Urteil zur Beschneidung von Säuglingen II

Wobei wir wieder bei der Frage wären, was den Rechtsanspruch
auf körperliche Unversehrtheit aufheben könnte.

Na, die Religionsfreiheit zum Beispiel. Genau um diese Frage
dreht sich die ganze Diskussion doch.

Nein, darum dreht sie sich nicht. Religionsfreiheit meint
nicht die Freiheit, andere Menschen ohne deren Einwilligung
für ihr weiteres Leben körperlich zu kennzeichnen, sondern
allenfalls sich selbst.

Langsam bin ich ratlos. Du verstehst meine Hinweise nicht, und ich weiß nicht, ob es an dir liegt oder an mir oder uns beiden oder an niemandem. Entgegen deiner Auffassung kommt in Betracht, dass die Religionsfreiheit einen Eingriff in ein Grundrecht eines anderen erlaubt. Ob sie es tut, hängt vom Einzelfall und der eigenen Auffassung ab, aber dass schon die Frage nicht gestellt werden kann, ist verfassungsrechtlich schlicht und ergreifend falsch, falsch, falsch. Ich erwarte von dir keine vertieften Kenntnisse der Grundrechtsdogmatik, aber könntest du wenigstens erwägen, dass ich diese Frage von Berufs wegen beurteilen kann?

Niemand hat nach unserem Grundgesetz - und darum geht es hier
gerade - ein schrankenloses Recht auf körperliche
Unversehrtheit. Auf die verfassungsimmanenten Schranken habe
ich schon hingewiesen. Hinzu kommt die eindeutige Vorschrift
in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG.

wir reden hier auch nicht von „schrankenlos“ sondern darüber,
dass Menschen andere Menschen ohne deren Einwilligung und ohne
Vorteil für den Betroffenen körperlich kennzeichen wollen.

Ich weiß. Aber es geht mir ja um deine Annahme, dass eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in das Grundrecht bzw. die Grundrechte des Knaben von vornherein nicht in Betracht kommt. Das wäre dann ein schrankenloses Grundrecht. Es gibt aber dieses Grundrecht nicht schrankenlos. Deine Annahme ist also falsch.

Das Problem liegt hier eher darin, dass auch die entsprechend
körperlich modifizierten Kinder ihr Leben lang die
Konsequenzen tragen müssen.

Genau, dies ist ein Umstand, der in der Abwägung
berücksichtigt werden muss.

Da muss ich gar nichts abwägen.

Du nicht, aber der Richter, der hierüber urteilt.

Ich würde jeden, der mich ohne
meine Einwilligung körperlich kennzeichen würde, verklagen,
ganz egal wie gut dieser das aus welcher religiösen oder
sonstigen Absicht auch immer gemeint haben mag.

Schon recht, aber das hat ja nun mit meinen Erläuterungen nichts zu tun.

Dann erklär mir dochmal, welche erzieherischen Auswirkungen es
hat, ob einem kleinen Jungen die Vorhaut fehlt. Wird er
dadurch schlauer? gehorsamer?

Du meinst, ich soll mich rechtfertigen, nur weil du meine Ausführungen nicht verstehst? Ich werde mich doch nicht gegen Angriffe auf Positionen verteidigen, die ich überhaupt nicht vertrete!

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Moin,

ich denke, als verantwortlicher Elter, würde ich mit meinen
Kindern dann eben dahin gehen, wo sie nicht als einzige
ausgegrenzt werden, oder ihnen entsprechend den Rücken
stärken.

was natürlich beim Passah ein Problem darstellt, weil es ein Familienfest ist. Zu welcher Familie sollte denn der kleine Bub gehen?

Stell es Dir doch so vor: Alle Familienmitglieder bekommen zu Weihnachten Geschenke, nur der kleine xxx nicht. Was würdest Du ihm erklären? Etwa „Ich habe bei deiner Geburt beschlossen, dass Du erst mit 14 Geschenke bekommst.“?

Gruss Harald

… wobei ich doch nochmals darauf hinweisen möchte, dass es
hier doch mE um das Recht auf Religionsfreiheit der Kinder
geht, das von Eltern lediglich stellvertretend für diese in
Anspruch genommen wird.

