im Herbst letzten Jahres hatte der Schleswig-Holsteinische Landtag bei Verfassungsreform die Gottesformel außen vor gelassen.
in S-H wurde eine Volksinitiative gestartet, mit dem Ziel, die Gottesformel in der Landesverfassung wieder zu verankern.
Die Initiative wird von den katholischen und evangelischen Kirchen, von Muslimen und Jüdischen Gemeinden unterstützt.
Prominente Unterstützer sind z.B. Björn Engholm, Kiels IHK Präsident Klaus-Hinrich Vater und der Künstler Bernhard Schwichtenberg.
Was meint ihr? Ist diese Initiative zu begrüßen? Auch weil der Schulterschluß der Religionen, der dadurch bewirkt wird, zu begrüßen ist?
Oder ist es ein Rückschritt, weil die Säkularisierung von Kirche und Staat in ein früheres Stadium zurückfällt?
in D haben die christlichen Kirchen m.E. noch viel zu viele Privilegien und eine echte Säkularisierung oder gar Laizität ist leider nicht in Sicht.
Begriffe wie ‚Gott‘ und ‚Glauben‘ dürfen in Verfassungen nur auftauchen im Zusammenhang mit der Tolerierung dieser Begriffe und den Auffassungen der Bürger darüber, aber dann bitte für alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen.
Auszug aus der Debatte der kommunistischen Partei delegierten in China:
Genossen das rationale Denkens hat uns vorangebracht, nun dürfen wir uns nicht denken dass dadurch die Irrationalität ihre Macht verloren hat.
Mit der müssen wir leben lernen.
Ich meine, ja, sie ist zu begrüßen. Zum Einen, weil sie nochmal dazu führt, sich über das Thema Gedanken zu machen - egal, wie’s ausgehen wird.
Zum Anderen, weil ich persönlich diese Formulierung gut finde, da sie meinem Glauben entspricht. Und das ist natürlich auch das Gegenargument derer, deren Glauben sie nicht entspricht.
Egal wie die Sache ausgehen wird, wird man in Kiel ein Zeichen setzen: Bewußt für die Möglichkeit, daß es ein göttliches Wesen gibt, vor der man verantwortlich ist - oder bewußt dafür, daß man sich nicht in der Verantwortung vor irgendwelchen göttlichen Wesen - sollte es sie denn geben - sieht. Aus atheistischer Sicht wäre dieses freilich begrüßenswert, auch christlicher (islamischer, jüdischer…) jenes.
Begriffe wie ‚Gott‘ und ‚Glauben‘ dürfen in Verfassungen nur
auftauchen im Zusammenhang mit der Tolerierung dieser Begriffe
und den Auffassungen der Bürger darüber, aber dann bitte für
alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen.
Genau darum soll es gehen. Nicht der Gott der Katholiken oder Juden sondern „Der Gottesbezug als Appell, eine höhere Weisheit zu befolgen“ wie Björn Engholm das ausgedrückt hat.
Und die Auffassung der Bürger darüber will man ja grade mit dem Volksentscheid ergründen.
Jedenfalls ziehen Katholische und Evangelische Kirche, Muslime und Juden an einem Strang. Andere nennenswerte Religionsgemeinschaften wären mir nicht bekannt.
Nein, denn Religion hat in jeder Form von Gesetzestext oder Verfassung nichts zu suchen. Vielleicht in einem Land, das homogen eine Religion hat, aber wo gibt es dann schon noch?
Ist schön, dass die Abrahamiten an einem Strang ziehen, aber was ist mit Buddhisten, Shintos, Guandi-Anhängern, Neopaganen, Hindus, etc. etc…?
