Unsterblichkeit in den Weltreligionen
Hi Claus.
Alle Weltreligionen lehren die Unsterblichkeit der Seele.
Ich nehme an, dass dieser Satz das Kernthema deiner Anfrage ist.
Der Satz stimmt so nicht. Zunächst sollte man den Seelenbegriff abklären. Damit ist ein nicht-materieller Leib gemeint, der das Ich und die Gedanken- und Gefühlswelt eines Individuums umfasst und der vom biologischen Leib ablösbar ist. Das Ich ist der Identitätskern dieser Seele und kann nicht in weitere Bestandteile gesplittet werden kann, was auch der Ausdruck „Individuum“ (das Unteilbare) verdeutlicht.
Einen solchen Seelenbegriff gibt es unter den Weltreligionen nur im Juden- und Christentum und im Islam. Dass diese Religionen die Unsterblichkeit einer Seele lehren, trifft natürlich zu.
Im Buddhismus und im Hinduismus sieht man das ganz anders.
Im vedantischen Hinduismus gilt die Einzelseele (jiva-atman) als Manifestation des Weltgeistes „Brahman“, der apersonal und zeitlos und raumlos ist. Als Atman ist das Einzelbewusstsein identisch mit Brahman, als Jiva ist es ein illusionäres Bewusstsein, das in der Verblendung lebt (= Maya) und nicht um seine Identität mit Brahman weiß.
Unsterblichkeit bedeutet in dieser Sicht nicht, dass der Jiva unsterblich (denn er ist nur eine Illusion), sondern der Wesenskern des Bewusstseins, eben der Atman = Brahman.
Für den Buddhismus gibt es keine individuelle und dauerhafte „Seele“, sondern einen Komplex von Faktoren („skandhas“ = Körper, Gefühl, Sinneswahrnehmung, Willensregung und Bewusstsein), der in Summe die Illusion von substantieller Identität und Ichlichkeit für jene erzeugt, die diesen Komplex nicht als etwas Relatives und Zusammengesetztes durchschauen. Was den physischen Tod überlebt, ist einzig das Skandha „samskara“, also die Willensregungen, die nach dem buddhistischen Verständnis dem „Karma“ entsprechen. Nur dieses so verstandene Karma übersteht den Tod und kann in einem neuen Körper wiedergeboren werden, um sich dort mit neuen Skandhas zu verbinden. Aber auch dieses Karma ist nicht „unsterblich“,
Da stellt sich natürlich eine Frage: Wenn nur das Karma den physischen Tod übersteht, was ist es denn das , was ggfs. in einem Zwischentod-Zustand befreit wird (was zumindest der Tibetische Buddhismus für möglich hält) und ins Nirvana eingeht? Die Befreiung (moksha) bedeutet bekanntlich die endgültige Auflösung des Karma, also der Willensregungen. Wie kann es aber Willensregungen ohne Bewusstsein und Gefühl geben, also zwei der Skandhas, die nach meiner Kenntnis in buddhistischer Sicht den physischen Tod nicht überstehen? Lehrt nicht der Tibetische Buddhismus, dass auch Bewusstsein und Gefühle in den Bardo (Zwischentod) eingehen, um dort nicht nur mit dem Klaren Licht, sondern auch den phantastischsten Horrorszenarien konfrontiert zu werden?
Und wenn es so wäre, dass diese beiden Skandhas, ebenso wie das Karma, in den Nachtod übergehen, warum können dann nicht auch sie sich reinkarnieren (wie das Karma)?
Das wären also meine Fragen an die beiden Buddhismusexperten dieses Forums
Zur UP-Frage ist jedenfalls festzuhalten, dass es in dieser Religion keine „unsterbliche Seele“ gibt. Erstens weil es keine Seelen gibt und zweitens, weil der Skandha-Komplex, der in die Stelle des Seelenbegriffs tritt, nicht unvergänglich ist, sondern via Moksha sich auflösen kann.
Fazit:
Unter den Weltreligionen lehren nur die monotheistischen Religionen die Unsterblichkeit der Einzelseele. Grund dafür ist die monotheistische sowie dualistische Struktur dieser Konzepte: es gibt einen personalen Gott, der von seiner Schöpfung, der Welt und den Seelen, getrennt ist. Es gibt hier anders als im Vedanta keine Wesensidentität von Göttlichkeit und Mensch. Die Kluft ist unüberbrückbar, die Seele steht in radikaler Abhängigkeit zu ihrem Gott, sie ist sein Produkt, das dazu geschaffen wurde, ihn zu verehren und seine „Herrlichkeit“ auf ewig widerzuspiegeln.
Chan
Fazit:
Unter den Weltreligionen lehren nur die monotheistischen
Religionen die Unsterblichkeit der Einzelseele. Grund dafür
ist die monotheistische sowie dualistische Struktur dieser
Konzepte: es gibt einen personalen Gott, der von seiner
Schöpfung, der Welt und den Seelen, getrennt ist. Es gibt hier
anders als im Vedanta keine Wesensidentität von Göttlichkeit
und Mensch. Die Kluft ist unüberbrückbar, die Seele steht in
radikaler Abhängigkeit zu ihrem Gott, sie ist sein Produkt,
das dazu geschaffen wurde, ihn zu verehren und seine
„Herrlichkeit“ auf ewig widerzuspiegeln.