Nein, das stimmt nicht. Ich habe ja bereits darauf hingewiesen bzw. den Einwand bestätigt, dass eine Auseinandersetzung mit der Religiongsfreiheit des Kindes in dem Urteil gerade fehlt. Hier könnte man über die negative Religionsfreiheit nachdenken, also die Freiheit, mit Religion nix zu tun haben zu wollen. Ansonsten geht es in meinen Ausführungen immer um die Religionsfreiheit der Eltern. Das korrespondiert auch mit dem Kölner Urteil, in dem es heißt:

„Die Grundrechte der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1 […] GG werden ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung […] begrenzt.“

(Wobei, wie ich schon schrieb, eigentlich Art. 4 Abs. 1 und 2 ein einheitliches Grundrecht bilden, was das Gericht nicht zu wissen scheint. Das Studium ist lange her, und in der täglichen Praxis kommen Grundrechte an ordentlichen Gerichten kaum vor.)

Insofern kann hier das Ergebnis einer Abwägung der
konkurrierenden Rechte eigentlich gar keinem sachlich
begründeten Zweifel unterliegen.

Doch.

Niemand hat nach unserem Grundgesetz - und darum geht es hier
gerade - ein schrankenloses Recht auf körperliche
Unversehrtheit. Auf die verfassungsimmanenten Schranken habe
ich schon hingewiesen. Hinzu kommt die eindeutige Vorschrift
in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG.

Ja. Von der schon erwähnten Disponibilität dieses Rechtes
abgesehen (da geht es ja um Freiwilligkeit), ist allerdings
die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG
äußerst schwer zu begründen.

Kommt darauf an, was man unter „schwer“ versteht. Da das ein dehnbarer Begriff ist, kann ich dazu nichts gleichsam Objektives beisteuern und dir Recht geben oder widersprechen.

Ich hoffe, Du
zielst nicht darauf ab, solch ein Eingriffsrecht aus dem
Erziehungsrecht oder gar dem Recht auf Religionsfreiheit
abzuleiten bzw. zur Lösung der hier diskutierten Problematik
eine solche Ausweitung der elterlichen Gewalt per gesetzlicher
Ermächtigung vorzuschlagen.

Na ja, das ist nun mal genau das, worum es hier rechtlich geht… Über meine eigenen Rechtsansichten will ich damit nichts gesagt haben. Ich leite also keineswegs irgendein Recht ab, sondern ich formuliere die rechtlichen Fragen.

Dann kämen wir nämlich wirklich in
Teufels Küche bzw. zu ganz abstrusen Konsequenzen. Wenn man
diese Möglichkeit grundsätzlich bejahen würde, könnte man
beispielsweise durchaus auch dafür argumentieren, dass ein
Vater seinem missratenen, als Dieb straffällig gewordenen
minderjährigen Sohn nach Scharia eine Hand amputieren lässt
… Sicher ein Extrembeispiel - aber man muss sich schon
fragen, was da hinter der Tür wäre, die man da evt. öffnen
würde.

Diese Tür steht weit offen. Da muss ich nichts mehr zu beitragen. Natürlich würde dieses Scharia-Beispiel in Deutschland (derzeit) nicht durchkommen. Und um das noch mal zu betonen: Ich habe mit keiner Silbe geschrieben, dass ich das Kölner Urteil für falsch halte.

Hi.

Wieso sollte das ein Gesellschaftliches Problem sein?

Bemerkenswerte Frage.

geht es doch um die Individualrechte der Kinder, nicht um eine
Gesellschaftliche Störung.

Na, dann ist ja alles in Butter.

Gruß
Werner

Balázs

Hallo,

… weil die Kinder dafür viel zu jung sind.

Woher hast du diese Falschinformation?

Ich habe dich bereits darauf hingewiesen, dass die Zeiten, wo man Kleinkinder ohne Narkose operierte vorbei sind.
Man kann heute Narkosen schon bei UNgeborenen durchführen.

Der Vollständigkeit halber noch die Einschränkung, dass es individuell Ausnahmen geben mag, wenn aufgrund einer Vorerkrankung eine Narkose voraussichtlich tödlich wäre.

Gruß
Werner

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Stell es Dir doch so vor: Alle Familienmitglieder bekommen zu
Weihnachten Geschenke, nur der kleine xxx nicht. Was würdest
Du ihm erklären? Etwa „Ich habe bei deiner Geburt beschlossen,
dass Du erst mit 14 Geschenke bekommst.“?

