Hi André
Ein komischer Vergleich, aber stell dir
vor, die italienische, chinesische und indische Küche stirbt
aus, alle „Küchen“ sterben aus, bis auf die deutsche.
Hierin sehe ich nur Vorteile - keine Nachteile. Die extrem
große Sprachvielfalt bietet aber nicht nur die von dir so
geschätzten Vorteile, sondern eben auch Nachteile, wie ich es
symbolisch mit der Babylonischen Sprachverwirrung im Alten
Testament beschrieben habe.
Das stimmt, auf die Nachteile bin ich nicht eingegangen. Ja, dass man verschiedene Sprachen lernen muss, um mit Leuten aus unterschiedlichen Regionen zu kommunizieren, ist natürlich ein Fakt. Und ein großer Aufwand. Für diesen Punkt wäre es sicher wünschenswert, wenn die ganze Welt eine internationale Zweitsprache wie Englisch oder Esperanto beherrschen würde…
Versetz dich mal in die Lage derer, die
eher mit aussterbenden, kleinen Sprachen zu tun haben, überleg
mal, wie das für diejenigen ist.
Wenn der letzte dieser kleinen Sprache stirbt, kann keiner
seines Volkes mehr traurig darüber sein, denn die Sprache
starb ja mit ihm aus.
Aber nicht immer ist der letzte Sprecher auch der letzte „Stammesangehörige“. Eigentlich fast nie. Ich hatte einfach willkürlich Lakota als Beispiel genommen, das ist eine Indianersprache in den USA. Ich hab nachgeguckt, es gibt noch etwa 6000 Sprecher von Lakota, das Volk der Lakota zählt aber 20.000; in den meisten Fällen sind die Sprecher die älteren Leute, während die jüngeren nur noch Englisch können. Zum Volk zählen sich aber alle, und mit der Zugehörigkeit zu einem Volk, Stamm, einer Nation und einer Kultur ist oft auch ein gewisser Stolz und eine Identität geknüpft. Es gibt also noch mehr als genügend Lakota-Leute, die kein Lakota sprechen lernen konnten, und deswegen traurig sind, dass die Sprache ausstirbt, weil damit eben ein Teil einer Kultur ausstirbt.
Aber du hast ja oben schon angedeutet, dass dir eine globale Monokultur ohne Unterschiede im Ess- oder Sprechverhalten lieber ist. Daher kannst du es vielleicht nicht nachvollziehen, dass manchen Leuten eben ihre eigene Kultur und ihre Herkunft wichtig und schützenswert erscheint.
Mich nervt halt nur dieses künstliche
Wiederbeleben solcher Sprachen. Wenn an der Kultzur sonst
etwas dran war, wird sie sicherlich von den (kulturgierigen)
Anderen übernommen. Jede kleine Zeichnung, die Picasso malte,
wird doch gesammelt - so ungefähr isses auch mit den anderen
Kulturgütern.
Warum nervt dich das? Du kriegst doch davon gar nichts mit. Niemand wird dich je zwingen, Lakota zu lernen, oder – um im Lande zu bleiben – Sorbisch oder Saterfriesisch. Diejenigen, bei denen versucht wird, die Sprache wiederzubeleben, sind einzig und allein die Angehörigen der Kultur selbst, also die Lakota-Leute in unserem Beispiel, die die Sprache nie gelernt haben, sie aber zur Bewahrung ihrer Kultur gerne können würden. Du wirst damit nicht in Kontakt kommen.
Und Kultur kann man nicht „sammeln“, wie Picassos Werke. Kultur sind keine materiellen Gegenstände, jedenfalls nicht nur. Zeichnungen und Bastelarbeiten kann man sammeln, aber zu einer Kultur gehören eben auch Rituale, z.T. ein bestimmter Glaube, Traditionen, eine Unmenge von Wissen, eine Geschichte, gemeinsame Musik und Sachen wie Tänze oder andere Praktiken… und nicht zuletzt die Sprache. Das wird alles erforscht und festgehalten, ja, aber das ist nicht dasselbe. Damit kann man ja nur einen winzigen Teil davon erfassen.
Wir erforschen nicht nur, wie
bestimmte Sprachen funktionieren, sondern auch, wie Sprache
als ganzes funktioniert. Und gerade in den vielen winzigen
Sprachen der Welt gibt es krasse Phänomene, die man aus den
hiesigen Sprachen Europas oder aus dem Chinesischen und
Japanischen (über die man vllt. mal gelesen hat) nicht kennt
Okay, das sollt ihr Linguisten ja auch ruhig tun können, genau
wie die Archäologen nach alten Teilen graben, das ist okay.
Aber die Archäologen zerfließen ja auch nicht vor Wehmut
darüber, dass es immer weniger alte Vasen in der Erde gibt,
oder?
Doch, soweit ich weiß, schon. Vielleicht nicht grad über Vasen, aber schon über die Zerstörung alter Bauten oder unterirdischer Kammern, wo man vielleicht noch wichtige Dinge finden könnte, über das Ausplündern von ägyptischen Grabkammern oder die verlorenen Maya-Bücher, die damals von den Spaniern einfach verbrannt wurden. Das ist alles verlorenes Wissen. Hätten wir das noch, wüssten wir ein ganzes Stück mehr über die Vergangenheit.
Ein Biologe wäre sicher auch traurig oder fände es schade, wenn wieder eine Tier- oder Pflanzenart ausstirbt.
Nur musst du verstehen, dass es jede Menge Leute gibt, die vom
Sprachensterben direkt aus erster Hand betroffen sind: nämlich
die Sprecher dieser Sprachen oder deren Nachfahren, die nur
noch Englisch oder Portugiesisch oder Russisch können, und
nicht mehr Lakota oder Pirahã oder Tsesisch.
Daran sind die Mütter schuld, wenn sie ihre Muttersprache dem
Baby nicht übermittelt haben.
Zum Teil ja. Zum Teil aber auch die Gesellschaft, die vermittelt, dass die kleinen Sprachen nix wert sind. Wenn also Leute wie du an der Regierung sitzen und sagen: Sorbisch? Das ist doch eh schon so gut wie tot, wieso sollte das gefördert werden? Lasst uns die sorbischen Schulen schließen und lieber gute rein-deutsche Schulen hinstellen. Dann stirbt diese nervige Sprache bald aus. Und Zeitungen auf Sorbisch, oder Fernsehsender, alles unnötig, weg damit, lieber Papier sparen und im Fernsehen eben Telekoleg Englisch bringen.
Früher war es noch schlimmer, da wurde es z.T. in den USA, in Frankreich, in Russland und Australien verboten, Minderheitensprachen zu sprechen. Kinder wurden in Internate geschickt, damit sie ihre Kultursprachen vergessen und Englisch lernen.
Du siehst also (hoffentlich), dass es nicht immer nur an den Müttern und Vätern liegt, sondern auch daran, wie viel Anwendung und Möglichkeiten es für eine Sprache gibt. Und das ist nicht nur eine Familienangelegenheit, sondern z.T. auch Sache des Staates.
Aber ich seh schon, du bist nicht so für Kultur und Vielfalt. Wenn du es sogar für praktischer hältst, dass alle Welt deutsches Essen isst und nur eine einzige Sprache (z.B. Englisch, naheliegenderweise) spricht, und es eben nur eine einzige unterschiedslose Kultur geben soll, tja… dann kümmern einen die anderen sicher wenig. Sollnse sich ma alle anpassen, ne?
Ich finde sowas arrogant und habe dafür wenig Verständnis. Eine Gleichschaltungsideologie eben.
Grüße,