Schwäbische Küche: "schwarze Spatzen"

Hallo zusammen;

in einem zeitgenössischen Text, der über das Leben und die Ernährung in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb im Jahr 1900 berichtet, ist von „schwarzen Spatzen“ die Rede.

Im Kontext:
*" b) Mittagessen: *
Dampfnudeln, schwarze Spatzen, vor denen mancher Städter die Nase rümpfen würde, […]"

Was „Spatzen“ bzw. „Spätzle“ in der schwäbischen Küche sind, ist mir bekannt. Die Bezeichnung „schwarze Spätzle“ ist mir allerdings noch nie begegnet.

(Google zeigt bei der Suche nach „schwarze Spätzle“ Rezepte an, bei denen die Spätzle mit Sepiatinte schwärzlich eingefärbt werden. Sepiatinte stand im Jahr 1900 in einem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Alb aber mit Sicherheit nicht zur Verfügung!)

Ich bin dankbar für jeden Hinweis!
Vielen Dank im Voraus für Eure Mühe!

Renardo

Hallo Renardo,

Vorsicht - kein Wissen, aber plausible Vermutung:

Wie man Kässpatzen in der Pfanne mit Käs schmälzt, kann man sie auch mit Blutwurst oder ihrer eher haltbaren und dunkleren Form Schwaazwuuschd anreichern. Das würde dann auch den Spatzen eine eher schräge grau-rot-schwärzliche Farbe geben.

Würde passen, weil es auf der Alb oben kaum kartoffelfähige Äcker gab und damit das Mo - Sa tägliche Essen bei weniger reichen Bauern, eine Pfanne Bratkartoffeln mit Blutwurst geschmälzt, dort nicht in Frage kam. Die „Schwarzen Spatzen“ wären dann die kartoffellose Version dazu.

Meine Mutter war in den 1930er Jahren auf einem winzigen Höflein in der Gegend von Lindenberg als Familienhelferin, dort gab es die „Kartoffelversion“ jeden, jeden Tag - für etwas anderes war kein Geld da. Am Freitag ließ sie (obwohl selber evangelisch) aus Respekt vor den gut katholischen Bauersleuten immer die Blutwurst auch noch weg, bis der Bauer einmal meinte: „Oh, wenn Ihr ou amol vergässe dätet dass Frîdig ischt - Ihr wann katholisch wäred, Ihr wäred ganz bigott!“ - von Stund an vergaß sie das jeden Freitag…

Schöne Grüße

MM

Hallo Aprilfisch,

hab vielen Dank für Deine Antwort!
Ja, das ist eine sehr interessante Idee. Allerdings wäre das nach meiner Einschätzung in einem kleinen Dorf auf der „rauen Alb“ wohl schon eine recht üppige Mahlzeit gewesen.

Meine Vermutung geht bislang in eine ganz andere Richtung, ist aber auch nur rein spekulativ:
„Schwarze Spatzen“ könnten Spätzle sein, bei denen man das Weizenmehl durch Buchweizenmehl ersetzt oder Buchweizenmehl beigemischt hat. Buchweizen wurde früher auch als „Schwarzes(!) Welschkorn“ bezeichnet.
Dagegen spricht allerdings die Kälteempfindlichkeit von Buchweizen. … Und vielleicht ist meine Idee auch an den Haaren herbeigezogen bzw. viel zu kompliziert gedacht.

Ich bin gespannt, ob sich hier jemand zu meiner Frage meldet, der mit Wissen glänzen kann!

Liebe Grüße - und nochmals Danke für Deine interessante Idee!

Renardo

Leberspätzle sind zwar nicht schwarz, aber dunkel.

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An die hatte ich auch gleich gedacht.

Servus,

aber dazu passt nicht

Schöne Grüße

MM

Servus,

Buchweizen oder Buchweizenmehl kommt auf der Alb nicht in Frage, weil die Ansprüche von Buchweizen fast entgegengesetzt zu dem sind, was dort an Ackerbau möglich war: Leichte, sandige, eher saure Böden sind gut für Buchweizen. Auf der Alb oben fühlte sich Dinkel wohl - und mit dem fühlen sich Spätzle wohl.

Schöne Grüße

MM

Gerade das passt mE sehr gut. Denn Innereien sind tatsächlich doch eher ein heikles Thema. Vermutlich im Durchschnitt eher ein Thema für die Landbevölkerung als für die Städter. Ausnahmen bestätigen die Regel.

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  • einen hab’ ich noch:

Das berühmte Brennte Mues, heute allenfalls noch im südlichen Oberschwaben und im vorderen Allgäu geläufig und von niemandem wirklich geliebt, eher noch ab und zu aus Respekt vor dem Gleichmut zelebriert, mit dem frühere Generationen ihr Leben ertrugen, heißt auch Schwaazmues, obwohl es eher ein stumpfes Graubraun hat.

