Warum sind die Ossis so

Da mir der Thread zu unübersichtlich geworden ist, und ich auch Verständnisprobleme bei anderen mit meinen Antworten habe, hier noch ein extra Artikel:
Folgende Geschichten, selbst erlebt mit Einfügungen aus der Politik:
Es war einmal Familie W. mit Vater W., Mutter W., Sohn W. und Tochter W.
Sie alle lebten in der DDR. Vater W war Bergmann, Mutter W war Arbeiterin in einer Fabrik, Sohn W war Mechaniker und hat nebenbei in einer Gaststätte gejobbt und Tochter W war Angestellte bei der Reichsbahn.
1989, alle gingen für die Freiheit auf die Straße. 09.11., die Mauer fällt. Alle freuen sich.
30. 04. 1990 Die D-Mark wird eingeführt.
Sohn W ist sofort seinen Nebenjob los, weil kein Mensch mehr seine schwer verdienten D-Mark in die Kneipe trägt. Vor der Währungsunion kostet ein Bier 0,56 DM, danach 1,80 DM.
Kurze Zeit später kommt ein großer Investor und kauft den Arbeitgeber von Vater W. Die Freude dauert nur kurz, weil der Investor den Betrieb schließt, um einen potentiellen Mitbewerber vom Markt zu entfernen (ich weiß, Marktwirtschaft, trotzdem Riesensauerei). Es werden ca. 10.000 Leute entlassen.
Mutter W ist zu diesem Zeitpunkt schon arbeitslos, weil die Fabrik sofort nach der Wiedervereinigung geschlossen wurde.
Im gleichen Zeitraum fluten Glücksritter aus dem Westen den Osten. Beispielhaft soll hier die HMI genannt sein. Diese Drecksbande hat die Hamburg Mannheimer extra für die dämlichen Ossis aus der Taufe gehoben, um ihre Lebensversicherungen und ihr nahezu Schneeballsystem im Vertrieb unter die Leute zu bringen.
Die Arbeitsagenturen haben alle Hände voll zu tun und schmeißen Geld ohne Ende unter Investitionswillige (oder auch fast pleite im Westen, auf den Weg in den goldenen Osten) Firmen.
Vater W geht deshalb für einen Hungerlohn arbeiten, um sich noch irgendwie in die Rente zu hangeln. Viele, sehr viele Westfirmen greifen gern die Subventionen ab und sanieren sich auf diese Weise. Sind die Subventionen aufgebraucht, zieht die Firma weiter. (Jahre später können übrigens die Arbeiter von Nokia und Opel und Bochum über gleichlautende Erfahrungen berichten) Mutter W findet Anstellung in einer Jugendherberge mit angeschlossenem Lehrlingswohnheim und arbeitet hier für einen Hungerlohn, aber wenigstens sozialversicherungspflichtig.
Zu diesem Zeitpunkt hat die Treuhand unter dem Deckmäntelchen der Marktwirtschaft Unmengen von gut laufenden Firmen zerstört.
Sprich, wir haben eine latente Ausländerfeindlichkeit (die hat es definitiv schon zu DDR-Zeiten gegeben) plus einer extremen Arbeitslosenquote und einer Vielzahl persönlicher Schicksale und echter und unechter Ungerechtigkeiten.
Wir schauen ein paar Jahre weiter. Sowohl Vater W als auch Mutter W haben es nicht geschafft, ihre Rente über Grundsicherung zu heben. Sie haben zwar ihr Lebtag gearbeitet, aber es ist nichts bei übrig geblieben. Und dann kommt hier einer aus dem Forum daher und behauptet, die Ossi-Rentner hätten ja nicht so viel eingezahlt… Da kann einem schon mal das Messer in der Tasche aufgehen.
Zwischenzeitlich ist Mutter W entlassen worden, weil aus der Jugendherberge eine Ausländerunterkunft geworden ist. Na, klingelts? Mutter W ist, wieder mal, nicht begeistert über die BRD.
Tochter W hat sich in den Gesamtbetriebsrat eines großen Unternehmens wählen lassen und hangelt sich seit 1990 von Wahl zu Wahl, um ihren Arbeitsplatz (natürlich für einen Hungerlohn) behalten zu können. Diese Spiel wird ihr immer wieder versüßt durch Aktionen des Arbeitgebers, der sie natürlich loswerden möchte, was ihm bis heute nicht gelungen ist!
Sohn W hat 1990 sofort das Weite gesucht und Dr Soon kennengelernt, mit der er seit 26 Jahren verheiratet ist und in der niedersächsischen Provinz eine neue Heimat aufgebaut hat. Die Mutter von DrSoon ist Lehrerin, die sofort nach der Wende entlassen wird, dagegen klagt und gewinnt und am Ende doch verliert, weil keiner mehr mit ihr arbeiten will. Nicht, weil sie so extrem unsympathisch ist, sondern weil sie eine Ossilehrerin ist, die ja die falschen pädagogischen Konzepte hat. Vater Soon ist Polizeikommissar und deshalb defacto stasilastig. Deshalb wird er kurz nach der Wende „gegauckt“ und macht sich als Privatdetektiv selbständig, selbstverständlich für einen Hungerlohn. Sonst würde er keine Aufträge bekommen und die Ossis sind ja viel billiger, oder so.
Die Freunde von Vater und Mutter W, die noch laufen können, verabschieden sich in den Westen.
Die Freunde von Bruder und Schwester W, die noch laufen können, verabschieden sich in den Westen.
Die Freunde von DrSoons Mutter und Vater, die noch laufen können, verabschieden sich in den Westen.
Die Freunde von DrSoon, die noch laufen können, verabschieden sich in den Westen.

