Verschiedene Höhenängste

Für Kurzfassung nur Fettschrift lesen. Versuche hier eine neue Mode einzurichten.

Hallo!

In den umfangreichen Listen der Phobien findet man die Höhenangst/Akrophobie als einen einzelnen Posten. Die verschiedenen Ängste, die sich in der Nähe von Abgründen einstellen, sind aber sehr spezifisch.

  • Die Angst vor Höhe an sich.
  • Die Angst, versehentlich hinabzustürzen, indem man z. B. stolpert oder in Ohnmacht fällt.
  • Die Angst, durch Versagen eines Dritten bzw. durch Materialermüdung (z. B. im Skilift) herabzustürzen.
  • Die Angst, dem Sog der Tiefe zu erliegen, und sich selbst hinabzustürzen.

Die vierte Angst ist doch grundverschieden von den ersten dreien. Nicht nur in ihrer Begründung, sondern auch in ihrer Ausprägung.

  • Da die vierte Angst auch 10 Meter vom Abgrund entfernt wirksam ist.
  • Da es weniger die Angst davor ist, den Tod zu finden, als davor, den Tod zu suchen.

Damit unterscheidet sich diese Angst wohl auch in ihrer Therapie. Wenn es denn überhaupt als Phobie gilt, oder eine überstarke Sensibilität gegenüber diesem Sog der Tiefe ist.

Ist diese vierte Art…
…der starke Drang dazu und die Angst davor unvermittelt einen 10 Meter Sprint hinzulegen, sich übers Geländer zu schwingen, um unten auf dem Asphalt aufzuschlagen….
…nun wirklich Akrophobie? Bei meiner Internet-Recherche, auf der Suche nach dem treffenden Begriff, habe ich festgestellt, dass diese Art häufig mit dem Drang verbunden ist, teure Geräte, Mobiltelefone… einen Abgrund herunter oder in ein Gewässer zu schmeißen.

Daher betrachte ich es eher als eine Angst vor oder einen Drang zur Selbstzerstörung. Da ich nun viele Fallbeispiele gelesen habe, und das Phänomen offenbar nicht selten ist, wundert es mich, dass ich nirgendwo einen spezifischen Begriff dafür finden kann. Kennt jemand den entsprechenden Begriff? Ist es überhaupt eine Angst oder etwas Zwanghaftes? Kann mir jemand eine gute Lektüre zum Thema empfehlen? Kann jemand den Unterschied zwischen Bathophobie und Akrophobie und anderen Formen der Höhenangst erklären?

Vielen Dank
Peter

Hallo Peter,

ich fange mal von hinten an: Ich würde sagen, dass Du Akrophobie und Bathophobie synonym verwenden kannst. Weitere Synonyme wären Hypsophobie, Hypsiphobie, Altophobie.

Meiner Meinung ist der Grund, warum Du keinen unabhängigen Fachterminus für die Angst, „dem Sog der Tiefe zu erliegen, und sich selbst herabzustürzen“ findest der, dass es keine „unabhängige“ Angststörung ist, sondern „nur“ eine Ausprägung der „Höhenangst“.

Kennzeichnend für die Akrophobie sind natürlich „klassische“ Angstsymptome wie Angstgefühl, Schwindel, Herzrasen, Muskelanspannung, Atemnot, usw. aber es kann auch zu einem Depresonalisationserleben kommen. Das bedeutet, dass der Betroffene seine Person (und damit auch seinen Körper) als verändert, fremd, unwirklich und/oder nicht zu sich gehörig empfindet.

„Kernproblem“ des Akrophobikers bleibt somit die Angst, vor dem Fall und dem unweigerlichen Sterben. Ganz gleich, ob das nun ausgelöst wird duch das Brechen des Geländers, der Zerbrechen des Bodens, dem Einsturz des Hauses oder eben durch das „Versagen“ des eigenen Körpers.

