Hallo!
Mit Zahlen kann ich nicht aufwarten (vielleicht macht sich jemand die Mühe mit z. B. destatis), dafür mit meinem Gedächtnis, das hinsichtlich alltäglicher Gewalt bis in die 50er Jahre zurück reicht. Die Bevölkerung hatte Krieg erlebt, etliche Millionen Männer als Soldaten, zu deren Tätigkeit Gewaltanwendung, Töten, Verbrennen, Vergewaltigung gehörte. Militärische Gepflogenheiten wurden in den ersten Nachkriegsjahrzehnten allerorten gepflegt, Marschmusik zu jeder Gelegenheit (kann ich wohl deshalb nicht mehr ertragen), Fackelzüge, Prügelstrafen an Schulen und Schlägereien unter Jugendlichen und Erwachsenen gehörten vielerorts zum Tagesgeschehen. Die Gewalt in Familien war deutlich verbreiteter als heute. Vergewaltigung und Missbrauch von Kindern waren zwar strafbar, wurden aber nicht so eng gesehen. Arbeitsschutz wurde in krimineller Weise missachtet (die Missachtung mit Mut verwechselt) und Verbrechen an der Umwelt waren weithin unbekannt. Wer was los werden wollte, egal ob Unternehmen oder Privatperson, kippte es in die Gegend oder in Gewässer. Bei Delikten wie Trunkenheit am Steuer musste man sich fragen, ob überhaupt jemand nüchtern fuhr. Schnaps und Bier gehörten überall dazu, alle Folgen inbegriffen.
Was an Verrohung in der Politik, auch m Bundestag stattfand, aber als solche gar nicht wahrgenommen wurde, würde heute nicht mehr durchgehen. Man gewöhnte sich an Szenarien gegenseitiger Vernichtung samt aller Lebensgrundlagen. Nach der Mondlandung geisterten Artikel durch die Presse, wonach die Reste der Menschheit nach einem Atomkrieg Mond und Mars besiedeln könnten, der Krieg deshalb nicht so schlimm sei. Strauß wollte nukleare Teilhabe und Schmidt wurde nicht müde, die Stationierung von Nuklearwaffen in D zu fordern. Auch Argumente, man würde sich dadurch zum vorrangigen Ziel vernichtender militärischer Angriffe machen, konnten keinen Rest von Verstand zutage fördern. Meine Achtung vor dem Verfassungsgericht hält sich seither in überschaubaren Grenzen. Sind eben auch bloß karrierebewußte Gehaltsempfänger und nicht wirklich unabhängig. Mit einer Richterstimme Mehrheit wurde u. a. meine Klage gegen die Nachrüstung abgewiesen.
Unsere Geschichte ist von militärischer Gewalt und in weiten Teilen des zivilen Lebens vom Faustrecht, dem Recht des Stärkeren und von Autoritäten geprägt. Ein Blick in den anmaßenden Ton von Behördenschreiben und Gerichtsurteilen aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik würde heute zu Fragen an die Verfasser führen, was sie eingeworfen haben. Sog. Autoritäten nutzten ihre Stellungen hemmungslos, auch gerne abseits allen Rechts.
Jungs, die sich nicht prügelten, galten als verweichlicht und gewalttätige Jugendgangs (damals Halbstarke genannt) gab es allerorten. Auch die heute mancherorts wie im rechtsfreien Raum agierenden Familienclans aus Nahost und Osteuropa sind keine neue Erscheinung, es gibt sie seit vielen Jahrzehnten.
Auf Anhieb fällt mir wenig ein, was früher besser war. Auf die Idee, früher weniger Kriminalität und Gewaltbereitschaft zu vermuten, käme ich zuallerletzt.
Gruß
Wolfgang