Warum macht man die "toten" Sprachen im Schulunterricht toter als sie sind?

Hallo,

Was ich mich schon länger frage: Warum macht man die „toten“ Sprachen im Schulunterricht eigentlich toter als sie sind?

Angesichts der Tatsache, dass die deutsche Schulaussprache weder im Latein- und schon gar nicht im Altgriechischunterricht der jeweils wissenschaftlich rekonstruierten Aussprache entspricht, frage ich mich, warum man dann die Aussprache nicht gleich so gestaltet, dass der Schüler durch den Unterricht befähigt wird, dadurch mit lebenden Menschen sprechen zu können.

Beim Latein mag es nicht so deutlich sein, aber würde man im Altgriechischunterricht in etwa die neugriechische Ausspracheregeln verwenden (wie es m.W. in Spanien annähernd gehalten wird), könnte man damit Neugriechisch bereits gut verstehen und sich mit wenig Aufwand aneignen.

Würde man Latein im Unterricht kirchenlateinisch aussprechen, wäre das immerhin eine gute Grundlage für Italienisch und -schwächer- Spanisch. So ist Latein als Grundlage dafür fast völlig verschenkt und wir lernen ein Pseudolatein in der Schule, das nirgendwo existiert hat, und mit dem man nirgendwo kommunikativ etwas anfangen kann.

Was ist der Sinn, diese Sprachen so „tot“ zu halten?
Insbesondere beim Griechischen, dass so starke Kontinuität zwischen Alt- und Neu- besitzt, finde ich das sehr unverständlich. Und ich spreche hier jetzt einfach nur von der Aussprache ohne jeden Eingriff ins Inhaltliche. Ist ja nicht so, dass ich wollen würde, den lateinischen Ablativ oder den griechischen Dativ wegzulassen.

Gruß
F.

Ich fang mal mit der Kindergartentanten-Argumentation an: Weil man die Lernenden „toter“ Sprachen nicht auch noch mit der Aussprache belasten will. Ich kann jetzt nur für Latein sprechen, aber da ist die Grammatik ja doch ein recht großer Brocken, da hat’s mir schon geholfen, mich nicht noch zusätzlich mit dieser „komischen“ Aussprache - wie zum Beispiel bei französisch - belasten zu müssen. Ob das aber Bug oder Feature ist, ahne ich nicht…

Aber so erfahren wir, mit welcher Aussprache unsere Großväter Latein in der Schule gelernt haben.

  • Obwohl, selbst das stimmt ja nicht. :unamused:
    Die haben ja das C die Z ausgesprochen, und das wurde irgendwann in eine Aussprache wie K geändert. - Was heute in den Schulen zum Thema Aussprache von C behauptet wird, weiß ich nicht.

Ich denke, das ist ein Fall von ‚haben wir schon immer so gemacht‘ und ‚da könnte ja jeder kommen‘.

Das Argument verstehe ich im Kern schon.
Allerdings wird die Belastung ja nur größer, wenn die Hör- und Sprechkompetenz in den Mittelpunkt gerückt würde, wie beim Englisch- oder Französischunterricht.

Ich hab aber nur gemeint, die jeweiligen Aussprachen zu verändern. Ob ich jetzt von vorn herein die Vokabeln in ‚schullatein‘ oder in kirchenlatein ausspreche bzw. in schulalt- oder neugriechisch, dürfte nicht so viel Mehraufwand sein. Irgendwie müssen sie ja im Unterricht eh gesprochen werden.

Gruß
F.

1 Like

Hi,

Latein wird gelehrt, damit die Schüler Grammatik lernen und logisches DEnken und woher Fremdwörter kommen. Aussprechen ist ein notwendiges Übel.

(Frag mich nicht…)

die Franzi

Nunja. Ich frage mich eh, warum man nicht eine Sprache lernt, die man auch im Alltag recht häufig gebrauchen kann. Spanisch zum Beispiel.

Ist auch eine romanische Sprache und somit ein guter Grundstock für medizinische oder botanische Fachausdrücke und sonstige Fremdworte.

Und das Argument mit der Struktur und Grammatik, die man angeblich nur an Latein lernen kann, halte ich eh für ein Ammenmärchen.

Der Lateinunterricht scheint aber in den letzten Jahren immerhin ein wenig lebendiger geworden zu sein.