Ende, Gelände.
Deswegen lasse ich mir nicht von irgendwelchen „Wessis“ erzählen, wie mein Leben war oder ist. Ist mein Leben.
Oh, ich habe die Frage vergessen. wie seht ihr das?

Soon

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Ziemlich konfus und pauschal, auch wenn da jede Menge Wahrheit steckt.
Wahr ist aber auch, die Mutti Angela ist von Wessis und Ossis gewählt worden. Nach dem Spruch „wir schaffen das“ kam Unmut auf beiden Seiten auf, nur mit dem Unterschied, die Ossis machen aus dem Herzen keine Mördergrube und sagen klar ihre Meinung, wobei die Wessis zwar grollen, aber ansonsten Parteigetreu die Klappe halten.
Und nur zur Info: ich bin ein Wessi, der im Osten seine große Liebe und Glück fand. Also ohne etwaige Ressentiments.

So ist das eben, und die noch da sind, sind im doppelten Sinne des Wortes die Zurückgebliebenen, was ihnen dann wieder von consillio und der Löschkatze vorgeworfen wird.

Hallo,

@DrSoon, Du hast ein wichtiges Detail aus meiner Sicht vergessen: den „Besserwessi“. 1990 kamen jede Menge Menschen, die die DDR umkrempelten. Nicht alle waren echte „Wendegewinnler“, viele waren einfach nur Montage-Arbeiter, die die Infrastruktur auf einen akzeptablen Stand brachten. Viele von denen, die ich im Arbeitsumfeld erlebte, trugen ihre Vorurteile wie ein Schild vor sich her. Der einprägendste Satz für mich war: „Euch Ossis muss man ja erst mal das Arbeiten beibringen.“ (Kein einziger, dem ich dann Hammer und Schraubenschlüssel hinhielt, wollte anschließend sein Versprechen wahr machen.) Und wer so einen massiven Vorurteils-Schild vor sich her trägt, fragt den anderen nicht, wie es ihm geht, was er denkt, woher er kommt und wohin er gehen möchte - das weiß der Schildträger ja schon.

An diesen Vorurteilen und jeglicher Ablehnung von Verständnissuche hat sich aus meiner Sicht bei vielen Meinungsmultiplikatoren bis heute nichts geändert. So wie einst „alle Ossis dumm und arbeitsscheu“ waren, so sind sie heute „dumm, arbeitsscheu und Nazis“.

