Hallo,
aus welchen Gründen haben die Menschen die Religionen für sich entdeckt?
Geht es darum,
das Unerklärliche zu erklären?
Besten Dank für die Antwort/en.
Besten Gruß
*S* (Agnostiker)
Prähistorischer Mutterkult
Hi.
aus welchen Gründen haben die Menschen die Religionen für sich entdeckt?
Man kann die Entstehung des Religiösen bis zum Ende der prähistorischen Epoche wie folgt rekonstruieren.
Für die Menschen bis zur Mitte der zweiten Zwischeneiszeit (vor 500.000 Jahren) scheint Religion keine Rolle gespielt zu haben. Es gibt von Südasien bis Europa keine archäologischen Hinweise auf entsprechende Riten. Das ändert sich zu Beginn der letzten Eiszeit (vor 150.000 Jahren), als der Neandertaler die Szene betritt. Er legt Gräber an, die mit grünen Blüten bestreut sind, deren Pollen auf eine halluzinogene Wirkung der Pflanzen schließen lassen. Das legt die These nahe, dass bereits der Neandertaler an so etwas wie ein Leben nach dem Tod glaubte.
Deutlichere Belege für Religiosität finden sich ab Ende der letzten Eiszeit, also zwischen 30.000 und 10.000 v.u.Z., in Form von Felsdarstellungen und Höhlenmalereien. Sie lassen sich in etwa so deuten: Der neolithische Mensch lebt vor allem in Steppen und jagt Rentiere, Bären, Nashörner und Mammuts. Einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier macht er - in dieser primitiven Phase - nicht. Das Töten von Tieren erzeugt in ihm Schuldgefühle und Angst vor Rache. Um dieser Rache vorzubeugen, ersinnt er Bußriten und magische Bannsprüche. Er legt z.B. Bärenheiligtümer an, in denen Blut rituell an die Erde zurückgegeben wird, um die Wiedergeburt der getöteten Tiere zu erleichtern. Im Glauben an Wiedergeburt wird der neolithische Mensch durch seine Träume bestärkt. In ihnen begegnet er Gestalten, die er tot wähnt, die aber unabhängig vom Körperlichen weiterzubestehen scheinen. Das wiederum lässt ihn auf die Beseeltheit der physischen Natur schließen (Animismus). In den Naturkräften erkennt er das Wirken geheimnisvoller Mächte.
Ganz besonders aber beschäftigt ihn das Phänomen der Geburt des Menschen durch die Vulva einer Frau. In dieser Zeit - bis zum 6. Jahrtausend - kann er sich diesen Vorgang nur als von einer nicht-menschlichen Macht verursacht denken. Den Zusammenhang von Sex und Schwangerschaft hat er nämlich noch nicht entdeckt. Was er aber entdeckt hat, ist die Entsprechung von weiblichem Monatszyklus und Mondzyklus. Aus ihr schließt er auf eine magische Verbindung von Frau und Mond.
(Forsetzung folgt)
Chan
Tolle Erklärung,
ich habe dir ein Sternchen gegeben.
Liebe Grüße
Stefan
Hallo,
weil es einfacher ist zu glauben als zu verstehen.
Grüße
Billi
Noch ein *
Hallo Chan,
besten Dank für die ausgiebige Antwort.
Dafür gibt es auch von mir ein Sternchen.
Nette Grüße
*S*
Hallo,
In dieser Zeit - bis
zum 6. Jahrtausend - kann er sich diesen Vorgang nur als von
einer nicht-menschlichen Macht verursacht denken. Den
Zusammenhang von Sex und Schwangerschaft hat er nämlich noch
nicht entdeckt.
kannst du das bitte belegen?
Gruß
Billi
aus welchen Gründen haben die Menschen die Religionen für sich
entdeckt?
Geht es darum,
das Unerklärliche zu erklären?
Ja und nein.
Die Menchen haben die Religion entdeckt, weil sie den Einfluß Gottes spüren (wenn sie sich nicht gerade bemühen wegzuschauen) und auch merken, dass hier mehr ist, als unmittelbar messbar ist.
Dieses untergründige Empfinden wurde dann mit kulturellen, geschichtlichen und Natur-Fragen vermischt, also mit den Fragen, die nicht oder nur sehr schwer erklärbar sind.
