Von Gilgamesch bis Amitabha - ein Überblick
Hi.
Deswegen frage ich mich nun: Was geht eigentlich ab im ewigen Leben? Was läuft im Paradies, was dieses so attraktiv macht, dass allen eingeredet wird, es lohne sich, dorthin zu kommen?
Du sprichst vor allem die islamische Vorstellung vom „ewigen Leben“ an, vermutlich weil du den Sinn von Existenz primär im Ausleben der Erotik siehst. Das ist eine verständliche, aber nicht unbedingt nachvollziehbare Einstellung. Was Erotik im islamischen Paradies betrifft, ist, je nach Interpretation, auch für Gays vorgesorgt, jedenfalls deutet Sure 52, Vers 24 diese Möglichkeit an:
Auf gestickten Polsterkissen,/ Gelehnt darauf, sich gegenübersitzend,/ Umkreist von Jünglingen, ewigen,/ Mit Bechern, Näpfen, Schaalen des Klarflüssigen,/ Das nicht berauscht und nicht verdüstert;/ Und Früchten, wonach sie gelüsten (…)
Die „Jünglinge“ können (hypothetisch) als Lustknaben interpretiert werden. Um in ihren Genuss zu gelangen, müsstest du aber zum Islam übertreten. Die Chance, dort auf allzeit bereite Sahneschnitten zu treffen, rechtfertigt einen Übertritt allerdings nicht
Die frühesten historisch fassbaren Überlegungen über menschliche Unsterblichkeit finden sich im 3. Jt. vuZ in Mesopotamien und Ägypten. Im sumerischen Gilgamesch-Epos (entstanden ab 24. Jh. vuZ) wird die Möglichkeit menschlicher Unsterblichkeit verneint. Der Protagonist Gilgamesch, immerhin zu 2/3 ein Gott, scheitert bei seiner Suche nach der ´Pflanze des Lebens (= Unsterblichkeit). Nachdem ihm die Wirtin Siduri prophezeit:
Gilgamesch, wohin eilst du? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! Als die Götter die Menschheit erschufen, setzten sie den Tod für die Menschheit fest, das Leben behielten sie in ihren eigenen Händen.
findet er zwar die Pflanze des Lebens, aber nur um sie wieder an eine Schlange zu verlieren, während er ein Bad nimmt. Resignierend besinnt er sich auf den Rat Siduris:
Gilgamesch, fülle deinen Bauch, sei fröhlich bei Tag und Nacht, lass jeden Tag ein Fest der Freude sein, tanze und musiziere bei Tag und bei Nacht. Ziehe ein sauberes Gewand an, wasche dein Haar und bade in Wasser. Blicke das Kind an, das deine Hand hält, lass deine Frau sich an deiner Umarmung erfreuen! Dies allein ist die Aufgabe des Menschen.
Den Gegenpol zu diesem sumerischen Existentialismus bildet die ägyptische Religion , die noch vor der Abfassung des sumerischen Epos komplexe Vorstellungen über das ewige Weiterleben nach dem Tod entwickelte. Ab Mitte des 2. Jt. vuZ erwartet den Normalbürger (Könige werden zu Göttern) ein jenseitiges Reich namens ´Sechet Iaru´, in dem jene Seelen, die die Prüfung des Totengerichts erfolgreich absolviert haben, ein seliges Leben führen können - vermutlich das Sexuelle einschließend, auch wenn es meines Wissens in den Totentexten nicht thematisiert wird; die ägyptische Einstellung zur Sexualität war jedenfalls sehr locker. Überaus wichtig ist der Erhaltungszustand des mumifizierten Körpers, mit dem die Seele sich regelmäßig wiedervereinen muss, um ihre jenseitige Fortexistenz zu sichern.
Jüdische Paradiesbeschreibungen finden sich im Tanach nur andeutend:
(Jesaja 35)
9 Es wird da kein Löwe sein, und wird kein reißendes Tier darauf treten noch daselbst gefunden werden; sondern man wird frei sicher daselbst gehen. 10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
und deutlich ausgearbeiteter im späteren Jalkut Schim´oni aus dem 13. Jh. uZ:
Zwei Pforten von Rubinen führen in das Paradies. An demselben stehen sechzig Myriaden heiliger Engel, und eines jeglichen Angesicht glänzt wie der Glanz des Himmels. Wenn nun ein Gerechter kommt, so ziehen sie ihm die Totenkleider aus und ziehen ihm acht Kleider an von den Wolken der Herrlichkeit und setzen ihm zwei Kronen auf sein Haupt, deren eine von Perlen und Edelgestein, deren andere aus Gold von Parvaim ist; auch geben sie ihm acht Myrten in seine Hand, preisen ihn und sagen zu ihm: Gehe hin, iss dein Brot mit Freuden! (…) Über jedem Zelte ist ein goldener Weinstock, und daran sind dreißig Perlen, deren jede wie der Morgenstern glänzt. Unter jedem Zelte aber steht ein Tisch von Edelgestein und Perlen, und sechzig Engel stehen über dem Haupte jedes Gerechten und sprechen zu ihm: Gehe hin und iß Honig mit Freuden; denn du hast das Gesetz studiert, welches süßer denn Honig und Honigseim ist; trinke den Wein, der in den Trauben seit der Schöpfung aufgehoben ist, denn du hast in dem Gesetze studiert, das dem Weine gleicht.
Ob das jüdische (´eschatologische´ Jenseits-) Paradies Sexualität beinhaltet, wird explizit nur in rabbinischen Kommentaren bejaht, und zwar basierend darauf, dass - wie indirekt geschlossen wird - im ersten (dem ´protologischen´) Paradies Adam und Eva Sex hatten (laut Midrasch Rabba).
