Mythos und Naturwissenschaft
Hallo Fo,
über den vermeintlichen Konflikt zwischen biblischen (genauer: alttestamentlichen) Schöpfungsmythen und naturwissenschaftlicher Theoriebildung bezüglich kosmologischer und biologischer Evolution ist auch hier im Brett schon unzählige Male diskutiert worden.
Wer in dieser Hinsicht ein „entweder-oder“ meint aushandeln zu müssen, also einen weltanschaulichen Konflikt sieht, unterliegt einem charakteristischen Denkfehler, nämlich der sog. Kategorienverwechslung.
Was damit gemeint ist, dazu hier als Beispiel nur zwei ältere Artikel von mir:
[Es war einmal …]
http://www.wer-weiss-was.de/religionswissenschaft/wo…
und
[Ein paar Voraussetzungen zur Fragestellung]
http://www.wer-weiss-was.de/religionswissenschaft/sc…
Dazu kommt, daß beide Seiten des angeblichen Konfliktes meist unter erheblichem Wissensrückstand leiden: Die einen wissen nicht, was ein Mythos ist bzw. welche Aussagekraft und Aussageabsicht ein solcher im Kontext einer religiösen Konzeption hat. Die anderen wissen nicht, daß naturwissenschaftliche Theoriebildung weder in Methodik noch im Gegenstandsbereich dasjenige überhaupt berührt, was ein Mythos für eine theologische bzw religiös-anthropologische Konzeption bedeutet.
Wer also die „Bibel“ (dazu gleich mehr), natürlich nur die hierfür relevant erscheinenden Abschnitte, als naturwissenschaftliche Theorie auffassen will, hat nicht begriffen, worüber naturwissenschaftliche Theorien eigentlich handeln. Aber was noch wesentlicher ist: Er hat von eben diesen „biblischen“ Aussagen noch nicht mal wirklich Kenntnis:
Der Tanach (die Textsammlung, die die Christen „Altes Testament“ nennen) enthält nicht nur in den ersten beiden Kapiteln des 1. Buches Mose („Genesis“) allein schon zwei verschiedene Schöpfungsmythen (die sich in einigen Punkten sogar widersprechen), sondern in anderen Büchern (u.a. Isaja, Hiob, einige Psalmen) noch ganz andere rudimentäre kosmogonische Vorstellungen. Die beiden ersteren sind lediglich umfangreicher ausgeführt.
Wer also postulieren möchte, " der biblische Schöpfungsbericht" sei zugleich eine historisch-naturwissenschaftliche Aussage, muß sich die Frage gefallen lassen, welchen er denn meint. Und wenn er diese Frage nicht versteht, dann hat er „die Bibel“ gar nicht mal gelesen.
Eine rein christliche theologische Schöpfungstheorie wiederum, also eine, die nicht mit der antiken israelitischen (und damit mit der der jüdischen Religion) zusammenfällt, gibt es gar nicht. Die einzige speziell christlich-theologische Schöpfungsaussage ist die der „creatio ex nihilo“, die in den ersten Jhdten christlicher Theologie und Philosophie auf dem Boden der Auseinandersetzung mit griechischen Philosophemen formuliert wurde. Und wenn man die philosophischen, begriffstheoretischen Implikationen des spätantiken Begriffs „creatio ex nihilo“ mit heutigen physikalisch-kosmologischen Implikationen vergleicht, kommt man sogar zum Resultat, daß sie koinzidieren.
Genaueres dazu und zu einem begriffslogischen Vergleich zwischen mythischen und physikalsichen Kosmogonien hatte ich vor längerer Zeit mal hier ausgeführt:
[Kosmogonie: Mythos und Physik]
http://www.wer-weiss-was.de/religionswissenschaft/go…
… wie denn solche ‚extremen‘ Christen die Erkenntnisse der Wissenschaft bezüglich der Evolution völlig ausblenden können, wo sie ansonsten sehr gebildet sind.
Ich weiß nicht, was „extreme“ Christen sind. Du meinst vielleicht das, was man üblicherweise als „fundamentalistische“ Christen bezeichnet. Hier vertrete ich (siehe oben) die Ansicht, daß diese gar keine gründlichen (= fundamentalen) Kentnisse über die biblischen Hintergründe haben. Es bleibt lediglich deren fehlerhafte Denkweise: Was in der Bibel über die zeitliche Entstehung der Natur und des Menschen zu lesen ist, seien historische und physikalsiche und biologische Aussagen.