So wurde dann Religion missbraucht, um Unerklärliches einer Scheinerklärung zu unterwerfen, insofern also ja. Aber letztlich geht es nicht um Erklärungen, also nein.
Gruß
Thomas
Prähistorischer Mutterkult II
Die durch die Entsprechung von weiblichem Monatszyklus und Mondzyklus hergestellte magische Verbindung zwischen Frau und Mond führt zu einer ersten Vergottung: Der Mond ist eine Göttin und verursacht die menschliche Geburt. Auf seinen Zyklus, also die Mondphasen, richtet der Mensch sein soziales Leben aus. Das erste dunkle Viertel des Neumondes gilt als Menstruationsphase der Göttin, woraus das erste religiös bedingte Tabu der Menschheit entsteht: Kein Sex während der Menstruation. Ein späterer Ausläufer dieses Tabus sind die an den Mondphasen orientierten babylonischen Sabbate und die Tabu-Tage in Altägypten.
In den schon genannten Höhlenheiligtümern, die ab 30.000 entstehen, sind die Wände kunstvoll bemalt und mit seltsamen graphischen Symbolen versehen. Laut der Forscherin Maria König haben sie folgende Bedeutung: Die eingeritzten Pfeile weisen auf das Sterben hin, die V-förmigen Linien (Symbol der Vulva) auf die (Wieder-) Geburt von Verstorbenen. Letzteres Zeichen lässt auf einen Zusammenhang weiterer Symbole mit den Mondphasen schließen: Drei parallele Linien stehen für die drei Mondphasen und ein daneben geritzter Pfeil für das Sterben des Mondes, den Neumond. Oft findet sich neben diesem Pfeil ein V, das für Neugeburt steht. Manche Höhlen weisen eine ockerfarbene Bemalung auf, bei der es sich, wie der Forscher Thomas Loy herausfand, um Menstrualblut handelt. Höhle und Uterus werden so symbolisch gleichgesetzt.
Im Denken der Steinzeitmenschen hat die Wiedergeburt also höchste Priorität. Der Umstand, dass der Mensch aus der Vulva einer Frau in die Welt tritt, dass Geburt also der Übergang vom Sterben zum Leben ist, führt zu einer Verkultung des Mütterlichen. In diese Zeit fällt die Entstehung der sog. Venusfiguren, die im gesamten Jagdgebiet der Altsteinzeit zwischen Europa und Sibirien gefunden wurden und von denen die üppige Venus von Willendorf (ca. 25.000 v.u.Z) die bekannteste ist.
Der Mann gilt, wie schon erwähnt, in diesen Jahrzehntausenden als gänzlich unbeteiligt an der Fruchtbarkeit der Frau. Geburt - und das heißt immer: Wiedergeburt - geschieht allein durch die Einwirkung der Mondgöttin auf die Frau.
(Fortsetzung folgt)
Chan
Hallo,
Der Mann gilt, wie schon erwähnt, in diesen Jahrzehntausenden als gänzlich unbeteiligt an der Fruchtbarkeit der Frau. Geburt - und das heißt immer: Wiedergeburt - geschieht allein durch die Einwirkung der Mondgöttin auf die Frau.
Woher weißt du das? Gegenhypothese:
Ich glaube nicht, dass man so gänzlich unwissend um die Beteiligung des Mannes an der Entstehung einer Schwangerschaft war. Kopulationen hat man bei den anderen beobachtet, bei den Tieren und man hat sicherlich auch erkannt, dass bei Tieren, die nur zu bestimmten Jahreszeiten kopulieren, eine gewisse Zeit später Nachkommen kamen. Und nur dann, nicht zu anderen Zeiten.
Eine wie auch immer geartete Korrelation zwischen Kopulation, Schwangerschaft und Geburt eines Kindes hat man ganz gewiss schon früh hergestellt. Vielleicht hat man die Beteiligung des Mannes nicht so wichtig angesehen, weshalb es keine bildhaften Erwähnungen aus der Frühzeit gibt. Oder wir erkennen die Zeichen nicht.
LG Barbara
Jungfrauengeburt
Hi.
