Intuition, Abduktion und die Heldenreise
Hi Carlos.
ein typisches Muster in dramatischen Filmen und Literatur ist,
das Protagonisten wieder besseres Wissen, Empfehlungen und
Anweisungen ihren Gefühlen oder Launen folgen und damit eine
gefährliche Situation heraufbeschwören.
Diese „Gefühle“ haben dann nichts mit Launen, sondern mit Intuition zu tun. Der Protagonist „spürt“, dass die Lösung nicht so erreicht werden kann, wie andere es ihm nahelegen. Eine unbewusste Eingebung, besser: eine Intuition, zeigt stattdessen ihm den richtigen Weg.
Aus Wiki „Intuition“:
„Die Intuition (v. lat.: intueri = betrachten, erwägen; PPP intuitum) ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen, zu erlangen.“
Zitat Ende.
Die Metapher „Herz“ ist eine romantische Floskel, die man heute nur noch in Filmen und Literatur findet (und wenn im Alltag, dann aus Filmen abgekupfert). Das ist die Art von symbolhaltiger Sprache, die in Drehbüchern verwendet wird, um Wendungen in der Handlung (die sog. Plot Points) zu verbalisieren, die selbst eine symbolhafte Bedeutung haben (als charakteristische Merkmale der mythischen Heldenreise).
Aus Wiki „Plot Point“:
„Plot point ist ein von Syd Field in die Drehbuchlehre eingeführter Begriff. Man versteht darunter eine Überraschung im Lauf einer dadurch komplizierten Handlung: Etwas anderes als das, womit gerechnet wurde, tritt ein oder wird plötzlich erwartet.“
Die Plot Points liegen in Filmen in der Regel um die Minuten 10, 27, 60 und 85 (das ist drehbuchtechnisch weitgehend reglementiert). Ich füge ganz unten eine Liste mit den Stationen der Heldenreise an, wie sie der Drehbuchtheoretiker Volger erstellt hat (angelehnt an den Mythenforscher Campbell).
Wenn ich mir nun im wirklichen Leben Menschen anschaue, die
wirklichen Mist gebaut haben, dann ist es normalerweise nicht
so, dass die Handlung die Folge einer durchdachten Planung war
Diese Leute sind ihrem Herzen (oder tieferliegenden
Körperteil) gefolgt und nicht ihrem Verstand.
Da kann man überhaupt nicht verallgemeinern, außerdem ist der Begriff „Mist“, den du gebrauchst, eine Interpretationssache, bei der nicht jeder zum gleichen Befund käme. Zudem kann vieles als „Mist“ bezeichnet werden, was sich äußerlich als Erfolg ausnimmt. Du müsstest das also konkreter veranschaulichen.
Ist die Empfehlung auf sein Herz und nicht
auf seinen Verstand zu hören, eine Empfehlung für Unglück und
Scheitern?
„Herz“ ist ein Klischee und damit eine Phrase. „Hör auf dein Herz“ hat null Aussagekraft. Es geht vielmehr um Intuition. Der Verstand selbst hat kontrollierende Funktion, ist aber für sich genommen keine Basis für Entscheidungen. Denn auch der Verstand muss sich letzlich auf Grundannahmen stützen, die axiomatisch und unbeweisbar sind, im Falle von Entscheidungen also intuitiv.
Der wissenschaftstheoretische Begriff für Intuition ist „Abduktion“.
Man unterscheidet drei Schlusstypen: die Induktion, die Deduktion und die Abduktion.
Induktion:
Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack.
Resultat: Diese Bohnen sind weiß.
Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß.
Deduktion:
Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß.
Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack.
Resultat: Diese Bohnen sind weiß.
Und hier die Abduktion. Ein Zitat aus:
http://seidel.jaiden.de/peirce_eco.php
„Mit der Induktion stimmt die Abduktion in mindestens zwei Punkten überein, in ihrer Synthetizität inklusive der Fähigkeit der Erkenntniserweiterung und in ihrer wendeartigen Relation zur Deduktion: die Induktion „ist nicht die einzige Art, wie man einen deduktiven Syllogismus umkehren kann“ (2.623). Es ist der Schluß von Regel und Resultat auf einen Fall.
Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß.
Resultat: Diese Bohnen sind weiß.
Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack.
(…)
Wie aber vollzieht sich die Abduktion aus psychologischer Sicht?
PEIRCE versucht dieser Frage mit einem Denkmodell beizukommen, das, wie ich meine, deutlich auf LORENZ` Fulgurationshypothese verweist (vgl. LORENZ, S. 47) [13], die dort allerdings noch allgemein verstanden wird und sich daher besonders für eine Erläuterung anbietet. Als ursprünglich göttlicher Blitzstrahl (fulguratio) gedacht, bezeichnet dieser Begriff prinzipiell den Vorgang des In-Existenz-Tretens eines neu Geschaffenen oder einer neuen Verbindung, die, so LORENZ, völlig neue Systemeigenschaften aufweist. Und in der Tat scheint sich diese evolutionsgenetische Annahme auch auf das Denken ausdehnen zu lassen: „Die abduktive Vermutung kommt uns wie ein Blitz. Sie ist ein Akt der Einsicht, obwohl extrem fehlbarer Einsicht“ (5.183). Das fulgurative Element des Zur-Einsicht-Kommens verweist auf das Unerwartete, Plötzliche, empfundene Zufällige, ja das Umwegige, verweist auf Dissoziationszustände des Denkens [14], wie dies im psychoanalytischen Diskurs, der selbst eine gewaltige und gewalttätige Abduktion ist, [15] wenngleich ohne Verifikationsmöglichkeit, da unaufhebbare Zirkularität vorliegt, benannt wurde. Deren gibt es viele, und sie alle kennzeichnet das Unbewußt-Werden: der Traum, der Rausch, die Meditation, Hypnose, Ekstase etc. Vielfältig sind die Wege, dorthin zu gelangen. [16] Als lichtvolle Einsicht/ Idee/Gefühl/Gewißheit beschrieben dies, und sie verwendeten dabei unwissentlich HUSSERLs Evidenzdefinition (vgl. HUSSERL, S.28 f., 109, 156, 191ff.) die Physiker EINSTEIN und HEISENBERG, die sowohl Relativitätstheorie als auch Unschärferelation erst entwarfen, als sie dies als Ziel bereits aufgegeben hatten. Auch der Lauf (oder anderer Ausdauersport, der keine Konzentration erfordert), rhythmische, tanzende…Bewegungen, führt die Gedanken zur Assoziation, indem der Körper aktiviert, ja dominierend wird, das Denken dadurch Freiheit von sich erlangt.“
Zitat Ende.
Gruß
Chan
PS.
Aus Wiki „Heldenreise“:
Der Zyklus der Heldenreise nach Vogler
Christopher Vogler entwarf diesen Weg des Helden als Anleitung für Drehbuchautoren, welche insbesondere in Hollywood Beachtung findet. Sein Konzept basiert auf dem von Joseph Campbell entworfenen Modell.
1.Ausgangspunkt ist die gewohnte Welt des Helden.
2.Der Held wird zum Abenteuer gerufen.
3.Diesem Ruf verweigert er sich daraufhin zumeist.
4.Ein Mentor überredet ihn daraufhin die Reise anzutreten, und das Abenteuer beginnt.
5.Der Held überschreitet die erste Schwelle, nach der es kein Zurück mehr gibt.
6.Daraufhin wird er vor erste Bewährungsproben gestellt und trifft dabei auf Verbündete und Feinde.
7.Nun dringt er bis zur tiefsten Höhle vor und trifft dabei auf den Gegner.
8.Hier findet die entscheidende Prüfung statt: Konfrontation und Überwindung des Gegners.
9.Der Held wird belohnt, indem er z.B. den Schatz oder das Elixier raubt.
10.Nun tritt er den Rückweg an, während dessen es zur Auferstehung des Helden kommt.
11.Diese Auferstehung ist nötig, da er durch das Abenteuer zu einer neuen Persönlichkeit gereift ist.
12.Anschließend tritt der Held mit dem Elixier den Heimweg an.