Ich denke, bestenfalls könnte man dies als besondere Ausprägung der Grundstörung interpretieren, aber nicht unbedingt als eigenständige Erkrankung. Zumal diese Facette der Störung eben auch nur in der Höhe auftritt und nicht schon am Eingang des Turms. Dein Verweis es würde auch in 10 Metern Entfernung vom Klippenrand schon zur Angst kommen gilt, meiner Meinung nach, auch für die „klassische“ Höhenangstvariante: Je näher ein Phobiker der angstauslösenden Situation kommt, desto größer wird die Erwartungsangst.

Hoffe, ich konnte etwas weiterhelfen.

Beste Grüße!
TAndrija

Hallo Tandrija!

Vielen Dank und * für deine Antwort! Sie hat mir vor allem auch dabei geholfen, meine Gedanken in dieser Sache zu ordnen. Ich denke, ich habe mit dem Begriff der Phobie möglicherweise schon etwas in der Frage angelegt, was mit der Frage gar nicht so viel zu tun hat. Das werde ich unten näher erklären.

Die Begriffe Akrophobie („Gipfelangst“) und Bathophobie („Tiefenangst“) werden tatsächlich in vielen Artikeln synonym verwendet. In anderen Artikeln und Wörterbüchern werden beide aber unterschieden. Das hat mich irritiert.

Hier findet man verschiedene Definitionen für Bathophobie, unter anderem die „Furcht vor dem Einstürzen von Bauten“, die ich mal außen vor lassen möchte. Die übrigen Definitionen, vor allem diese:

„Krankhafte Furcht und Schwindelgefühl beim Blick in die Tiefe mit dem Erlebnis der Tiefe als Abgrund und gleichzeitigem Erleben eines Zuges in diesen Abgrund.“

…insbesondere der von mir unterstrichene Teil, geben ganz gut wieder, auf was ich hinaus will. Das „Erleben eines Zuges in den Abgrund“ geht der Furcht ja voraus. Anders als z. B. bei einer Spinnenphobie wird man hier nicht vom Motiv der Angst abgestoßen sondern massiv angezogen. Und die Angst bzw. das Misstrauen richtet sich gar nicht so sehr auf den Abgrund, sondern auf den eigenen (mit dem Sprung liebäugelnden) Willen. Das hat wahrscheinlich Anteil an der Depersonalisation, die du angesprochen hast.

Aber das Misstrauen dem Willen gegenüber kommt ja nicht von ungefähr. Ich erinnere an die vielen Sprünge von der Golden-Gate-Bridge, deren wenige Überlebende teilweise davon berichteten, nicht in suizidaler Absicht gehandelt zu haben, sondern alleine dem Sog der Tiefe erlegen zu sein. Ich denke also, die Angst ist hier gar nicht das pathologische Element, sondern das überstarke Erleben des Zuges in den Abgrund (den ja bis zu einem gewissen Grad jeder Nicht-Schwindelfreie kennt).

Ich hab mich jetzt mit einigen Höhenängstlichen unterhalten, und in Internetforen einige Erfahrungsberichte gelesen. Und dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass es sich bei der klassischen Höhenangst und der von mir geschilderten um zwei sehr verschiedene psychische Zustände handelt.

Der klassisch Höhenängstliche fürchtet durch eine Schwachstelle (des Materials, eines Dritten oder des eigenen Körpers) zu stürzen. Die Höhenangst wird durch das Element, worin der Betroffene gewöhnlich die Schwachstelle vermutet, getriggert. Der Höhenängstliche, der fürchtet zu stolpern, wird in seiner Angst durch das Vorhandensein eines Geländers ein wenig besänftigt. Der Höhenängstliche, der die Schwachstelle im Material vermutet, wird durch eine lose Schraube oder eine abgelaufene TÜV-Etikette zusätzlich verängstigt.

Der „anders Höhenängstliche“ verspürt den starken Drang sich hinabzustürzen und kämpft dagegen an. In Anbetracht dessen wie stark er diesen Drang spürt, ist die nachfolgende Angst ihm nachzugeben, gar nicht irrational. Viele Betroffene verspüren einen ähnlichen Drang an Gewässern. Und viele verspüren den Drang Wertgegenstände ins Wasser oder in den Abgrund zu werfen. Auch weil diese Dinge so oft damit einhergehen, würde ich dieses Phänomen von der klassischen Höhenangst trennen.

