zur Geschichte der Seelenbegriffe
Hallo,
Von Gläubiger Seite wird oft das Argument gegen Abtreibung hervorgebracht, dass eine befruchtete Eizelle bereits eine Seele enthalte.
ausgehend von der Formulierung deines zitierten Argumentes ist anzunehmen, daß du mit „Gläubigen“ speziell Christen, und unter denen wiederum römisch-katholische meinst. Abgesehen von der unendlich komplizierten und komplexen Geschichte abendländischer (und keineswegs bloß christlicher) Seelen-Begriffe wäre dazu zunächst nur das zu sagen, was unten schon zitiert wurde: Daß ein Embryo unmittelbar mit der Fertilisation mit einer „Seele“ versehen wird, ist erst Anfang des 20. Jhdts in die kath. sogenannte Lehrmeinung aufgenommen worden. Insofern ist das Argument tatsächlich ein röm.-katholisches.
Aber wie genau ist das ein Argument gegen Abtreibung?
Genau genommen ist das noch gar kein Argument gegen willentlich eingeleiteten Abort. Von denen, die das als Argument anführen ist damit zunächt nur ausgesagt, daß es sich bei der befruchteten Eizelle bereits um einen Menschen - im Sinne des christl. Schöpfungsbegriffs, bzw der christl. Anthropologie - handele. Daraus wird dann erst gefolgert, daß die Abtötung des Embryos unter dieser Prämisse ein Mord ist.
Die Argumentation sieht ganz davon ab, daß alle die zugehörigen Begriffe und Vorstellungen (insbesondere natürlich der Begriff „Seele“) erst ganz allmählich im Laufe der Jahrhunderte aus einem komplexen Netz von Vorstellungen sehr unterschiedlicher Herkunft und Tradition herauskristallisiert worden sind: Im Neuen Testament, und auch im Alten nicht, hat es den hier gemeinten Seelenbegriff überhaupt nicht gegeben (dazu gleich ein wenig mehr).
Und ebenso sieht das Argument ganz davon ab, daß sich der hier gemeinte Seelenbegriff bereits in der Medizin und Psychologie des 19. Jhdts (exemplarisch seien erwähnt: Eschenmayer 1816, Feuchtersleben 1845, Eduard v. Hartmann 1869, Wundt 1862ff) völlig auflöst hat und nur seine metaphorische, poetische Valenz geblieben ist. Darüber hinaus ist er daher seitdem ausschließlich ein religionsimmanenter Begriff, der auch nur religionssprachlich kommunikabel ist.
Das bedeutet allerdings auch, daß eine Argumentation aus psychologischer bzw naturwissenschaftlicher Perspektive gegen diesen religionssprachlichen Terminus sich den Vorwurf der Kategorienverwechslung gefallen lassen müßte.
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Die Seele ist doch unsterblich, oder?
Eine eindeutige Formulierung (und Bestimmung), die zumindest für die westliche (lateinische) Kirche obligatorisch wurde, gab es erst auf dem 5. Laterankonzil (1512-1517): „Jeder Mensch besitzt eine individuelle unsterbliche Seele.“ Die Formulierung wendet sich vor allem gegen den zu dieser Zeit weitverbreiteten sog. Monopsychismus (Hauptvertreter: Averroes), es gebe nur eine einzige Seele (ähnlich der Platonischen „Weltseele“), und nur diese sei unsterblich. Die damit verbundene Individualseele (auf unterschiedliche Weise verstanden) sterbe dagegen mit dem Körper („Thnetopsychismus“).
Die Formulierung lautet: „… weisen wir alle zurück, die behaupten, die vernünftige Menschenseele [anima rationalis et intellectualis] sei sterblich oder sie sei nur eine einzige in allen Menschen …“ [Enchiridion symbolorum, DS1440].
Was geschieht mit der Seele nach der Abtreibung?
Es war eine Folge der radikalen (und wohl auch fatalen) Augustinischen sog. Gnadenlehre und Erbsündelehre (= die aus der Erbsünde befreiende Taufe ist obligatorisch für das „Heil“), daß Kinder, die ungetauft sterben, am „Heilsgeschehen“ nicht teilhaben können. Ein Höllenbegriff war zwar zu dieser Zeit ebenfalls noch nicht unstrittig entwickelt (die dafür grundlegende „Petrus-Apokalypse“ war ja nicht kanonisiert), aber immerhin wurde die „Anschauung Gottes“ den ungetauften Auferstehenden verweigert.
Um diese brutale Konsequenz für sterbende Kinder (und wohl vor allem für deren Eltern) abzumildern, wurde ein aus der Volksmythologie stammender Begriff zu Hilfe genommen. Ein Rand (der Hölle) für die Kinder: Der (unten bereits erwähnte) „limbus puerorum“ [sic! Unten hat es jemand falsch geschrieben]. Dies vor allem im Zusammenhang mit der Frage, wo sich überhaupt die Toten (bzw. ihre Seelen) zwischen dem leiblichen Tod und der (immer leiblich gedachten!) Auferstehung aufhalten (falls es, was ebenfalls strittig war und auch nach wie vor ist in der christl. Eschatologie, dazwischen eine Zeitspanne gibt). Populär gemacht hat diesen Limbus (es gibt auch einen separaten für die, die vor dem Auftritt Christi gelebt haben) allerdings erst Dante in seiner „Divina Comedia“.