Wo wir nun auf recht bodennahem Level sind:
Stell du dir mal vor, dass es Geschenke nicht nur für die gibt, denen man vorher ein Stück Genital weggeschnitten hat.
Wär das nicht fein?

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Hallo

Das ist ja schrecklich!!

Warum?

Auch wenn mediznische Gründe vorliegen, bzw. Vorhautverengungen, dann wird hier ohne Vollnarkose operiert,
einfach weil die Kinder dafür viel zu jung sind.

Wann wird denn schon mal ein neugeborenes Baby wegen Vorhautverengung operiert? Wenn, dann macht man es doch wesentlich später!
(Übrigens scheint es so zu sein, dass auch diese Operationen meistens unnötig sind, aber das gehört nicht zum Thema)

Und selbst wenn man eine dringend sofort erforderliche Operation durchführt, bei der man auf keinen Fall eine Narkose einsetzen kann, so ist das schrecklich!

Es ist schrecklich, einem Baby solch einen Schmerz zuzufügen. Ich dachte aber, das verstehe sich von selbst.

Gruß

Hallo Benvolio,

ich denke, der Grund unseres Dissenses (und auch der mit Pendragon, wenn ich es recht verstehe) ist hinreichend deutlich geworden (zumindest mir). Sicherheitshalber nachgefragt: beinhaltet das Recht auf positive Religionsfreiheit, also ungestörte Ausübung einer frei gewählten Religion, Deines Wissens tatsächlich auch das Recht, andere Personen ohne deren Einwilligung zum Objekt dieser Religionsausübung zu machen? Auch wenn es sich im konkreten Fall um die „eigenen“ Kinder handelt, sind diese ja kein Eigentum, sondern selbstständige Rechtssubjekte, für die Eltern lediglich prokuratorisch handeln - sind also sich selbst „eigen“ und nicht den Eltern. Oder ist das nicht so?

Überspitzt zur Verdeutlichung ein Beispiel - darf ich grundsätzlich meinen gotteslästerlichen Nachbarn nach Lev 24,6 im Rahmen freier Religionsausübung steinigen? Naturlich darf ich das nicht - aber warum eigentlich nicht? Weil die Ausübung meiner Religionsfreiheit in diesem Fall durch ein anderes Grundrecht beschnitten wird (und wenn - warum eigentlich wiegt dieses dann schwerer als mein Grundrecht auf freie Religionsausübung?) oder weil mein Recht auf freie Religionsausübung sich gar nicht auf Handlungen, die andere Personen unmittelbar betreffen, erstreckt?

Weniger drastisch, aber vielleicht das Problem noch stärker verdeutlichend: wieso kann einem Muslim eigentlich auf Grundlage einer simplen Gemeindesatzung oder baurechtlicher Vorschriften die Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Ausübung seiner Religion in Form des Baus einer Moschee auf einem von ihm rechtsgültig erworbenen Grundstück verwehrt werden? Es kann ja wohl nicht sein, dass eine Gemeindesatzung schwerer wiegt als das grundgesetzlich garantierte Grundrecht auf Religionsfreiheit?

Ich hoffe, mein Verständnisproblem mit Deiner Argumentation ist klar geworden.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo,

eben, die Gesellschaft insgesamt macht die Regeln. Wo sich
dann auch ggf. jeder der Gesellschaft dran halten sollte.

Ich hoffe doch nicht! Jede Gesellschaft lebt davon und ist
auch alleine dann freiheitlich und demokratisch, wenn Teile
der Gesellschaft immer wieder gemachte Festsetzungen
hinterfragen.

Hinterfragen darf man alles. Aber tun und garnicht fragen, wie es bei Beschneidung von Kindern der Fall war, ist etwas anderes.
Jungen Mädchen die Hochzeit mit einem Fremden so schönreden und sie derart unter Erwartungsdruck setzen, dass sie sich schließlich „freiwillig“ fremdverheiraten lassen gehört auch dazu.

Wobei ich in diesem Fall gar bezweifle, dass

eine solche Festsetzung so je gemacht wurde.
Warum gab es rechtlich wo Jahrzehntelang diesen Graubereich?

