nachgebohrt
Hallo Benvolio,
zunächst einmal Danke für die Zeit und Mühe, die Du meinen Fragen widmest - und eine Bitte um Nachsicht, wenn ich doch noch einmal nachhake, auch wenn die Erörterung des rechtlichen Hintergrundes auf diesem Abstraktionsniveau bei den anderen Mitdiskutanten wohl nur noch auf wenig Interesse stoßen dürfte.
Zunächst - mir ist bewusst, dass Du hier Urteil und Begründung erläuterst und keine eigene Rechtsposition vertrittst. Ich für meinen Teil sehe - so richtig ich das Urteil im Ergebnis halte - in der Begründung allerdings ein Manko, insofern als die Religionsfreiheit des Kindes ignoriert wird - das war ja auch schon angesprochen.
Auf meine Frage nach den Schranken der Religionsfreiheit
beinhaltet das Recht auf positive Religionsfreiheit, also ungestörte Ausübung einer frei gewählten Religion, Deines Wissens tatsächlich auch das Recht, andere Personen ohne deren Einwilligung zum Objekt dieser Religionsausübung zu machen?
antwortest Du u.a.:
Rechtlich ist relevant, dass verschiedene Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander kollidieren
Nun trifft das sicher auch zu. Ich wollte allerdings mit meiner Fragestellung auf etwas anderes hinaus - nämlich, dass hier nach meiner Auffassung nicht nur verschiedene, sondern auch identische Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander kollidieren (was sicherlich nicht rechtlich irrelevant ist). Konkret: die Religionsfreiheit in ihrer positiven Form eines Grundrechtsträgers mit der Religionsfreiheit in negativer Form eines anderen.
Insofern halte ich meine oben nochmals wiederholte Frage für durchaus beantwortbar - das Recht auf freie Religionsausübung eines Trägers dieses Grundrechtes findet seine Schranke in dem Recht auf negative Religionsfreiheit anderer Grundrechtsträger. Die Frage wäre mithin zu verneinen - vorausgesetzt, dass der positiven Religionsfreiheit des einen Grundrechtsträgers nicht ein größeres Gewicht beigemessen wird als der negativen der anderen.
Somit meine anschließende Frage: ist diese Voraussetzung rechtstheoretisch gegeben?
Um nun auf unseren Fall zurückzukommen, so schließt sich hier meine nächste Frage an: ist ein religionsunmündiges Kind (d.h. unter dem Alter von 12 Jahren, ab dem es das Recht auf negative Religionsfreiheit selbst wahrzunehmen berechtigt ist) dessenungeachtet Träger des Grundrechtes auf Religionsfreiheit?
Wenn ja, dann nehmen die Eltern dieses Recht lediglich stellvertretend für ihre religionsunmündigen Kinder wahr. Konkret bedeutet das, dass beispielsweise die Beschneidung oder auch die Taufe eines Kindes dann nicht Ausfluss der Religionsfreiheit der Eltern ist, sondern der (positiven) Religionsfreiheit der Kinder, die hier von den Eltern stellvertretend für diese wahrgenommen wird - als Ausfluss des Erziehungsrechtes der Eltern.
Vielleicht wird hier auch deutlich, warum ich auf diesem Punkt herumreite - wenn die rechtliche Grundlage einer Beschneidung oder Taufe nicht das Recht auf Religionsfreiheit der Eltern ist, sondern deren Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, dann unterliegt die Ausübung dieses Rechts der Ausgestaltung der elterlichen Sorge durch das BGB - hier insbesondere § 1627, wonach die elterliche Sorge zum Wohl des Kindes auszuüben ist. Dann kommen wir auch zu dem Punkt, wo hier in diesem Fall mE der Hund begraben liegt - nämlich bei der Frage, ob eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung dem Wohl des Kindes dient. Diese Frage ist es mE, die ggf. richterlich entschieden werden muss - und über deren Beantwortung wir hier in diesem Brett sicherlich nicht zu einem Konsens finden werden. Deutlich zu machen, dass es letztlich um diese Frage geht - und dass ein Gericht in Deutschland aufgrund der weltanschaulichen Neutralität, zu der es verpflichtet ist, hier keine genuin religiösen Argumente in entscheidungserheblicher Weise in Betracht ziehen darf - erscheint mir zur Versachlichung der Diskussion schon sinnvoll.
Wenn die Frage, ob religionsunmündige Kinder Grundrechtsträger des Rechts auf Religionsfreiheit sind, mit ‚nein‘ zu beantworten wäre, dann und nur dann wäre Rechtsgrundlage für Beschneidung oder Taufe die Religionsfreiheit der Eltern. Dann würden in der Tat, wie Du schreibst, „verschiedene Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander kollidieren“ - nämlich das Recht auf Religionsfreiheit der Eltern einerseits und das des Kindes auf körperliche Unversehrtheit (dass es zumindest in Bezug auf dieses Recht Grundrechtsträger ist, ist ja zweifelsfrei) andererseits.
Natürlich ist diese Kollision auf jeden Fall gegeben (auch wenn dem Kind nicht das Recht auf Religionsfreiheit zukäme) und bei der Rechtsgüterabwägung zu berücksichtigen. Genau wie auch das Erziehungsrecht der Eltern in Betracht zu ziehen ist (in der Urteilsbegründung wird ja u.a. auch auf § 1627 BGB rekurriert).
Der wesentliche Unterschied ist allerdings, dass im ersten Fall mE nicht schlüssig geltend gemacht werden kann, das Urteil greife in die Religionsfreiheit der Eltern ein. Es griffe vielmehr in das Recht der Eltern ein, das Recht auf Religionsfreiheit der Kinder stellvertretend wahrzunehmen. Ein meines Erachtens gar nicht so unwesentlicher Unterschied - zumal in der Öffentlichkeit von sich berufen fühlenden Funktionsträgern aus Politik und Religion penetrant und undifferenziert von einer Einschränkung der Religionsfreiheit schwadroniert wird. Das darf man mE durchaus völlig anders sehen - nämlich dass das Urteil religionsunmündige Kinder vor einer ihrem Wohl zuwider laufenden und somit missbräuchlichen Ausübung ihres Rechts auf Religionsfreiheit durch ihre Eltern schützt. Ob das Urteil nun das Rechtsgut Religionsfreiheit einschränkt oder ob es dieses nicht vielmehr schützt - das ist schon ein bedeutsamer Unterschied und genau dies ist der Grund meines Insistierens auf Klärung der gestellten zugegeben sehr abstrakten rechttheoretischen Fragen.
Anderes Thema, aber dazu passend: Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime hat angekündigt, die Frage der rituellen Beschneidung über den Instanzenweg vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen und so einen Präzedenzfall zu schaffen. Man darf auf die - im Vergleich zur Kölner Urteilsbegründung - sicherlich deutlich gehaltvollere Urteilsbegründung gespannt sein - wird sich aber doch mit einiger Geduld wappnen müssen.
Freundliche Grüße,
Ralf