Hallo,
ich meine, dass der Artikel „Alles neu - gar nichts Neues?“ von Antje Schrupp gut zu deiner Fragestellung passt.
http://www.antjeschrupp.de/patriarchat-und-frauenbew…
Sie thematisiert hier unter anderem die Frage, was Emanzipation heute, wo man sagen kann, dass das Patriarchat zu Ende ist, eigentlich noch bedeutet, oder bewirken will.
Ich hoffe, ein paar Zitate sind okay:
_Das Patriarchat ist nicht dann zu Ende, wenn für Frauen paradiesische Zustände auf der Welt bestehen, denn erstens wird es die niemals geben, weil die Welt nun einmal nicht das Paradies ist, und zweitens stellen sich verschiedene Menschen – und also auch verschiedene Frauen – das Paradies auch noch unterschiedlich vor. Das Patriarchat ist dann zu Ende, wenn Frauen in diesen Auseinandersetzungen und Diskussionen über die Regeln, die die Menschen auf dieser Welt einrichten, mitreden, verantwortlich mitdenken und entsprechend handeln – und zwar mit all ihren Unterschieden, denen von Rasse, Klasse, sexueller Orientierung usw. und auch mit ihren individuellen Unterschieden. Das tun sie heute. Das Patriarchat ist dann zu Ende, sagt Luisa Muraro, wenn Frauen nicht mehr daran glauben, wenn Frauen ihm die Glaubwürdigkeit entziehen.
Das haben sie schon immer getan, jedenfalls manche, und werden es auch später noch tun, das Ende des Patriarchats ist kein bestimmtes Datum. Aber dass sie es laut sagen, dass es offensichtlich wird, auch wenn nicht alle es sehen – genau das ist meiner Meinung nach die Entwicklung, die die Frauenbewegung genommen hat, und die man vielleicht in drei Phasen unterteilen kann – die ich persönlich in meiner eigenen Biografie auch durchlaufen habe.
Die erste Phase war, zu sagen: Wir wollen gleiche Rechte haben wie die Männer. Wir wollen gleiche Gesetze für Frauen und Männer, wir wollen Zugang zu ihren Universitäten, zu ihren Möglichkeiten, zu ihren Arbeitsplätzen. […]
Die zweite Phase war, als wir entdeckten, dass es auch positive Aspekte des Weiblichen gibt, die wir – ebenso wie die Männer – zu wenig berücksichtigt hatten. […]
Die dritte Phase – wobei diese Phasen nicht säuberlich getrennt aufeinander abfolgen, aber sie folgten meiner Meinung nach logisch aufeinander – die dritte Phase nun war das, was Ina Prätorius die »Trivialisierung des Männlichen« nannte. Sie folgte konsequenterweise auf die Aufwertung, der Ent-Trivialisierung des Weiblichen, denn wenn die Gesellschaft und unsere Zivilisation viel mehr auf dem Beitrag der Frauen fußt und gründet – vieler Frauen, nicht nur derer, die männliche Karriere machten – dann ist es ja nahe liegend, dass der Beitrag der Männer gar nicht so wichtig ist, wie sie tun und wie auch wir selber dachten. […]_
_Seit Mitte der neunziger Jahre hat sich die Frauenbewegung in Deutschland aber sehr ausdifferenziert und in gewisser Weise auch etabliert. Der Feminismus – oder zumindest Versatzstücke davon – hat Eingang gefunden in die Parteien, Unternehmen und Institutionen. Es gibt Gleichstellungsbeauftragte, Quoten, Mentoring-Programme, Frauenförderpläne. Es gibt feministische Lehrstühle an den Universitäten, Versatzstücke aus dem feministischen Denken sind inzwischen auch in Illustrierten, Tageszeitungen und Fernsehsendungen, ja sogar in der Werbung zu finden.
Gleichzeitig war in, sag ich mal, »ideologischer« Hinsicht Entspannung angesagt. Es hatte den Anschein, als ob endlich die unterschiedlichen feministischen Denkrichtungen miteinander ins Gespräch kamen. Die starren Fronten zwischen »Gleichheits«- und »Differenzfeministinnen« waren aufgeweicht, Matriarchatsfrauen diskutierten mit Karrierefrauen, der Ton wurde versöhnlicher, man schien sich gegenseitig ernster zu nehmen, weniger zu diffamieren, die Stärken und Schwächen der jeweiligen Position gegeneinander abzuwägen. […] Irgendwie schien sich die Meinung durchzusetzen, dass es eben unterschiedliche Schwerpunkte und Perspektiven gibt, dass die einen irgendwie recht haben und die anderen auch. Ich habe in den letzten Jahren viele Frauen getroffen, die sich jeweils aus den verschiedenen feministischen Denkansätzen das Beste raussuchen und frei miteinander kombinieren.