Es gab rechtlich keinen Graubereich. Aber eine Blindheit der Justiz. Körperverletzung ist ein Straftatbestand, da hätten Staatsanwälte ohne privaten Kläger ermitteln müssen, längst.
In dem Punkt hat die Justiz geschlammt, versagt - da hatten wohl einige Angst vor genau den Reaktionen, die jetzt kommen, und das ist für eine Justiz erbärmlich.
Da fragt man sich: was richtet eine so ängstliche Justiz gegen Mafiastrukturen oder Korruption auf hohem Niveau aus?

Gruß, Paran

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Hallo Metapher,
wie Du weisst, fehlt mir als Seiteneinsteiger ohne einschlägigen akademischen Hintergrund leider die „Vogelperspektive“. Ich bin nur ein spätberufener Flickenkutten-Träger ohne Rang und Namen (zumindest ohne prominenten :wink:), der am interreligiösen Dialog ein Interesse hat und sich da schlau zu machen sucht - was notwendig allenfalls punktuell gelingen kann und auch vorrangig nicht einem Interesse an anderen Religionen, sondern an Lösungsmodellen für das doch eher spezielle Problem religiöser Akkulturation und Inkulturation geschuldet ist. Was auch mein Engagement speziell bei diesem Thema hier und mein Interesse daran erklärt. Bei solchen Voraussetzungen eine Empfehlung für den innerjüdischen Diskurs in Deutschland auszusprechen, war sicher anmaßend - aber jedenfalls gut gemeint.

Jedenfalls - auch aus der Maulwurfsperspektive fängt man nicht nur Regenwürmer sondern macht gelegentlich auch kapitale Beute und Deine Bestätigung, dass Holdheim (ich hielt ihn zuerst im Vergleich zu Geiger für einen nobody) eine solche ist, freut mich sehr.

Wenn die Perspektive nun aus Tiefe statt aus der Höhe gerichtet ist - da kann auch ich ein wenig Dein stilles Amusement nachvollziehen, auch wenn ich für meinenTeil die Empfindungen nicht nur unterhalb des Gürtels sondern auch unterm Sternum (es geht schließlich um schuld- und wehrlose Kinder …) aufgerührt sehe. Andererseits würde ich mir eine solche Empfindlichkeit und ein entsprechend vehementes Engagement für die Rechte von Kindern auch bei Themen wie Kinderarmut, Kinderarbeit, Kinderprostitution wünschen. Da kommt halt Verschiedenes zusammen … Und was das Fass angeht - ja, lass es zu. Sonst kommen wir hier unter 500 Diskussionsbeirägen aus der Sache nicht mehr heraus :wink:.

Freundliche Grüße,
Ralf

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beinhaltet das Recht auf positive
Religionsfreiheit, also ungestörte Ausübung einer frei
gewählten Religion, Deines Wissens tatsächlich auch das Recht,
andere Personen ohne deren Einwilligung zum Objekt dieser
Religionsausübung zu machen?

Diese Frage kann man so eigentlich weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Sie korrespondiert nicht mit der juristischen Problematik. Rechtlich ist relevant, dass verschiedene Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander kollidieren. Das drückt sich in diesem Fall dadurch aus, dass der eine Grundrechtsträger zum „Objekt“ der Grundrechtsausübung des anderen Grundrechtsträgers wird (wobei das eine tendenziöse Formulierung ist, die das Ergebnis der Abwägung schon vorwegnimmt). Maßgeblich ist aber nicht an sich dieser Umstand, sondern dass damit Grundrechte kollidieren, die darum in das bestmögliche Verhältnis zueinander gesetzt werden müssen (Praktische Konkordanz).

Auch wenn es sich im konkreten
Fall um die „eigenen“ Kinder handelt, sind diese ja kein
Eigentum, sondern selbstständige Rechtssubjekte, für die
Eltern lediglich prokuratorisch handeln - sind also sich
selbst „eigen“ und nicht den Eltern. Oder ist das nicht so?

Sieht man von dem Begriff „prokuratorisch“ ab, ist das so richtig. Nur darum können die kollidierenden Grundrechte ja überhaupt abgewogen werden. Hätte das Kind keine Grundrechte, könnte man diese auch nicht mit anderen Grundrechten anderer Grundrechtsträger abwägen.

Überspitzt zur Verdeutlichung ein Beispiel - darf ich
grundsätzlich meinen gotteslästerlichen Nachbarn nach Lev 24,6
im Rahmen freier Religionsausübung steinigen?

