BS"D
Hallo Eli
Ich stimme allen zu, welche die frage in dieser allgemeinen
Form ablehne, wundere mich aber gleichzeitig, dass fast alle
weit über das Ziel hinausschiessen und jeglichen christlichen
Antijudaismus bestreiten.
Das möchte ich für meinen Teil ausdrücklich nicht tun. Der christliche (!) Antijudaismus (aber der Begriff ist doppeldeutig) hat in der überwiegenden Zeit seit Entstehung des Christentums existiert. Wenn ich die Frage des Threads in „geniessbarer“ Weise zu verstehen versuche, dann besteht sie in einer Suche nach den Wurzeln. Und dann wird man (historisch) im zweiten Jahrhundert fündig, wo es darum geht, dass sich die Christen die Frage beantworten sollten, warum sie gerade bei Heiden so viel Erfolge, bei Juden aber so viele Misserfolge in der Missionierung einfuhren. Einige Fragen stellen sich aber schon von Vornherein.
Problem 1: Im ersten Jahrhundert könnte es das auch geben. Paulus berichtet ja ebenfalls von ausbleibenden Missionserfolgen in Israel (Brief an die Römer). Aber Paulus versucht zu vermitteln und deutet keinen Judenhass an. Man könnte also sagen „christlicher“ (im Sinne von in der Kirchengeschichte aufgetretenem und oft weit verbreitetem) Antijudaismus, dagegen wenigstens mit Blick auf Paulus kein „biblischer“ Antijudaismus.
Problem 2: Schätzungsweise um das Jahr 100 wurde das Johannesevangelium verfasst. Johannes betitelte diverse Gruppen des Volkes Israel zur Zeit Jesu als „die Juden“. Dazu gehören solche, die zum Glauben kamen, Freunde Jesu, Feinde Jesu usw. usf.; schwierig wird es da, wo es heisst: „DIE Juden aber schrien…“. Ähnlich steht es mit Matthäus („da rief das GANZE Volk…“). Diese Verallgemeinerungen konnten aber unmöglich jeden oder jede Angehörige des jüdischen Glaubens meinen und wollten das auch nicht, da in jener Zeit noch selbstverständlich war, dass es Judenchristen gab
Selbst in heutiger Zeit kann ich sehr wohl sagen, dass mir
Christen schon sehr feindlich gegenübergetreten sind, aus
ihrem christlichen Verständnis heraus. Dieses hier alles nun
zu leugnen, geht doch etwas zu weit.
Du redest von „christlichem“ Verständnis, und da ist schon das
Problem 3: Was heisst „christliches Verständnis“ - da sollte man doch unterscheiden zwischen genuin christlich und „von Christen zugelassen“/akzidentiell oder sogar „scheinbar“ christlich.
Warum so wenig Selbstkritik von den Christen hier?
Weil „wir“ (ich meine hier erstmal „ich“, aber vielleicht gibt’s noch weitere) auch noch weitere Anliegen haben als das Reinmenschliche, wenngleich dieses zu den höchsten gehört. Es ist z. B. wichtig, die Begrifflichkeit zu suchen - was „heisst“ Christus, was heisst Christsein, was sind bleibende Wahrheiten und was wandelbare, warum ist der Glaube als höchste Begrifflichkeit den andern Begriffen übergeordnet (z. B. weil alles andere vergänglich ist) usw. usf. Wenn die Frage nach Differenzen/Dialogen Judentum-Christentum auftaucht, dann sind auch diese Fragen angesprochen und müssen angegangen werden. Dass viele „Christen“ (nicht im Vollsinn der heutigen Zeit) einen Antijudaismus aufgebaut, gepflegt oder gefördert haben, ist trotzdem richtig. Es ist auch zu verurteilen.
Aber schliesslich und endlich ergibt sich als
Problem 4: „Selbstkritik“, wie Du sie nennst. Ich kann mir dabei drei Arten von Selbstkritik vorstellen: Kritik an mir persönlich. Dann bin ich nicht betroffen. Kritik am „Christentum“ im Vollsinn, d. h. am Glauben an Jesus Christus, an der „christlichen“ Lehre der mir bekannten christlichen Glaubensgemeinschaften oder dem, was die katholische Kirche theoretisch lehrt. Dann ist dieser Glaube kritikresistent, im Gegenteil lehrt er sogar, die Juden zu achten
(vgl. Römerbrief und bezüglich kath. Kirche die Dokumente des letzten Konzils nebst der Päpstlichen Bitte um Verzeihung Johannes Pauls II.).
Schliesslich Kritik an den glaubenseigenen Traditionen oder Auswüchsen in der Geschichte. Da ist schlussendlich in der Tat von jenem Antijudaismus zu reden, welcher von Getauften praktiziert wurde. Welche Teile dieser Geschichte hätte ich aber auf „mich selbst“ zu beziehen, um „Selbstkritik“ zu üben. Christus hat Sich selbst in diesem Bereich nichts vorzuwerfen - DAS wäre christliche Selbstkritik. Es wäre denn, man machte Gott für den Antijudaismus verantwortlich, etwa im Sinne Jjobs („Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen“). Aber von „Christen“ getragenen, von Einzelnen behaupteten „christlich gebotenen“ oder im Christentum verbreiteten Antijudaismus, das alles hat’s gegeben, und die Folgen waren fatal.
Die Schuld der Christen liegt im Wegschauen, teilweise auch im Mitgehen (dann aber nicht genuin christlich, ja sogar gegen die Lehre, wie sie heute deutlich vertreten wird) und Vorantreiben (dann streng genommen unchristlich); die Schuld des „Christentums“ im strengen Sinn hingegen gibt es nicht, daher die Doppeldeutigkeit und somit auch Makelhaftigkeit des Begriffes
„c h r i s t l i c h e r“ Antijudaismus.
Gruss
Mike