Burnout der Gefühle
Hi Jeanne,
eine interessante Frage. Tatsächlich könnte man jede Menge dazu schreiben. Und die Literatur dazu füllt ja auch Bibliotheken. Die „gut gemeinten“ Ratschläge dazu lesen sich jedoch oft so, als wolle man eine kaputte Zylinderkopfdichtung mit Tesaband reparieren.
Auch hier im Archiv sind schon - overall betrachtet - Bücher zum Kern deiner Frage deponiert, wie du im Folgenden siehst.
Ja. Es gibt Beziehungen, in denen sich die Partner selbst verlieren und sich aufgeben.
Und: Es gibt Beziehungen, in denen sich die Partner erst recht selbst gewinnen - und wachsen und sich entwickeln.
Du zitierst:
„Erst jetzt merke ich, wie ich selber wieder ICH werde. Wie ich mich in der Zeit immer mehr angepasst habe, und mich selber darüber fast verloren hätte.“
Nun ist ja dieses „sich Verlieren“, dieses „sich Auflösen“ an sich einer der treffendsten poetischen Ausdrücke für das Lieben - falls, ja falls es ein „sich im anderen Verlieren“ ist und nicht etwa, wie hier gemeint, ein sich selbst (und seine eigenen vitalen Interessen) Aufgeben.
Aber dieses sich Verlieren muß ein Gewinn sein!
Im Lieben sind wir einander wie Spiegel. Wir bereichern uns selbst um das Bild, das der andere uns zurückwirft, um das, als was der andere uns uns selbst wiedergibt. Und wir tun es ebenso mit dem anderen. Und auf diese Wechselseitige kommt es dann auch an.
Aber dies gilt nur für das Fühlen, für das Lieben als Gefühl, als Erleben des Augenblicks!
Für eine Lebens-Beziehung reicht das nicht. Es gibt Beziehungen, die sich, wie du es ja hinterfragst, runterschaukeln: Man „paßt sich gegenseitig an“, wie zwei Zahnräder, die sich gegenseitig abschleifen, so, daß sie bald perfekt und mit nur minimaler Reibung miteinander laufen. Aber mehr als einen vertrauten, immer gleichen Alltag wird man so nicht erleben können. Das funktioniert. Viele Paare leben so - und tun es immer noch, wenn sie nicht gestorben sind. Aber das ist kein Märchen.
Zumindest ist es nicht märchenhaft. Man verbraucht sich gegenseitig. Die Spiegel spiegeln nichts Neues mehr. Aus dem anfänglichen Abenteuer wird eine Leere. Eine Beziehung soll und kann kein Ersatz für eine innere Leere sein. Das Abenteuer wird dann oft bestenfalls noch in die Kinder veräußert … die Sorge hält die Beziehung wach.
Es gibt jedoch auch Beziehungen, in denen sich im Gegensatz dazu beide Partner gegenseitig aufschaukeln und zur Weiterentwicklung anregen. Hier gibt es immer wieder neue gegenseitige Bereicherungen, Anregungen, Herausforderungen … Und dies setzt voraus, daß jeder der Partner allein für sich ebenso ein „vollständiges System“ ist; daß jeder der Partner ein eigenes, vom anderen unabhängiges Einzugsgebiet von Erfahrungen hat.
Die Voraussetzungen an die je eigene Persönlichkeit - so, daß die Beziehung überhaupt ein „Sich-aufeinander-Beziehen“ werden kann - hab ich im Psychobrett mal aus einem anderen Frage-Anlaß beschrieben:
[Beziehung - einmal anders gesehen]
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
Wie alle lebenden Systeme, und wie jeder einzelne Mensch ja auch, brauchen Beziehungen ein Einzugsgebiet von Anregungen von außen, und - ebenso wichtig! - Interessen nach außen. Nur durch Interessen werden Menschen interessant, und nur solche können sich gegenseitig bereichern. Anregungen, und dadurch auch Herausforderungen, können in eine Beziehung aber nur kommen, wenn jeder neben den gemeinsamen auch eigene Einzugsgebiete hat … Erfahrungen, die er in das Beziehungsleben hinein tragen kann.
Nur dann gibt es eine Entwicklung (so wie es in der Biosphäre den Stoffwechsel gibt). Nur Menschen, die sich selbst entwickeln, können eine Beziehung gestalten, die sich ihrerseits ebenfalls entwickelt.
Wenn das nicht der Fall ist, dann „verbrauchen“ beide sich gegenseitig, sie fressen einander auf. Und dann gibt es vorgebahnte Szenarien vonr Beziehungkrisen , die u.a. schon beschrieben wurden:
[Burnout der Gefühle]
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
[Beziehung oder Vampirismus?]
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
[Beziehung als Kampfspiel]
/t/neurose-oder-liebe/4098149/2
[Einer wird gewinnen]
/t/neurose-oder-liebe/4098149/3
Oder es entstehen von außen angeregte Konflikte, die spannende, und manchmal unlösbare, aber tief in die Persönlichkeit eingreifende Entscheidungsfragen provozieren:
[Verwirrung der Gefühle]
/t/konflikt-in-mir-oder-ich-gegen-mich/1730891/5
Beziehungen müssen fruchtbarer Boden sein, auf dem Menschen wachsen und sich entwickeln. Sonst ist das, was man miteinander tut und erlebt, nur die Ernte einer anfangs mitgegebenen „Aussteuer“ - und die ist bald verbraucht.
Und dann versucht man, seine je individuellen, eigenen Interessen, die eigenen Begeisterungen abzubauen, damit das Gefüge nicht gefährdet wird, ohne zu ahnen, daß dadurch gerade die Gefahr erst entsteht: Wenn man sich selbst aufgibt, sich „bloß“ anpaßt: Wer oder was soll denn dann noch da sein, der sich auf den anderen bezieht?
Gruß
Metapher