Hallo!
Obwohl ich nicht weiß, ob Dein Beitrag womöglich nur Folge falsch dosierter Pillen war, antworte ich, weil es tatsächlich eine verbreitete Unzufriedenheit in den neuen Bundesländern gibt. Um die Gründe dafür zu verstehen, muss man die Geschichte seit 1945 berücksichtigen.
In der sowjetischen Besatzungszone fanden deutlich umfangreichere Demontagen von Infrastruktur und Industrie als in den 3 Westzonen statt, außerdem schwer belastende Reparationsleistungen. Hinzu kam die weitgehende Abschaffung in Jahrhunderten entstandener und mit Planwirtschaft inkompatibler privatwirtschaftlicher Strukturen. Damit ging ein massiver Aderlass an Fachleuten und Know-how-Trägern einher. Von Apparatschiks gelenkte Volkswirtschaften zeigten sich überall auf dem Globus als vom Mangel bestimmte Systeme mit ein paar Vorzeigeprojekten, die aber ansonsten zum beträchtlichen Teil aus der Substanz lebten. Nach einigen Jahrzehnten des Wirtschaftens durch Laien und Funktionäre war die Infrastruktur hinüber, Betriebe vergammelt, die Einrichtungen überaltert. Die DDR war schlichtweg pleite, Russland übrigens auch.
Dann folgten DM und Wiedervereinigung sowie die Privatisierung von Wirtschaft und Grund und Boden unter oft dubiosen Umständen, ungezählte Betriebsschließungen, Millionen Arbeitslose, viele davon dauerhaft chancenlos. Die Wirtschaftsstrukturen wurden binnen weniger Jahre umgekrempelt. So hatte zu DDR-Zeiten fast jedes Dorf einen Gleisanschluss und einen Güterbahnhof. Der Warenverkehr fand bis in die Zweige auf der Schiene statt. Jeder Güterbahnhof war Arbeitsplatz für etliche Eisenbahnwerker, die plötzlich arbeitslos wurden.
Die Landwirtschaft war extrem personalintensiv. In so manchem Kuhstall einer LPG wurden 100 Melker und sonstige Werker beschäftigt, von denen nach Privatisierung noch 2 Nasen übrig blieben. Alle anderen wurden dauerhaft arbeitslos. Wirtschaftsstrukturen, die Beschäftigung hätten bringen können, waren Jahrzehnte zuvor kaputt gemacht worden.
Die Straßen der DDR bestanden in der Fläche überwiegend aus aneinandergelegten Betonplatten oder uraltem buckeligen Kopfsteinpflaster, zuweilen auch unbefestigte Matschpisten. Es gab ein Heer aus Pflasterern und zahllosen Leuten, die den maroden Kram in reiner Handarbeit irgendwie passierbar hielten. Auch von diesen Leuten wurde bald keiner mehr gebraucht.
Egal welcher Bereich, überall wurde personalintensiv gearbeitet. Wirtschaftlich sinnvoll nach den Vorstellungen eines mit Kosten und Erträgen rechnenden Unternehmers war die Vorgehensweise nirgends. Aber wo bringt man ein Millionenheer aus arbeitslosen Melkern, Traktoristen, Trabi-Werkern, Eisenbahnarbeitern, Telefonhandvermittlern und Pflasterern unter?
Natürlich wurden Antworten gefunden: So gab es bis in jüngste Zeit üppige Investitionszuschüsse für Unternehmen, wenn sie sich in Neufünfland ansiedeln. Angelockt wurden viele Fördermittelabgreifer, die mit möglichst billigen Arbeitskräften überwiegend Tätigkeiten geringer Wertschöpfung ansiedelten. Eher selten fanden sich im Schwarm aus Heuschrecken, Steuerberatern, Advokaten, Gebrauchtwagenhändlern und Immobiliensammlern auch Unternehmer, die diese Bezeichnung verdienen. Die Arbeitslosen, die nicht für jeden noch so mickrigen Lohn bei Dünnbrettbohrern unterkommen, landen beim Jobcenter, um sich dort drangsalieren zu lassen, endlich Arbeit aufzunehmen, wo es keine gibt.
Menschen, die das alles ein Vierteljahrhundert durchlitten, die immer wieder erlebten, wie sich Versprechen von Politikern als hohles Gerede Ahnungsloser entpuppt und auch Regierungswechsel nichts bringen, gehen nicht mehr zur Wahl oder wählen Leute, die an den weichen Sesseln der Regierenden sägen. Sie ballen die Faust in der Tasche, wenn unkontrolliert Analphabeten ins Land kommen, im Zusammenhang mit den Ankömmlingen Begrifflichkeiten durcheinandergeworfen werden und von dringend gebrauchten Fachkräften die Rede ist. Die Menschen sind mehrheitlich nicht rechtsradikal. Aber sie wurden abgehängt, vorsätzlich oder ignorant.
Das Entstehen von Ersatz für die wie beschrieben zerstörten Wirtschaftsstrukturen Ostdeutschlands wird weitere Jahrzehnte brauchen. Ostdeutschland bräuchte Initiativen zur Gründung 100.000 inhabergeführter Unternehmen und deren Finanzierung. Wäre ein Betätigungsfeld für Banken (die dafür aber kaum über geeignetes urteilsfähiges Personal verfügen) und für die Politik. Wenn zur nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen Strukturen Ostdeutschlands nichts passiert, wird das Wahlverhalten für die bisher Regierenden zunehmend unangenehmer.
Gruß
Wolfgang