Das ist aber nicht der Fall. Und denselben Denkfehler machen Leute, die glauben, sie seien naturwissenschaftlichz gebildet und daraus zu dem Schluß kommen, die biblischen Aussagen seien Blödsinn. Denn in den geistesgeschichtlichen Epochen, in denen diese Mythen entstanden sind, und die späteren, in denen sie schriftlich fxiert wurden, war von den beweis- und widerlegungs-logischen Methoden, auf denen heutige Theorien und Erkenntnisse beruhen, weit und breit in der Weltgeschichte noch nichts vorhanden.
Daraus folgt: Aussagen, die wir heute als Mythen von historischen und naturwissenschaftlichen Aussagen unterscheiden, hatten in ihrer Entstehungszeit überhaupt gar nicht den Anspruch , historischen bzw naturwissenschaftlichen Kriterien von Beweis und Widerlegung zu genügen. Und nicht nur das: Sie handeln davon auch gar nicht!
Ihre Aussagen sind aber dennoch von Bedeutung. Und zwar von theologischer („Gottesbegriffe“) und anthropologischer („Was ist der Mensch“) Bedeutung. Und dazu kann ein rechtschaffen (d.h. u.a. methodisch korrekt) denkender Naturwissenschafler bestenfalls sagen, diese Bedeutung interessiere ihn nicht. Nennt der diese Bedeutung aber „Blödsinn“, dann macht er in demselben Sinne eine naturwissenschaftlich „blödsinnige“ Aussage.
Kann mir hier jemand etwas darüber sagen, wie die Kirche oder sehr gläubige Christen das im Detail sehen?
Das sei hiermit bereits im Kern geschehen. Ich vermute, daß du mit „Kirche“ die römisch-katholische meinst? Deren schöpfungstheologische Aussagen enthalten nicht eine einzige dogmatische (d.h. eine für das Bekenntnis der Kirchenzugehörigkeit unabdingbare) Formulierung, die irgendeiner heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntis widerspricht. Allein schon daher bräuchte kein naiv-gläubiger Katholik, der zugleich naturwissenschaftlich denkt, in Gewissensnöte zu kommen.
Es handelt sich ausschließlich um theologisch-anthropologische Aussagen. Nachlesbar im „Katechismus der katholischen Kirche“ unter KKK 282-289. Die Aussage allein „Der Mensch ist Geschöpf Gottes“ (woraus alle christlich-anthropologischen Aussagen folgen) widerspricht keiner Naturwissenschaft. Denn weder „Gott“ noch „Schöpfung“ ist ein naturwissenschaftlicher Begriff. Ebensowenig wie „das blaue Band des Frühlings“ irgendeiner naturwissenschaftlichen Erkennis widerspricht.
Alle kirchlichen Aussagen bzgl. des Themas, auch schon die früherer Jahrhunderte, sind keine dogmatischen. Sie enthalten somit keine absolute Glaubensverpflichtung (in dem Sinne, wie die Röm.-kath. Kirche Aussagen versteht, die als „de fide“ klassifiziert sind). Abgesehen davon wurde nach dem Vaticanum II in der Exegese darauf hingewiesen, daß biblische Aussagen nicht als Gegensatz oder gar Widerspruch zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verstanden werden sollen. Also ganz im Sinne, wie ich es oben beschrieb. Es wird dort aber auch diskutiert bzw bemängelt, daß es an dogmatischen Aussagen noch fehlt, die eben diese Irritation eines nur scheinbaren Widerspruchs auflösen - und damit auch Naiv-Gläubige aus ihren diesbezüglichen Gewissenskonflikten befreien.
Kommentare dazu gibt es u.a. im „Neuner-Roos“: ISBN 3791701193 Buch anschauen
Und ist es für sie nicht durchaus denkbar, dass Gott den Menschen als „Neanderthaler“ schuf und dieser sich eben weiterentwickelte?
Das ist eh nicht denkbar, denn der Homo sapiens sapiens ist keine „Weiterentwicklung“ des Homo sapiens neanderthaliensis.
… Stellungnahmen offizieller Kirchenvertreter dazu
Siehe oben.
oder kennt solche extremen Christen und deren Standpunkt und Argumentation.
Dazu auch FAQ:1971 und FAQ:2203. Im letzten u.a. auch ein → „grundsätzlicher“ Artikel zum Thema von der geschätzten ehemaligen Userin Taju (Theologiehistorikerin).
Mit Gruß auch nach Südafrika
Metapher