Neulich im Morgenfernsehen war Strobl oder Kauder zum Interview geladen (ich kann es nicht mehr genau sagen, ich war noch im Halbschlaf). Auf jeden Fall rief er mit Vehemenz dazu auf, auf gar keinen Fall mit den Demonstranten in Diskurs zu gehen - mit solchen Menschen dürfe man nicht reden, man darf nur ihr Handeln mißbilligen.

Mit anderen Worten: eine Facette des „Ossis-Seins“ ist das völlig Unverständnis und Desinteresse des Wessis. Als Ausgleich für diese fehlende Empathie hat er jede Menge arroganter „guter Ratschläge“ übrig.

Grüße
Pierre

P.S.: ja, ich weiß, dass meine Sicht sehr polarisierend ist, dass ich sehr stark pauschalisiere.

Ich kenne natürlich auch die andere Seite: ich habe in meinem Bekanntenkreis viele Menschen aus vielen Bundesländern. Die meisten in meinem Alter oder jünger machen keinen Unterschied mehr zwischen Ossis und Wessi. Doch wie der Ossis tickt, warum gerade in Regionen, in denen der Anteil an fremdländischen Mitmenschen so klein ist, die Feindschaft gegen den Zuzug dieser Menschen so groß ist, das verstehen sie nicht. Weil dieses Thema in der öffentlichen Betrachtung arrogant von den Medien ausgeblendet wird.

Hallo Soon,

gut abgekotzt. Das braucht man manchmal. Ich gebe dir
bei Gelegenheit eine E-Mail-Adresse, in die du hinein schreien kannst.

Vieles kann ich nachvollziehen, manches würde ich auch relativieren.

Aber welcher Wessi kann dir erzählen, wie gut oder schlecht dein Leben ist oder war? Eigentlich kann das keiner. Auch nicht deine Familie und deine Freunde.

Nur du kannst deinen Wert bemessen.

Grüße

Jens

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So langsam glaube ich, dass das eine typisch deutsche Eigenschaft ist, sowohl im Westen als auch im Osten, wie man ja auch hier im Forum immer wieder sieht.

Hallo Soon,

auf solche Antworten hatte ich gehofft.

Das kann ich auch verstehen Ich sehe jetzt einige Dinge klarer und möchte Deine Ausführungen nicht relativieren.

Endlich mal keine Statistiken, sondern persönliche Erfahrungen und Schicksale.

Ich versuche gerade, die Antworten auf meine Frage zusammenzufassen.

Danke für diese Antwort, Hans-Jürgen Schneider

Aber doch nicht alle.
Ich habe erst nach 2000 die Verwandtschaft meines Mannes kennengelernt (die Eltern dieser Kusins wurden durch die Flucht nach dem 2. Weltkrieg getrennt, die Hälfte blieb im Osten, die andere Hälfte floh ein paar hundert Kilometer weiter [oder wurde dahin verteilt]).

Es gibt da einen inzwischen recht wohlhabenden Kusin mit eigener kleiner Firma. Zwei ebenfalls gut dastehende Handwerkerkusins, die sich nach der Wende selbständig gemacht haben (einer hat bereits vor einigen Jahren an seinen Sohn abgegeben und ist in Rente). Ein Lastwagenfahrer, der sich durchschlägt, aber eine recht gut verdienende Frau hat, die außerdem für eine der großen Parteien im Kreistag sitzt. Einer, der durch einen Unfall seinem gelernten Beruf nicht nachgehen kann, und einen kleinen Bauernhof weiterführt, aber das nur schafft, weil seine Frau verdient und er teilweise Rente erhält. Einen, der sich so durchschlägt, öfter den Arbeitgeber wechselt. Die Kinder von den verschiedenen Familien sind bis auf zwei Ausnahmen in Lohn und Brot, nicht Akademiker (bis auch auf zwei Ausnahmen), wohnen alle im Umkreis von 60 km oder so, mit Berlin in Reichweite, aber alle in mittelgroßen Städten oder Kleinstädten. Nur nebenbei erwähnt: in der angeheirateten Familie gab es einen Polizisten und Parteimitglied, der mittleren Preisklasse, der kurz vor der Wende einen Karriereknick erlebte, weil die Tochter sich in den Westen absetzte. Der „Karriereknick“ offenbahrte sich als Karrierehelfer, denn als in „Ungnade gefallener“ Staatsdiener, konnte er kurze Zeit nach der Wende, als man händeringend nach Ersatz für die aussortierten Polizisten suchte, die Treppe hochfallen.

