Hallo,
ich kann meine Mutter nicht leiden.
So eine Aussage löst Irritationen aus, weil Kinder ihre Eltern normalerweise mögen oder gar lieben, trotz Differenzen und Streitigkeiten. Wenn also jemand so etwas sagt und das nicht nur aus einer Laune, einer Verärgerung heraus, dann muss da etwas gehörig schiefgelaufen sein. Ich weiß, was schiefgelaufen ist, aber meine Mutter weiß es nicht, und das macht die ganze Sache zusätzlich kompliziert.
Ich bin 32 Jahre alt und hege eine Antipathie gegen meine Mutter seit ich 14 bin. Damals merkte ich, dass wir auf völlig verschiedenen Wellenlängen liegen, dass wir einander nicht verstehen. Gut, so ist das in der Pubertät, mag man einwenden, aber diese Diskrepanz wuchs mit den Jahren immer weiter. Mit 21 schrieb ich in mein Tagebuch, dass ich diszipliniert sein und es als Übung in Gelassenheit und Geduld sehen soll, mit meiner Mutter umzugehen.
Ich bin mit 18 zu Hause ausgezogen, aber die folgenden 3-4 Jahre sah ich meine Mutter oft an den Wochenenden. Mein Vater starb als ich 21 war.
Die Jahre vergingen. Wir sahen uns nur noch ein, zwei Mal im Jahr, hatten aber wöchentlich telefonischen Kontakt. Für mich waren diese Anrufe immer eine unangenehme Pflicht. Ich mochte das Bla Bla nicht hören. Es kam auch zu mehreren emotionalen Höhepunkten, als sie Entwicklungen in meinem Leben und meine Entscheidungen sehr verletzend und ohne Verständnis kritisiert hat. Es kam dann zu Brüchen, aber ich habe den Kontakt immer wieder aufgenommen.
Im Rahmen einer Psychotherapie, die meiner Bindungsangst gewidmet war, habe ich mir viel Gedanken über meine Kindheit gemacht und meine Erinnerungen prägnant zu Papier gebracht und auch mit meiner Therapeutin darüber gesprochen. Sie hat sofort und spontan Wut auf meine Mutter empfunden. Sie sagte: „Die möchte man an die Wand klatschen!“
Vor einigen Monaten habe ich meiner Mutter am Telefon gesagt, dass ich mit ihr über unser Verhältnis sprechen wolle. Sie hat sich gleich aufgeregt und geschrien, was ich immer hätte und dann den Hörer aufgelegt. Dann rief ich sie nur noch einmal kurz an, um ihr mitzuteilen, dass es keine wöchentlichen Anrufe mehr geben werde.
Zwei Monate später, an ihrem Geburtstag, habe ich doch nochmal angerufen. Meine Mutter hat vor Rührung geweint und war lammfromm wie nie zuvor. Keine Vorwürfe, nur vorsichtiges Fragen, wie es mir gehe und große Dankbarkeit für meinen Anruf.
Das ist jetzt aber auch wieder mehr als 2 Monate her.
Ein großes Problem besteht darin, dass sie nicht im Mindesten verstehen kann, was mich bewegt, warum ich abweisend bin usw. Jeder Versuch, es ihr mitzuteilen, es ihr verständlich zu machen, scheitert daran, dass sie es rational schon nicht versteht (sie ist nicht die Hellste) und dass sich schon bei Andeutungen heftiger emotionaler Widerstand bei ihr regt.
Oberflächlich gesehen hat sie mir ja nichts zuleide getan, als ich Kind war. Für einen Außenstehenden war sie eine liebevolle Mutter. Es sind subtile Verletzungen und eine insgesamt desolate familiäre Situation, die mich geprägt haben. Daher kann ich auf ihre Frage „Was habe ich dir denn getan?“ nichts Einleuchtendes antworten.
Hinzu kommt, dass ihr Erinnerungsvermögen nicht richtig funktioniert. Unbewusst beschönigt sie die Vergangenheit immer so, dass sie in weißer Weste dasteht und diese verdrehte Erinnerung ist für sie die Wahrheit. Das habe ich schon an mehreren Beispielen erlebt. Sie hat sich selbst noch nie kritisch betrachtet, glaube ich.
Aus ihrer Sicht ist mein Verhalten grausame Willkür. Teil davon ist auch, dass sie praktisch keinen Kontakt zu ihrem Enkel, also meinem Sohn hat, obwohl sie es sich sehr wünscht. Dazu gäbe es noch einiges zu sagen, aber der Eintrag hier ist schon lang genug.
Ich würde ihr gerne alles erklären, mich in Ruhe hinsetzen, dass wir einander aussprechen können, aber das geht nicht, weil sie nicht darüber sprechen kann und weil ihre Erinnerungen anders sind als meine.
Der einzige Grund, weshalb ich mir den Kopf zerbreche, besteht darin, dass ich weiß, dass sie mit ihren 65 Jahren einsam und allein in ihrer Wohnung hockt, niemanden hat und sich nach mir sehnt. Aber ich sehe diesen Kontaktabbruch als Erfolg. Endlich habe ich geschafft, was ich schon vor 10 Jahren hätte tun sollen. Dann wäre mir viel Kummer erspart geblieben. Wenn sie doch wenigstens Freunde, also ein soziales Netz hätte, dann würde nicht all ihre Aufmerksamkeit auf mir lasten. Aber da sie allgemein sehr unsympathisch ist, hat sie niemanden. Weitere Familienmitglieder gibt es nicht mehr.
Sie ruft mich nicht an. Dazu ist sie zu stolz.
Und ich spüre Schuldgefühle (das war auch immer die einzige Art, Menschen und insbesondere mich an sich zu binden), Verantwortungsgefühl und auch moralische Kräfte in mir wirken.
Für mich stellt sich die Frage, ob ich jetzt hart bleiben und die Kontaktsperre beibehalten soll, oder ob ich wieder einen wohldosierten Kontakt herstellen soll, der dann aber immer so aussähe, dass sie um mehr betteln würde (Besuche, mehr Anrufe, den Enkel sehen) und ich immer nein sagen müsste, obwohl es mir schwer fiele.
Ich war nach jedem der Telefonate der vergangenen Jahre angespannt und missgestimmt. Sie taten mir nicht gut, selbst wenn wir nur über Banales wie das Wetter gesprochen haben. Aber die Abneigung geht tief.
Es ist schwierig, sich hierzu zu äußern, aber ich glaube, dass die eine oder andere Meinung mir bei einer Entscheidung helfen könnte.
Herbert