Hallo Michael,
endlich mal eine Grundlagendiskussion. Da du ja vor allem die Meinung der Astrologen hören wolltest, will ich mich hier auch gerne beteiligen.
Ich beziehe mich in den folgenden Aussagen weniger auf die klassische Astrologie als auf die von Herrn Döbereiner entwickelte „Münchner Rhythmenlehre“.
Die Astrologie würde ich, wenn überhaupt irgendwo, im Bereich der Theologie bzw. Philosophie ansiedeln. Sie ist natürlich keine Religionsform, wie z. B. Judentum, Christentum, Islam etc., sondern viel mehr steht sie über allen Religionsformen und allem Irdischen; durch sie wird die Erfahrung des wirklich Tranzendenten überhaupt erst möglich. Wie sonst könnte es mir möglich sein, eine Religions- bzw. Glaubensform astrologisch zu beurteilen anhand ihres „Geburtshoroskops“. Sie muss zwangsläufig über allen anderen Dingen stehen, da durch sie alles auf der Welt erklärbar gemacht werden kann. Kein naiver Glaube an einen möglicherweise personifizierten Gott hilft mir, die Ordnung der Welt zu verstehen; die Astrologie hingegen schon.
Dass die (materielle) Welt in ihrer Erscheinungsform und ihrer Funktionalität geordnet ist und ganz bestimmten mathematischen bzw. physikalischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht, wird wohl keiner bestreiten. Dass es aber noch eine andere Ordnung, eine Ordnung des Schicksals gibt, das wird wohl eher so mancher nicht wahrhaben wollen. In Wirklichkeit aber ist sowohl die materielle als auch die geistige Welt geordnet. Nichts auf dieser Welt ist Zufall, alles hat seine Richtigkeit und gehorcht der Ordnung des göttlichen Willens. Mir ist aufgefallen, dass immer dann, wenn ich Gott sage, vielen Menschen irgendwie „unwohl“ wird. Wenn ich Gott sage, meine ich natürlich keinen personifizierten Gott, den sich irgendeine Glaubensform ausgedacht hat, sondern ich meine vielmehr eine transzendente Wirklichkeit, durch die alles geworden ist, die anfangslos ist und nie enden wird. Ich meine das Namenlose, das, was nicht aussprechbar ist, das Ungesagte, das, was den Menschen zeitlebens verborgen bleibt; was sich nicht mit dem Verstand begreifen lässt.
Nur noch kurz ein Ausschnitt aus dem Werk „Astrologisch-homöopathische Erfahrungsbilder zur Diagnose und Therapie von Erkrankungen“, Band 1 von Wolfgang Döbereiner, in dem er den Leser auf den ersten Seiten in die astrologische Denkart einführt:
„Es gehört zu den unbedachten Selbstverständlichkeiten der Neuzeit, dass die Zeit als ordnungs- oder strukturvermittelnder Faktor unberücksichtigt bleibt - oder anders, dass man ungeprüft annimmt, dass die Entwicklung im Raum, das Werden und Vergehen, allein in den Lebenwesen und Dingen begründet sei. Die Zeit wird in einer solchen Anschauung ausgeklammert. Sie wird anoymes Metrum, wird Ziffernblatt - sie wird neutralisiert. Der Wert der Zeit wird allein darin gesehen, nutzbar für das Kalkül zu sein […] Wenn man weiß, dass noch im Mittelalter die Zeit als Vermittlerin des göttlichen Willens galt, so erhält die Neutralisierung der Zeit eine menschliche Dimension - die Abkehr von der Geistigkeit zugunsten des Intellekts. Von den Anfängen der Menschheit an wird die Zeit in eine unmittelbare Beziehung zur Erscheinungswelt gesetzt. In der Zeit bewegten sich mythische Gestalten, sie wohnten in Zeitabläufen gleichwie in einer Landschaft (siehe astrologische Häuser). Jede Erscheinungsform hatte so „ihre Zeit“, ihren Anteil an der Zeit, somit ihre transzendente Begründung. Die Erscheinungswelt wurde zum Bild des Jenseitigen…“
Man sieht also sehr schnell, dass Astrologie nicht wirklich viel mit naturwissenschaftlichem Denken gemeinsam hat, zumal sie ja die Erscheinungsformen der Welt nicht materiell bezüglich ihres stofflichen Aufbaus und ihrer Funktionalität untersuchen will, sondern das Wesen dieser Dinge und mithin ihre „geistige Potenz“ zum Gegenstand ihrer Untersuchung hat.
Ich will aber trotzdem noch kurz auf deine Einordnungs-Vorschläge der Astrologie eingehen:
Wissenschaft: Der Versuch des Menschen, die Welt mit
der Kraft seines Verstandes zu begreifen.
Das gilt m. E. für die Astrologie auch. Desweiteren müssen astrologisch entdeckte Zusammenhänge empirisch bestätigt werden können, aber nicht zwangsläufig empirisch gefunden werden. Logisch ist die Astrologie nicht unbedingt und „Ockhams Rasiermesser“ würd’ ich im Zusammenhang mit Astrologie als irrelevant erklären.
Religion: Die feste Überzeugung, dass es jenseits der
physischen Natur eine metaphysische Wirklichkeit gibt, die
durch ein Gott-Wesen verkörpert wird.