Gut, dann korregiere ich auf folgende Feststellung: Alle Weltreligionen lehren die Unsterblichkeit.
Mir geht es aber hier nicht bei meiner Frage um den Inhalt dieser Lehren, sondern um die strategische Ebene als Meta-Erkenntnis über allen diesen unterschiedlichen Konzepten. Was mich interessiert: Könnte es sein, dass es sich hierbei um ein menschliches Grundbedürfnis handelt, wenn es sowohl in allen Lehren und in allen Weltreligionen ein zentrales Motiv zu sein scheint als auch in Whiteheads zunächst sehr gewöhnungsbedürftigem Begriff „objektive Unsterblichkeit“?
Wenn ich bei allen meinen Erfahrungen, als ich dem Tod sozusagen mitten ins Auge schaute, in diesem Augenblick nur philosophisch gedacht hätte im Sinne intellektueller Abstraktion, hätte ich mich ja ruhig diesem schrecklichen Ereignis des Sterbens hingeben können in Gelassenheit und mich willenlos zum Beispiel von einer Riesenwelle überrollen lassen, ie mich mit aller Wucht gegen die Felswände schlägt, um mich mit einer unglaublichen Kraft zu zerschmettern, was mir schon mehrmals fast passierte, aus purer Unwissenheit und sträflichem Leichtsinn. Aber aufgrund der Todespanik entwickelte mein Körper sozusagen „automatisch“ Kräfte, wie sonst nie im normalen Alltag.
Nun sagst du, das innerste Wesen sei unsterblich und die Welt und das Ich seien nur Illusion - und ich sage: Ein tröstlicher Glaube! Aber entspricht dieser Glaube nicht nur einem (unbewussten) Bedürfnis, wie ein Tier, das seinen Körper instinktiv zu erhalten trachtet? Und wollen wir Menschen aufgrund unseres sicheren Wissens über unseren Tod im Gegensatz zu den Tieren aus individuellen, kulturellen und politischen Gründen nicht gerne glauben, dass wir in einem Jenseits unsterblich sind, als eine Art Lebensversicherung für das reale Diesseits?
Meine Frage ist folgendermaßen: Gibt es ein generelles Grundmotiv zur Unsterblichkeit, das nicht nur religiös nachweisbar ist, sondern auch wissenschaftlich?
Danke Chan für dein ausführliches Statement!
Gruß
C.
Hi
Meine Frage ist folgendermaßen: Gibt es ein generelles
Grundmotiv zur Unsterblichkeit, das nicht nur religiös
nachweisbar ist, sondern auch wissenschaftlich?
Das Problem konnte nur erst entstanden als die Endgültigkeit unseres Todes uns voll bewusst wurde. Kinder bis einem bestimmten alter können mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen.
Tiere fabulieren nicht über ihre Auferstehung oder ähnliches.
Man vermutet aber bei den Elefanten irgendeine Art von Ahnung.
Gruß
Balázs
Mystik vs. Monotheismus
Gut, dann korrigiere ich auf folgende Feststellung: Alle Weltreligionen lehren die Unsterblichkeit.
Nimmt es es wirklich genau, dann stimmt auch das nicht Denn es kann nur das sterben, was existiert. Da aber, wie geschildert, für die genannten östlichen Religionen eine Seele nicht existiert, kann auch, abgesehen vom biologischen Leib, nichts sterben.
Darüber hinaus setzt der Sterblichkeits- bzw. Unsterblichkeitsbegriff einen linearen Zeitbegriff voraus, d.h. „unsterblich“ bedeutet, auf der linearen Zeitachse unvergänglich zu sein und ewige Dauer zu haben. Das trifft sicher auf den Unsterblichkeitsbegriff der Monoreligionen zu, für welche die Seele „ewig“, also zeitlich unbegrenzt, existiert. In den östlichen Religionen ist das anders, denn sowohl das hinduistische Brahman als auch das buddhistische Nirvana sind zeitlos. Lineare Zeit ist demzufolge nur ein Wahrnehmungsmodus des verblendeten Subjektbewusstseins (habe ich auch kürzlich im Religionsbrett thematisiert).
Der Unsterblichkeitsbegriff verführt also zu Missverständnissen, wenn man ihn auf die Nach-Tod-Theorien dieser Religionen anwendet. Er suggeriert einfach zu sehr, dass es ein unvergängliches Ich gibt. Besser wäre es, von der Zeitlosigkeit des absoluten Bewusstseins zu sprechen, in die das Subjektbewusstsein im Falle seiner Befreiung (moksha) übergeht. Das gilt auf jeden Fall für die vedantische Brahmanlehre (Brahman = Sein, Bewusstsein, Wonne), während das buddhistische Nirvana zwar nicht direkt den Bewusstseinsbegriff impliziert, aber ähnlich wie das Brahman beschrieben werden kann (Buddha nennt das Nirvana mehrmals „das höchste Glück“, womit zwei Merkmale des Brahman übernommen werden: Glück bzw. Wonne (ananda) und Bewusstsein (ohne welches kein Glück erfahrbar ist).
