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in der heutigen Philosophie sind spekulative metaphysische „Systeme“ suspekt. Dieses große Mißtrauen gegen vorausgesetzte Glaubensvorstellungen, wie das noch bei Platon und Aristoteles bis zum Höhepunkt des Deutschen Idealismus der Fall war, ist seit der radikalen Sprachkritik von Nietzsche und Wittgenstein, weiter über Heidegger und Sartre konsequent weitergeführt worden bis Habermas, der für viele der bedeutendste lebende Philosoph der Welt ist.
Der deutsche Philosoph Dr. Rüdiger Safranski deutet diese Entwicklung der Gegenwartsphilosophie so, dass es in der SELBSTERKENNTNIS der Philosophen um einen immer mehr - wörtlich - „Abbau von Naivitäten geht“, wie sie von früheren Philosophen noch in einer naiven Gläubigkeit vertreten wurde. Statt dessen geht es (auch bei Habermas) um Beschreibung beobachtbarer Phänomene. In der klassischen Moderne, wurde der Mensch zur Maschine gedeutet, weil dies nützlich war, da waren Gefühle als Merkmal der Individualität störend.
Das hat sich mit der nachindustriellen Mediengesellschaft schlagartig geändert. Mit einer „Philosophie der Gefühle“ befasst sich zum Beispiel Sabine Döhring, Professorin für Philosophie an der Universität Tübingen. Professor Dr. Anthony Kenny, Dozent an der Universität Oxford und Präsident des Royal Institute of Philosophy, befasst sich zum Beispiel mit „Action, Emotion and Will“. Und der kanadische Philosoph Ronald de Sousa, Professor an der Universität von Toronto, beschreibt beispielsweise die „Rationalität von Emotionen.“
Der Trend der Gegenwartsphilosophie wird unterstützt durch neue Erkenntnisse der Hirnforschung, wonach die Philosophie von Descartes (auch die von Kant, der an Descartes anschloss) ein „Irrtum“ sei, denn das „Ich denke“ sei nicht gleich mit dem „Sein“.
Der junge amerikanische Philosophieprofessor Bennett W. Helm schreibt über „Gefühlte Bewertungen - Eine Theorie der Lust und Schmerz“ Folgendes: „Es ist in der Philosophie des Geistes üblich, Überzeugungen, Wünsche und körperliche Empfindungen als grundlegene Bausteine anzusehen, aus denen alle anderen Geisteszustände KONSTRUIERT werden.“ (Hervorhebung, Spitz). Weiter schreibt Prof. Dr. Bennett W. Helm: „Der vorliegende Aufsatz VERWIRFT diese Herangehensweise und betrachtet Lust und Schmerz statt dessen als charakteristisch für eine spezifische Art der INTRINSISCH MOTIVIERENDEN BEWERTUNG, die Emotionen, Wünschen und (manchen) Empfindungen gemeinsam ist.“ (Hervorhebungen, Spitz).
Das Entscheidende an Prof. Dr. Bennett W. Helms Theorie ist, dass „Werte“ nicht mehr länger, wie einst von früheren Philosophen (z. B. von Schopenhauer) getrennt werden von den Naturtrieben, sondern dass der „Wille“, im Sinne Schopenhauers, sowohl den niedrigsten Instinkten zum Überleben als auch den höchsten Idealen INTRINSISCH MOTIVIEREND implizit ist. Dazu Helm: „Es ist keine triviale Angelegenheit, die Beziehung zwischen der Bewertung und der Motivation von Wünchen zu verstehen.“ In der Tat ist diese Beziehung nicht trivial, sondern hoch komplex und ziemlich schwierig zu verstehen, da wir durch unsere traditionelle kulturelle Erziehung bisher gewohnt sind, „böse Naturtriebe“ von „guten Wünschen“ stets zu unterscheiden, das heißt in der Lebenspraxis, „böse Naturtriebe“ und „Ideale“ dualistisch zu trennen.
