Hello again,
vielen Dank für die ausführliche Abhandlung. Unglaublich interessant.
„Persönliche Weiterentwicklung“ und „individuelle Komfortzone“
sind etwas diffuse Konstrukte.
Persönliche Weiterentwicklung:
Ich meine damit, man sollte nicht hinter seinen Möglichkeiten und Potentialen zurückbleiben, wenn es nicht unbedingt sein muss, sondern all seine Anlagen und Fähigkeiten ausschöpfen - soweit möglich.
individuelle Komfortzone:
Mit Komfort-Zone meine ich, dass wir uns in unserem Leben „eingerichtet“ haben, uns irgendeine Form von „Behaglichkeit“ und „Sicherheit“ geschaffen haben - selbst wenn wir leiden! Es bedeutet gerade nicht, dass wir damit zufrieden und glücklich sind. Es bedeutet viel mehr, dass uns mangels alternativer Erfahrung jegliche Vorstellung fehlt, wie es ohne den Trott sein könnte. Menschen, die alternative Erfahrungen haben, haben es einfacher mit der Veränderung.
Was das nun mit der „Komfortzone“ zu tun hat?
Ohne Ausprobieren gibt es keine Veränderung, aber ausprobieren
kann auch unangenehm sein.
Aber so findet man heraus, ob es einem gefällt oder nicht
Das ist jetzt auch wieder so eine Sache. Selbst wenn ich weiß, was ich ausprobieren will, ist dieses Vorhaben ja auch wieder predeterminiert und womöglich nicht authentisch.
Man fragt sich in Wirklichkeit ja nicht, was interessiert mich, sondern, welche Interessen könnten mir im Leben nutzen, mit welchen Interessen kann ich bei anderen punkten. Fallschirmspringen ist da z. B. viel prestigeträchtiger, als ein Bastelkurs im Pfarrheim.
Wir stammen nicht von
Organismen ab, die in Situationen geblieben sind, die sie als
unangenehm empfunden haben.
Es stellt sich die Frage: Ist eine Situation in objektiger Hinsicht unangenehm für uns, weil wir sie als unangenehm erleben?
Beispiel: Jemand hat lange Zeit in einer großes Stadt gelebt und zieht später in eine ländliche Kleinstadt.
Er fühlt sich dort sehr unwohl und einsam. Die Gegend gefällt ihm nicht und auch der Menschenschlag liegt ihm so gar nicht.
Der „normale“ Weg wäre nun zu sagen: O.k. mir gefällt es hier nicht, ich fühle mich unwohl, deshalb ziehe ich wieder zurück in meine alte Heimatstadt. Dort gefällt es mir und ich habe dort viele Freunde.
Man könnte aber auch hinterfragen: Warum gefällt es mir in der neuen Umgebung nicht? Von welchen Annahmen gehe ich aus? Warum halte ich die Menschen für langweilig und bieder? Ist das objektiv wirklich so?
Kurz: Gefällt es mir in der neuen Umgebung zurecht nicht oder sehe ich nur alles Grau in Grau.
Könnte es nicht auch eine Herausforderung sein, in einer fremden Stadt, in der man sich unwohl und einsam fühlt, neue Freunde zu finden und sich nach und nach einzuleben?
Der angenehme Weg wäre also, in die alte Heimatstadt zurückzugehen. Der bessere Weg (für die persönliche Weiterentwicklung) könnte aber der schwierigere Weg in der neuen Stadt sein.
In diesem Zusammenhang fällt mir noch was ein:
Mein jüngerer Bruder hatte in seiner Studentenzeit eine ziemlich heruntergekommene Bude. Sie war zwar bezahlbar, aber wirklich sehr häßlich und schäbig.
Er wurde von seinen Freunden gehänselt, weil er in so einem Loch gehaust hat und er fühlte sich auch nicht wohl.
Dann kam wohl heraus, dass Mitte der 60er Jahre ein später berühmt gewordener US-amerikanischer Rockstar in dieser Wohnung geboren worden sein soll. Seine Mutter hatte wohl kurz in Deutschland gelebt und ist in die Vereinigten Staaten zurück, als das Kind 2 Jahre alt war.
Und plötzlich war das eine total coole Bude, um die mein Bruder beneidet wurde. Genau die gleiche häßliche Bleibe, war plötzlich unglaublich hipp, nur weil (angeblich) ein späterer Rockstar darin geboren worden sein soll.
Dabei ist es auch völlig egal, ob die Geschichte stimmt oder nicht. Allein der Glaube, dass in dieser Wohnung eine berühmte Person geboren worden ist, reicht schon aus.
Was sagen Sie dazu?
Wie bereits erwähnt, interpretiert und bewertet das menschliche Gehirn in jeder Sekunde unserer Existenz die Wirklichkeit.
Die Art und Weise der Interpretation, bzw. der Bewertungen hängt wieder von vielen Faktoren und Voraussetzungen ab. Welche Erfahrungen habe ich bisher im Leben gemacht, wie war mein Elternhaus, die Schule, etc.
So gelangen wir zu unserem Werte- und Glaubenssystem.
Dieses könnte sich aber - rein theoretisch - auch völlig anders entwickelt haben, wenn man eben entsprechend andere Erfahrungen in einer anderen Umgebung in einem anderen Land mit anderen Menschen gemacht hätte.
Folglich ist unser Glaubens- und Wertesystem kein ehernes Gesetz, es ist vielmehr zustande gekommen, aufgrund zufälliger Umstände und Begebenheiten. Wir könnten es zumindest überprüfen. Dazu müssen wir aber erst erkennen, dass dies überhaupt möglich ist.
Meine beste Freundin wollte z. B. nie heiraten und zwar aus Imagegründen. Sie fand Heiraten langweilig und spießig. Dann kam der Richtige und sie hat doch geheiratet und ist glücklich damit. Wir haben uns neulich darüber unterhalten und sie sagte sinngemäß, dass sie früher gegen Heiraten eingestellt war, weil sie völlig falsche Vorstellungen davon hatte, wie eine Ehe ist, bzw. sein kann
Wenn man sich „weiterentwickeln“ will, sollte man erkennen was
man eigentlich erreichen will und ob man den Aufwand erbringen
will, dann konkrete Ziele formulieren (eine übliche Praxis am
Anfang einer Psychotherapie) und Pläne zu deren Erreichung
ersinnen.
Wieder sehr interessant. Kann man überhaupt wissen, was man will?
Wann ist man wirklich man selbst und wie merkt man das? Woher weiß man, wie man wirklich ist?
Es ist unendlich schwer, bzw. vielleicht sogar unmöglich auseinanderzudröseln, welche Wünsche und Ansichten von mir selbst stammen und welche von der Gesellschaft, von Freunden, von der Familie von den Medien, etc. in einen hineingelegt worden sind.
Studieren Menschen Jura und BWL weil sie es wollen oder weil sie wissen, dass es die Eltern wollen? Wollen junge Frauen Supermodels werden, weil sie die Tätigkeit an sich interessiert oder weil sie Aussicht auf Reichtum und Berühmtheit verspricht?
Fragen über Fragen…
Viele Grüße, Hilde