Hallo atn,
In §211 StGB heißt es „Der Mörder wird mit
lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Mörder ist, wer …“.
Glaubst Du allen ernstes, irgendeine Frau würde einer
Bestrafung nach §211 StGB nur deshalb entgehen, weil die
Strafdrohung nur für „den Mörder“, aber nicht auch „die
Mörderin“ ausgesprochen ist? Und da ließen sich noch endlos
weitere Beispiele finden.
Nein, das glaube ich nicht. Das Beispiel zeigt aber doch nur, dass Sprache und ihr Gebrauch nicht kongruent sind.
Wichtig und zielführend wäre z.B.
- dafür zu sorgen, dass die in verschiedenen Ausprägungen
vorhandenen Rechtsansprüche auf Gleichbehandlung dort, wo es
möglich ist, auch tatsächlich geltend gemacht und notfalls
eingeklagt werden;
- Frauen durch Beratungsangebote und vor allem wirksame
Schutzmöglichkeiten zu ermuntern, ihre rechtlichen
Möglichkeiten gegen Gewalt auch auszunutzen;
- bei der Erziehung, jedenfalls soweit diese öffentlich
stattfindet (Kindergarten, Schule, usw.) konventionelle
Rollenverteilungen nicht zu manifestieren, sondern z.B. auch
bei Mädchen Interesse für „Männerberufe“ zu wecken und zu
fördern;
- Kinderbetreuungsangebote auszubauen, um die geburtsbedingte
Zwangspause im Berufsleben so kurz wie möglich zu halten;
und, und, und.
Das ist zielführend und notwendig (da gebe ich Dir absolut recht), aber nicht hinreichend. Beispiel DDR (auch auf die Gefahr hin, einen Zweifrontenkrieg zu eröffnen): Dort war ein Teil Deiner Wunschliste realisiert worden (nicht zuletzt, weil Frauen als Arbeitskräfte für die Produktion benötigt wurden) und so, wie die DDR per Dekret antifaschistisch war, war sie emanzipiert. Verschwindet doch im fortgeschrittenen Sozialismus mit der Aufhebung des Hauptwiderspruches auch der Nebenwiderspruch (wie praktisch: muss man sich nicht extra drum kümmern). Im Privaten war das aber, nach meinen zugegebenermaßen eingeschränkten Erfahrungen, nicht überall angekommen: ich habe öfters in Familien ein derart kleinbürgerlich-patriarchales Verhalten von Männern erlebt, dass mir die Spucke wegblieb.
Man kann Gleichstellung dekretieren, nicht aber Gleichberechtigung oder Emanzipation. Hierzu gehört ein Umdenkprozess jedes einzelnen und, leider, jeder einzelnen. Dataf0x hat oben geschrieben, dass die Realität unsere Vorstellung bestimmt, die durch die Sprache nur ausgedrückt wird. Ich halte diese Aussage für falsch. Dann müssten doch die Israelis und die Palästinenser die gleiche Sicht auf ihr Problem haben und relativ schnell zu einer Lösung kommen.
Meiner Meinung nach bastelt sich jeder Mensch aus dem Input, den er aus der Realität (!Annahme: es existiert EINE Realität) bekommt und mit Hilfe von Methoden und Ansichten, die er von seinen Eltern oder anderen übernommen hat, eine eigene Wirklichkeit. Er konstruiert sich ein Abbild der Welt, bei dem es natürlich zu Abweichungen kommen kann. Sind diese extrem, werden die Entsprechenden pathologisiert. Diese innere Wirklichkeit hat Auswirkungen auf die Methodenwahl und auf die Wahrnehmung (so werden nicht passende Inputs einfach ignoriert). Zur Konstruktion dieser Wirklichkeit werden Begriffe benutzt - wie sollen wir sonst denken - die der Spache entstammen. Falls Du „1984“ oder „Schöne neue Welt“ (ich verwechsle das immer) gelesen hast: es geht um die „Neusprech“-Thematik: was nicht formuliert werden kann (wie z.B. Systemkritik) kann auch nicht gedacht werden. Deshalb ist mir
Sprache so wichtig.