Ja, aber diese Wirklichkeit wird nicht durch irgendein Gott-Wesen verkörpert. Die Gestalten, die hier auf der Erde erscheinen und im Horoskop sichtbar gemacht werden können, erhalten ihren Antrieb aus dieser metaphysischen Wirklichkeit, sie sind sozusagen Abziehbilder eines einzigen Prinzips. Und ein Prinzip kann keine Gestalt annehmen, das Prinzip ist immer nur der Grund für die Gestalt! Von daher find’ ich Gott-Wesen irgendwie falsch.
Der religiöse Mensch
glaubt, dass er durch die Auseinandersetzung mit dieser
jenseitigen Wirklichkeit Antworten auf Fragen nach der
Existenz, dem Sinn, der Moral, der Identität, dem Tod, usw.
erhält, Trost und Kraft findet, usw.
Das kommt zwar der astrologischen Praxis sehr nahe, aber die Astrologie kann wie gesagt nicht mit irgendeiner Glaubensform verglichen werden.
Kunst: Eine Ausdrucksform des Künstlers, die weit über
die verbale Kommunikation hinausgeht und das ästhetische,
emotionale oder intellektuelle Empfinden des Publikums (im
weitesten Sinne) anspricht.
Darüber bin ich mir im Unklaren. Eine astrologische Beratung spricht den Klienten schon tiefer an, als es z. B. irgendein Small-Talk tun würde.
Dogma: Eine Lehre, deren Inhalte als „wahr“ angenommen
werden und nicht hinterfragt werden (dürfen).
Auf keinen Fall! Gerade ein Astrologe hat ja meiner Meinung nach ein eigenständiges, freies Weltbild, da die Astrologe über allen Dingen steht (s. o.).
Lebensart: Das Ziel, sein Leben nach bestimmten
Prinzipien auszurichten. Will man einer bestimmten Subkultur
angehören, so übernimmt man die Prinzipien dieser Subkultur.
Das auch nicht. Man ist ja gerade als Astrologe so eine Art Outsider und richtig große Astrologen-Verbände gibt es auch nicht, also welcher Subkultur wäre ein Astrologe bitteschön zugehörig?
Aberglaube: Das Vertrauen in eine bestimmte
Kausalkette, die objektiv betrachtet nicht vorhanden ist.
Beispiel: „Freitag der dreizehnte -> Unglück.“
Aberglaube und sogar Glaube ist falsch, da nur der glauben muss, dem die Erfahrung der Gewissheit fehlt. Ich glaube nicht an Astrologie. Wie soll da ein Aberglaube entstehen?
Astrologie ist ein sehr bildhaftes Erfahrungsssytem. Es geht in der Astrologie nie um konkrete Sachverhalte, sondern immer nur um die Bilder des Bewusstseins. Und diese Bilder sind es, die die Welt erschaffen. Jede Art von konkretem Geschehen ist immer nur die Folge eines bestimmten Bewusstseins, das ein Mensch in einer bestimmten Zeit hat und welches im Horoskop ablesbar ist. Den Klienten fehlt aber oft dieses Gespür für die inhaltiche Zusammenhänge. Ich hatte mal einen Klienten, der in seiner Jungend in der zeitlichen Auslösung diesen Todespunkt, von dem ich auch bei dir sprach, hatte und fragte ihn, ob denn jemand gestorben sei in letzter Zeit. Und er verneinte es zuerst. Wir stießen aber im Laufe der Beratung darauf, dass er in der besagten Jugendzeit tatsächlich oft Erlebnisse mit dem Tod hatte. Und die Erfahrung des Todes ist ja nichts anderes, als die Begegnung im Geiste mit der Endlichkeit und Begrenztheit der Welt, was sich seelisch auswirkt. Er hat in dieser Zeit in eine Ausbildung zum Leichenbestatter gemacht, hätt ich ehrlich gesagt, nie von dem erwartet, weil der gar nicht so auf mich wirkte, war total freundlich und nett. Aber nun gut, bei dem ist zwar niemand aus der Familie oder Freundeskreis gestorben, aber er hatte die Begegnung mit dem Tod. Und selbst wenn er diese Ausbildung nicht gemacht hätte, hätte er in dieser Zeit die Bilder des Todes im Bewusstsein gehabt, weil die Realität, die uns umgibt, wie gesagt nur die Folge unseres Bewusstseins ist. Jeder einzelne Mensch erschafft die Welt täglich neu! Dass die Realität nur eine Folge des Geistes ist, ist uraltes Erfahrungsgut der Menschheit. Schon in der Bibel wird das den Menschen vermittelt, wenn die Gestalt Christi sagt „Dein Glaube hat dir geholfen“ oder „Wenn du zu diesem Stein sagst: und es ganz fest glaubst, dann wird es geschehen“. Auch Materie ist nichts anderes als in konkrete Substanz umgewandelter Geist. Darum ist es für den Astrologen nicht immer einfach festzustellen, ob ein bestimmter Geistesinhalt so stark ist, dass er zu einem konkreten, in der Erscheinungswelt sichbaren Ereignis führt. Aber dass der Geist die Welt erschafft, davon bin ich, aufgrund meiner zahlreichen Erlebnisse und Erfahrungen, die ich in meinem Leben machen durfte, mehr als überzeugt.
Ich hoffe, einen kleinen Einblick in das Wesen der Astrologie und ihr Erfahrungsgut gegeben zu haben,
Tschüss
Herbert