In dieser Zeit - bis
zum 6. Jahrtausend - kann er sich diesen Vorgang nur als von
einer nicht-menschlichen Macht verursacht denken. Den
Zusammenhang von Sex und Schwangerschaft hat er nämlich noch
nicht entdeckt.kannst du das bitte belegen?
Dass es in jenen Zeiten kein Wissen um die Zeugungskraft des Mannes gab, gilt in der Forschung als wahrscheinlichste These. Diese These ist nicht belegbar, kann aus dem vorhandenem Material aber mit hoher Plausibilität geschlossen werden.
Der allgemeine Begriff für die ausschließliche Zeugungskraft der Frau ist „Parthenogenese“. Nicht nur prähistorische, auch historisch überlieferte Religionen haben parthenogenetische Anschauungen, wie ihre Mythen zeigen, welche eine Jungfrauengeburt schildern. Nehmen wir z.B. den ägyptischen Schöpfungsmythos, in welchem die jungfräuliche Urgöttin Methyer den Sonnengott gebiert und damit das Geschlecht der Götter erschafft (Pyramidentexte 507-510). Später tritt die Göttin Neith (Nuth) an ihre Stelle. Sie ist in einem Mythos des Neuen Reichs die den Himmel überwölbende Schöpferin der Welt und aller Wesen - ohne Mitwirkung eines männlichen Gottes. Freilich entwickeln sich auch Mythen, die ihr einen Gatten (den Erdgott Geb) beigesellen. Noch später übernimmt Isis die Rolle der jungfräulichen göttlichen Urmutter und Schöpferin alles Seienden.
Aber damit greife ich der Fortsetzung meiner Mutterkult-Posts vor.
Chan
Ich denke nicht, dass ich mich sehr weit aus dem Fenster lehne, wenn ich behaupte, dass die Menschen zur Zeitenwende durchaus wussten, dass der Mann an der Entstehung von Kindern beteiligt war.
Zeugung ohne Partner
Hi.
Der Mann gilt, wie schon erwähnt, in diesen Jahrzehntausenden als gänzlich unbeteiligt an der Fruchtbarkeit der Frau. Geburt - und das heißt immer: Wiedergeburt - geschieht allein durch die Einwirkung der Mondgöttin auf die Frau.
Woher weißt du das?
Siehe meine gerade erfolgte Antwort mit dem Titel „Jungfrauengeburt“.
Gegenhypothese:
Ich glaube nicht, dass man so gänzlich unwissend um die
Beteiligung des Mannes an der Entstehung einer Schwangerschaft
war. Kopulationen hat man bei den anderen beobachtet, bei den
Tieren und man hat sicherlich auch erkannt, dass bei Tieren,
die nur zu bestimmten Jahreszeiten kopulieren, eine gewisse
Zeit später Nachkommen kamen. Und nur dann, nicht zu anderen
Zeiten.
Die Forschung sieht das Wissen um die männliche Zeugung für diese Zeiten als unwahrscheinlich an. Aus dem Kopulationsverhalten von Tieren auf eine Zeugungskausalität beim Menschen zu schließen, dessen Kopulationsverhalten ganz anders ist, dazu fehlte dem prähistorischen Menschen sicher noch die abstrahierende Verstandeskraft.
Übrigens ist die Kausalität des Übergangs von matriarchalen zur patriarchalen Kultur nicht restlos geklärt. Eventuell könnte die Erkenntnis, dass der Mann an der Zeugung beteiligt ist, diesen Prozess unterstützt haben.
Eine wie auch immer geartete Korrelation zwischen Kopulation,
Schwangerschaft und Geburt eines Kindes hat man ganz gewiss
schon früh hergestellt. Vielleicht hat man die Beteiligung des
Mannes nicht so wichtig angesehen, weshalb es keine bildhaften
Erwähnungen aus der Frühzeit gibt. Oder wir erkennen die
Zeichen nicht.
Vielleicht überschätzt du die Denkfähigkeit jener Menschen. Selbst in viel kultivierteren Zeiten, nämlich im Judentum und Hellenismus, galt es - in gänzlicher Umkehrung der prähistorischen Auffassung - als ausgemacht, dass allein der Same des Mannes das Kind erzeugt und die Frau nur die Funktion eines „Brutkastens“ hat, ohne im Sinne von Vererbung etwas mit dem Kind zu tun zu haben.
