Hallo Sebastian,
wenn jemand behauptet, er wisse über das tatsächliche Aussehen Shakyamuni Buddhas Bescheid, so sollte er dafür entsprechende Quellen angeben können. Und zwar zeitgenössische Quellen (also aus dem 6. oder doch wenigstens 5. Jahrhundert vor der Zeitenwende), versteht sich. Denkbar wären da schriftliche Quellen oder aber bildliche Darstellungen.
Fangen wir mit Letzterem an. Ob die frühesten anthropomorphen Darstellungen Buddhas der Mathura-Schule zuzurechnen sind (wohl mit dem Beginn der Sunga-Zeit, 184 -72 v.u.Z. anzusetzen), der auch jainistische und hinduistische Darstellungen zuzuschreiben sind, oder aber der griechisch-römisch bzw. parthisch beeinflussten Gandhara-Schule, ist mW noch umstritten. Beide Stile florierten jedenfalls vor allem zu Zeiten der Kushana-Dynastie (erst ca. 1.-4. Jh. u.Z.). Vorher waren Objekte buddhistischer plastischer Kunst, wie anhand von Reliefdarstellungen an sakralen Bauwerken feststellbar, symbolischer Natur (Bodhibaum, Thron, Fußspuren, abgeschnittenes Haar usw.). Die figürliche Darstellung entstand erst mit der Vollplastik, für die zumindest in Gandhara das Abendland die entscheidenden Impulse gab. Zu Lebzeiten Shakyamuni Buddhas und noch Jahrhunderte danach gab es jedenfalls im indischen Kulturkreis nicht nur keine figürliche Darstellung Buddhas, es gab überhaupt nichts, was als Porträtplastik bezeichnet werden könnte.
Zu den schriftlichen Quellen. Eine Textstratigraphie auch nur der buddhistischen Texte zu erstellen, ist eine letzlich wohl nicht lösbare Aufgabe, zumal der schriftlichen Fixierung der Texte zunächst eine jahrhundertelange mündliche Überlieferung voranging. Vergleichende Untersuchungen der verschiedenen überlieferten Textkanones legen nahe, dass auf die Lebenszeit Buddhas lediglich der Vinaya-Pitaka (die Sammlung der Ordensregeln) und Teile der Sutren zurückgehen. Eine Beschreibung, die den von Dir genannten Merkmalen auch nur entfernt entspräche, findet sich aber weder dort noch sonstwo in der überlieferten Literatur der sog. Hinayana-Schulen.
Es gibt in einigen textgeschichtlich vergleichsweise jungen Mahayana-Texten (z.B. im Yogâcârabhûmi-shâstra) Beschreibungen der körperlichen Erscheinung Buddhas. Diese sind formelhaft, am häufigsten ist dabei ein ‚Katalog‘ mit 32 Merkmalen (jap. sanjûni sô), an dem sich auch bildliche Darstellungen orientieren. Diese Merkmale sind allerdings formelhaft und symbolisch, nicht persönlich-charakteristisch; sie treffen im Übrigen auch auf Bodhisattvas zu. Selbstverständlich hat das mit einer realistischen Beschreibung nichts zu tun und zeitgenössisch ist es schon gar nicht. Also auch das buddhistische Schrifttum - Fehlanzeige.
Auf einen ernstzunehmenden Beleg für eine Beschreibung Buddhas in nicht-buddhistischen Schriften, deren Entstehung auf die Lebenszeit Shakyamunis zurückzuführen wäre, wäre ich wirklich gespannt. Das wäre eine wissenschaftliche Sensation - etwa so, als würde man einen verschollenen Text eines römischen Historikers des ersten Jahrhunderts mit einer Beschreibung des Aussehens des Rabbi Jeschua aus Nazareth finden. So etwas (ich meine jetzt eine zeitgenössische Beschreibung Buddhas) in einem ‚Veda-Kommentar‘ zu suchen, halte ich allerdings für wenig aussichtsreich. Um die Lebenszeit Buddhas entstanden im Korpus der vedischen Literatur die mittleren Upanischaden; nicht gerade das, was man als ‚Kommentierungen‘ des Veda bezeichnen bezeichnen könnte.
Ich vermute die Quelle der ‚erfahrenen Buddhisten‘, auf die Du Dich berufst, in den auch sonst gelegentlich etwas wirrköpfigen Aussagen eines populären buddhistischen Wanderpredigers dänischer Herkunft, der schon mal über die arische Herkunft Buddhas schwadroniert und ihm blaue Augen andichtet. Woher er solche Weisheiten hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben.
Freundliche Grüße,
Ralf