Nein, denn Religion hat in jeder Form von Gesetzestext oder
Verfassung nichts zu suchen.
ich halte einen Begriff wie „Gott“ für nicht abstrakter als
Gewissen
Menschheit (Würde des Menschen, Menschenrechte)
Volk
Nation
Und auch Bezug bzw. Opposition zu einzelnen Religionen sehe ich nicht, da in unserem Kulturkontext „Gott“ in dieser doch sehr allgemeinen Form auch universeller Transzendenz-Begriff ist. Denkst Du, dass
Buddhisten, Shintos, Guandi-Anhängern, Neopaganen, Hindus, etc. etc…
Hallo,
angesichts einer langen abendländischen Geschichte religiöser Intoleranz, in der Christen bzw. christliche Kirchen mit Hilfe staatlicher Institutionen versucht haben, religiöse Uniformität (selbstverständlich in ihrem Sinn und nach ihren Vorgaben) mittels Terror und blutiger Unterdrückung durchzusetzen, ist das eine geschichtsvergessene Zumutung. Genau aus diesem Grund, aus dieser geschichtlichen Erfahrung heraus, ist die religiöse Neutralität des Staates ein Verfassungsgut, das insbesondere für Angehörige religiöser Minderheiten wie auch für Nichtreligiöse einen hohen Rang einnimmt.
Versuche, die Dogmen und Vorstellungen einzelner religiöser Gruppen in der Verfassung unterzubringen, laufen darauf hinaus, denen, die diese Dogmen und Vorstellungen ablehnen, einen minderen Rang zuzuweisen; alleine durch ihr fehlendes Bekenntnis z.B. zu einem Gott, der als Quelle staatlicher Ordnung in der Verfassung benannt werden soll, wird implizit ihre Verfassungstreue in Zweifel gezogen. Das ist ausgrenzend und zutiefst reaktionär.
Dass sich die offiziellen Vertreter der großen monotheistischen Religionen für diese x-te Neuauflage des Kulturkampfes zu einem Schulterschluss zusammengefunden haben, ist alles andere als ein begrüßenswertes Zeichen von Toleranz - ist dieser Schulterschluss doch gegen einen nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft gerichtet. Eben gegen den Teil, der - aus welchen Gründen auch immer - der Überzeugung ist, dass Religion Privatsache ist und auch zu bleiben hat.
ich halte einen Begriff wie „Gott“ für nicht abstrakter als
Gewissen
Menschheit (Würde des Menschen, Menschenrechte)
Volk
Nation
die „Abstraktheit“ des Begriffes ist hier völlig ohne Belang. Nicht belanglos ist hingegen der Zweck, der mit der Verankerung eines solchen Begriffs in einer staatlichen Verfassung verfolgt werden soll.
Davon abgesehen, ist es deutlich einfacher, Begriffe wie ‚Gewissen‘, ‚Menschheit‘, ‚Volk‘ und ‚Nation‘ allgemein konsenfähig zu definieren, als den Begriff ‚Gott‘. Von ‚Gewissen‘ einmal abgesehen, das in die psychologische Kategorie gehört, sind die zum Vergleich angeführten Begriffe der soziologischen Kategorie entnommen. Kein geistig gesunder Mensch dürfte Probleme damit haben, konkrete Personen aufgrund beschreibender Merkmale unter einem oder mehreren dieser Abstrakta zu subsumieren. ‚Gott‘ ist hingegen ein nicht nur abstrakter, sondern auch rein spekulativer Begriff - ohne nachweisbaren Bezug auf irgend etwas Konkretes. Schon gar nicht auf eine Landesverfassung.
Und auch Bezug bzw. Opposition zu einzelnen Religionen sehe
ich nicht, da in unserem Kulturkontext „Gott“ in dieser doch
sehr allgemeinen Form auch universeller Transzendenz-Begriff
ist.
Das halte ich für eine reichlich schräge gewagte These. Auch Atheisten ‚arbeiten‘ mit dem Transzendenzbegriff, aber mit Sicherheit benutzen sie dafür (und zwar aus gutem Grund) nicht den Ausdruck ‚Gott‘ - der eine ganze Menge mehr impliziert als lediglich ‚Transzendenz‘. Von einem universellen Transzendenzbegriff kann da also höchstens in den Wunschträumen verstiegener Theologen die Rede sein.
