Hallo allerseits,
endlich wieder einmal eine wichtige und notwendige Diskussion hier, die insbesondere das aktuelle Verhältnis von Staat und Religion in unserem Land berührt. Zunächst einmal - das Urteil des Kölner Landgerichts hat kein neues Recht geschaffen und auch nicht die Rechtslage geändert. Es hat lediglich etwas längst Überfälliges getan - nämlich klargestellt, wie eigentlich die Rechtslage ist.
Danach ist zunächst einmal jeder chrirugische Eingriff eine Körperverletzung - egal, ob eine medizinische Indikation vorliegt (z.B. ein Blinddarmdurchbruch) oder nicht (z.B. bei einem Zungenpiercing). Nun meint zwar der Bundesrichter und StGB-Kommentator Thomas Fischer, ausgerechnet bei Beschneidung aus religiösen Gründen träfe dies nicht zu, vermag dies aber nicht argumentativ zu stützen sondern beruft sich lediglich auf die nebulöse „herrschende Meinung“. Natürlich ist dies Unfug - der Tatbestand einer Körperverletzung ist ein objektiver und nicht durch die Motivation des Verletzers bestimmt. Wenn eine Zirkumzision z.B. zur Behebung einer Phimose eine Körperverletzung ist, dann ist sie es erst recht, wenn sie einzig aus dem Grund vorgenommen wird, weil das in der Thora (Gen 17,10–14) so verlangt wird.
Entscheidend ist lediglich, ob der von der Körperverletzung Betroffene in diese nach hinreichender ärztlicher Aufklärung über mögliche Konsequenzen und Risiken des Eingriffs einwilligt oder - falls ihm dieses objektiv nicht möglich ist - ob davon ausgegangen werden muss, dass er dieses täte. Bei Kindern, denen die erforderliche Einsichtsfähigkeit noch fehlt, steht dieses Einwilligungsrecht den Eltern zu. Dieses Einwilligungsrecht hat jedoch seine Schranken im Wohl des Kindes - d.h. die Körperverletzung, in die eingewilligt wird, muss unzweifelhaft(!) im Eigeninteresse des Kindes liegen. In diesem Zusammenhang ist übrigens auch darauf zu verweisen, dass es ja durchaus auch vorkommt, dass Eltern ihre Zustimmung zu medizinisch gebotenen Eingriffen gelegentlich auch schon einmal aus religiösen Gründen verweigern - dafür hat die Öffentlichkeit merkwürdigerweise deutlich weniger Verständnis als für die Befürworter der Kindesbeschneidung. Im Gegenteil - man findet es völlig in Ordnung, wenn hier der Staat eingreift und an Stelle der Eltern das wohlverstandene Interesse des Kindes wahrnimmt.
An dieser Sachlage gehen die ganzen empörten Argumentationen des Zentralrats der Juden, des Koordinationsrates der Muslime und der Vertreter von Bischofskonferenz und EKD völlig vorbei. Was gerade die Christen angeht, so ist nur zu deutlich, dass man da (wie auch in der Zensurfrage) begierig die Schützenhilfe insbesondere der Muslime annimmt, wenn sich eine Chance bietet, das Rad der Zeit ein Stück zurück in Richtung Mittelalter zu drehen.
Wir haben hier zwei konkurrierende Rechte - das Recht von Eltern, über die religiöse Erziehung ihrer religionsunmündigen Kinder zu entscheiden und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit. Erstens hat das zweite Rechtsgut einen deutlich höheren Rang als das erste, zweitens wird durch eine Gewichtung zugunsten des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit die elterliche Religionsfreiheit ja nicht aufgehoben, sondern lediglich in einem Detail beschränkt. Die Rechtsgüterabwägung des Kölner Landgerichts ist mithin nicht zu beanstanden - wie schon gesagt, wurde da lediglich die objektive Rechtslage verdeutlicht, so dass Ärzte, die aus Gefälligkeit oder persönlicher religiöser Überzeugung heraus Beschneidungen ohne medizinische Indikation vornehmen, sich künftig nicht mehr auf einen Verbotsirrtum berufen können.
