Sterbendes Wienerisch

Kleiner Aufruf zur Sprachrettung. Ein Freund nannte kürzlich einen anderen Freund einen „Suam“ (Hochdeutsch: „Surm“ :wink:)). Mir fiel auf, dass ich dieses schöne Schimpfwort schon sehr lange nicht mehr gehört hatte, und begann mit den anderen über aussterbendes Wienerisch zu philosophieren.

Unsere Ausbeute aus kurzem Brainstorming:
Suam (Surm, etwa Dodel)
Mezzie (wird zunehmend vom bundesdeutschen Schnäppchen verdrängt)
Tramway (heute: Straßenbahn, Straba, Bim ist interessanterweise immer noch gebräuchlich. Bin mir allerdings hier nicht sicher, ob Tramway so typisch Wienerisch ist. Ich kenn’s jedenfalls auch aus Zürich.)
Trottoir (Gehsteig)
Tachinierer? (heute: Owezahrer, Sozialschmarotzer. Das Verb dazu hör ich dagegen durchaus noch. „Der tachniniert ja nur.“)
Marie (Geld)

Was meinen die Wienerisch-Kenner hier? Fallt noch mehr ein oder liegen wir bei manchen falsch, und sie sind sehr wohl in anderen Kreisen noch öfter gehört?

Liebe Grüße
Livia

Liebe Livia,
Dein Anliegen ist ja verständlich, aber

Mezzie (wird zunehmend vom bundesdeutschen Schnäppchen
verdrängt)

„Bundesdeutsch“ gibt es nicht.
Trottoir kenne ich zumindest aus Köln, kann aber auch etwas mit der Bildung zu tun haben.

Grüße
Taju

Grüß Dich, Taju,

Trottoir kenne ich zumindest aus Köln, kann aber auch etwas
mit der Bildung zu tun haben.

Das kenne ich auch noch von meiner Großmutter (ja, der vom linken Niederrhein!), und sie hatte nur den damals üblichen Volksschulabschluß. Bei ihr war der Bahnsteig auch der „Perron“.

Gruß - Rolf

Ausstebende Wörter
Liebe Livia und Taju!

Trottoir kenne ich zumindest aus Köln, kann aber auch etwas mit der Bildung zu tun haben.

Das Trottoir, ebenso auch der Suterain (-ain ist zu nasalieren) und der Plafon (-auch hier am Ende ein Nasallaut) und die Bagasche und das Ridikül, das Portmonee, die Lavur und viele anderen Wörter sind in allen Gegenden Deutschlands und eben auch Österreichs heimisch gewesen. Und je länger französisch besatzt umso mehr. Sie sind aber am Verschwinden.

Nur wenn die Oma, die noch bäuerlich sozialisiert ist, das noch sagt, kennen auch Schüler diese Wörter noch.

Es gibt auch im Schwäbischen Worte, die verschwinden. Die Glufe und die Migge und die Zaine kennt man noch in diesem Brett. Aber nicht viel drüber naus.

Wenn man das Stuttgarter Hutzelmännle liest, kann man noch ein paar schöne Suevismen finden. Doch schon Mörike hat sich des damals im Entstehen begriffenen Schwäbischen Wörterbuch nachgeschaut und einige Kleinodien bewahrt.

Noch schlimmer als das Verschwinden solcher Wörter finde ich die durch die neuen Medien grassierende Nivellierung aller Dialekte. Der Tölzer Bulle und Bienzle lassen güßen!

Die Etymologie von „Mezzie“ täte mioch noch interessieren. Ich tippe auf jiddische Herkunft.

Gruß Fritz

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Auf der schwäbschen Eisenbahne
Grüß Dich, Rolf!

Bei ihr war der Bahnsteig auch der „Perron“.

Und die Fahrkarte ein Bilett und der Schaffner der Konduktör.

Gruß - Fritz

Hallo Rolf,
da hilft uns wohl am besten Ftiz’ Erklärung weiter.
Das Französische erhielt sich aber wohl doch auf unterschiedlichen Wgen
Meine ebenfalls zumidnest linksniederrheinisch gebürtige Großmutter zog als Kind nach Köln und erhielt dort die Ausbildung einer Höheren Tochter (Ursulinen). Naja, die Klassentreffen, auf denen sie mich mitnahm, und bei denen sich eine erlesene Runde alter Damen im Kölner Domhotel traf, sprach grundsätzlich recht viel Französisch (also nicht nur einzelne Ausdrücke, sondern auch Ausrufe der Freude, des Erstaunens etc.), was je nach Charakter ernst oder ironisch gemeint war.
Für Österreich, dabei wohl nicht nur Wienerisch, fällt mir noch Fauteuil ein - so wird dann der Sessel genannt und der Sessel ist der Stuhl…
Ob Fauteil oder Sessel, die Folterinstrumente in der WIener UNi, der Akademie, im Haus an der Wien, im Burgtheater hätten auch dann nicht einmal die Bezeichnung „Stuhl“ verdient, wäre sie üblich…

Grüße
Taju

Hallo, Taju!