Ich weiß, diese Familie ist nicht repräsentativ. Aber die anderen Geschichten sind es eben auch nicht.

Grüße
Siboniwe

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Das war die Drohung der Ostdeutschen. Führt eine Währung ein die etwas wert ist, oder „wir kommen zu ihr“.

Von den wenigen DDR Unternehmen die etwas halbwegs verkaufbares produzierten, war keines mehr Wettbewerbsfähig nach der Einführung der DM und der damit verbundenen Verdreifachung der Preise.

Ich denke wir sind uns einig dass es einfach nur gehirnamputiert wäre in Deutschland heute noch Handys zusammen zu schrauben (was die Firma ohnehin nicht mehr macht). Was für eine Wahl hatten sie denn?

Nenn mal ein paar dieser „gut laufenden Firmen“ die auch nur im Ansatz mit der DM und ihrer völlig vorsintflutlichen Technik noch wettbewerbsfähig waren?

Sehr interessant. Wir alt waren die denn bei der Wende. Denn selbst bei Dauerarbeitslosigkeit haben sie ja weiter eingezahlt und schon viele Jahre Ansprüche in der DDR erworben (meist sehr früher Beginn der Erwerbslebens). Erst mit H4 wurde nicht mehr in die RV eingezahlt (richtigerweise).

Haben sie jetzt ein Leben lang gearbeitet oder waren sie Jahrzehnte lang Arbeitslos?

Welches große Unternehmen zahlt einen Hungerlohn? Meist verdient man in den großen Konzernen ja mehr als das doppelte als in kleinen Unternehmen…

Hallo,

bin zwar ursprünglich Wessi, inzwischen aber Ossi.
Ich kann viele deiner Klagen nur zu gut verstehen.
Habe kurz nach der Wende einige Radtouren von Berlin aus ins Umland gemacht und bass gestaunt, was die Treuhand alles verkommen läßt - verglichen mit den steuerbegünstigten Verkäufen und der „hintenrum“ Unterstützung für die Westwirtschaft waren das Peanuts, hat mich trotzdem erschreckt und sehr geärgert.

Es hat offenbart, wie die Treuhand mit dem umgeht, was sie treuhänderisch, also verantwortungsvoll, verwalten sollte.
Einem privaten Treuhänder hätte man nach einem halben Jahr den Prozess auf Schadenersatz erklärt. Das war eine unglaubliche Sauerrei.
Habe dann etwas mehr drauf geachtet, was treuhandmäßig läuft - das war m.E. schlicht Ausverkauf der DDR an die Wirtschaft mit Steuergeschenken, diese gezahlt von den Wessis, die ergo auch sauer waren.
Kurz: die Normalbürger wurden alle besch…eiden behandelt.

Trotzdem und allem: Flüchtlinge sind daran definitiv nicht schuld, die sind nur noch viel „bescheidener“ behandelt worden, von in etwa der gleichen Wirtschaft.

Wenn schon sauer sein, dann doch auf die Verantwortlichen und nicht auf die Schwächsten, nur weil man auf die leichter rumhacken kann. Wir sind doch nicht aufm Hühnerhof.

Könnte mir vorstellen, dass mancher Oligarch ganz froh ist, dass sich die kleinen Doofen die Köppe der Flüchtlinge wegen einhauen und die Nachrichten immer was zu berichten haben ohne die Oligarchie arg zu tangieren.

Meint ihr nicht, dass da auch ein quäntchen Manipulation dabei ist oder sein könnte?