Nein. Dass kollidierende Grundrechte ins bestmögliche Verhältnis zueinander gesetzt werden müssen, bedeutet ja keineswegs, dass diese konkrete Grundrechtsausübung „grundsätzlich“ erlaubt ist! Eine derartige Aufspaltung der juristischen Untersuchung ist nicht zulässig. Es ist nicht „grundsätzlich“ erlaubt, andere zu töten, wenn man sich auf die Religionsfreiheit beruft. Die rechtliche Untersuchung hat ein Ergebnis, und das steht am Ende dieser Untersuchung.

Naturlich darf
ich das nicht - aber warum eigentlich nicht?

Erstens weil du bekanntlich Atheist bist und dich darum niemals auf Lev 24,6 berufen kannst, um jemanden zu töten. Zweitens weil das Grundrecht der Religionsfreiheit mit dem Grundrecht auf Leben des Nachbarn kollidiert und dahinter zurücktreten muss, was aber allein die (in diesem Fall natürlich völlig eindeutige) Abwägung ergibt und nicht etwa eine schablonenhafte Systematik. Vielleicht störst du dich daran, weil du meinst, es sei ja irgendwie „grundsätzlich“ erlaubt, weil nicht gleich auf der ersten Prüfungsebene das Resultat schon feststeht. Bei Licht betrachtet ist das aber doch völlig Wurscht.

Weil die Ausübung
meiner Religionsfreiheit in diesem Fall durch ein anderes
Grundrecht beschnitten wird (und wenn - warum eigentlich wiegt
dieses dann schwerer als mein Grundrecht auf freie
Religionsausübung?) oder weil mein Recht auf freie
Religionsausübung sich gar nicht auf Handlungen, die andere
Personen unmittelbar betreffen, erstreckt?

Ersteres. Und zu der Frage in Klammern: reine Abwägung. Ansichtssache. Nichts Objektives. Auch die Rechtsprechung arbeitet in solchen Fällen oft mit ganz vielen Leerformeln und beruft sich dann auf die Evidenz und so weiter. Jurastudenten gilt öffentliches Recht und vor allem Verfassungsrecht als „Laberfach“.

Weniger drastisch, aber vielleicht das Problem noch stärker
verdeutlichend: wieso kann einem Muslim eigentlich auf
Grundlage einer simplen Gemeindesatzung oder baurechtlicher
Vorschriften die Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie
Ausübung seiner Religion in Form des Baus einer Moschee auf
einem von ihm rechtsgültig erworbenen Grundstück verwehrt
werden? Es kann ja wohl nicht sein, dass eine Gemeindesatzung
schwerer wiegt als das grundgesetzlich garantierte Grundrecht
auf Religionsfreiheit?

Och, die Selbstverwaltung der Gemeinden hat auch Verfassungsrang (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG). Ob das nun aber die erschöpfende Antwort auf deine Frage ist, muss ich für den Moment offen lassen. Vermutlich kann man das noch viel besser begründen, aber da würde ich eher mal recherchieren als mir darüber selbst den Kopf zu zerbrechen. Wenn dich speziell dieses interessiert, wäre ich wohl bereit dazu.

Ich hoffe, mein Verständnisproblem mit Deiner Argumentation
ist klar geworden.

Ich argumentiere noch immer nicht! Ich will ja nicht ausschließen, dass ich irgendetwas Falsches erzähle (ich erhebe keinen Unfehlbarkeitsanspruch), aber mit Argumentation hat das alles nichts zu tun.

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Hallo Jo,

Wo wir nun auf recht bodennahem Level sind:

nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich :wink:

Stell du dir mal vor, dass es Geschenke nicht nur für die
gibt, denen man vorher ein Stück Genital weggeschnitten hat.
Wär das nicht fein?

Genau so fein, wie die Aussage: „Wir kommen alle in den Himmel.“

Wer bestimmt denn, wer ein Geschenk bekommt?
Und stell Dir mal etwas anderes vor:
Hier sind einmal die Mädchen deutlich bevorzugt.

Gruss Harald

Danke, Position gefunden: Urteil ist falsch
Hallo Iris (und alle anderen Interessierten),

ich freue mich, dass meine Frage eine so interessante Diskussion ausgelöst hat und danke den Vielen, die mitunter richtig gute Argumente ins Spiel gebracht haben. Dank ihrer habe ich mich jetzt für meine Position entscheiden können.

