Hallo auch,
man kann sich die Mühe machen, einen tieferen Sinn in der
Veranstaltung zu suchen, oder man akzeptiert, daß es in einem
gewissen Alter und in gewissen Kreisen einfach schick ist,
seine Freizeit in dieser Form zu gestalten.
Das klingt so als sei das, was gerade in GB los ist und seinerzeit in Paris stattfand, in manchen Kreisen ganz normal. Ich glaube das nicht. Wenn tausende randalierend und plündernd durch die Großstädte eines Landes ziehen sind das keine „häufiger vorkommenden Jugendsünden“ sondern hat eine andere Qualität.
Tatsächlich ist das ganze nicht neu. Selbst in schicken
deutschen Vorstädten hauten sich schon vor gut 20 Jahren die
Jugendlichen aus Langeweile und aufgrund gruppendynamischer
Prozesse zünftig ein paar auf die Fresse. Mal waren es die
Gymnasiasten gegen die Hauptschüler, mal die Mods gegen die
Punks oder die Pseudolinken gegen die Pseudorechten.
Mit einfachen Prügeleien, wie es sie schon immer gab, haben die britischen Ausschreitungen aber nichts mehr zu tun…
Daß ein Leben in einer gewissen Perspektivlosigkeit hilft,
sich in solche Exzesse hineinzusteigern, steht außer Frage.
Aus den Vorkommnissen einen Aufstand der Verlorenen zu machen,
wird der Sache aber wenig gerecht. Wenn es um einen Aufstand
gegen das Establishment ginge, würde man nicht die Läden der
wenigen Kleinunternehmer im Viertel verwüsten und TV-Geräte
klauen, für die es auch bei Ebay kaum Geld gibt, sondern eben
gegen die vorgehen, denen man mit viel Phantasie eine
Mitschuld am eigenen Elend geben kann.
Die Akteure haben bei ihrem Tun natürlich keine wohlüberlegte politische Motivation und keinen ideologischen Unterbau. Die Stimmung überschlägt sich, es wird gewalttätig, Gruppendynamik, dann wird ohne Nachdenken und Empathie gebrandschatzt und geplündert. Hooligans und simple Kriminelle mischen sich in der Folge hinzu.
Wenn man aber nach den Ursachen der Exzesse sucht kann man die Unüberlegtheit der Minderbemittelten nicht im Raum stehen lassen als gäbe es keine tiefere Ursache - nur weil der einzelne Krawallbruder keine politische Begründung für seine Beteiligung abliefern kann.
Solche massierten Gewaltübergriffe haben Ursachen…
Hinzu kommt, daß die Randale organisiert ist und zwar nicht
mittels Flugblätter und Mundpropaganda, sondern mittelst
technischer Geräte, die nicht für einen Appel und ein Ei zu
bekommen sind.
Du hast mir an anderer Stelle oft erklärt, dass viele Leute dazu tendieren Konsumgüter anzuschaffen, die sie sich nicht leisten können…
Der Mob wird gesteuert von Leuten, die in der
Hauerei eben eine Form der Freizeitgestaltung sehen
Das ist der Beweis, du bist eine andere Generation. Ich zwar auch, aber schon die nordafrikanischen Aufstände der letzten Monate wurden ja maßgeblich über Twitter und Co. initiiert. Es bedarf - im Gegensatz zu früher - keiner prominenten Gallionsfiguren mehr, der moderne Aufrührer muss sich nur ins Netzwerk einklinken und ist auf dem Laufenden, wo es zur Sache geht.
Bemerkenswert ist insbesondere die Zahl der jugendlichen
Täter, die weder geistig noch altersmäßig in der Lage ist,
tiefgreifende Überlegungen hinsichtlich ihrer
Zukunftsperspektiven oder der gesellschaftlichen Entwicklungen
anzustellen.
Weshalb sie an erstbester Stelle zuschlagen und nicht unterscheiden zwischen den Nachbarn, die es selber schwer haben, und den (zu Recht oder Unrecht) als Auslöser der eigenen Lebenssituation identifizierten Verursacher.
Wenn 14-jährige den Friseurladen ihrer Nachbarn verwüsten, bin
zumindest ich nicht willens, darin einen Protest gegen die
herrschende Klasse und gegen Perspektivlosigkeit zu erkennen.
Natürlich nicht, nicht in dem Sinne, dass der Jugendliche es als Protestaktion versteht. Bei der Ursachenforschung für das Phänomen an sich ist aber naheliegend, dass Wut und Frust, ausgelöst durch die Perspektivlosigkeit, ursächlich sind.
Aber, und da gebe ich Dir recht, das ist natürlich auch in
Deutschland möglich. Blöde, die sich von ein paar
Partyrandalisten instrumentalisieren lassen, gibt es auch
hier. Glücklicherweise findet das derzeit noch unter
kontrollierten und vorhersehbaren Bedingungen anläßlich von
Fußballspielen und zu „hohen“ Feiertagen wie dem 1. Mai statt.
Egal ob in London, in Tunesien oder vor ein paar Jahren in Paris: es startete immer mit dem Tod eines „Gesinnungsbruders“, hervorgerufen durch die Polizei. Tote durch Einwirkung der Polizei haben wir in Deutschland auch schon erlebt: bei Abschiebungen, Festnahmen, vermeintlichen Angriffen auf die Polizei (die später als Fehlwahrnehmungen identifiziert wurden), bei einem Regensburger Studenten, bei einer Festnahme in Bonn vor ein paar Jahren oder einem Schußwaffeneinsatz gegen einen Kneipengast in Hennef vor ein paar Monaten, vor kurzer Zeit bei einer Schwarzafrikanerin bei der Agentur für Arbeit.
Sollte der soziale Druck in Deutschland ansteigen - zum Beispiel wenn der angebliche Wirtschaftsboom zu Ende ist, der Euro abstürzt, die FDP weiter tolle Ideen zugunsten der Reichen und gegen die Armen entwickelt etc. etc. - muss die Polizei versehentlich erneut jemanden töten, der sich anschließend als unschuldig/unbewaffnet herausstellt, schon ist die Lunte hier genauso entzündet wie in den anderen Ländern. Lass’ es blöderweise mal ein Mitglied einer türkischen Großfamilie in Berlin sein, beispielsweise… Dann rappelt es hier genauso wie es anderswo.
Das hat dann auch eine andere Qualität als die altbekannten Hooligans, die den 1. Mai in Berlin oder Hamburg, oder irgendwelche Fussballspiele missbrauchen um sich zu kloppen.
Gruß,
MecFleih