Ftiz’ Erklärung

Wer ist das wohl?

Das Französische erhielt sich aber wohl doch auf unterschiedlichen Wegen

Das ist sicher richtig, doch sollte man das bürgerliche Bildungsfranzösisch, das deine Großmutter lernte und sprach, von den in die Sprache des Volkes eingedrungenen französischen Wörtern des Alltags auseinander halten.

Meine Großmutter war ein durchaus nicht gebildete Bauernsfrau, die allenfalls vier Jahre die Schule besuchte, sodass sie Grundkenntnisse im Schreiben und Rechnen hatte, aber sicher kein Französisch lernte. Dennoch waren ihr die Wörter, die ich oben nannte - also Suterain, Plafon, Lavur, Ridikül, auch Trottoir und Schoför bekannt und sie gebrauchte sie, vermutlich ohne zu wissen, dass es französische Wörter sind.

Das folgende habe ich von Sebastian Blau übernommen; vielleicht ist es ein zusammen geschusterter Text, aber er zeigt, wie es hätte sein können.

„Bua“, hot d´Muatter gsait. „dees Mädle, wo du so flattierscht, ond mit dere du so rompussierscht ond romflanierscht, an dere han i scho gar koi Pläsier. Dere ihr Familie, des isch a Bagasch. D´Muatter isch a Ragall - guck dr bloß amol dere ihra Däz ond dere ihr Visasch a. So a mechants Mensch ka i net äschtimiere. Dr Vatter isch au a Kanallje, sonscht isch er ganz passabel. I an deinere Schtell hett net d´Kurasch, ´s Bordmanne uffzmache ond schpendabel z´sei. Dia ganz Sach isch mer scho arg schenant.“
„Muatter“, hot dr Bua gsait, „ no dusma, mach me net schalu. I schass d´Erna net. Wenn i no mei Pläsier han! Mir pressiert´s jo net so grantig mit´m Heirote. Aber bei meiner letschte Visit han i gseha, dass dia Muatter ganz wif ond adrett isch, ond wenn se so en ihrem Salettle em Fodell hockt henter ihre Paseele mit ihrem Schemisle ond ihrer Ondertallje - ond a Fazinettle hot se mer au scho gschenckt -, no sieht se aus wia a Madam.“

Ich weiß, ich habe das schon mal gepostet, aber ich finds immer wieder nett.

Gruß Fritz

Hallo Fritz!

Die Etymologie von „Mezzie“ täte mioch noch interessieren. Ich
tippe auf jiddische Herkunft.

Na, beinahe.
Laut Robert Sedlaczek „Das österreichische Deutsch“ kommt es von hebräisch „m’ziah“ = Fund.
Er weist auch darauf hin, dass es von den New Yorker Juden auch verwendet wird, alerdings dort fast nur im ironischen Sinn: „Ich bedanke mich fir so a Mezie!“
Auch genüge ein z, das zweite verleite nur zu falscher Betonung.

Gruß aus Wien
Barney

Hallo Livia!

Unsere Ausbeute aus kurzem Brainstorming:
Suam (Surm, etwa Dodel)

Der Surm/Suam wurde auch zu meiner Schulzeit schon kaum mehr verwendet. Da war eher der Fetznschädl gebräuchlich. Dann kam das Nudlaug’ (a la Mundl).
Heute hört man eher Wappler/Wappla.

Mezzie (wird zunehmend vom bundesdeutschen Schnäppchen
verdrängt)

Zur Mezie siehe meine Antwort auf Fritzens Frage.

Tramway (heute: Straßenbahn, Straba, Bim ist
interessanterweise immer noch gebräuchlich.

Tramway wird selten, ja, das ist ein Generationsproblem. Der Gebrauch von „Bim“ nimmt meiner Ansicht nach zu.

Trottoir (Gehsteig)

Schon ewig nicht mehr gehört. Wie ja auch Lawuhr verschwindet, dieses ist allerdings sachlich begründbar.