Gruß,
Neuossi Paran

Und dann ist da die Familie X. Sowohl Vater als auch Mutter X stammen aus guten sozialistischen Familien, ihre Eltern waren Polizist bzw. Arzt. Beide konnten in der Sowjetunion studieren, wo sie sich auch kennenlernten. Zu DDR-Zeiten ging es ihnen sehr gut - beide arbeiteten zunächst als Ingenieure, später war Vater X bei der Stasi. Sie wohnten in einer neuen und geräumigen Plattenbauwohnung, hatten frühzeitig ein Auto, das sie später auch gegen ein neues, besseres ersetzen konnten, und konnten Reisen ins sozialistische Ausland unternehmen.

Für Familie X war die Wende ein Schock, und ihnen wurde zunächst der Boden unter den Füßen weggezogen. Allerdings fielen sie wieder auf die Füße. Sie hatten zwar zunächst die Arbeit verloren, aber Frau X fand eine neue Stelle als Ingenieurin und Herr X machte sich mit einer Exportfirma selbständig, für die er die alten Kontakte in diverse Sowjet-Nachfolgestaaten nutzen konnte. Familie X konnte sich deshalb bereits kurz nach der Wende ein schmuckes Eigenheim in einem Dorf außerhalb der Großstadt bauen.

Zum Zeitpunkt der Wende war Tochter X im älteren Teenageralter und Sohn X gerade auf die weiterführende Schule gekommen. Tochter X machte noch eine Ausbildung und dann, dass sie wegkam in den Westen. Sohn X litt massiv unter dem autoritären Vater, der die Wende nicht verkraftete, und rebellierte. Er färbte sich die Haare bunt, hörte laut Musik und wurde immer wieder von deutlich älteren Leuten mit ohne Haaren verprügelt - einmal so sehr, dass er im Krankenhaus aufwachte und ihm mehrere Tage seiner Erinnerung fehlten. Sobald er volljährig wurde, verließ er den Osten buchstäblich fluchtartig. Sohn X wurde später der Vater meines Sohnes.

Inzwischen ist Vater X verstorben, und Mutter X lebt in einem gänzlich abbezahlten Haus mit drei Schlafzimmern, zwei Bädern und Garten. Sie ist nach wie vor berufstätig und hat ein Einkommen, von dem manche Familie nur träumen kann. Dennoch spricht sie von kaum etwas anderem als davon, wie viel was auch immer kostet. In ihrer Nachbarschaft sind zwar nicht alle, aber sehr viele ähnlich weich gelandet - schmucke Eigenheime, gutes Einkommen, Kinder im Westen, Kreuz bei der AfD.

Was ich immer wieder spannend finde: Wenn ich anlässlich irgendwelcher größerer Familienfeiern auf entferntere Verwandte oder Bekannte treffe, die nicht wissen, dass ich das gesamteuropäische Wessi-Schaf in der Familie bin, scheine ich mit meinem Verhalten durchaus nicht als Wessi aufzufallen; in meiner Gegenwart wird fröhlich von Leder gezogen, und die Vorurteile gegenüber Wessis/Ausländern sind dabei nicht geringer als die, die man Wessis gegenüber Ossis vorwirft - eher im Gegenteil.

Was ich ebenfalls interessant finde: Vielen Leuten - sowohl West wie auch Ost - scheint nicht bewusst zu sein, dass nicht nur die DDR aufgehört hat zu existieren. Die alte BRD, die soziale Marktwirtschaft, in der ich aufgewachsen bin, ist ebenfalls untergegangen. Nur interessiert das kein Schwein.

Interessieren sich Ossis denn für Wessis und deren Lebenserfahrungen vor, während und nach der Wende?

Was das Verständnis erschwert, ist der Gedanke, dass doch eigentlich gerade Menschen, die selbst in einer Diktatur aufgewachsen sind und eventuell sogar selbst Republikflüchtlinge in der Familie haben, Mitgefühl und Empathie für diejenigen haben müssten, die heute alles hinter sich lassen müssen, um zu fliehen.

Nun ja, wenn es sich um Neonazis handelt - und ja, jeder, der bei nationalsozialistischen Sprechchören und Hitlergrüßen noch mitläuft, kann so eingeordnet werden -, hilft Reden erfahrungsgemäß nichts - da hilft nur die Sprache des Gesetzes.