Ich finde das gut und schlecht gleichzeitig. Gut deshalb, weil bei den früheren ideologischen Streitigkeiten häufig aneinander vorbeigeredet wurde. Nicht nur bei der anfangs ablehnenden Haltung zu den Italienerinnen, auch sonst wurde häufig gar nicht versucht, zu verstehen, was die andere sagen will, sondern es wurden den Gegnerinnen Dinge unterstellt, um selber recht zu behalten. Problematisch finde ich die neue inter-feministische Entspannung aber deshalb, weil ich den Eindruck habe, dass manchmal Dinge nicht zu Ende gedacht werden, dass da Sachen zusammengefügt werden, die eigentlich nicht zusammen passen. Dass man Konflikte scheut, dass man unterschiedliche Positionen nicht deutlich genug benennt, um sich nicht streiten zu müssen. Und manchmal vielleicht auch: Um sich die Mühe des Denkens zu ersparen._
Das Wesentliche am Patriarchat, sagt Luisa Muraro, ist nicht die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen gewesen, sondern der Ausschluss des Weiblichen aus unserer Kultur, aus dem, was gesagt und gedacht werden kann, aus der symbolischen Ordnung. Aber das ist heute nicht mehr so. Denn die Frauenbewegung hat Räume eröffnet, in denen sich eine freie Bedeutung von Frau-sein entfalten kann. Frauen arbeiten an vielen Orten an neuen Begriffen, fragen, was Politik, was Macht, was Arbeit, was Muttersein, was Spiritualität und vieles mehr für sie bedeutet, welche Wünsche sie an die Welt haben, wie sie leben wollen, welche Werte ihnen wichtig sind, und sie handeln entsprechend.
_Mit anderen Worten, Frauen haben erkannt, dass die Grundprämisse der männlichen Über- und weiblichen Unterordnung, nämlich die Prämisse, dass Frauen nicht für sich selber sorgen können, sondern dass sie dazu die Führung und Hilfe von Männern brauchen, schlicht und einfach nicht stimmt«. Und das wissen Frauen nicht nur in Afghanistan, nicht nur in Deutschland, sondern vermutlich in den meisten Ländern der Welt. Und sie sprechen es aus und verhalten sich auch so. Deshalb ist das Patriarchat zu ende. Und war es schon früher und wird es auch später noch sein, denn, wie gesagt, wir reden von einer neuen Sichtweise, nicht von einem bestimmten Datum.
Aber damit ist das Problem natürlich noch nicht gelöst. Im Gegenteil, es fängt erst an. Denn wenn das Patriarchat nicht mehr in der Lage ist die Dinge zu regeln, und wenn wir das wissen, dann ist es notwendig, dass wir eine andere Ordnung, eine andere Kultur entwickeln, eine weibliche Ordnung, die das hoffentlich besser schafft. Das ist die Herausforderung für die Frauenbewegung und die Frauenpolitik heute. Wenn das Patriarchat keine Orientierung mehr gibt, wenn seine Maßstäbe nicht mehr gelten, wo finden wir dann welche? Woran orientieren wir uns? Welcher Ethik folgen wir? Erst jetzt, nach dem Ende des Patriarchats, können wir diese Fragen wirklich diskutieren, weil wir nicht mehr in erster Linie damit beschäftigt sind, uns den Zugang zu diesen Diskussionen zu erkämpfen – real und im eigenen Kopf._
_Die Erfolge der Frauenbewegung liegen auch darin, dass sich vieles in der Lebenssituation von Frauen verbessert hat. Aber das ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist, dass Frauen – nicht alle Frauen, aber doch genügend Frauen – der patriarchalen Ordnung die Glaubwürdigkeit entzogen haben. Wir orientieren uns an anderen Maßstäben, wenn wir über uns, über die Welt und über gutes Leben nachdenken. Und dabei sind wir keineswegs einer Meinung, denn wir machen unterschiedliche Erfahrungen und auch wenn wir gleiche Erfahrungen machen, beurteilen wir sie unterschiedlich. Aber gerade in der Auseinandersetzung darüber – und nicht im Bemühen, eine vermeintliche Frauensolidarität zu beschwören – entsteht eine weibliche Kultur, ist bereits eine weibliche Kultur entstanden, die wiederum in der Welt Wirkung entfaltet.
Damit ist auch klar, dass das Ende des Patriarchats keineswegs das Ende der Frauenbewegung ist, sondern im Gegenteil, ein neuer Anfang, eine neue Ausrichtung der Frauenbewegung. Ihre wichtigste Aufgabe ist es nun, diese weibliche Kultur zu stärken, sie sichtbar zu machen, ihr in der Welt Gehör zu verschaffen. Denn in der Welt, und da hat Verena Kern mit ihrem taz-Artikel natürlich recht, gibt es noch sehr viele Probleme, die wir anpacken müssen – nicht nur im Interesse der Frauen, sondern im Interesse aller._
Gruß
M.