Vielleicht ist das zweite also gar keine klassische Phobie? Vielleicht eher eine Bathomanie oder wie man es auch nennen mag. Mich wundert einfach, dass ich für diesen Zustand, der so häufig auftritt und so viele Implikationen hat, (mal abgesehen von der genauen Begrifflichkeit) keine ausführliche Beschreibung finden kann.

Vielen Dank
Peter

PS: Entschuldige bitte, dass meine Nachfrage zu so einem Wortschwall angewachsen ist.

1 Like

Angst und Faszination
Hallo Peter,

daß alle die unterschiedlichen Szenarien von Akrophobie als Varianten derselben zu Grunde liegenden Dosposition gesehen werden können, hat TAndrija ja schon ausgeführt.

Ob der Zusammenbruch des Geländers, oder ein mögliches Stolpern, ein Versagen der Beinmuskeln usw. die Angstatmosphäre konturiert, oder der Gedanke, dem „Sog der Tiefe“ unkontrollierbar nachgeben zu können: In beiden Fällen ist das (physikalische) Vorhandensein der Tiefe vorausgesetzt, auch im ersteren.

Über eine Bordsteinkante zu balancieren ist ohne weiteres möglich, ohne auf die Straße „hinabzustürzen“, Über einen Baumstamm, der am Wegrand liegt, ebenfalls. Aber nicht, wenn er einen reißenden Bergbach in der Tiefe überquert, obwohl die Situation physikalisch dieselbe ist.

Das Bewußtsein der Tiefe bringt den Unterschied. Und dies ist auch die Brücke zu der tatsächlich davon - nur formal(!) - zu unterscheidenden Disposition der Ansgt davor, freiwillig hinabzuspringen.

Im Gegensatz zu landläufigen Interpretationen scheint mir keineswegs die Angst vor dem sicheren Tod das Ausschlaggebende dieser Atmosphären zu sein, sondern der vorgestellte Kontrollverlust. Und Kontrollverlust hat nicht nur eine phobische Valenz, sondern auch eine libidinöse.

Vielleicht gibt dir diese Ausführung über die Ambivalenz von Angst und Faszination einen Hinweis:
[Faszinosum Tiefe]
/t/tiefe-zieht-mich-an/3583527/9

Gruß
Metapher

Hallo Pedter, hallo Metapher,

„Krankhafte Furcht und Schwindelgefühl beim Blick in die Tiefe
mit dem Erlebnis der Tiefe als Abgrund und gleichzeitigem
Erleben eines Zuges in diesen Abgrund.“

…insbesondere der von mir unterstrichene Teil, geben ganz
gut wieder, auf was ich hinaus will. Das „Erleben eines Zuges
in den Abgrund“ geht der Furcht ja voraus. Anders als z. B.
bei einer Spinnenphobie wird man hier nicht vom Motiv der
Angst abgestoßen sondern massiv angezogen. Und die Angst bzw.
das Misstrauen richtet sich gar nicht so sehr auf den Abgrund,
sondern auf den eigenen (mit dem Sprung liebäugelnden) Willen.
Das hat wahrscheinlich Anteil an der Depersonalisation, die du
angesprochen hast.

Dein Gedankengang ist mir klar, allein meine Interpretation des „Erleben eines Zuges in den Angrund“ ist eine andere: Du gehst eher davon aus, dass mit der Anziehung etwas „Attraktives“ verbunden ist; im Sinne einer Anziehungskraft, der man sich „hingibt“. Ich verstehe das eher als etwas Negatives im Sinne eines Soges, einer Anziehungskraft, der man nicht widerstehen kann, auch wenn man dagegen ankämpft (eher im Sinne eines Strudels, oder reißendes Flusses). Ich glaube ersteres trifft bei einem Phobiker nicht zu. Ein Phobiker liebäugelt nicht mit dem Sprung! Ebensowenig wie ein Mutter mit dem Zwangsgedanken (im Rahmen einer Zwangsstörung!!) ihrem Kind etwas zu Leide zu tun, niemals ihrem Kind wirklich etwas tun würde. Ich denke hier hat wohl Metapher recht, wenn er auf die Angst vor dem möglichen Kontrollverlust hinweist.