Chan
Bei deinen weitschweifigen Ausführungen solltest du vielleicht nicht unerwähnt lassen, dass es durchaus auch widersprechende Auffassungen gibt und der heutige Forschungsstand eher der ist, dass nicht Mutterkulte der Ursprung der Religion waren, sondern animistische Vorstellungen. Mutter- bzw. Fruchtbarkeitsreligionen sollen vielmehr erst mit dem Beginn des Ackerbaus entstanden sein.
Auch was die Funktion von Statuetten wie der Venus von Willmersdorf angeht, sind sich die Forscher keineswegs einig. Gerade bei archäologischen Funden, deren Funktion sich nicht auf Anhieb erkennen lässt, greift oft der bei Prähistorkern wie auch Ethnologen beliebte Grundsatz „im Zweifelsfall ist alles irgendwie religiös“. ^^
Guten Tag,
ich denke damit die menschen an was glauben was sie evtl beruhigt.
lg
Mondgöttin auch für Tiere zuständig
Ich vergaß zu erwähnen, dass im Rahmen der Theorie, dass der prähistorische Mensch die Mondgöttin für die Verursacherin der Menschengeburt hielt, davon ausgegangen wird, dass die Mondgöttin auch als Verursacherin der tierischen Geburt angesehen wurde.
Differenzierung
Hallöchen,
darf ich hier mal ein bisschen differenzieren?
Ich behaupte, es gibt einen Unterschied zwischen individueller „Spiritualität“, also dem Gefühl, dass Gesehenes und Gefühltes nicht alles sind - und „Religion“, dem Massenphänomen der Nachfolge nach Lehren, Riten und Sitten zur Erfüllung eines „höheren Bedürfnisses“.
Religion wurde als einfaches, äußerst effektives Führungsinstrument entdeckt, da man ohne jegliche sichtbare Legitimation andere Menschen steuern konnte.
"Gott wird Dich strafen, wenn Du " - "Dein ist die Strafe Gottes für " - "Gott fordert ein Opfer von damit nicht "
In jedem dieser Fälle erheben sich Menschen unter Anmaßung eines höheren, nicht beweisbaren „Geheimwissens“ über andere Menschen, um diese zu zwingen, etwas gegen deren eigentlichen Willen zu tun.
Das Schöne an Religion ist, das man keine körperliche Gewalt ausüben muß, um sich zu bereichern oder Andere zu unterdrücken - der Empfänger der „Verkündigung“ setzt sich selbst von innen heraus unter Druck, so dass man ihn dorthin lenken kann, wo immer man will.
Sei es dazu, etwas zu tun oder zu unterlassen - etwas zu geben oder von sich aus Gewalt gegen Dritte anzuwenden.
Alles ist möglich, wenn man die Person dazu bringt, es als „Gottes Willen“ anzunehmen.
Eigentlich ist die Religion eine große Errungenschaft des homo sapiens, wodurch das Gehirn die Vorherrschaft über den Muskel gewann: wer Andere zur Annahme seiner „Religion“ überreden kann, der kann Intellekt vor Kraft setzen und Andere für sich arbeiten lassen.
Und so kam es, dass die intelligenten Leute jedweder Stämme zu „Priestern“, „Druiden“, „Guru“ oder Ähnlichem wurden, um sich über die mächtigen Häuptlinge zu stellen, die sie niemals im Kampf herausfordern hätten könnten.
Sie verwendeten viel Zeit darin, möglichst schwer verständliche Sachverhalte zu studieren und sie zu ihrem eigenen Nutzen zu re-interpretieren. Da sie die Einzigen waren, welche mehr als das Offensichtliche wußten, konnten sie ganze Heerscharen dorthin fokussieren, wo sie es wollten - und so war die organisierte Religion geboren!
Und es funktioniert bis heute:
Wer muss sich mit solchem Humbug wie Strafgesetz oder Steuerrecht abgeben, wenn er sich auf „Gottes Willen“ berufen kann?
Wer muss arbeiten, wenn er 20 Leute um sich hat, die ihm 10% ihres Einkommens bar auf die Hand geben, weil sie meinen, dass er „Gottes Knecht“ sei?
