Kurz zusammengefasst: Herr Scholz plädiert für eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl.
Grundrechte sind subjektive Rechte, also Rechte, die Individuen gegenüber dem Staat und seinen Organen haben. Im Falle des Asylrechts haben gemäß Art. 16a Abs. 1 GG politisch Verfolgte einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Asyl in Deutschland.
Die Absätze 2 und 3 des Art. 16a beschränken dabei den Personenkreis der Berechtigten - also derer, die politische Verfolgung geltend machen können (was wiederum im Zweifelsfall gerichtlich überprüft werden kann) - auf Menschen, die nicht aus Staaten kommen, „bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“ (Art. 16a Abs. 3 GG) und die nicht „aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat […], in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist“ einreisen (Art. 16a Abs. 2 GG). Die betreffenden Staaten (in Abs. 3) bzw. Drittstaaten (Abs. 2) sind durch ein Gesetz, „das der Zustimmung des Bundesrats bedarf“ zu bestimmen.
Der entscheidende Punkt dabei ist, dass Menschen, die nicht aus EU-Staaten oder sog. „sicheren Herkunftsländern“ einreisen, durch das Grundgesetz ein Rechtsanspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland gewährt wird. Dies bedeutet, dass im Fall der Ablehnung eines Asylantrags durch die zuständige Behörde dem Antragsteller der Rechtsweg offen steht - also die Überprüfung und ggf. Revision der Entscheidung der Exekutive durch die Jurisdiktion, sprich: durch Gerichte.
Genau diese Grundrechtseigenschaft (Herr Scholz spricht da verschleiernd lediglich von einem „subjektiven Recht“ ) ist es, die die von populistischen Politikern geforderte Einführung einer Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die einen Rechtsanspruch auf politisches Asyl geltend machen, nicht zulässt. Sie wäre grundgesetzwidrig, ein Verfassungsbruch. Genau das ist auch der Grund für den Vorstoß von Herrn Scholz: durch Abschaffung eines verfassungsrechtlich garantierten Grundrechts solche Obergrenzen zu ermöglichen.
Damit kommen wir zur „institutionellen Garantie objektiv-rechtlicher Art“. Herr Scholz will nicht grundsätzlich die Institution des politischen Asyls abschaffen. Nicht, weil er ein netter Mensch ist, sondern er kann das gar nicht; es wäre aufgrund internationalen Rechts (Verpflichtungen auf EU- und UN-Ebene, die Deutschland eingegangen ist) gar nicht möglich. Er will den Rechtsanspruch auf Asyl abschaffen und es damit einzig in das freie Ermessen tagespolitischer Entscheidungen stellen, wem (und vor allem wie Vielen) Asyl gewährt wird und wem nicht. Das öffnet die Tür für eine Flüchtlingspolitik nach dem Muster Polens oder Ungarns - und genau das soll es auch.
Ob die Initiative des Staatsrechtlers Scholz überhaupt verfassungsmäßig umsetzbar wäre, ist auch nach nationalem Recht in Zweifel zu ziehen. Die Grundrechte (Art. 1 - 19 GG) stehen unter besonderem Schutz. Ein Grundrecht darf gem Art. 19 Abs. 2 „In keinem Falle […] in seinem Wesensgehalt angetastet werden“. Beim Vorschlag des Herrn Scholz geht es nicht, wie er irreführend behauptet, um eine „Umwandlung“ sondern um die Streichung eines Grundrechts und dessen Ersetzung durch eine institutionelle Garantie - die selbst wiederum, da kein subjektives Recht, auch keinen Grundrechtscharakter mehr hat. Genau das ist eine „Antastung des Wesensgehalts“. Herr Scholz müsste das eigentlich wissen.
Es ist in diesem Kontext vielleicht sinnvoll, daran zu erinnern, warum unsere Verfassung ein Grundrecht auf Asyl enthält. Die so oft beschworenen Mütter und Väter des Grundgesetzes zogen damit eine Lehre aus der historischen Erfahrung der politischen Verfolgung in Nazideutschland und dem Elend von deutschen Asylanten, das aus ihrer Rechtlosigkeit resultierte. Aus dieser Perspektive kann man Herrn Scholz nicht nur populistische Verfassungsfeindlichkeit, sondern auch Geschichtsvergessenheit bescheinigen. Vom Mangel rein menschlicher Qualitäten wie Mitgefühl und Hilfsbereitschaft ganz zu schweigen.
Oder sollte man da bei diesem Politiker einer Partei mit dem hohen ‚C‘ im Namen vielleicht mal von christlichen Werten sprechen? Das ist ja in diesen Kreisen recht beliebt. Schließlich ist es Selbstverständnis der CDU (behauptet sie jedenfalls): „Grundlage unserer Politik ist das christliche Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott.“ Vielleicht sollte man Herrn Scholz und seinen Parteifreunden und -freundinnen mal eine kleine Meditation über Kap. 25 Vers 31 - 46 des Matthäusevangeliums empfehlen. Das wäre vielleicht nützlicher als - wie es die Schwesterpartei in Bayern vorhat - zur Austreibung des Gottseibeiuns in den Behörden Kruzifixe aufzuhängen.
Mit angeekelten Grüßen,
Tychiades