Aber das Misstrauen dem Willen gegenüber kommt ja nicht von
ungefähr. Ich erinnere an die vielen Sprünge von der
Golden-Gate-Bridge, deren wenige Überlebende teilweise davon
berichteten, nicht in suizidaler Absicht gehandelt zu haben,
sondern alleine dem Sog der Tiefe erlegen zu sein. Ich denke
also, die Angst ist hier gar nicht das pathologische Element,
sondern das überstarke Erleben des Zuges in den Abgrund
(den
ja bis zu einem gewissen Grad jeder Nicht-Schwindelfreie
kennt).

Was die Springenden von der Golden-Gate-Bridge angeht, gehe ich von zwei Punkten aus: 1. Unter denen, die Gesprungen sind, hat sich keiner befunden, der an einer wie auch immer genannten Höhenangst litt und 2. bezeifel ich es wirklich, dass ein x-beliebiger Spaziergänger beim Lauf über die Brücke pötzlich dem „Sog der Tiefe“ erliegt. Es gibt ja auch Suizide (bzw. Suizidversuche), die impulsartig bzw. raptusartig begangen werden. Der Sprung in die Tiefe ist - im Gegensatz zu anderen Suizidarten - eine Suizidart, die wenig Planung voraussetzt: Es muss kein Strick aufgehängen werden, keine Medikamente organisiert oder andere „Vorbereitungen“ getroffen werden. Damit „eignet“ sich diese Methode eben gerade gut für den „spontanen“ Selbstmord.
Somit kann es dann wirklich passieren, dass ein Lebensüberdrüssiger, ohne konkrete Suizidabsicht dem (im Nachhinein für ihn nicht nachvollziehbaren) Impuls nachgibt und springt.

Ich hab mich jetzt mit einigen Höhenängstlichen unterhalten,
und in Internetforen einige Erfahrungsberichte gelesen. Und
dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass es sich bei der
klassischen Höhenangst und der von mir geschilderten um zwei
sehr verschiedene psychische Zustände handelt.

Der klassisch Höhenängstliche fürchtet durch eine
Schwachstelle (des Materials, eines Dritten oder des eigenen
Körpers) zu stürzen. Die Höhenangst wird durch das Element,
worin der Betroffene gewöhnlich die Schwachstelle vermutet,
getriggert. Der Höhenängstliche, der fürchtet zu stolpern,
wird in seiner Angst durch das Vorhandensein eines Geländers
ein wenig besänftigt. Der Höhenängstliche, der die
Schwachstelle im Material vermutet, wird durch eine lose
Schraube oder eine abgelaufene TÜV-Etikette zusätzlich
verängstigt.

Der „anders Höhenängstliche“ verspürt den starken Drang sich
hinabzustürzen und kämpft dagegen an. In Anbetracht dessen wie
stark er diesen Drang spürt, ist die nachfolgende Angst ihm
nachzugeben, gar nicht irrational. Viele Betroffene verspüren
einen ähnlichen Drang an Gewässern. Und viele verspüren den
Drang Wertgegenstände ins Wasser oder in den Abgrund zu
werfen. Auch weil diese Dinge so oft damit einhergehen, würde
ich dieses Phänomen von der klassischen Höhenangst trennen.

Vielleicht ist das zweite also gar keine klassische Phobie?
Vielleicht eher eine Bathomanie oder wie man es auch nennen
mag. Mich wundert einfach, dass ich für diesen Zustand, der so
häufig auftritt und so viele Implikationen hat, (mal abgesehen
von der genauen Begrifflichkeit) keine ausführliche
Beschreibung finden kann.