Tachinierer? (heute: Owezahrer, Sozialschmarotzer. Das Verb
dazu hör ich dagegen durchaus noch. „Der tachniniert ja nur.“)

Der Sozialschmarotzer ist ja ein politisch gewollter Ausdruck zwecks Diskriminierung der Beihilfenbezieher. Der Owezahrer wie auch der Tachinierer genießt aber einen Hauch von Bewunderung, weil man sich selbst ja auch „net krumm und bugglad hackln mecht“, und ob der eine Beihilfe bezieht, steht gar nicht zur Debatte. Owezahrer und Sozialschmarotzer sind einfach nicht dasselbe.

Marie (Geld)

War da nicht einmal eine Sammlung, welche Vornamen für diverse Dinge und anderes verwendet werden/wurden?
Ich kenne aber eher „es Knedl“, „en Schüüling“ (das hat sich in Euro-Zeiten noch nicht geändert; man beachte die Aussprache!), sogar noch Kreiza/Kreuzer. „I hob kaan Kreiza in Sock!“ (ich habe kein Geld in der Hosentasche)

*wachl*
Barney

…und „des Bilettle“ wurde „hee ond räduur“ (hin und retour-zurück)
gelöst.

Gruß Putna

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Strassenbahn, Tramway, Tram, Trämly, Dampftram

Guten Tag, Livia

interessanterweise immer noch gebräuchlich. Bin mir allerdings
hier nicht sicher, ob Tramway so typisch Wienerisch ist. Ich
kenn’s jedenfalls auch aus Zürich.)

In Zürich sagt man nicht ‚die Tramway‘ sondern ‚das Tram‘ - im nicht
standardisierten Zürcher Dialekt wie auch in der Standardsprache der
Deutschscheiz.

Im Basler Dialekt heisst die Strassenbahn liebevoll ‚s Trämly‘.

In Bern jedoch existierte der Begriff ‚die Tramway‘ um 1900, weil die
zahlreichen Angelsachsen im Kirchenfeldqueartier die Kirchenfeldbrücke
ausschliesslich mit ‚der Tramway‘ überquerten.

„Die 2001 wieder gegründete Berner Tramway-Gesellschaft ist eine
Aktiengesellschaft und betreibt seit 2002 erfolgreich das Berner
Dampftram. …“
http://www.berliner-verkehr.de/etramli.htm

Freundlich grüsst

Rolfus

Die Etymologie von „Mezzie“ täte mioch noch interessieren. Ich
tippe auf jiddische Herkunft.

Hallo!
Ich zitiere
Wolf, A. Siegmund: Deutsche Gaunersprache. Wörterbuch des Rotwelschen. Hamburg (Buske) 1993. ISBN 3-87118-736-4 Buch anschauen:
s. v. Mezie: „Fund, guter Kauf. […] Jidd.“
Gruß!
Hannes

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Hallo,

Livia!

So neu scheint mir diese Entwickung nicht zu sein.
Schon vor 60 Jahren hat der Münchner Volkssänger und Komiker Weiß Ferdl den Ersatz der Tramway durch die Straßenbahn und des Trottoirs durch den Gehsteig beklagt.
Französisches in Niederbayern:
Wahrscheinlich in der napoleonischen Zeit hatte sich eingebürgert:
Potschamperl für Nachttopf,
Parasoj und Paraplü für Sonnen- und Regenschirm.
Die Wörter waren nach Auskunft der Leute noch in der Nachkriegszeit gebräuchlich.
Auf dem Land kann man noch hören: „sä“ (= c’est) wenn einem etwas hingereicht wird.
Schöne Grüße!
Hannes

Trottoir kenne ich zumindest aus Köln, kann aber auch etwas
mit der Bildung zu tun haben.

Grüße
Taju

Servus Taja,

Trottoir ist/war seit Napoleon im bairischen so geläufig, daß es schon zu Verballhornungen (Droderää) kam.

Gruß
Kai

In Zürich sagt man nicht ‚die Tramway‘ sondern ‚das Tram‘

Hallo,
in Innsbruck gibt es wiederum die Tram - http://www.ivb.at/index.php?id=tram. Bei der 1974 eingestellten und durch Busse ersetzte Linie 4 zwischen Innsbruck und Hall wurde im Volksmund ob der lärmenden, rumpelnden Garnituren aus der „Tram“ die „Haller Trampel“ - http://www.tmb.at/images/vr-l4-20-IVB-Linie4-Letze-F… (wobei „Trampel“ hierzulande aber auch eine nicht sehr freundliche Bezeichnung für ein dummes Mädchen ist).
Grüße, Peter

Servus Hannes,
Trottoir, Botschamperl hört man noch öfters. Parasoj und Paraplü
schon weniger und Tramway ist mir eigentlich nicht geläufig.
In München heißt es z.B. einfach Tram. Wie weit der Ausdruck in
ganzen deutschen Sprachraum alternativ zur Straßenbahn bekannt ist,
weiß ich nicht.