Der Limbus war aber niemals Bestandteil einer obligatorischen christl. Lehre. Das Abstandnehmen von dieser rührigen mittelalterlichen Zwischenlösung durch B XVI war eschatologisch im Grunde obsolet.
Die Entwicklung der Seelenbegriffe und insbesondere die Frage, wann und in welcher Form sie mit dem Körper zusammenkommt, und weiter, was mit dieser Verbindung im Tode geschieht, war nicht allein ein Thema christl. theologischer Spekulation. Die Zweiheit von psyché und sóma kam vielmehr aus dem griechischen Zweig der abendländischen Geistesgeschichte in die christliche Eschatologie: Homer, die Orphik und andere Mysterienkulte, Platon (vor allem) und Stoa waren die Taktgeber (Aristoteles ging derweil in eine ganz andere Richtung des Begriffs psyché).Und über die Spätantike (Plutarch,Sakkas, Plotin, Porphyrios, Proklos …) bis ins Mittelalter kursierten zahllose Theorien. Die christlichen Kirchenlehrer (Origenes, Augustinus, Basilius, Gregor von Nyssa) griffen viele dieser Theorien auf und entwickelten sie weiter.
Solche Begriffe wie (die unten teilweise schon zitierten) foetus informis (was man heute gern als formlosen Materieklumpen bezeichnet, was kein Biologie tun würde), foetus formatus (bei dem sich schon Glieder abzeichnen), foetus inanimatus (der aber noch unbelebt ist), foetus animatus (der schließlich lebt) z.B. waren Interpretationen aus der Medizin, nicht primär aus der christl. Theologie. Man versuchte zu verstehen, wie sich nicht nur animalisches Leben überhaupt im Uterus entwickelt, sondern wie und wann sich zu dem Foetus die anima rationalis (Vernunft) und (teilweise davon unterschieden) die anima intellectualis (Verstand) gesellt, um den werdenden Menschen als solchen zu definieren. Das waren aber alles gar keine christlichen Begriffe, sondern war allgemeines Gedankengut. Und zwar im Bereich der Medizin sowohl als auch der (weltlichen!) Rechtsprechung!
Es ging dabei nämlich vor allem um eine rein juristische Frage: Unter welchen Bedingungen ist eine Abtreibung als Mord zu interpretieren. Sie zieht sich durch Spätantike und Mittelalter und ist also nicht erst ein Problem unserer Zeit. Sie basiert auf dem Fundament, daß der lebende, vernunftbegabte Mensch eine Verbindung einer Seele mit einem Körper ist, und diese Idee - und damit der Kern aller damit zusammenhängenden Fragen - kommt aus der griechischen Philosophietradition und nicht aus der jüdischen (und dann christlichen). Die aus der jüdischen Tradition kommenden Seelenbegriffe (ruach, neshamah, näphäsh) sind derweil nicht weniger kompliziert und haben in der christlichen Begriffsgeschichte eine ebenso fundamentale Rolle gespielt, weil es zur Denktradition gehörte, alle Theologoumena auch aus Torah und Tanach zu begründen.
Einige wenige (spätantike) Fragen in diesem Zusammenhang:
- Ist die Seele unsterblich?
- Existiert die Seele schon, bevor sie in den Körper kommt?
- Wann kommt die Seele in den Körper?
- Wo kommt die Seele her? Von einem unsterblichen Gott? Von den Eltern?
Und dazu gab es unzählige Theorien, alle gleichzeitig. Und weltliche Juristerei und christlicher Klerus und christliche Philosophie forderten sich wechselseitig(!) heraus zu immer präziseren Begriffsbestimmungen.
Um nur eins von vielen ein Beispielen einer dadurch entstehenden Aporie innerhalb der christl. Seelenlehren (Plural!) zu erwähnen: Augustinus hatte sich in bestimmten Theologierichtungen mit seiner Erbsündelehre durchgesetzt. Nun wurde aber dogmatisch bestimmt (auf dem 5. Laterankonzil), daß die Seele individuell von Gott aus Nichts erschaffen wird (gegen die Präexistenztheorie der Seele). Nun entstand die Frage: Da die Erbsünde sich nicht über die Eltern, d.h. über die körperliche Existenz vererbt, die Seele (und ein Tertium neben Seele und Körper gab es per vorhergängigem Dekret nicht) aber spontan jeweils aus Nichts geschaffen werde: Wie „vererbt“ sich denn dann die Erbsünde?
Oder ein Beispiel der weltlichen Rechtsprechung: Wenn die Vereinigung der anima rationalis mit dem foetus schon bei der Empfängnis geschieht (diese Auffassung gab es unabhängig von christlicher Theologie), ist dann nicht auch jede Empfängnisverhütung (es gab diverse Methoden, z.B. durch Gifte) als Mord zu werten? (diese Auffassung gab es ebenfalls). Also alles bereits uralte Fragestellungen - und alle nicht eindeutig lösbar.
Soweit nur ein paar Andeutungen aus der Begriffsgeschichte.
Gruß
Metapher