ist dann auch nicht widerlegt - wie mir scheint, nicht widerlegbar.

Gruss,
Mike

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