Einerseits, ich bin unbeschnitten und ich hätte einen Riesenhorror davor, das irgend jemand da an mir herumsäbelt. Und ja, ich hätte Stand heute schon irgend ein Gefühl von Verstümmelung.
Andererseits habe ich mich jetzt glaubhaft überzeugen lassen, dass beschnittene Männer fast einstimmig beteuern, nicht das Gefühl zu haben, dass ihnen etwas fehlt.
Säuglinge können wir nicht fragen, ob der Eingriff schlimm schmerzhaft ist. Aber fest steht: in der Rückschau ist es nicht schlimm, zum Trauma wird es nicht.

Für das Judentum ist die Beschneidung fundamental, sie definieren sich darüber. Wenn also der deutsche Staat den jüdischen Mitbürgern eine solch grundlegende Glaubenspraxis verbietet, so muss es einen wirklich gewichtigen Grund dafür geben. Und so gewichtig scheint mir nun die Kindsbeschneidung nicht zu sein, auch wenn es mir aus meiner aktuellen, unbeschnittenen Situation vielleicht anders scheinen will.

Und so ist zu erwarten, dass die Beschneidungspraxis fortexistiert, trotz dem Kölner Verbot. Weil ich mir auch nicht vorstellen kann, dass die deutsche Justiz einen Feldzug gegen jüdische Gemeinden und Eltern führt, läuft eine Strafandrohung ins Leere und wäre darum nicht sinnvoll.

Ich bin also zur Überzeugung gekommen, die deutsche Justiz sollte die Beschneidung tolerieren. Trotzdem war (und ist) die Diskussion darüber richtig und wichtig. Denn es muss deutlich werden: Eine Beschneidung ist die absolute Grenze, was Religionsgemeinschaften mit ihren unmündigen Mitgliedern machen dürfen.

Nochmals danke für alle Denkanstöße.

Herzlichen Gruß
Hardey

Hallo,

Andererseits habe ich mich jetzt glaubhaft überzeugen lassen,
dass beschnittene Männer fast einstimmig beteuern, nicht das
Gefühl zu haben, dass ihnen etwas fehlt.

hast du auch mit Männern gesprochen, die aus religiösen Gründen als Kind beschnitten wurden und jetzt gar nicht mehr Jude/Muslim sein wollen? In den USA gibt es Vorhautprothesen.

Ich bin also zur Überzeugung gekommen, die deutsche Justiz
sollte die Beschneidung tolerieren.

Wie ich ja schon schrieb, wo kein Kläger da kein Richter. Nur kann sich der Arzt nicht mehr sicher darauf zurückziehen, dass die Justiz selber nicht weiss, was sie will zwischen Religionsfreihet und Körperverletzung.

Gruß
T.

Lieber Hardy,

Ich bin also zur Überzeugung gekommen, die deutsche Justiz
sollte die Beschneidung tolerieren. Trotzdem war (und ist) die
Diskussion darüber richtig und wichtig. Denn es muss deutlich
werden: Eine Beschneidung ist die absolute Grenze, was
Religionsgemeinschaften mit ihren unmündigen Mitgliedern
machen dürfen.

Das ist für dich sicher jetzt maßgeblich. Aber für „die deutsche Justiz“ überhaupt nicht. Da ist das Urteil des Landgerichts rechtskräftig und maßgeblich für die ganze deutsche Justiz.
Warten wir also ab, ob und wer da nun versuchen wird ein höchstrichterliches Urteil beim Bundesverfassungsgericht zu erwirken. Darauf bin ich dann sehr gespannt. Da das aber dauern wird - das BVerfG hat ja derzeit viel zu tun - gilt das Urteil des Landgerichts Köln.

Do.

Urteil ist falsch

LOL
Ja. Man hätte den Arzt und die Eltern verknacken sollen.
Aber das kann man ja bei der nächsten Klage tun.

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Urteil ist falsch

LOL
Ja. Man hätte den Arzt und die Eltern verknacken sollen.
Aber das kann man ja bei der nächsten Klage tun.

LOL - ob das verhältnismäßig wäre? Ich plädiere für eine Bewährungsfrist - bis zum nächsten männlichen Kind.

nachgebohrt
Hallo Benvolio,
zunächst einmal Danke für die Zeit und Mühe, die Du meinen Fragen widmest - und eine Bitte um Nachsicht, wenn ich doch noch einmal nachhake, auch wenn die Erörterung des rechtlichen Hintergrundes auf diesem Abstraktionsniveau bei den anderen Mitdiskutanten wohl nur noch auf wenig Interesse stoßen dürfte.