„Sä“ c’est (das ist) habe ich im Bairischen noch nie gehört
und scheint heute wohl eher sehr selten zu sein. Ein ähnliches
aber anderes Wort, das man noch öfters hören kann ist
sell/sej für selb, dieses…z.B. „sell ist guat …“
Sell ist zwar nicht französisch, aber auch die deutschen
Dialektwörter werden immer seltener.
Pfiat Gott,
Roland

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Ein kurzer Nachtrag:
Natürlich würde man im Dialekt entweder „Sell is guat“ oda
„Sell isch guat“ sagen. Manchmal klappt das Umschalten von
Hochdeutsch und Dialekt net so ganz :wink:
Servus
Roland

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

… wird es eigentlich heißen müssen,
Roland, für „das selbe“.

Trottoir, Botschamperl hört man noch öfters. Parasoj und
Paraplü schon weniger

Mir begegnet das eigentlich nur in eher komischem Kontext (bairische Sketche u. ä.).

Tramway ist mir eigentlich nicht geläufig.

Ich glaube mich an eine alte Aufnahme mit dem Weiß Ferdl erinnern zu können, in der auch die T. als aussterbendes Wort genannt war.

In München heißt es z.B. einfach Tram.

Sagt man nicht eher „die Trambahn“, wenn man Bairisch redt?

„Sä“ c’est (das ist es) habe ich im Bairischen noch nie gehört

Das kenn ich seit meiner Kinderzeit in Ndby, im Donautal ist es wohl heut noch gebräuchlich (vielleicht mit dem lexikalischen Zusatz „fam.“).
Schönen Gruß!
Hannes

Zu sell möchte ich einen Link zur bairischen Wikipedia schicken:
http://bar.wikipedia.org/wiki/Sell
Sell oder dessell, dersell, desell geht eher in die Richtung
selbiges, selbiger und selbige, das, dieses und jenes…

S’selbe, des selbe/sejbe (das selbe) und noch andere selb-Formen
gibt es zusätzlich. Teilweise weichen die Bedeutungen vom heutigen
Hochdeutsch etwas ab.

Tramway ist mir eigentlich nicht geläufig.

Ich glaube mich an eine alte Aufnahme mit dem Weiß Ferdl
erinnern zu können, in der auch die T. als aussterbendes Wort
genannt war.

In München heißt es z.B. einfach Tram.

Sagt man nicht eher „die Trambahn“, wenn man Bairisch redt?

Die Tram gibt es hauptsächlich in Großstädten wie München
und gerade in München kann man vom äußersten Norddeutsch
bis zum unterschiedlich gefärbten Bairisch alles hören.
Schtrosnbån, Tram, Trambahn …
Allerdings ist Tramway so selten, daß ich mich nicht mehr
daran erinnern kann. Ich muß einmal meine Eltern fragen.
Vielleicht war es unter der amerikanischen Besatzung üblich.

„Sä“ c’est (das ist es) habe ich im Bairischen noch nie gehört

Das kenn ich seit meiner Kinderzeit in Ndby, im Donautal ist
es wohl heut noch gebräuchlich (vielleicht mit dem
lexikalischen Zusatz „fam.“).
Schönen Gruß!
Hannes

Man lernt nie aus :wink:
Servus,
Roland

das Tram, die Tram, die Trampel, der Trampel
Guten Tag

in Innsbruck gibt es wiederum die Tram -
http://www.ivb.at/index.php?id=tram.

Womit die Diskussion über nicht standardiserte Sprachvarietäten (wie
jedesmal) bei den 3 Standarddeutsch angekommen ist:

das Tram = Standarddeutsch der Deutschschweiz
die Tram = Standarddeutsch Deutschlands und Oesterreichs

rumpelnden Garnituren aus der „Tram“ die „Haller Trampel“
(wobei „Trampel“ hierzulande aber auch eine nicht sehr
freundliche Bezeichnung für ein dummes Mädchen ist).

die Trampel = umgangssprachlich für eine Tram (also nicht
standardisiert)
der Trampel = eine plumpe Frau (Standarddeutsch in der Schweiz und
Oesterreich)

Freundlich grüsst

Rolfus