Bufo

Hallo,

irgendwie verstehe ich die Frage nicht. Ich habe meine Zeit des Lateinunterrichts (von der 9. bis zur. 11. JGst.) immer als eine der wesentlichen Bereicherungen meiner Schulzeit empfunden (sowohl währenddessen als auch bis heute). Mein Lateinlehrer verstand es immer, die Sprache mit Leben und Bezug zur damaligen Lebensweise zu erfüllen und ob die Aussprache so oder so richtig war, finde ich dabei wenig relevant. Mir hat der Lateinunterricht zu einem tieferen Verständnis der deutschen Sprache verholfen und mir das Erlernen/Vertiefen von Französisch und Spanisch erleichtert. Mal ganz davon abgesehen, daß er mir Herrn Fernau und die ein oder andere Lerntechnik nähergebracht hat.

Ob er nun ein richtiges oder falsches Latein vermittelt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Wobei da noch die Frage wäre, was eigentlich falsches Latein ist (also an Beispielen festgemacht). Ach ja, nebenbei: (Alt)Griechisch hat der Mann auch unterrichtet. Allerdings fanden sich damals nicht genug Teilnehmer für einen Grundkurs. Eine AG gab es damals aber, glaube ich mich zu entsinnen.

Gruß
C.

Gibts bei uns immerhin teilweise.
Ab der 10. Klasse als Ersatz für die 1. oder 2. Fremdsprache wählbar.

Das ist an meiner Tochter auf jeden Fall vorbei gegangen zu sein :wink:

Gruß
F.

1 Like

Da sind viele unterschiedliche Aspekte drin:

  • ich fand Latein auch interessant
  • um die „Lebendigkeit“ in Bezug auf damalige Lebensweisen gehts mir bei meiner Fragestellung nicht, sondern darum, ob der Lateinunterricht Anschluss sucht an lebende Sprachen.
  • ja, sehe ich auch so: für den Deutschunterricht bringt der Lateinunterricht recht viel; darum würde ich den auch nicht abschaffen wollen.
  • dass Latein, in der unterrichteten Form, viel für Französisch und Spanisch bringt, hab ich am eigenen Leib nicht erlebt, obwohl ich schon das Große Latinum hatte als ich mit Spanisch angefangen habe. Was wirklich viel bringt, sind die romanischen Sprachen untereinander, aber Latein nicht. M.E. auch deshalb nicht, weil es so blutleer-„unromanisch“ gelehrt wird.

Es geht bei dieser Frage nicht um deinen Lehrer, sondern um den Latein- und Altgriechischunterricht an deutschen Schulen. Die Aussprache ist in beiden Fächern keine historisch korrekte, sondern eine per Beschluss festgelegte. Das ist an sich nicht weiter tragisch, es stellt sich aber die Frage, ob diese Aussprache eine sinnvolle ist, und ob Aussprachen, wie sie in anderen Ländern gehandhabt werden, nicht sinnvoller wären.
Ist doch eine berechtigte Fragestellung, oder?

Gruß
F.

ächz Nichts besseres gefunden als den alten Nazi?

Komisch, in seinen Büchern über die Griechen und Römer stand gar kein nationalsozialistisches Gedankengut.

1 Like

Ich wollte darauf hinaus, daß es DEN Unterricht nicht gibt.

Auf die Aussprache welcher Buchstaben willst Du denn hinaus? Ich meine mich erinnern zu können, daß das Thema Aussprache und die Diskussionen darüber, was denn wohl richtig sei, zur Sprache kam, kann man mich aber nicht mehr erinnern, was genau Gegenstand der Diskussionen war und welchen Standpunkt er vertrat. Es kann also durchaus sein, daß wir die richtige Aussprache lernten oder uns zumindest bekannt war, daß es unterschiedliche Ansichten gab/gibt.

Gruß
C.

Ekkehardt Rudolf rezensierte in der evangelisch-konservativen Wochenzeitung Christ und Welt 1971 Fernaus Buch Cäsar läßt grüßen. Nach ausführlicher Zitierung kommentierte er: „In diesen Zitaten steckt eine Gesinnung, die reaktionär zu nennen euphemistisch wäre: mir erscheint sie antidemokratisch und demagogisch. Fast überflüssig zu sagen, daß zwischen den Zeilen ein Bekenntnis zum Führerprinzip ablesbar ist.“[31]
https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Fernau#1945–1988

Schon klar, aber DIE deutsche Schulaussprache des Lateinischen/Altgriechischen als übergreifenden Rahmen gibts schon, auch wenns ein paar kleine Spielräume zwischen den Bundesländern innerhalb des Rahmens geben mag.
Auf diesen Rahmen war meine Frage bezogen.