Zunächst - mir ist bewusst, dass Du hier Urteil und Begründung erläuterst und keine eigene Rechtsposition vertrittst. Ich für meinen Teil sehe - so richtig ich das Urteil im Ergebnis halte - in der Begründung allerdings ein Manko, insofern als die Religionsfreiheit des Kindes ignoriert wird - das war ja auch schon angesprochen.

Auf meine Frage nach den Schranken der Religionsfreiheit

beinhaltet das Recht auf positive Religionsfreiheit, also ungestörte Ausübung einer frei gewählten Religion, Deines Wissens tatsächlich auch das Recht, andere Personen ohne deren Einwilligung zum Objekt dieser Religionsausübung zu machen?

antwortest Du u.a.:

Rechtlich ist relevant, dass verschiedene Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander kollidieren

Nun trifft das sicher auch zu. Ich wollte allerdings mit meiner Fragestellung auf etwas anderes hinaus - nämlich, dass hier nach meiner Auffassung nicht nur verschiedene, sondern auch identische Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander kollidieren (was sicherlich nicht rechtlich irrelevant ist). Konkret: die Religionsfreiheit in ihrer positiven Form eines Grundrechtsträgers mit der Religionsfreiheit in negativer Form eines anderen.

Insofern halte ich meine oben nochmals wiederholte Frage für durchaus beantwortbar - das Recht auf freie Religionsausübung eines Trägers dieses Grundrechtes findet seine Schranke in dem Recht auf negative Religionsfreiheit anderer Grundrechtsträger. Die Frage wäre mithin zu verneinen - vorausgesetzt, dass der positiven Religionsfreiheit des einen Grundrechtsträgers nicht ein größeres Gewicht beigemessen wird als der negativen der anderen.

Somit meine anschließende Frage: ist diese Voraussetzung rechtstheoretisch gegeben?

Um nun auf unseren Fall zurückzukommen, so schließt sich hier meine nächste Frage an: ist ein religionsunmündiges Kind (d.h. unter dem Alter von 12 Jahren, ab dem es das Recht auf negative Religionsfreiheit selbst wahrzunehmen berechtigt ist) dessenungeachtet Träger des Grundrechtes auf Religionsfreiheit?

Wenn ja, dann nehmen die Eltern dieses Recht lediglich stellvertretend für ihre religionsunmündigen Kinder wahr. Konkret bedeutet das, dass beispielsweise die Beschneidung oder auch die Taufe eines Kindes dann nicht Ausfluss der Religionsfreiheit der Eltern ist, sondern der (positiven) Religionsfreiheit der Kinder, die hier von den Eltern stellvertretend für diese wahrgenommen wird - als Ausfluss des Erziehungsrechtes der Eltern.

Vielleicht wird hier auch deutlich, warum ich auf diesem Punkt herumreite - wenn die rechtliche Grundlage einer Beschneidung oder Taufe nicht das Recht auf Religionsfreiheit der Eltern ist, sondern deren Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, dann unterliegt die Ausübung dieses Rechts der Ausgestaltung der elterlichen Sorge durch das BGB - hier insbesondere § 1627, wonach die elterliche Sorge zum Wohl des Kindes auszuüben ist. Dann kommen wir auch zu dem Punkt, wo hier in diesem Fall mE der Hund begraben liegt - nämlich bei der Frage, ob eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung dem Wohl des Kindes dient. Diese Frage ist es mE, die ggf. richterlich entschieden werden muss - und über deren Beantwortung wir hier in diesem Brett sicherlich nicht zu einem Konsens finden werden. Deutlich zu machen, dass es letztlich um diese Frage geht - und dass ein Gericht in Deutschland aufgrund der weltanschaulichen Neutralität, zu der es verpflichtet ist, hier keine genuin religiösen Argumente in entscheidungserheblicher Weise in Betracht ziehen darf - erscheint mir zur Versachlichung der Diskussion schon sinnvoll.