Was mich interessiert: Könnte es sein, dass es sich hierbei um ein menschliches Grundbedürfnis handelt, wenn es sowohl in allen Lehren und in allen Weltreligionen ein zentrales Motiv zu sein scheint als auch in Whiteheads zunächst sehr gewöhnungsbedürftigem Begriff „objektive Unsterblichkeit“?
Da der Mensch die Todesangst kennt, hat er natürlich, wie jedes Lebewesen, ein „Bedürfnis“ nach Unsterblichkeit. Das ist aber längst nicht das treibende Motiv hinter den religiösen Unsterblichkeitslehren. Die Basis dafür liegt, da bin ich mir sicher, in den mystischen Erfahrungen von Ausnahmemenschen, die es zu allen Zeiten gab, und deren Berichte in die religiösen und später auch philosophischen Konzepte eingegangen sind. Die mystische Erfahrung läuft auf die Wesensidentität des menschliches Geistes mit dem „kosmischen Geist“ hinaus und wird fachlich „unio mystica“ genannt.
Leider hat sich dieses Konzept in früheren Zeiten zwangsläufig mit den volksnäheren mythologischen Konzepten vermischt, so dass seltsame Konstruktionen entstanden, wie zum Beispiel das Christentum, in dem ein mythologischer, d.h. personal konzipierter Gottesbegriff mit dem mystischen Geistbegriff verschmolz. „Gott“ hat hier zugleich personale Eigenschaften (einen Willen usw.) und mystische Eigenschaften (transzendent, allumfassend, zeitlos usw.). Vollmystiker wie Plotin kritisierten das Christentum deswegen auch heftig, weil es die mystische Grundbotschaft hoffnungslos verzerrte.
Um ein „menschliches Grundbedürfnis“ handelt es sich also so gesehen nicht. Denn gäbe es diese Mystiker nicht, dann gäbe es auch kein Konzept der Unsterblichkeit oder Zeitlosigkeit, welcher Art auch immer. Zuerst gab es die Berichte dieser Leute, dann erst die diversen Konzepte, von denen einige ganz seltsame Wege einschlugen.
Beweisen lässt sich das natürlich ebenso wenig wie widerlegen. Wir werden nie genau wissen, ob zuerst das Ei oder die Henne da war, also das mystische Wissen oder das naive Unsterblichkeitsbedürfnis. Man kann nur argumentieren, mehr nicht.
Aber aufgrund der Todespanik entwickelte mein Körper sozusagen „automatisch“ Kräfte, wie sonst nie im normalen Alltag.
Ist mir auch mal passiert, in einem türkischen Reisebus bei Ankara, als das Ding zehn Meter tief stürzte. Es gab drei Tote, ich war knapp davor und konnte mich ganz kurz vorm Ersticken befreien, lag dann eine halbe Stunde lang neben einem Toten.
Nun sagst du, das innerste Wesen sei unsterblich und die Welt und das Ich seien nur Illusion - und ich sage: Ein tröstlicher Glaube!
Ich glaube es nicht, sondern weiß es zufällig, aber egal Außerdem ist nicht die „Welt“ eine Illusion (das wird gerne so missverstanden), sondern die Art und Weise, wie wir sie gewöhnlich wahrnehmen, ist illusionär. Das ist ein konzeptueller Unterschied. Ich versuche mal eine Analogie und sage: „Falschgeld ist Geld ohne Wert“ (= die Welt unserer Alltagswahrnehmung ist existentiell wertlos). Du unterstellst mir aber, dass ich sage: „Falschgeld ist ein Geld, das nicht existiert“ (= die Welt ist eine Illusion). Du siehst den Unterschied?
Aber entspricht dieser Glaube nicht nur einem (unbewussten) Bedürfnis … ?
Ich bin die falsche Adresse für den Vorwurf, nur an etwas zu „glauben“. Dafür musst du dich an Christen und andere Monos wenden.
Meine Frage ist folgendermaßen: Gibt es ein generelles Grundmotiv zur Unsterblichkeit, das nicht nur religiös nachweisbar ist, sondern auch wissenschaftlich?
Natürlich nicht. Das würde zumindest Messgeräte voraussetzen, die das Geistige unmittelbar erfassen können. Gibt’s aber nicht und ist dem Stand der Dinge nach nur als Sciencefiction denkbar. Ich kann aber verstehen, wenn Leute, die keine mystische Erfahrung haben, Beweise von denen fordern, die darüber berichten oder sich darauf beziehen. Das ist aber, der Natur der Sache wegen, nicht möglich.
Chan