Wenn man dies für unzumutbar hält, muss man die Rechtslage ändern. Dabei stellt sich jedoch ein gewichtiges Problem - nämlich das der Gleichheit vor dem Gesetz. Es kann und darf keine Sonderrechte für Juden und Moslems geben - weder solche, die sie vor anderen Bürgern privilegieren noch solche, die sie im Vergleich zu anderen Bürgern benachteiligen. Das sollten sich gerade die Herren Graumann und Mayzek doch bitteschön einmal deutlich bewusst machen. Auch dürfen für männliche Kinder keine anderen Gesetze gelten als für weibliche. Wenn die ausschließlich religiös motivierte Beschneidung von Jungen offiziell legalisiert wird, warum dann nicht auch die von Mädchen? Die Argumentation von Petra weiter unten ist doch völlig abwegig - natürlich würden diese Eingriffe in Deutschland nicht von ungewaschenen religiösen Fanatikerinnen mittels Glasscherbe ausgeführt, sondern in einem sterilen OP nach allen Regeln der ärztlichen Kunst und unter örtlicher Betäubung. Warum also nicht? Und wenn wir Juden und Muslimen das Recht, ihre Kinder beschneiden zu lassen, zugestehen wollen - können wir ein solches Recht dann z.B. einem afrikanischen Migranten verweigern, der möglicherweise der Ansicht ist, seine Nachkommen mit einer schicken Skarifizierung religiös initiieren zu müssen?
Es geht doch um eine Grundsatzfrage und diese ist auch nur grundsätzlich zu regeln. Die Frage lautet: wo findet das Recht von Eltern, ihren Kindern einen Eingriff in deren körperliche Integrität zuzumuten bzw. ihnen einen solchen zu verweigern, seine Grenzen? Die Grenze ist - absolut vernünftig - bei einem objektiven Kriterium gesetzt, nämlich beim Fehlen bzw. Vorliegen einer zwingenden medizinischen Indikation. Das ist eine ziemlich eindeutige Grenze, die in diesem Punkt für Rechtssicherheit sorgt. Wenn man hingegen grundsätzlich Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit von Kindern (Körperverletzungen) aus religiösen Gründen zulassen will (und diese Gründe haben - wohlgemerkt - die Eltern , nicht die Kinder ), ist jeglichem Unfug Tür und Tor geöffnet. Wenn Juden ihre Knaben beschneiden lassen dürfen - warum sollte ich dann nicht z.B. zur Religion der Maori konvertieren und dann, um sicherzustellen, dass auch mein Sohn frühzeitig mit seiner Religion vertraut gemacht wird, ihm eine rituelle Gesichtstätowierung verpassen lassen dürfen? Oder ich bin bekennender Satanist und bestehe darauf, meiner als Mondkind gezeugten Tochter zwei kleine Hörner aus Edelstahl unter die Haut transplantieren zu lassen … Sicher extreme Beispiele - aber das Problem ist doch, wo und vor allem wie man da eine rechtliche Grenze ziehen will, ohne den Gleichheitsgrundsatz zu verletzen. Der Staat hat - vernünftigerweise - nicht das Recht, zwischen ‚vernünftigen‘ und ‚unvernünftigen‘ Religionen zu unterscheiden. Nicht zuletzt, weil es unmöglich wäre, eine solche Unterscheidung mit objektiven Kriterien zu begründen.
Man muss wahrlich nicht alles erlauben, nur weil es religiös motiviert ist. Auch Kannibalismus war einmal eine altehrwürdige religiöse Tradition mit jahrtausendelanger Geschichte und die alten Karthager fanden es völlig normal und angebracht, in Krisenzeiten ihre Kinder gleich dutzendweise zu verbrennen. Schon gar nicht muss man Dinge erlauben, wo eine Entscheidung von nicht selbst Betroffenen über die körperliche Unversehrtheit von ihnen anvertrauten Personen getroffen wird - auch, wenn sie es noch so gut meinen.
Hier existiert ein nach meiner Auffassung unauflöslicher Konflikt - der Staat hat (glücklicherweise) keine Befugnis, über das religiöse Heil von Kindern zu entscheiden. Das sollten gerade religiöse Minoritäten zu schätzen wissen. Er nimmt sich jedoch das Recht heraus, seinen Bürgern - auch den unmündigen - das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zu garantieren und diese Garantie notfalls mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Ggf. auch gegen den Willen der Eltern - ob es sich da nun um medizinische Eingriffe oder um brutale ‚Erziehungsmaßnahmen‘ handelt.
Freundliche Grüße,
Ralf