Wenn die Frage, ob religionsunmündige Kinder Grundrechtsträger des Rechts auf Religionsfreiheit sind, mit ‚nein‘ zu beantworten wäre, dann und nur dann wäre Rechtsgrundlage für Beschneidung oder Taufe die Religionsfreiheit der Eltern. Dann würden in der Tat, wie Du schreibst, „verschiedene Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander kollidieren“ - nämlich das Recht auf Religionsfreiheit der Eltern einerseits und das des Kindes auf körperliche Unversehrtheit (dass es zumindest in Bezug auf dieses Recht Grundrechtsträger ist, ist ja zweifelsfrei) andererseits.

Natürlich ist diese Kollision auf jeden Fall gegeben (auch wenn dem Kind nicht das Recht auf Religionsfreiheit zukäme) und bei der Rechtsgüterabwägung zu berücksichtigen. Genau wie auch das Erziehungsrecht der Eltern in Betracht zu ziehen ist (in der Urteilsbegründung wird ja u.a. auch auf § 1627 BGB rekurriert).

Der wesentliche Unterschied ist allerdings, dass im ersten Fall mE nicht schlüssig geltend gemacht werden kann, das Urteil greife in die Religionsfreiheit der Eltern ein. Es griffe vielmehr in das Recht der Eltern ein, das Recht auf Religionsfreiheit der Kinder stellvertretend wahrzunehmen. Ein meines Erachtens gar nicht so unwesentlicher Unterschied - zumal in der Öffentlichkeit von sich berufen fühlenden Funktionsträgern aus Politik und Religion penetrant und undifferenziert von einer Einschränkung der Religionsfreiheit schwadroniert wird. Das darf man mE durchaus völlig anders sehen - nämlich dass das Urteil religionsunmündige Kinder vor einer ihrem Wohl zuwider laufenden und somit missbräuchlichen Ausübung ihres Rechts auf Religionsfreiheit durch ihre Eltern schützt. Ob das Urteil nun das Rechtsgut Religionsfreiheit einschränkt oder ob es dieses nicht vielmehr schützt - das ist schon ein bedeutsamer Unterschied und genau dies ist der Grund meines Insistierens auf Klärung der gestellten zugegeben sehr abstrakten rechttheoretischen Fragen.

Anderes Thema, aber dazu passend: Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime hat angekündigt, die Frage der rituellen Beschneidung über den Instanzenweg vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen und so einen Präzedenzfall zu schaffen. Man darf auf die - im Vergleich zur Kölner Urteilsbegründung - sicherlich deutlich gehaltvollere Urteilsbegründung gespannt sein - wird sich aber doch mit einiger Geduld wappnen müssen.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Eli,

die Bilder machen deutlich dass es sich um einen, wenn auch kleinen, operativen Eingriff handelt. Dieser Eingriff ist allerdings nachgewiesener maßen auch für Neugeborene mit sehr großen Schmerzen verbunden. Da bist Du sicherlich derselben Meinung. Allein diese Schmerzen können schwerwiegende Nebenwirkungen verursachen. Das man für Neugeborene keine Vollnarkose anwendet ist wie Du selbst sagst nur dem Umstand zu verdanken, dass diese zu Risikoreich wäre für Babies unter einem Jahr. Bei älteren Kindern wird aber vorzugsweise eine Vollnarkose verwendet. Warum wohl? Das liegt u. a. daran, dass dann die Vollnarkose geringere Nebenwirkungen, angefangen von unzureichender Betäubung des Schmerzes, hat als die Möglichkeiten die für diesen speziellen Eingriff mit lokaler Anästhesie zur Verfügung stehen. D. h. würde eine Vollnarkose bei Neugeborenen verwenden können, dann wäre dies die Methode der Wahl.

Ich finde es aus all diesen Gründen überaus sachlich festzustellen, dass man derartige nicht medizinisch indizierten Eingriffe an Kleinkinder besser ganz und gar bleiben lässt.

Gruß
Grin

P.S.: Dass man es zunächst erschreckend findet wenn man hört dass diese Eingriffe bei Babies ohne Vollnarkose durchgeführt werden mag nicht sachlich begründet sein, ist aber meines Erachtens durchaus nachvollziehbar.

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Hallo,

auch wenn die Erörterung des rechtlichen
Hintergrundes auf diesem Abstraktionsniveau bei den anderen
Mitdiskutanten wohl nur noch auf wenig Interesse stoßen
dürfte.

Ganz im Gegenteil, was mich angeht. Das nenne ich eine sachbezogene, nicht religiös vernebelte Hinterfragung des Geschehenen.

Jo