Und nein, niemand sagt, dass alle Ossis Nazis seien - ich finde es immer wieder faszinierend, wie flugs sich manche Schuhe anziehen, die das Gegenüber gar nicht hingestellt hat.

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Natürlich. Oder hast du wieder irgendwelche „Bekannte“, die das Gegenteil belegen können? Du kannst dir natürlich ein finales Urteil erlauben.

Ist klar. Kinder, Frauen, ganze Familien werden zurückgelassen um zu fliehen. Wie soll man da Empathie haben?

Ja so ähnlich war es bei meinen Eltern / Großeltern auch.

Politische Gefangene in der DDR, dann wieder frei. Nach der Wende arbeitslos, selbstständig gemacht und von Westfirmen übers Ohr gehauen und Pleite gegangen, mein Vater hatte ein mittelständisches Unternehmen.

Mein Opa wurde übers Ohr gehauen, indem er sehr Wertvolle Osttraktoren, Autos selbst aufgebaut verkauft hat an Wessis kurz nach der Wende…er hätte das 5 fache dafür bekommen. Viele Firmen siedelten sich hier an und machten altbewährtes Platt…

Usw. Usw…

Da wäre jeder frustriert denke ich…

Lg nj

Wenn eine alberne Pauschaulaussage über DIE Wessis kommt, kann man der durchaus einmal eine Pauschalfrage entgegensetzen.

Und warum sich eher Männer auf die gefährliche Flucht begeben, in der Hoffnung, ihre Familien später auf einem sichereeren Weg nachholen zu können, wurde schon ad nauseam erläutert.

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Hallo,

es ist noch früh am Tag und mein körpereigenes Betreibsystem ist noch nicht hochgefahren. Daher wird meine Antwort kurz ausfallen.

Ausserdem möchte ich keine „eigene Erfahrungsgeschichte“ zufügen. Auf keinen Fall ein „trauriges Einzelschicksal“.
Was mir im Rückblick auf vergangene Entscheidungen immer wieder hilft ist der Denkansatz, dass ich „seinerzeit“ die Entscheidung mit allen mir damals zugänglichen Informationen getroffen habe, Und dann was die Entscheidung auch „richtig“. Zehn oder zwanzig Jahre später mag es anders aussehen, aber damals ging es nicht anders und damit ist die Entscheidung immer noch „richtig“.

Was mich aber viel mehr umtreibt:
Wie kann sich aus dem zurückgesetzt-fühlen Neid entstehen, aus dem Neid Hass und aus dem Hass die Wut? Wut auf Leute, die mit dem Einzelschicksal reichlich wenig zu tun haben?

Gruß
Jörg Zabel

Alles verständlich. Wobei du da recht wertende Klischees transportierst und das finde ich nicht in Ordnung.
Ich möchte den jetzt nicht entgegen halten, was ich schon negatives mit Ossi erlebt habe und welche allgemeinen Eigenschaften einige mitgebracht haben, das wäre ja das seine in grün und bringt keinen weiter.
Ich denke (nach ausführlichen Ost- und West-Erfahrungen), dass die Wiedervereinigung eine unglaublich wichtige und richtige Entwicklung war. Ich kann mich immer wieder freuen darüber, dass das unblutig ablief und die Grenze offen ist.

Damals gab es zwei Spitzenkandidaten: der eine versprach blühende Landschaften und Videorecorder für alle sofort, der andere warnte und sagte, dass die Wiedervereinigung sehr teuer werden würde und das alles gut überlegt und langfristig angegangen werden sollte. Wer gewählt wurde, ist ja bekannt…

Die Sache mit den Renten ist fast schon lustig: ich kenne die Beschwerde und den neidischen Blick auf die jeweils andere Seite von Ossis und Wessis. Vorgetragen im exakt dem selben Tonfall. Ich Urteile darüber nicht, erzähle in solchen Gesprächen jeweils von der Gegenseite :slight_smile:

Da ist sehr viel zur Wende nicht gut gelaufen, ich kann es bis heute nicht fassen, dass es da keine Pläne in der Schublade gab, in denen verschiedene Szenarien schon einmal durchdacht würden.
Aber es war auch eine kaum schaffbare Aufgabe.