Ich würde allerdings von mehreren psychischen „Zuständen“ sprechen und zwar von einer Phobie einerseits und einem Sammelsorium verschiedenen anderen „Zuständen“ (ich vermeide bewusst das Wort Störung). Wie ich oben bereits ausgeführt habe, ist sicherlich eine Möglichkeit, dass hier Suizidalität eine Rolle spielt (Das sind m.M. diejenigen, die wirklich springen). Dann gibt es diejenigen mit Zwangsgedanken, die eben zwanghaft daran denken, sie müssten springen (es aber NICHT tun). Und dann gibt es noch das Phänomen, dass auch „geistig gesunde“ Menschen diesen Impuls verspüren können: „Wie würde es sein, wenn ich jetzt spränge?“. Ich glaube aber, dass das nicht nur auf das Springen (bzw. die Tiefe) begrenzt ist: Andere denken dann eben darüber nach, wie es wäre mit 150 kmh gegen einen Baum zu fahren oder sich vor den Zug zu werfen. Freud würde vermutlich sagen, dass sei der Todestrieb. Ich kann Dir das nicht genau beantworten, ich glaube aber, dass es in jedem von uns steckt, den eigenen Tod vorwegzunehmen und sich die Frage zu stellen: „Was würde passieren, wenn…?“. Interessanterweise meine ich, dass das alles „Suizidmethoden“ sind, die keine Planung erfordern: Ich würde sagen, der Gedanke, „Wie wäre es jetzt, noch einen Schritt Richtung Abgrund mehr zu gehen?“ steckt einfach mehr in uns, als die Überlegung „Wie wäre es jetzt, wenn ich mir heute 30 Schlauftabletten einwerfe und zwei Flaschen Wein dazu trinke?“. Wie Metapher richtig hingewiesen hat, geht es um das Thema Kontrollverlust. Der Gedanke zu Springen mag für den Einen ein interessantes Gedankenspiel zu sein, für den Anderen allerdings auch beängstigend, weil er sich vor dem Kontrollverlust fürchtet. Angst vor Kontrollverlust aber, ist - so denke ich - per se nichts „Unnormales“.

Vielen Dank
Peter

PS: Entschuldige bitte, dass meine Nachfrage zu so einem
Wortschwall angewachsen ist.

Kein Ding! Finde es ja sehr interessant!

Liebe Grüße!
TAndrija

2 Like

Hallo pedter,

die Höhe ist an sich ‚unbedeutend‘. Die besondere Länge der Gefahrenstelle ist ausschlaggebend. Eine lang gezogene Überkante auf einem Flachdach zum Beispiel. Die Möglichkeit, sich nicht aus freien Stücken entscheiden zu können, zu springen, ist sehr groß (hohe Absturzgefahr), obwohl die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich zu springen, viel kleiner ist. Beklemmend ist der Gedanke, dass die Möglichkeit, abzustürzen, überpropotional ist, wohlgemerkt, nicht die Wahrscheinlichkeit. Der Sprung aus einem Flugzeug hingegen ist weniger bedeutsam. Die Ausgangstür und damit die Möglichkeit, sich nicht entscheiden zu können, ist recht klein, die Wahrscheinlichkeit aber um so höher. Die mangelnde Fähigkeit, zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit nicht adäquat unterscheiden zu können ist der springende Punkt. Sie führt zwangsläufig zu ‚erheblichem‘ Kontrollverlust. Wenn ein und das andere gleich ist, ganz prekär. Letztendlich ist jeder so einem Erlebnis irgendwann, immer einmal ausgesetzt. Selbst der noch so erfahrene Fallschirmspringer, und zwar dann, wenn er auf einem Turm mit 360° Rundumsicht steht.

Grüße mki

@ TAndrija & Metapher
Hallo!