Wer muss über Richtig und Falsch nachdenken, wenn der Stellvertreter Gottes sagt, dass dieses Vorgehen Pflicht ist?
Das Leben ist für den Nachfolgenden der Religion so einfach - weil man für die Konsequenzen des Handelns nicht verantwortlich ist. Und für die Führer der Religion ist es auch so einfach - weil man wenig leisten muss, um ausschweifend leben zu können.
So entdecken es die beiden Gruppen täglich neu für sich: einfacher und bequemer, als konsequent und unnachgiebig nach Antworten zu fragen, selbst verantwortlich zu sein und auf eigenen Beinen zu stehen.
Gruß,
Michael
(Christ)
Ich behaupte nicht, dass man um die genauen biologischen Vorgänge der Zeugung bescheid wußte. Aber ich kann einfach nicht glauben, dass man davon ausging, dass eine Frau von alleine schwanger wurde. Vielleicht war die Rolle des Mannes im Vergleich zur Schwangerschaft und Geburt nicht so spektakulär, weshalb er in den Riten vielleicht nicht so eine Rolle spielte.
Vielleicht überschätzt du die Denkfähigkeit jener Menschen. Selbst in viel kultivierteren Zeiten, nämlich im Judentum und Hellenismus, galt es - in gänzlicher Umkehrung der prähistorischen Auffassung - als ausgemacht, dass allein der Same des Mannes das Kind erzeugt und die Frau nur die Funktion eines „Brutkastens“ hat, ohne im Sinne von Vererbung etwas mit dem Kind zu tun zu haben.
Das widerspricht nicht meiner These. Der Mann spielt, wie die Frau, eine Rolle bei der Zeugung. Wie das nun in den Kulturen gesellschaftlich gewichtet und gewürdigt wurde, ist eine ganz andere Frage. Aber auch in deinem Beispiel können Männer und Frauen ohne den Gegenpart kein Kind zeugen.
Das beide nötig sind, um ein Kind zu schaffen, wußte man. Und ich behaupte, das wußte man auch schon ein paar tausend Jahre früher.
Hi.
Religion wurde als einfaches, äußerst effektives Führungsinstrument entdeckt, da man ohne jegliche sichtbare Legitimation andere Menschen steuern konnte.
Das beantwortet nicht die UP-Frage nach dem Grund der Entstehung von Religion, sondern betrifft eine schon sehr fortgeschrittene Religionsstufe, nämlich die herrschaftslegitimierende Mythen-Religion der Hochkulturen , bei denen der König als Statthalter des jeweils mächtigsten Gottes galt. Du stellst es allerdings so dar, als sei diese Religionsform bewusst als Machtinstrument konzipiert worden. Das war so sicher nicht der Fall. Ich gehe morgen aber noch genauer darauf ein.
Chan
Hallo Silberrücken,
Mein Beitrag hier ist elendslang, aber interessant - gib im eine Chance!
Der Mensch ist ein - und sehr wahrscheinlich das einzige - Lebewesen, das weiß, dass es sterben muss. Dass diese Zäsur als Problem erfahren und religiös bewältigt wird, verraten Spuren von rituellen Bemühungen um Verstorbene. Auch lässt sich bis zu einem gewissen Grad aus diesen Funden ablesen welche Vorstellungen mit dem Tod verbunden wurden.
Auch wenn das Fehlen von Funden oder auch Bestattungen nicht den Schluss erlaubt, bis dahin sei der Tod nicht problematisiert oder religiös bewältigt worden, so werden die religiösen Vorstellungen erst durch die Funde für uns sicht- und interpretierbar.
So ist über die mögliche Religionspraxis der ältesten menschlichen Formen für die ersten anderthalb Millionen Jahre nichts bekannt, weil die vorhandenen Funde keine Rückschlüsse zulassen.
_ Steinzeit _
Knochen und Schädel: Für das untere Paläolithikum bietet eine Höhle in der Nähe des Dorfes Chou-kou-tien bei Peking Anhaltspunkte. Diese war schon vor mehr als einer halben Million Jahre von Gruppen des homo erectus besiedelt und weist rund 100.000 ganz oder bruchstückhafte erhaltene Steinwerkzeuge, Knochen von mehr als 40 Menschen in einer zw. 400.000 und 300.000 datierten Schicht, fünf Schädel und viele Schädelfragmente auf.
