Servus,
das ‚früher‘ lässt sich meines Erachtens etwa teilen in „vor/nach 1968“ und „Elterngeneration vor/nach 1925“.
Wir (nach beiden Kriterien ‚vor‘) haben daheim zur Hauptmahlzeit zu Mittag nichts getrunken, es gab fast immer eine Suppe. Morgens Kakao, zum Abendbrot Pfefferminz-, Hagebutten- oder Hibiskustee (alle). Tagsüber ad libitum kalter Brombeerblättertee mit (wenig, ‚für den Geschmack‘) Johannisbeersaft oder Apfelsaft. Später, nach 1970, dann Mineralwasser ca. 3:1 mit Apfelsaft.
Limo, Cola usw. gab es nur, wenn man bei Ferienunternehmungen irgendwo einkehrte. Bis heute kann ich den Geschmack der Orangina bei meinem ersten Besuch im Basler Zolli bei geschlossenen Augen wieder erstehen lassen.
Zu den Krönungen eines Freibadbesuchs gehörte ein ‚Colalutscher‘, kostete glaub ich zehn oder fünfzehn Pfennig - sehr schlechte Zähne hatte ich übrigens schon, solange ich mich erinnern kann.
Zum Alltag gehörte - ebenfalls bis in die 1970er Jahre hinein - nicht bloß in unserer Familie sehr viel mehr Bewegung zu Fuß: Richtig viele Autos gab es erst, als unter der Regierung Brandt die Gelddruckmaschinen auf Hochtouren zu laufen begannen und Tarifabschlüsse mit weniger als 10 Prozent Erhöhung als Schlappe für die Gewerkschaft galten; die täglichen Wege am Ort (Kindergarten, Schule, Einkaufen, Behörden, Abendveranstaltungen, Besuche) fanden zu Fuß statt. Als letzten Rest der Fußgängerwelt habe ich noch Mitte der 1970er Jahre öfter einen Hausierer aus dem fränkischen Jura gesehen, der sich in strategisch günstig gelegenen und nicht zu teuren Bahnhofshotels einmietete, wohin er sich auch seinen Nachschub an Majoran, Pfefferminze, Meerrettich und Honig schicken ließ, und von diesen Standquartieren aus mit einer Weidenkiepe auf dem Buckel seine Tagesmärsche von vielleicht dreißig bis vierzig Kilometern täglich antrat. Anders als heutige modebeflissen sportliche „Walker“ bewegte sich der Mann übrigens vollkommen ruhig und unauffällig, aber er dürfte ein klassisches Infanterie-Marschtempo von 6 km/h hingelegt haben. Diese Zahl hat sich merkwürdig populär in der kollektiven Erinnerung gehalten - erst, wenn man versucht, mal über eine gewisse Entfernung dieses Tempo zu marschieren, merkt man, dass das für einen Fußgänger richtig schnell und ohne Training kaum zu schaffen ist.
Der Bahnhof lag zwei Kilometer vor dem Ort, die Kleinbahn, die den Ort mit ihm verband, war stillgelegt, und es fuhren vielleicht vier Busse am Tag zum Bahnhof hinaus, die anderen Züge erreichte man zu Fuß oder mit dem Rad. In dem Häuslein, das wir bis 1965 bewohnten (Behelfswohnhaus nach Einheitsgrundriss, wie es ab 1943 noch gebaut werden durfte), war für eine incl. Großmutter siebenköpfige Familie eher wenig Platz, so dass die Großmutter während der Woche jeden Tag, unabhängig von Wetter und sowas, mich und den anderen „kleinen“ der vier Brüder auf ausgedehnte Spaziergänge nahm, damit die beiden „Großen“ ein wenig Platz und vor allem Ruhe für die Hausaufgaben hatten. Obwohl keineswegs sportlich, kann ich es mir bis heute nicht gut vorstellen, wie man bereits Entfernungen von unter fünfzehn Kilometer als Anstrengung empfinden kann.
Die starke Betonung von „ja nicht zu viel Zucker“ heute ist eine Gegenpendel-Bewegung zu einer entgegengesetzten, die noch relativ jung ist: Hoch dosierte Maisglukose in Getränken, die alltäglich in Mengen getrunken werden, ist noch nicht älter als vielleicht fünfzig Jahre.
Schöne Grüße
MM