Denkst Du, dass
Buddhisten, Shintos, Guandi-Anhängern, Neopaganen, Hindus, etc. etc…
damit ein Problem hätten?
Sie haben damit ein Problem - jedenfalls viele von ihnen. Näheres dazu in meiner direkten Antwort auf die Eingangsfrage.
eine Landesverfassung sollte vom Ansatz für alle Bürger gelten und darum eben sich nicht auf etwas beziehen, welches für einen Teil der Bürger nicht existent ist. Formulierungen wie „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ kann der einzelne Bürger für sich machen, aber sicherlich keine Verfassung für alle sein.
Ich halte diese Zusätze für völlig überholt und ausgrenzend. Und ich kann nicht verstehen, dass Gläubige, Kirche, religiöse Institutionen, Gemeinden dieses umfassend befürworten.
Vor allem die Argument für diesen Zusatz sind meist auch noch völlig unlogisch und unverständlich. Wenn jemand seine Demut und Beschränktheit Ausdruck verleihen will (Ministerpräsident Albig), dann kann dieses doch auch sehr wohl ohne Bezug auf G’tt.
Genau darum soll es gehen. Nicht der Gott der Katholiken oder
Juden sondern „Der Gottesbezug als Appell, eine höhere
Weisheit zu befolgen“ wie Björn Engholm das ausgedrückt hat.
Da fühlt man sich vermutlich als Agnostiker so ein ganz klein wenig verarscht …
Andersrum: Eine höhere Weisheit - was macht man mit Satanisten?
Religion kann vermutlich etwas sehr tolles sein, gehört aber ausschließlich in den privaten Bereich und hat in Verfassungen, Gesetzen, etc. nur im Zusammenhang mit der Ausübungsfreiheit etwas zu suchen.
Oder anders: Es ist ein Schlag ins Gesicht für jeden Nicht-Gläubigen.
Und was genau und konkret soll das bedeuten? Den Papst fragen, im Alten Testament nachlesen, auf göttliche Eingebungen und Wunder warten, Honoratioren und Würdenträgern gehorchen - welche und wessen höhere Weisheiten sind gemeint? Schon klar, Gottes höhere Weisheiten. Und wie bitteschön kommt man in den Genuss dieser Weisheiten?
Gustav von Rochow feiert Wiederauferstehung: „Es ziemt dem Untertanen, seinem Könige und Landesherrn schuldigen Gehorsam zu leisten und sich bei Befolgung der an ihn ergehenden Befehle mit der Verantwortlichkeit zu beruhigen, welche die von Gott eingesetzte Obrigkeit dafür übernimmt; aber es ziemt ihm nicht, die Handlungen des Staatsoberhauptes an den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen und sich in dünkelhaftem Übermute ein öffentliches Urteil über die Rechtmäßigkeit derselben anzumaßen“
Protestanten und die lutherische Freude an der Obrigkeit
Servus,
Andere nennenswerte Religionsgemeinschaften wären mir nicht bekannt.
es gibt innerhalb der Evangelischen Kirchen viele unterschiedliche Fraktionen und Strömungen; nicht wenige Protestanten nehmen Matth 6, 1-6 sehr ernst und verstehen die Warnung davor, mit der eigenen Frömmigkeit öffentlich zu prunken, als nicht nur auf das eigentliche Gebet bezogen, sondern auf jede öffentliche Äußerung, die formal religiös ist, aber dabei eher der eigenen Eitelkeit dient.
Außerdem in SH außerhalb der Nordkirche eine Reihe von freikirchlichen Gemeinden, die Evangelisation und Missionsauftrag zwar große Bedeutung zumessen, aber jede Verquickung von religiösem Bekenntnis und weltlicher Herrschaft strikt ablehnen.