Einzelne Forscher wollen diese Schädelfunde auf eindeutig religiöse Zusammenhänge zurückführen, gehen auch noch einen Schritt weiter und meinen, auch die z. T. noch älteren Funde einzelner Schädel oder Unterkiefer z. B. in Europa seien so zu verstehen.
Nur lässt sich nicht mit Gewissheit klären, ob diese Schädel aus religiösen Gründen aufbewahrt wurden, ob es sich evtl. um Schädel besiegter Feinde handelt, oder ob die Verletzungen einiger Schädel älteste Hinweise auf (rituelle) kannibalistische Praktiken (auch bei zur Knochenmarksentnahme aufgespaltenen menschlichen Langknochen) handelt.
Farben: In einer Höhle von Sambia wurden Pigmentreste gefunden, die auf ein Alter von 400.000 bis 350.000 Jahren datiert werden. Die Farben hatten der Körperbemalung gedient und weisen auf sehr alte religiöse Rituale hin. Ebenso in Nizza, wo seit 1965 eine in den ältesten Schichte 400.000 Jahre alte Siedlung des homo erectus ausgegraben wurde, die sehr ergiebige Funde bietet. Wichtig sind hier die Fundstücke von Ocker. Aus späteren Zeiten wissen wir, dass dieser zur Bemalung von Toten oder zur Körperbemalung für kultische Zwecke diente, also möglicherweise auch hier.
Ohne noch mehr Beispiele aufzuzählen, finden sich aus dieser Zeit immer wieder Schädel- und andere Knochen, manchmal symmetrisch angeordnet, Funde gewaltsam abgeschlagender Schädelstücke, in gewollter Anordnung, auch zusammen mit tierischen Knochen und Geweihen niedergelegt. Möglicherweise Hinweise auf eine frühe rituelle Verhaltensweise", die als Patrophagie (rituelles Essen des Vaters bzw. der Ahnen) bezeichnet wird. Übrigens auch ein 1997 gefundener Schädel eines Neandertalers weist eindeutige Spuren einer rituellen Behandlung auf.
Grabfunde: Aus der Mittleren Altsteinzeit (ab ca. 100.000 v. Chr.) sind dann zahlreiche Grabfunde aus weit voneinander entfernten Gebieten Asiens, Europas und Afrikas bekannt, die - zumindest eine Reihe von ihnen - auf rituelles Handeln schließen lassen. Hierbei lassen sich förmliche Bestattungen erkennen, die nicht auf Zufall beruhen können. Deswegen kann man davon ausgehen, dass es sich dabei um eine religiöse Deutung des Todes (und auch des Lebens) handelt. Die Ausrichtung der Körper ist übrigens in Ost-West-Richtung, manchmal auch in Richtung auf den Ausgang eines Tales, möglicherweise eine Verknüpfung mit dem Auf- und Untergang der Sonne oder des Mondes.
Auch hier erfahren die Schädel der Verstorbenen oft eine Sonderbehandlung, oft zeigen sich auch Spuren von Ocker, die wohl bei einem Beerdigungsritus über den Körper gestreut wurden.
All dies sind Dokumente für die Existenz religiöser Vorstellungen in der Altsteinzeit, die bis ins untere Paläolithikum (Chou-kou-tien Höhle) reichen, also bereits rund 350.000 Jahre zurückliegen.
Höhlenmalerei: Aus der jüngeren Altsteinzeit finden sich die ersten Malereien in Höhlen, in die die Menschen tief eindrangen und sie ausmalten. Motive dieser Ausmalung finden sich auch in der Gestaltung von Gegenständen. Hier finden sich sehr unterschiedliche Interpretationen in der Fachwelt, von Jagd- und Fruchtbarkeitsmagie (was die Frage unbeantwortet lässt, dass viele Malereien gar nicht die gejagten Tiere abbilden, oder u. U. sogar im Widerspruch dazu stehen), andere sprechen von „Votiv- und Weihebildern“ (Tierseelen in der Schattenwelt) und es gibt weitere, spekulative Interpretationen. Wenn auch keine Interpretation vollständig falsch sein muss, welche genauen Auffassungen tatsächlich damit verbunden sind, lässt sich nicht mehr zuverlässig feststellen.
