Hallo,
ich habe früher oft geglaubt, ich sei nicht typisch deutsch. In Tests „Sind Sie deutsch?“ habe ich auch immer als sehr undeutsch abgeschnitten. Zum Beispiel bei der Frage: Bleiben Sie nachts um zwei Uhr vor einer roten Ampel stehen, wenn weit und breit weder ein Auto noch ein Fußgänger zu sehen ist?
Einmal aber hatte ich ein Schlüsselerlebnis:
Ich habe mehrere Jahre lang eine Wohnmobilreise, damals sagte man noch „Campingbus“ gemacht. In Peru war ich tief in den Urwald hinein zu einem abgelegenen, soeben noch auf einer gewalzten Erdstraße erreichbaren Indiodorf gefahren. (Das würde ich in der Regenzeit nie noch einmal machen!) Ich war mit den Indios auf der Pirsch (erfolglos), beim Giftfischen (erfolgreich) und mit einem Schmugglerboot zu Besuch in einem Lager amerikanischer Ölsucher. Ein Affe, der durch den Fluss schwamm, wurde mit einem Ruder erschlagen und vor einem alleinstehenden Indiohaus, an dem wir eine Zwischenlandung machten, gebraten. Als der sich mit abgezogenem Fell leicht rosarot auf dem Spieß drehte, sah er aus wie ein menschlliches Kleinkind. Ich habe abgelehnt, davon zu essen, und stattdessen später bei den Amerikanern Bohnen aus der Dose gegessen, weil dei Küche schon zu war.
Aber, jetzt kommts, worum es geht:
Als ich wieder weg wollte, ging es nicht. Kurz vor dem Dorf war ein eigentlcih nur schmaler Bach, der sich aber zwei Meter tief in den Boden hinengebuddelt hatte, und dessen Einschnitt oben so mehr als drei Meter breit war. Da in der Nähe ein militärisches Straßenbaukommando war, um die Straße in Schuss zu halten und weiterzubauen, machte ich mir keine Sorge, stellte mich mit dem Wagen vor der Stelle auf, um zu demonstrieren, dass ich weg wollte. Ich hatte ein große Zeltplane, die auf Zeltstangen stehend, nicht nur für Schatten vor dem Wagen sorgte, sondern durch die auch der Wagen selbst im Schatten stand.
Am ersten Tag holte ich mir ein paar Steine aus dem Bachbett hoch, um trockenen Fußes, wenn nötig, in die Büsche zu gelangen. Am zweiten und dritten holte ich noch mehr, so dass der ganze Platz vor dem Wagen mit Steinen belegt war. Nachmittags, von von zwei bis vier Uhr, wenn der Regen in unglaublicher Heftigkeit runterkam, floss das Wasser, weil die Straße leicht abschüssig war, zentimeterhoch über die Steine. Deshalb habe ich oberhalb der Steine einen Spaten tief einen Graben ausgehoben, durch den das Wasser um die Steine herum unter dem Wagen durchfloss. So konnte ich ganz gemütlich, trockenen Fußes auf einem Klappstuhl unter dem Schutz der Regenplane sitzen, auf die der Regen herunter prasselte. Das war sehr stimmungsvoll.
Nach vier Tagen waren die Soldaten fertig. Mit Schieben und Drücken mehrerer von Ihnen, weil der Boden natürlich matschig war, kam ich hinüber. Währenddessen tauchte ganz kurz, nur für Sekunden, im Rückspiegel der Platz auf, an dem ich gestanden hatte. Und in dem Moment schoss es mir durch den Kopf: „Du denkst doch immer, du bist nicht deutsch! Die Indios leben seit Jahrzehnten oder noch länger in dem Dorf, wegen des heftigen Regens in Häusern auf Stelzen. Und in jeder Regenzeit latschen sie barfuß durch den Matsch von einem Haus zum anderen. Ich habe nur vier Tage hier gestanden, und hinterlasse einen gepflasterten Platz mit Drainage“.
Eine lange Vorgeschichte, die leider erzählt werden musste, um zu erklären, was mir nur sekundenlang durch den Kopf schoss
Grüße
Carsten