Da die Gelegenheit passend erscheint: warum ziehen Gebietskörperschaften und Unternehmen so oft „bis zum Schluss durch“? Damit ist wohl gemeint, dass Rechtstreitigkeiten (scheinbar) so lange durchgefochten werden, bis sie entweder Recht bekommen haben oder das Verfahren mit einem letztinstanzlichen Urteil beendet ist.
Fangen wir mit Gebietskörperschaften an. Da geht es darum, dass diese Recht und Gesetz um- und durchzusetzen haben. Wenn die Gemeinde oder jemand mit Erlaubnis der Gemeinde Schilder zu einem bestimmten Zweck aufstellt, dann müssen sich aus Sicht der Gemeinde auch alle daran halten. Macht das einer nicht, dann gibt’s halt ein Ordnungsgeld. Wird dagegen Einspruch eingelegt, wird die Sache natürlich noch einmal geprüft, aber wenn der entsprechende Sachbearbeiter nach dem Einspruch bzw. dessen Begründung den Sachverhalt nicht komplett anders sieht, kann der nicht einfach sagen „ach ja, Gott, ist ja nicht mein Geld, also gebe ich dem Einspruch statt“, sondern der hoheitliche Auftrag, Recht und Gesetz umzusetzen, besteht ja unverändert fort. Also geht die Veranstaltung weiter, bis entweder der Bürger nachgibt oder ein Gericht entscheidet.
Bei Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft (also insbesondere GmbH, AG und EG) ist es so, dass die Geschäftsleiter (also Geschäftsführung und Vorstand) verpflichtet sind, im Sinne der Gesellschaft und damit der Gesellschafter zu handeln. Das heißt auch, eine Rechtstreitigkeit so lange zu verfolgen, bis die Abwägung von möglichen Kosten des Verfahrens einerseits und möglichen Folgen einer Niederlage im Verfahren deutlich zugunsten der Verfahrenskosten ausfallen.
Um mal ein Beispiel zu bemühen: im Augenblick streiten sich ein paar Kollegen und mein Arbeitgeber darüber, wie ein Brief zu verstehen ist, der vor rd. 10 Jahren verschickt wurde. Die Kollegen meinen, dass daraus der Anspruch auf einen jährlichen Inflationsausgleich abzuleiten ist, während der Arbeitgeber meint, dass der Brief mehr so eine vage Meinungsäußerung war, die im Grunde nichts zu bedeuten hat.
Das Problem ist nun, dass dieser Brief an ungefähr 250 Leute ging. Bei der allein letztjährigen Inflation von rd. 10% und unter Berücksichtigung der Kosten, die daraus entstehen können, wenn die Kollegen recht haben (da geht es ja nicht nur um das reine Gehalt, sondern auch um die Sozialabgaben und nicht zuletzt auch die Betriebsrenten), sind wir hier ruckzuck bei einem siebenstelligen Betrag. Also wird die Sache am Ende (sofern das Landesarbeitsgericht eine Revision zulässt) vor dem Bundesarbeitsgericht entschieden.
Der Vorstand setzte sich andernfalls der realen Gefahr aus, persönlich für den Schaden zu haften, der dem Unternehmen daraus entstünde, wenn ein für die Kollegen günstiges Urteil des LAG hingenommen würde.
Und da Unternehmen oft eine sehr große Zahl von Mitarbeitern und eine noch größere Zahl von Kunden haben, werden Rechtsstreitigkeiten eben häufig bis zum bitteren Ende ausgefochten - eben so lange, bis sich die Sache nicht mehr „lohnt“ oder der Rechtsweg ausgeschöpft ist.