Dass diese Malereien in Höhlen plaziert wurden - und darüber bildet sich seit einem halben Jahrhundert eine Konsens heraus - liegt an der primär als weiblich aufgefassten Fruchtbarkeit der Erde, die diese Höhlen zu Heiligtümern werden lassen. Es scheint den meisten Vorgeschichtlern auch plausibel zu sein, dass diese numinose, primär weibliche Fruchtbarkeit, ergänzt oder erst zu ihrer Funktion gebracht durch das männliche Prinzip, eine herrschende religiöse Vorstellung war. Aus diesem Grund drangen Jäger bis tief in die Höhlen vor, um dort heilige Riten abzuhalten. Manche der Höhlen wurden übrigens nach ihrer Ausmalung nie wieder betreten.
_ Theismus? _
Lässt sich ein Gottesglaube feststellen? Nicht im Sinne des späteren Theismus. Ein Wissen um die Bedingtheit durch die übermächtige Naturwelt und der ökonomischen Abhängigkeit von ihr sowie Methoden numinoser (im Sinne „gestaltlos Göttliches“) Bewältigung lassen sich jedoch ausmachen.
Vegetationskult und Fruchtbarkeit: In der Jungsteinzeit nehmen durch die Sesshaftwerdung und den Ackerbau Vegetationskulte zu. Gleichzeitig fallen in diese Zeit figürliche Darstellungen erst von Tieren (Stieren, Widdern oder Hörnerpaaren) und dann Menschen (ab 6200 v. Chr.), hauptsächlich Frauen in drei Lebensabschnitten: Jugend, gebärend (ein Kind oder einen Stier(!)) bzw. Mutterschaft/Alter meist in Verbindung mit wilden Tieren. In manchen Häusern wurden an den Wänden angebrachte Abbildungen weiblicher Brüste aus Gips gefunden.
Ganz offensichtlich handelt es sich bei den dargestellten Frauen, Männern und Stieren - bzw. in ähnlicher Funktion Widder - um eine Darstellung des Göttlichen. Muss man sie deswegen als Göttinen oder Götter ansehen? Nicht in dem Sinne, dass sie wie später eindeutige identifizierbare Merkmale aufweisen, die auf unverwechselbare Personen hinweisen würden. Ganz im Gegenteil, die Figuren sind stilisierte Darstellungen, ohne ausgearbeiteten Gesichtern, mit Überbetonung der zumeist weiblichen Figur. Die typischen Stationen weiblichen Lebens, das offensichtlich wichtiger war, als das der männlichen Pendants, stehen im Mittelpunkt. Gemeinsam mit den männlichen Elementen zeigt sich, dass hier keine mythenumwobenen Götter Thema sind, sondern die Polarität des (primär) Weiblichen und des (begleitend) Männlichen. Die weibliche Fruchtbarkeit steht ohne Zweifel auch hier im Mittelpunkt, aber nicht personenbezogen und weiters gemeinsam gemeinsam mit einem chtonisch (also „nach unten“, auf die Erde) ausgerichteten Vegetationskult.
Die (orientalische) Muttergöttin?
Auch wenn viele Forscher von einer „Muttergöttin“ ausgehen, so ist die Frage noch nicht unumstritten, es gibt auch gewichtige Stimmen dagegen. Eine solche Vorstellung setzt nämlich anthropomorphe Gottesvorstellungen voraus, die für die Jungsteinzeit weder zu belegen noch zu erschließen sind. Wahrscheinlicher handelt es sich um die Verehrung primär weiblich-sachhafter Fruchtbarkeit. Wenn auch noch nicht von Göttern oder Göttinnen die Rede ist, so hat doch das Göttliche ein Stück menschliche Gestalt angenommen und die Menscheit damit einen Schritt in Richtung Theismus getan.