Musmehl ist ein relativ grobes, griesiges Vollkornmehl aus im Ofen geröstetem Dinkel aka Veasa, Hafer oder modern auch Weizen. Das Mues wird am Vorabend aufgekocht, quillt über Nacht und kommt zum Frühstück nach dem Stallen in einer großen Pfanne abgeschmälzt auf den Tisch, vornehmlich wenn man winters in den Wald zum Holzmachen geht - von einem ordentlichen Teller Brenntem Mues ist man ungefähr bis zum Brotessen um Fünfe, vor der nächsten Stallzeit, satt.

Ob man von Musmehl auch eine Art Spatzen hinkriegen kann, hab ich nie ausprobiert. Wenn die einigermaßen zusammenhalten, wäre das aber sicher etwas, was einen Städter aus Ulm oder Hoarna das Gruseln lehren kann…

Schöne Grüße

MM

  • und noch einen:

Der Müller Luz von Buttenhausen bestätigt - selber Älbler - dass das Brennte Mues über Jahrhunderte zu den Grundnahrungsmitteln auf der Alb gehörte, und vor allem nennt er das Brennte Mues mit einem Namen, den ich als aufgewachsener Oberschwabe nie gehört habe und der die unmittelbare Verbindung zu den Schwaazen Spatzen herstellt: Schwarzer Brei - hier ist er:

http://www.luzmuehle.de/musmehl.html

Ich möchte, alldieweil ich in Solidarität mit meiner diabetischen Gattin nicht mehr viel Grieß, Schrot und Mehl in der Küche habe, selber nicht den Versuch machen, ob sich aus Muesmehl mit ein paar Eiern nicht ordentliche Spätzle schaben lassen, aber für alle, die den gesuchten Schwarzen Spätzle auf dieser Fährte gerne versuchsweise nachgehen wollen, hab ich hier eine nette Bezugsquelle für (der Beschreibung nach authentisches) Musmehl:

Schöne Grüße

MM

Hallo Aprilfisch,

mir ist die Bezeichnung „Schwarzer Brei“ bekannt, ich bin in Lenningen, Oberamt Kirchheim, aufgewachsen.

Deiner Aussage „von niemandem wirklich geliebt“ stimme ich nicht zu. Ich esse den Schwarzen Brei (der eigentlich ein graubrauner Brei ist) zuweilen sehr gerne - allerdings als Beilage, nicht als Hauptspeise.
Ich hätte momentan sogar noch ein halbes Pfund „Muesmäehl“ zu Hause für das von Dir angesprochene „Spätzle-Experiment“. :wink:

Deine erste Antwort auf meine Frage - die Idee mit der Blutwurst - ist für mich derzeit die plausibelste. Und je länger ich darüber nachdenke, umso plausibler erscheint mir Deine Idee.
Die schwäbische Blutwurst, die ich meine, wird im Schwäbischen für gewöhnlich als „Schwarze(!) Wurst“ bezeichnet, sie ist leicht geräuchert und dadurch sehr lange haltbar.
Man kann (oder konnte?) diese Blutwurst im Schwobaländle in zwei Zuständen kaufen;
a) frisch hergestellt und weich oder b) getrocknet und knochenhart.

Ich habe in jungen Jahren „Schwarze Wurst“, die mehrere Monate alt war, mit Genuss und ohne Schaden zu nehmen verzehrt.
Diese „Schwarze Wurst“ ist also äußerst haltbar, schmackhaft (finde ich jedenfalls :wink:), liefert Proteine und Fett, und ist zudem noch billig.
Somit wäre die „Schwarze Wurst“ hervorragend geeignet gewesen, um damit Spätzle für wenig Geld gleich in zweifacher Hinsicht (geschmacklich wie auch ernährungsphysiologisch) aufzuwerten.
Für einen Städter der damaligen Zeit (oder für junge Menschen der Gegenwart) ist Blutwurst wohl eher etwas „zum Naserümpfen“.

Leider bewegen wir uns hier aber immer noch im Bereich der Spekulation.

Beste Grüße und vielen Dank für Deine Mühe!

Renardo (ein Exilschwabe in der Pfalz)

Servus,

und vor allem:

Koi Wuuschdsalat ohne Schwaazwuscht!

Ha no, Entwicklungshelfer braucht man
überall - dito in der Kurpfalz…

Schöne Grüße

MM

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Das konnte ich auch mit einem Blick in
zwei Büchelchen nicht beheben,
von denen ich mir noch Möglichkeiten
erhofft hatte, aber leer ausging.