Ich würde halt die altgriechischen Texte stärker „neugriechisch“ aussprechen, wie in Griechenland auch. Damit kann ein Schüler, der ein paar Jahre Altgriechisch hatte, nach Griechenland fahren und sich unterhalten. Heute kann er es nicht, nur schriftlich.

Beim Latein ist der unmittelbare Nutzen nicht so offensichtlich, aber grob gesagt, wäre die kirchenlateinische Aussprache halt deutlich näher am Italienischen als das deutsche Schullatein. M.W. orientiert sich die italienische Schulaussprache des Lateinischen entsprechend auch am Kirchenlatein. Auch da hat es im Sinne der Hör-/Sprechschulung durchaus Vorteile, im Lateinunterricht italienische Klängen „nebenbei“ vermittelt zu bekommen. Wie gesagt, für den Lateinunterricht ist es ja ziemlich wurscht, wie man die Vokabeln ausspricht. Man verliert ja nicht viel, wenn man diese (künstliche) Schulaussprache aussterben lässt, die eh keine „historisch-echte“ ist.

Gruß
F.

Während die in den Schulen gelehrte deutlich näher am klassischen Latein der frühen Kaiserzeit ist.

Die Philologen, die sich heute mit gesprochenem Latein beschäftigen, beschäftigen sich auch mit der möglichst getreuen Rekonstruktion der klassischen Aussprache. Ich habe seinerzeit bei P Caelestis Eichenseer OSB, einem „Pionier“ der Latinitas Viva, der dem modernen gesprochenen Latein u.a. zu dem bis heute bestehenden Lehrstuhl an der Uni Saarbrücken verholfen hat, ein wenig modernes Latein gelernt - das einzige, was dieses von dem an den Gymnasien gelehrten „evangelischen“ Latein (kälum und nicht zölum) deutlich hörbar unterscheidet, sind die Diphtonge ae und oe, die im modernen Latein entsprechend der mutmaßlichen Aussprache um die Zeitenwende getrennt a-e und o-e gesprochen werden.

‚Latinitas viva‘ hat übrigens richtig Fez gemacht, von ‚totmachen‘ kann keine Rede sein.

Und wenn man in heute in größerem Umfang gesprochenen Sprachen klassisches Latein sucht, findet man es eher im Rumantsch und im Rumänischen als im Italienischen: Dakien und Churrätien haben die letzte Sprachreform, mit der in der Kaiserzeit versucht wurde, sich wieder dem klassischen Latein anzunähern, als einzige Provinzen vollständig umgesetzt und auch beibehalten.

Un legionar al împăratului Hadrian a vorbit probabil despre asta.

Schöne Grüße

MM

1 Like

Ich will ja weder kälum noch zölum, sondern tʃɛlum.
Ecce:

Dieses Pater noster ist schon weit von unserem Schullatein weg.

Umso erstaunlicher, als zur Hoch-Zeit des klassischen Lateins in Dakien noch gar kein Latein gesprochen worden sein dürfte, und als dort Latein gesprochen wurde, kein klassisches (mehr). Es müsste ein ziemlicher Kauderwelsch gewesen sein.

Gruß
F.

… ziemliches …

Ich erinnere mich an meinen Schüleraustausch in den USA. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht, was dort im Vergleich zu hier im Lateinunterricht stattfand. Nicht nur die Aussprache war deutlich „gefälliger“, es wurde insbesondere auch E->L übersetzt, man versuchte sich zu unterhalten, arbeitete mit jugendgerechten Texten, … So hätte die Sache auch mir Spaß machen können. Tatsächlich litt ich hier nur unter diesem Fach, dessen Sinnhaftigkeit sich mir nie erschlossen hat, und kann zumindest für mich feststellen, dass die ganzen „Vorzüge“ des Lateinunterrichts nahezu spurlos an mir vorüber gegangen sind. Einzige Ausnahme ist die Möglichkeit der Übersetzung der ein oder anderen Inschrift im Urlaub, und die erstaunlich gute Möglichkeit, sich mit der ein oder anderen Vokabel in Italien zurecht zu finden.