_ Der „Durchbruch“ zum Theismus _
Mit dem Ende der Vorgeschichte bilden sich - gleichzeitig mit einer zunehmend organisatorischen „Herrschaftsausübung“ und „neuen Qualitäten menschlicher Gesellschaftsformen“ - zunehmend differenzierte und regional sehr verschiedene Religionen und Kulturen heraus. Mit dem dritten vorchristlichen Jahrtausend entstanden - mit ein- oder zweitausendjähriger Verzögerung - überall in der Welt Religionsformen auf neuem Abstraktionsniveau. In all diesen Religionen bildeten sich mehr oder weniger ausdifferenzierte Polytheismen, die in den Anfängen - und nicht selten auch später noch - archaische Spuren in sich trugen. Die jeweiligen Götter wurden durch Mythen, die im Kult erzählt, oft dann auch verschriftet werden, voneinander unterschieden und in ihrer spezifischen Funktion und Eigenart fixiert. Die kultischen Gemeinschaftsformen waren bald so differenziert, dass die Kenntnis der rituellen Regeln eine spezialisierte Priesterschaft erforderlich machte. Staatliche und gesellschaftliche Institutionen wurden sakral und durch die Götter sanktioniert. „Anfang“ und „Ende“, der Aufbau des Kosmos, die Entstehung der Kultur, Vorstellungen von Ober- und Unterwelt, wurden in Mythen gedeutet. Während in vielen Religionen die Götter jedoch nach einem ungeordneten Naturzustand selbst erst enstanden, gibt es eine Ausnahme: Genau diesen Entstehungsvorgang ihrer Gottheit kennt die Jahwereligion nicht.
Nun sind wir also beim Theismus gelandet, von da an wird es dann komplizierter
Grüße
Maria
Strohmann?
Hallöchen
Das beantwortet nicht die UP-Frage nach dem Grund der Entstehung von Religion, sondern betrifft eine schon sehr fortgeschrittene Religionsstufe, nämlich die herrschaftslegitimierende Mythen-Religion der Hochkulturen , bei denen der König als Statthalter des jeweils mächtigsten Gottes galt.
Hallo, nein.
Du interpretierst hier etwas rein, was ich so nie gesagt habe.
Es geht nicht um die Herrschaftslegitimierung der jeweils Regierenden, sondern schon um eine deutlich frühere Phase - in der Okkultisten jedweder Form durch Nutzung ihres Intellekts eine Macht ausübten, welche durch Gewalt nicht ausübbar wäre.
Ich behaupte, schon in der Frühzeit der Menschengeschichte war der primitive Schamane eine Person, welche aufgrund einer Re-interpretation des Sichtbaren durch Hinweis auf (eventuell damals) nicht überprüfbare „göttliche“ Hintergründe das Tun und Handeln von Anderen zu seinem eigenen Vorteil steuern konnte.
Das hat nichts damit zu tun, dass in der späten Menschheitsgeschichte irgend ein Kaiser von irgend einem Papst gekrönt wurde und damit zur mächtigsten Person des Okzidents wurde.
Es geht um den Einfluss der Religion, welcher darauf beruht, durch nicht beweisbare Aussagen Kontrolle über Denken und Handeln einer Menschenmasse zu übernehmen - vorbei an jeder verbrieften Machtstruktur!
Und ich bleibe dabei, Menschen „entdecken Religion“ aus zwei ganz unterschiedlichen Gründen für sich, damals wie heute:
a) Die „Folgenden“, welche gerne ihre gottgegebene (scnr) Vernunft gegen die Befolgung von Mythen, Regeln und Riten tauschen möchten - die einfach glücklicher sind, Dinge zu tun ohne sie zu hinterfragen.
b) Die „Wissenden“, welche sich ein solches Werk zu ihrem eigenen Vorteil entweder aneignen oder erdenken
Da beide Gruppen auf ihre Weise Vorteile von der Religion haben, ergibt sich ein Win-Win, es entsteht eine Subkultur, in welcher beide Personengruppen zueinander finden und die Religion organisiert sich.
Je mehr Leute der beiden Gruppen eine organisierte Religion unter sich vereinen kann, desto mächtiger wird die Religion - bis zu dem Punkt, wo sie die Oberhand in einer Gesellschaft gewinnt und zur Staatsreligion wird.
An dem Punkt ist dann auch die „göttliche Legitimation“ einer wie auch immer gearteten Regierung denkbar.
Aber lange vorher gibt es schon diese beiden Gruppen, die aufeinander treffen und zum gegenseitigen Vorteil eine Subkultur um irgend ein Wunschdenken herum aufbauen.
Gruß,
Michael