Ihr habt die Begriffe Zwangsgedanken, Kontrollverlust, Thanatos und Libido in die Diskussion eingebracht. Ich hoffe, ich verkürze die Sache nicht zu sehr, wenn ich allgemeiner von Trieb spreche. Ich stelle mir das Poltern und Rumoren im „nicht-austherapierten“ Triebtäterhirn ganz ähnlich vor; wenn er angesichts einer Verlockung den giftigen Drang in sich anschwellen spürt und die Szene fliehen muss, bevor seine guten Vorsätze ganz verdrängt sind. Hier beherrscht ihn nun wohl auch die Angst vor Kontrollverlust, aber deswegen würden wir ihn nicht einen Phobiker nennen. Und ebenso tue ich mich schwer, den in den Abgrund eingesogenen einen Phobiker zu nennen.

Um zu beurteilen, was der Hintergrund des (in Ermangelung eines besseren Ausdrucks nenne ich es jetzt mal) _Tiefentrieb_s ist, müsste man den Neologismus, gerade dass er auf die Welt gekommen ist, einer Psychoanalyse unterziehen. Ich schließe ich mich Metapher in seinen Ausführungen über das janusköpfige Faszinosum-Tremendum, und die von Person zu Person unterschiedliche „sekundäre Verarbeitung“ dessen an. Und wegen dieser Unterschiedlichkeit würde eine allgemeine Betrachtung der emotionalen Ausprägung wohl nicht weit führen.

Der Tiefentrieb ist meines Erachtens aber kein erweitertes „Was wäre wenn…“ Man malt sich nicht aus, wie es wäre und erschrickt dann davor, und fixiert sich dann, erschrocken wie man ist, auf diese Möglichkeit, und betrachtet dann wie man sich auf diese Möglichkeit fixiert und hält es dann für einen Trieb. Verdammt, das klingt jetzt leider doch recht schlüssig. :wink:
Ja, vielleicht ist die Frage, ob es sich wirklich um einen Trieb handelt, oder um einen Umweg, den die Höhenangst nimmt. Schwierig.

Ich danke euch sehr für eure tollen Ausführungen. Ich habe in dieser Angelegenheit vieles noch nicht zu Ende gedacht und habe jetzt gute Anknüpfungspunkte für weitere Überlegungen und Recherchen. Spätestens wenn ich weiter gekommen bin, melde ich mich an dieser Stelle wieder. Ansonsten bin ich natürlich für weitere Diskussionsbeiträge dankbar.

Liebe Grüße
Peter

Hallo mki!

Ich kann dir insoweit folgen, dass auf dem Dach eine größere Unsicherheit herrscht als im Flugzeug, aber deine Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit verstehe ich leider nicht.

Gruß
Peter

Hallo Peter,

das Unsicherheitsgefühl auf einem nicht abgesicherten Flachdach und vor der geöffneten Tür eines in der Luft befindlichen Flugzeuges ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Nicht größer oder kleiner. Auf dem Dach ist die Möglichkeit des Absturzes größer, im Flugzeug ist sie geringer. Im Flugzeug ist die Möglichkeit des Herausfallens geringer, dafür die Wahrscheinlichkeit um so höher. Der weitere Geschehensverlauf im Flugzeug hängt nämlich davon ab, ob und wie man sich bewusst (!) entscheidet. Bevor es einen nach unten zieht, müsste man erst einmal bis zur Tür vor wollen. Das tut man aber nur dann, wenn man das Flugzeug ab einer betimmten Höhe wirklich noch verlassen will. Niemand fühlt sich, egal unter welchen Umständen, allein von einer geöffneten Tür angezogen, wenn dort nichts ist, das ein bewusstes Interesse auslöst.

Grüße mki

Hallo,
ich hab die anderen Antworten nicht gelesen. Die vierte Angst sich selbst hinabzustürzen weil man einem „Soggedanken“ nachgeben könnte, hört sich für mich nach agressiven Zwangsgedanken an. (Es gibt vielleicht noch andere Erkrankungen, das muss dann aber ein Therapeut klären.)

Bei aggressiven Zwangsgedanken geht es ja um die Angst,
dass man plötzlich vielleicht durchdrehen könnte und sich oder anderen Schaden zufügen könnte (es aber nicht tut).

Ich kann mir vorstellen, dass solche Leute auch Angst vor Messer
usw. bekommen können…

Grüße,
Roland