Hallo Iris
Interview mit Professor Michael Bongardt im Cicero-Magazin. Er
bildet in Berlin Ethik-Lehrer aus:
http://www.cicero.de/salon/toleranz-gehoert-nicht-zu…
zunächst einmal - von deutlich größerem Interesse zumindest für mich ist nicht, ob Herr Bongardt Ethiklehrer ausbildet, sondern was ihn dazu (und zu seinen Aussagen in Cicero) qualifiziert: er ist katholischer Theologe und war bis 2003 auch geweihter Priester. Er macht selbst deutlich, worum es ihm und seinen christlichen Glaubensbrüdern und -schwestern in dieser Diskussion vor allem geht - nicht um grundsätzliche Solidarität mit Muslimen und Juden sondern
„Es geht […] vor allem darum, dass das Verhältnis von Staat und Religion […] neu austariert werden muss“.
Das ist durchaus ebenfalls " rechts-technisch orientiert".
Aber natürlich gibt es da auch eine andere „Orientierung“, die mir nun wiederum missfällt. Was mir als erstes auffällt, ist die Überschrift des Artikels „Beschneidung ist keine Verstümmelung“ und Herrn Bongardts verhement vorgetragenes Lamento: „halte ich es für völlig überzogen, von einer Verstümmelung zu reden“. Wer denn da eigentlich von „Verstümmelung“ geredet hat, enthält uns Herr Bongardt vor - in der Urteilsbegründung jedenfalls und auch hier im Brett ist auf dieser Ebene nicht argumentiert worden. Wobei man sich natürlich schon fragen kann, warum bei Mädchen (mE völlig zu recht) hierzulande unwidersprochen von „Genitalverstümmelung“ gesprochen werden darf (so auch von Herrn Heinig auf hagalil.com) während dies bei Knaben so völlig abwegig sein soll - liegt doch vom Geschlecht abgesehen nur ein gradueller Unterschied in der Schwere der dauerhaften und irreparablen Veränderung des Genitals vor.
Ob eine derartige „Orientierung“ der Diskussion sachgerecht und hilfreich ist, erlaube ich mir zu bezweifeln. Darüber hinaus sehe ich in dem Interview keine Aspekte berührt, die nicht auch schon hier eingehend behandelt wurden. Insbesondere gehört wohl auch Professor Bongardt zu den Leuten, die nicht so ganz Inhalt und Schranken des Grundrechtes auf Religionsfreiheit verstehen - dass diese Schranken durch die Rechte - und erst recht Grundrechte - Dritter gesetzt werden. Auch, wenn es sich bei diesen Dritten um die eigenen Kinder handelt.
Hans Michael Heinig, Professor für öffentliches Recht und
Kirchenrecht an der Universität Göttingen:
- da haben wir nun einen Sprecher der evangelischen Fraktion. Ergänzend zur Qualifikation: Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland
Beschneidungsurteil: Juristisch und rechtsethisch fragwürdig
http://www.hagalil.com/archiv/2012/06/28/beschneidun…
Wie auch immer - gerade dieser Kommentar ist doch ebenfalls ausgesprochen " rechts-technisch orientiert" - oder nicht? Herr Heinigs Urteilsschelte unterscheidet sich doch von den hier vorgebrachten rechtlichen Argumenten lediglich dadurch, dass er die „grundrechtliche Kollisionslage“ zwischen dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit einerseits und dem elterlichen Recht zur religiösen Erziehung andererseits anders wertet als das Kölner Landgericht. Heinig gibt auch richtig als zusätzliche Begründung die Irreversibiliät der Beschneidung an, die einen Eingriff in die Religionsfreiheit des Kindes darstellt („diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können zuwider“).
Heinigs Argumentation läuft nun in erster Linie darauf hinaus, den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu bagatellisieren (auch wenn er alle drei Begründungsschritte für fragwürdig hält). Vor allem hält er sich an dem in der Begründung angeführten Recht auf gewaltfreie Erziehung (§ 1631 Abs. 2 BGB Satz 1) fest. Dass „der soziale Sinn und das physiologische Geschehen einer kunstgerecht durchgeführten Zirkumzision“ etwas anderes sind als „körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen“ (das steht allerdings erst in Satz 2!) ist sicher richtig - dass eine Beschneidung eine elterlich angeordnete Gewalteinwirkung ist, vermag er jedoch nicht überzeugend zu widerlegen. Auf das deutlich höher zu wertende Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs.1 und 2 Satz 1 GG geht Heinig (wohl aus gutem Grund) gar nicht erst ein. Dafür verbeisst er sich ausführlich und langatmig (und z.T. mit rechtsfremden Argumenten) in die dritte - zugegeben schwächste - Begründung. Die allerdings die zweite und vor allem die erste, zu der Heinig nichts Substantielles zu sagen hat, lediglich stützt und als eigenständige Begründung sicherlich nicht hinreichend wäre.
Völlig abwegig und eines Juristen mE unwürdig dann diese Einlassung:
„eine gewisse historische und kulturelle Sensibilität, ein Sinn für das, was man mit einem Urteil anrichtet, wünscht man sich aber doch von der Justiz.“
Was „man“ sich von der Justiz erst einmal wünscht ist, dass sie die Gesetze anwendet - und nicht, dass sich Richter bei der Rechtsprechung statt von den Gesetzen von „historischer und kultureller Sensibilität“ gegenüber den Kirchen und anderen religiösen Gemeinschaften und einem Sinn, „was sie mit einem Urteil anrichten“ leiten lassen. Dies können und müssen sie ggf. bei der Bemessung des Strafmaßes tun. Und genau dies haben die Richter des Landgerichts Köln auch getan, als sie den angeklagten Arzt wegen Verbotsirrtum freigesprochen haben.
Freundliche Grüße,
Ralf