In der Zeit von letzter Woche war ein Artikel:„RUF DES OSTENS
Ein bisschen Wut
Man kann in dieser Gesellschaft Verlierer sein, ohne andere zu hassen
VON ULRIKE GASTMANN“
Die Kolumne finde ich allgemein sehr gut.

Krötengrüße

Danke @KamikazeKatze für Deine Antwort und Deinen Denkanstoss

Wenn ich wieder genau so pauschal antworten darf würde ich sagen nein. Der typische Ossis interessiert sich nicht für den Wessi und versteht den Wessi in vielen Dingen nicht (warum heulen zum Beispiel die Rentnerinnen im Westen über ihre minimalen Renten, hätten ja arbeiten gehen können wie die Frauen im Osten. Aber sie wollten ja lieber zu Hause sitzen und in den Tag hinein leben - und die Kinder und den Mann bekochen, was sich die Eltern im Osten nach der Arbeit gemeinsam taten.)

Was aber einen Unterschied macht: in den überregionalen Medien findet das typisch westdeutsche Leben statt. Die Politik richtet sich gefühlt eher an der westdeutschen Vita aus und so erlebt der Ossi das Leben des Wessis, ob er will oder nicht.

Genau hier liegt eines der größten vielleicht sogar das fundamentalste Missverständnis überhaupt. Die meisten DDR-Bürger empfanden ihren Staat nicht als Diktatur. Viele von ihnen sehen selbst heute, nachdem ein Großteil der DDR aufgearbeitet wurde, ihr Vaterland nicht als Diktatur. Aus meiner Sicht sind die meisten, die „rüber gemacht“ sind, nicht wegen der Diktatur geflohen, sondern nur aus wirtschaftlichen Gründen.

Zudem wird mit diesem Argument ein wichtiger Unterschied unterschlagen. Der Ossi, der rüber machte, sprach bereits die Sprache seiner neuen Heimat, besaß die selbe kulturelle Ausrichtung, ein ähnliches Rechtsempfinden und war meist gut ausgebildet. Der Ossi konnte sich also deutlich schneller und besser in die westdeutsche Gesellschaft integrieren, als es zum Beispiel der ungelernte Marokkaner kann, der nur arabisch und französisch spricht.

Und genau hier pauschalisiert Du aus meiner Sicht sehr gefährlich. Wenn ein paar Tausend Menschen gegen die Zustände demonstrieren, werden nicht automatisch alle zum Nazi, nur weil ein paar Dutzend, vielleicht auch ein paar Hundert strafbewährte Parolen brüllen und Gesten zeigen.

Momentan scheint mir von den Medien ein Keil in die Gesellschaft getrieben zu werden (und viele Menschen nehmen diesen Keil für sich ohne weiteres Nachdenken an): entweder man ist Willkommensextremist oder eben Nazi. Das viele grau zwischen diesen Randgruppen wird kaum noch wahrgenommen, sachlich einen Mittelweg zu finden, scheint ausgeschlossen - weil man sich wohl für eine der beiden Seiten entscheiden muss, oder von anderen entsprechend abgestempelt wird.

Ich finde diese Entwicklung sehr schade. Schließlich ist das miteinander Reden, das Austauschen von abstrakten Gedanken eine wesentliche Eigenschaften, die uns Menschen von den Tieren unterscheidet.

Grüße

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Ich weiß nicht, warum die Ossis so sind.

Ich bin nicht so :sunglasses: (glaub ich).

Einen Grund sehe ich tatsächlich in dem Verlust der „Heimat“ im Sinne des „Bekannten, Gewohnten“, der dazu folgt, dass man in besonderem Maße dem Loyalitätsprinzip unterworfen ist:


Das „Deutschsein“ ist das Einzige, was ihnen nach der Wiedervereinigung geblieben ist…

Beatrix