Erstaunlicherweise werden mir aber - abgesehen von der korrekten Benennung grammatikalischer Feinheiten - immer genau all die Dinge zugesprochen, die man angeblich gerade im Lateinunterricht erwirbt. Und die Berufswahl und die berufliche Tätigkeit haben sich auch genau in diese Richtung entwickelt.

Von dem Blödsinn, dass man ohne Latein kein anständiger Jurist werden könnte, will ich erst gar nicht anfangen. Die paar Fachwörter und „dummen Sprüche“ hätte man auch auf Chinesisch oder Arabisch auswendig lernen können. Und das römische Recht ist sicherlich in seiner Gesamtheit „ganz nett“ im Sinne von grundsätzlichem Hintergrundwissen, wo unser Recht und seine Systematik her kommt. Dafür muss man aber nicht jahrelange Pandekten-Exegese betreiben, wie dies in einigen Ländern immer noch zu Beginn des Jurastudiums betrieben wird, und dann eben auch entsprechende Kenntnisse in Latein verlangt. Meine Frau hat sich diesen Spaß damals auch das ein oder andere Semester gegönnt, ohne dass sie davon heute besondere Vorteile im Beruf hätte.

Sohnemann lernt jetzt jedenfalls als zweite Fremdsprache Französisch, und fährt damit gut. Im Sommer wird er uns in Quebec sicher schon etwas unterstützen können. Und wir versuchen mit ihm etwas mit zu lernen. Denn wir betrachten es beide als wirklich schade, dass wir keine zweite lebendige Sprache so richtig in der Schule gelernt haben, obwohl wir beide gerne und viel Engagement zeigen, uns im Ausland möglichst wenig als „deutsche Touristen“ zu bewegen, und gerne jeden kleinen Brocken Fremdsprache aufsaugen und nutzen.

Servus,

das stimmt nicht.

Diese Aussprache war im gesamten 19. und 20. Jahrhundert dem katholischen Kirchenlatein und dem Medizinerlatein vorbehalten.

Eben gerade nicht.

Die tradierte lateinische Aussprache, die gefühlt „schon immer so gemacht wurde“ ist die im Kirchenlatein, welches mit nur geringen Änderungen seit mindestens dem Ende des 4. Jahrhunderts gesprochen wird wie heute. Dem steht entgegen das von den Altphilologen erst seit der Zeit der Aufklärung und in der Tradition der Humanisten keineswegs irgendwie beliebig zurechtgewürfelte, sondern mit Hirnschmalz und Mühe rekonstruierte klassische Latein. Vergil und Ovid mit kirchenlateinischer Aussprache zu lesen grenzt an Körperverletzung.

Dass Volkslatein vermutlich bereits um die Zeitenwende anders klang, sollte einen deutschen Muttersprachler nicht im geringsten überraschen: Niemand kommt dahergetrötet und verlangt, an den Schulen in Deutschland solle kein Deutsch mehr unterrichtet werden, bloß weil es nirgendwo in Deutschland außerhalb von Bühne und Sendestudios gesprochen wird.

Schöne Grüße

MM

Noja, so wie die deutschen Dialekte vom Standarddeutschen aus gesehen wie „ziemliches Kauderwelsch“ wirken.

Wie gesagt: Von den vielen Töchtern der Mutter Latein, die heute in Europa heimisch sind, und von denen Du willkürlich den Dialekt Dante Alighieris herausgreifst und forderst, Latein müsste so klingen wie dieser, sind die, die dem klassischen Latein am nächsten stehen, Rumänisch und Rumantsch.

Der Teilaspekt, der Dir der wichtigste zu sein scheint, bestimmte Lautverschiebungen bei Konsonanten, ist übrigens der allerharmloseste. Zweitausend Jahre nach der römischen Besatzung heißt ein tectum halt Dach, ein horreum Scheuer, eine porta Pforte und eine strata Straße, ohne dass man damit „begründen“ könnte, dass man auch im Lateinischen „dechtum“, „scheureum“, „pforta“ und „strassa“ sagen müsste, damit es „weniger tot“ klingt.

Schöne Grüße

MM