Ich könnte mir vorstellen, dass Du sie
trotzdem magst:

Michael Barczyk, Essen und Trinken im
Barock (stark auf Oberschwaben orientiert)

und vor allem

Gudrun Mangold, Hunger ist der beste Koch

(trotz des oberländer Namens auf die Alb
orientiert)

Schöne Grüße

MM

Hallo Wiz,

Danke für Deinen Beitrag!

Ich zitiere im Folgenden nun doch den gesamten Abschnitt zum Thema „Mittagessen“ aus dem betreffenden Text aus dem Jahr 1900:

b) Mittagessen
Dampfnudeln, schwarze Spatzen, vor denen mancher Städter die Nase rümpfen würde, „Wargelnudeln“, besonders am Karfreitag, auch „Gänswargel“ genannt
[= Schupfnudeln bzw. Bubaspitzla]; dieselben werden meistens in der Milch gekocht oder mit Schmalz gebacken. „Krautknopf“, derselbe besteht aus übereinder gelegten Schichten Teig u. Sauerkraut u. wird im Ofen gebacken. Brei von Mehl u. Welschkorn
[= Mais]. Gemüse und Fleisch sind hier seltene Speisen, geräuchertes Fleisch gibt es in wenigen Familien.

Hieraus wird deutlich, wie unvorstellbar einfach und karg die Nahrung in einem Dorf
auf der Alb damals gewesen ist. Leberspätzle zählten hier mit Sicherheit nicht zum alltäglichen Mittagessen!
Nebenbei bemerkt: Die heutige Einstellung zu Gerichten mit Innereien ist heute eine völlig andere als noch vor wenigen Jahrzehnten. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, als es noch „Gebackene Kalbsleber“, „Gebackenes Kalbshirn“, „Saure Kuttla“, „Saure Nierla“ etc. auf den Speisekarten von guten Gasthäusern und Restaurants gab - selbst in der etwas versnobten Landeshauptstadt Stuttgart! Derlei Speisen galten also auch vielen Städtern als Delikatesse! (Mir selbst übrigens auch bis heute! :wink:)

Schöne Grüße
Renardo

Guten Abend Aprilfisch;

Blockquote
Koi Wuuschdsalat ohne Schwaazwuscht!

Noi, niamools!!! Des goht jo gar edda! :smile:

Blockquote
Ha no, Entwicklungshelfer braucht man
überall - dito in der Kurpfalz…

Ich lebe in der Pfalz (also linksrheinisch an der Deutschen Weinstraße) - nicht in der Kurpfalz! :wink:

Danke für Deine beiden Buchtipps!
Das Buch von Gudrun Mangold kenne ich, ich habe es mir vor acht Tagen bei einem Besuch in meiner schwäbischen Heimat gekauft. Sehr gut recherchiert und toll bebildert!

Beste Grüße
Renardo

ich aber - an den Gestaden der Filsbach… (beachte das Femininum die Bach, an dem man das linke vom rechten Rheinufer unterscheiden kann).

  • dann brauche ich Dir die wunderschönen Bücher mit Fotografien von Eugen Sauter aus Neenstetten (die Bilder, nicht der Eugen Sauter) wahrscheinlich nicht mehr extra ans Herz legen: Bilder aus den 1950er Jahren, von denen viele auch hundert Jahre älter sein könnten - solche:

https://www.spiegel.de/geschichte/vergessene-fotos-a-949498.html

Schöne Grüße

MM

Nein, diese Bücher kannte ich noch nicht!
Herzlichen Dank für den Tipp! :+1:

Beste Grüße
Renardo

Hallo zusammen!

Die „schwarzen Spatzen“ sind eine ausgesprochen harte Nuss!

Das achtbändige „Fischers schwäbisches Wörterbuch“, Tübingen 1901-1936, verzeichnet im Band 5 auf S. 754 nur „Geröstete (gebräglete) Sp., saure Sp. in saurerer Sauce“ sowie „Brät, Leber-, Mel-[sic!], u. a.“ Spatzen bzw. Spätzle.
Auch unter dem Stichwort „schwarz(e)“ ist nichts zu finden!

Ich habe die Journalistin, Filmemacherin und Autorin Gudrun Mangold („Hunger ist der beste Koch. Karge Zeiten auf der rauen Alb“ - ein hochinteressantes Buch zum Thema „Leben auf der Schwäbischen Alb“) angeschrieben. Sie hat mir dankenswerterweise sehr rasch geantwortet, musste aber ebenfalls passen. Frau Mangold hat mich darauf hingewiesen, dass manche Gerichte eben „nur lokal“ vorkommen.

Nun versuche ich, Kontakte in die Ursprungsregion des Konferenzaufsatzes (Ochsenwang, Oberamt Kirchheim) zu knüpfen. Es bleibt spannend!
Falls ich das Rätsel doch noch löse, werde ich die Lösung hier posten.

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