Im christlichen Paradies wird man solche Genüsse natürlich nicht erwarten dürfen. Dagegen spricht die rigide Sexualmoral des Christentums, vor allem seit Augustinus, welcher sexuelle Lust als Folge des Sündenfalls ansah.
Paradiesschilderung aus der Offenbarung 21 des Johannes:
1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
(…)
9 Und es kam zu mir einer von den sieben Engeln, welche die sieben Schalen voll der letzten sieben Plagen hatten, und redete mit mir und sprach: Komm, ich will dir das Weib zeigen, die Braut des Lammes. 10 Und er führte mich hin im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die große Stadt, das heilige Jerusalem, herniederfahren aus dem Himmel von Gott, 11 die hatte die Herrlichkeit Gottes. Und ihr Licht war gleich dem alleredelsten Stein, einem hellen Jaspis (usw.)
In der Mythologie des Mahayana-Buddhismus wird das paradiesische „Reine Land“ des Buddha Amitabha (= Buddha des Unermesslichen Lichtglanzes) beschrieben. Hier ist aber zu beachten, dass dieses Land kein endgültiges Paradies darstellt, sondern ein Übergangsstadium zum buddhistischen Nirvana. Das Konzept eines Paradieses incl. Ewiges Leben gibt es im Buddhismus nicht. Das ultimativ angestrebte Nirvana ist zeit- und raumlos, kann also in Kategorien der Zeitlichkeit nicht beschrieben werden. Immerhin kann von ihm ausgesagt werden, dass es ´sukha´ (= Seligkeit) beinhaltet, siehe Dhammapada XV, 203:
Gesundheit ist das größte Gut, Zufriedenheit der beste Schatz, Nirvana höchste Seligkeit.
Im besagten „Reinen Land“ des Buddha Amitabha werden allerdings - laut Lotus-Sutra Buch 8, Kap. 25 - leider keine Frauen wiedergeboren. „Leider“ meine ich in Bezug auf die dadurch demonstrierte Frauenverachtung und natürlich nicht in Bezug auf die dadurch verneinte Möglichkeit von paradiesischem Sex.
Zitat aus der Sutra:
Im Buddha-Land von Amitabha wird keine Frau wiedergeboren, so dass es dort keinen Geschlechtsverkehr gibt (…) Amitabha sitzt im reinen, schmutzlosen Uterus der Lotosblüte.
Eine negative Haltung gegenüber dem Weiblichen, die typisch ist für alle patriarchalischen Religionen. Dazu Haruko Kunigunde Okano, Professorin für Religionsphilosophie, Tokio:
http://www.uni-salzburg.at/fileadmin/multimedia/Faku…
So entsteht auf dem buddhistischen Boden das den Osten mit dem Westen verbindende Menschenbild, demzufolge die Geistigkeit in der männlichen Natur verkörpert ist und die Sinnlichkeit in der weiblichen, indem ähnlich wie im Christentum eine Abwertung des Mutterleibes zu erkennen ist.
Nun zur Beschreibung des Reinen Lands:
(aus dem Sukhavati-Vyuha-Sutra, Kapitel 2)
1) Und diese Welt, o Shariputra, ist außerdem mit sieben Terrassen mit sieben Reihen von Palmbäumen und Glockenbändern geschmückt.
2) Sie ist von allen Seiten mit den vier Edelsteinen, nämlich Gold, Silber, Beryll und Kristall, auf schöne, prächtige Weise eingefaßt .
3) Mit solchen Anordnungen von Vorzüglichkeiten, die einem Buddha-Land eigentümlich sind, ist dieses Buddha-Land geschmückt.
4) Und es gibt, o Shariputra, ferner in dieser Welt Sukhavati Lotus-Seen, die mit den sieben Edelsteinen geschmückt sind, nämlich mit Gold, Silber, Beryll, Kristall, roten Perlen, Diamanten und als siebentem mit Korallen.
5) Sie sind voll Wassers, das die acht guten Qualitäten besitzt ; deren Wasser reicht so hoch, wie die Furten und Bade-Plätze, so daß selbst Krähen dort trinken könnten; sie sind mit goldenem Sand bestreut.
6) Und in diesen Lotus-Seen gibt es überall an den vier Seiten vier schöne und prächtige Treppen, die mit den vier Edelsteinen, nämlich Gold, Silber, Beryll, Kristall, versehen sind.
7) Und auf jeder Seite dieser Lotus-Seen wachsen schöne und prächtige Edelstein-Bäume mit den sieben Edelsteinen, nämlich Gold, Silber, Beryll, Kristall, roten Perlen, Diamanten und als siebentem Korallen.
8) Und in jenen Lotus-Seen wachsen Lotus-Blumen: blaue, blaugefärbte, von blauem Glanz, als blaue wahrzunehmende; gelbe, gelb gefärbte, von gelbem Glanz, als gelbe wahrzunehmende; rote, rot gefärbte, von rotem Glanz, als rote wahrzunehmende; weiße, weiß gefärbte, von weißem Glanz, als weiße wahrzunehmende; schöne, schön gefärbte, von schönem Glanz, als schöne wahrzunehmende; an Umfang sind sie so groß wie das Rad eines Wagens.
9) Und es gibt dort ferner, o Shariputra, in diesem Buddha-Land himmlische Musikinstrumente, die fortwährend gespielt werden und die Erde ist lieblich und von goldener Farbe.
usw.
Chan