Das, was Du da mit „integrativem Sprachgebrauch“ (schönes
Neusprech übrigens) bezeichnest, IST lächerlich, weil es:
- zum Verständnis von Texten - von wenigen Ausnahmen abgesehen
- nicht erforderlich ist und dazu auch nichts beiträgt (siehe
Beispiel oben);
- Texte bisweilen unnötig aufbläht und zu kaum mehr lesbaren
Ungetümen verunstaltet;
- gelegentlich noch nicht einmal konsequent und richtig
verwendet wird;
- in seinem unmittelbaren praktischen Nutzen gegen Null
tendiert.
Und wer sprachliche Förmelei betreibt, ohne dass dies mit
meßbarem Nutzen verbunden wäre, muß damit leben, dass der eine
oder andere dies für lächerlich hält.
Den wichtigsten Grund, warum ich den integrativen Sprachgebrauch für wichtig halte, habe ich oben zu erklären versucht. Zu Deinen eher technischen Einwürfen:
Der praktische Nutzen geht nicht gegen Null, weil man (sic!) sich die Thematik (Emanzipation) beim Gebrach des i.S. immer bewusst macht, so dass sie nicht „im Alltagsgeschäft untergeht.“
Klar muss man erst lernen. Oder ist es ein Argument gegen das Radfahren, wenn man beim Lernen hinfällt?
Aufblähen? Wenn Du mal einer männderdominierten Diskussion gelauscht hast, dann weißt Du, dass es viel bessere Ansatzpunkte gibt, um Deine kostbare Zeit zu sparen ("…wie meine 25 Vorredner möchte ich betonen, dass…").
Verunstalten? Was ist an „ThyssenKrupp“ besser als an „RednerInnen“? Oder an „Dortmunder OberflächenCentrum“? Warum wettert nur ein armseliges Häufchen gegen den Deppenapostrophen? Warum muss ich mit den vielen unnötigen Anglizismen in der deutschen Sprache leben? Warum ist hier der Widerstand nicht so groß, warum wird das nicht in’s Lächerliche gezogen? Diese „Ungleichbehandlung“ lässt für mich auf andere als rein rationale Gründe schließen.
Textverständnis? Hier gebe ich Dir recht.
Aber ich räume ein, dass man auf diese und andere Dinge nicht
kommt, wenn man voll und ganz mit so elementaren Dingen
beschäftigt ist, wie mit missionarischem Eifer und flammendem
Schwert den Dämon der Frauendiskriminierung aus der deutschen
Sprache zu vertreiben. Und es ist ja auch in der Tat
einfacher, die Sprache zu quälen, als eines der oben genannten
Themen oder ein vergleichbares anzugehen. Letzteres verlangt
nämlich nach Engagement und Einsatz, während Sprachmißhandlung
auch ohne weiteres noch von der Hobbyemanze betrieben werden
kann, wenn sie nach einem unausgefüllten Tag aus der
Volkshochschule nach Hause kommt.
Akut und praktisch gesehen mag es dringenderes geben als den integrativen Spachgebrauch. Als Anstoß und Methode zum Umdenken ist er allerdings meiner Meinung nach unverzichtbar. Wenn er allerdings als taktisches Mittel eingesetzt wird, um von anderen Missständen abzulenken und Energien auf „Nebenkriegsschauplätzen“ zu binden, ist dies zu tadeln, da gebe ich Dir recht. Die „Hobbyemanze“ finde ich gut (wenn ich auch den damit eventuell verbundenen Impetus nicht goutieren kann), dafür gab’s ein Sternchen (wohlgemerkt: nur für den Begriff, nicht für die Konnotationen).
Grüße, Thomas
P.S.: Ich kann damit leben, wenn Du Ansichten oder Verhaltensweisen von mir für lächerlich hältst.