Elia und die feindlichen Sex-Kulte
Hi FraLang.
Ich will hier ein paar Hinweise geben, aber längst keine schlüssige Antwort.
im Gegensatz zu anderen mesopotamischen Mythen oder etwa zur griechischen Mythologie werden sexuelle Ausschreitungen in der Bibel stets extrem negativ dargestellt.
Nun, „sexuelle Ausschreitung“ ist bereits negativ wertend, aber wahrscheinlich willst du auf das neutrale „orgiastisch“ hinaus. In Sumer, Babylonien und Kanaan waren nicht nur die Mythen, sondern vor allem die konkreten religiösen Rituale orgiastisch. Z.B. gab es bei den Sumerern und Babyloniern die sog. „Heilige Hochzeit“, bei der die Oberpriesterin der Göttin Ihanna öffentlich mit dem jeweiligen König koitierte. Es gab auch auch untergeordnete Tempeldienerinnen, die bei öffentlichen Ritualen mit Männern und Halbwüchsigen Sex hatten. Auch individuelle Dienste wurden von den „Dienerinnen“ bereitgestellt, weswegen sie in der heutigen Wissenschaft irreführend als Tempelprostiutierte bezeichnet werden. Von den kanaanitischen Tempeln in frühjüdischer Zeit heißt es, dass es auch männliche Diener für männliche Interessenten gab.
Was den Beginn der alttestamentlichen Sexualgegnerschaft betrifft, wäre die Beschäftigung mit dem Propheten Elia (zweite Hälfte des 9. Jhd.v.u.Z) kein schlechter Ansatz. Er gehörte zu der Gruppe von Menschen, die man als „Visionäre“ bezeichnet, und soll ein Experte in der Anwendung von Eksasetechniken gewesen sein. Er kam aus einer sozial benachteiligten Schicht in einer Zeit, in der sich das isralische Grundbesitzertum herausbildete, was ein Motiv für sein Feindschaft gegenüber den bestehenden Fruchtbarkeitskulten um die Götter Baal und Aschera und gegenüber dem König war, der diese Kulte unterstützte.
Laut 1 Könige kam es unter dem Nordreich-König Ahab zu einem magischen „Duell“ zwischen Elia und 450 Baal-Priestern, bei dem die Priester den kürzeren zog, worauf Elia dem anwesenden Volk befahl, sie zu töten, was auch geschah. Zuvor hatte Ahab Elia um prophetische Hilfe wegen einer anhaltenden Dürre in Samaria gebeten und Elia für diese Dürre den Baal-und-Aschera-Kult verantwortlich gemacht.
Der politische Hintergrund, in dem Elias Kampf gegen die orgiastischen Kulte zu sehen ist, ist vielleicht noch entscheidender als irgendein religiöses Motiv, denn ursprünglich tolerierte Elia die Kulte. Ein Schüler Elias, Elischa, war Lehrer des Jehu, eines Heerführers, der eine Revolution gegen die in diesen Zeiten herrschende Omris-Dynastie durchführte (zu der auch Ahab gehörte) und die etwa 100jährige Jehu-Dynastie begründete, was ein Verbot der Kulte zur Folge hatte.
Man kann die Sexualgegnerschaft im AT also auch als (zumindest partiellen) Effekt eines politischen Kampfes interpretieren, bei dem der politische Gegner mit den von diesen unterstützten Sexualkulten assoziiert wurde, wodurch das Sexuelle in die Negativität abglitt (als Attribut des bösen Gegners). Ich will das aber als These verstanden wissen, nicht als Behauptung.
Chan