Sind Wünsche zur „Verneinung des Lebens“, wie sie zum Beispiel Schopenhauer in seinem tiefen depressiven Pessimismus als „Lösung“ durch fernöstliche Lehren zur Sinnerfüllung seines eigenen Lebens propagiert, nicht genau dieselbe INTRINSISCHE MOTIVATION, aus dem gleichen „Willen“ der Naturtriebe zum Überleben? Nach der von Helm dargestellten Theorie der „gefühlten Bewertungen“ ist eine Trennung von Naturtrieben zum Zwecke des Überlebens und den von Schopenhauer sehnsüchtig erwünschten Idealen einer „Verneinung des Lebens“ derselbe „Wille“, wonach sich Schopenhauer selber wiederspricht, entweder ist seine Lehre des Willens der „blinden Natur“ annähernd real, dann wird er auch in seinen Wünschen vom diesem „blinden“ Willen der Natur bestimmt, oder Schopenhauers Lehre ist unrealistisch.
Ich will diese Konsequenz versuchen zu verdeutlichen, dass Wertungen bereits im Willen zum Überleben INTRINSISCH MOTIVIEREND implizit unserer eigenen Natur entsprechen, und dass der Wunsch nach „Erlösung vom Leid des Lebens“ genau denselben Naturtrieben unterliegt und nicht davon zu trennen ist, ich meine damit Schopenhauers Wunsch zur Lebensverneinung. Das ist der Widerspruch: „Die Verneinung des Lebens“ ist der Wunsch Schopenhauers und den von ihm als „Lösung“ seiner eigenen Probleme propagierten fernöstlichen Lehren. Gleichzeitig aber WILL ER ÜBERLEBEN. Einerseits Lebensverneinung, andererseits WILLE zum Überleben, bis zum Schluss. Dieser eklatante Widerspruch Schopenhauers steckt auch in fernöstlichen Lehren und ihrem Wunsch nach „Erleuchtung“. Einerseits will man aus dem Naturtrieb heraus die ganze Welt verneinen, andererseits will man sich selber wieder doch bejahen, um in dieser Welt zu überleben, zusammen mit diesen Fantasien.
Nehmen wir die fünf Sinne, so ist nach Helms Theorie immer eine Bewertung bereits implizit, wie Helm sagt: „Die relevanten Bewertungen werden uns AUFGEDRÄNGT.“ (Hervorhebung, Spitz). Man kann etwas sehen, was Lust auslöst, zum Beispiel werden uns durch sexuelle Darstellungen Lustgefühle AUFGEDRÄNGT, während das Sehen von Kriegsgemetzel das Gegenteil bewirkt. Dasselbe ist durch das Hören der Fall, im Unterschied zwischen dem Lärm eines Pressluftbohrers oder einem Klavierkonzert, das eine ist mehr Schmerz, das andere mehr Lust. Dasselbe beim Schmecken: Kaviar ist gut, verfaulte Eier werten den Geschmack automatisch negativ, nach dem extremsten Gegensatz von Lust und Schmerz. Weiter riechen wir lieber ein gutes Parfüm an jemanden als wenn er nach Schweiß stinkt, usw. Und die Berührung einer nackten Haut bei einem geliebten Sexualpartner drängt sich uns automatisch lustvoller auf, als wenn wir unsere Hand auf eine heißen Ofenplatte legen.
Diese Beispiele zeigen, dass Bewertungen von Lust und Schmerz über die Sinne, die mit unserem Bewusstsein verbunden sind, weitgehend AUTOMATISCH durch unser Bewusstsein vorgenommen werden, und dass diese BEWERTUNGEN unserer (unbewussten) Natur implizit sind, nach dem extremen Polaritätsprinzip von Lust und Schmerz. Und so sind auch allemöglichen „Erlösungsfantasien“ nach Lust und Schmerz konstruiert, die demseben Prinzip entsprechen, auf höchster wie auf niedrigster Ebene. Es geht in allem was wir denken und tun darum, Schmerz zu vermeiden und Lust zu erstreben
(Sigmund Freud war anderer Meinung, als er den „Todestrieb“ im Gegensatz zum „Lustprinzip“ propagierte, den ich ablehne. Nach meiner Vorstellung stirbt ein Organismus nicht durch einen implizit vorhandenen Todestrieb, sondern weil sein Willen zum Überleben keine Kraft mehr besitzt, seine Zellen weiterhin zu erneuern).
Wer kann irgendwas zur Erhellung dieses in der neuzeitlichen Philosophie aktuellen Themas beitragen?
Spitz