Welche Bestattung entspricht christl. Menschenbild

Hallo Tobias,

Man sollte noch anmerken:

  1. es gibt kein „christliches Menschenbild“. Wenn (was ich
    überzeugt bin) den Gott gibt dann gibt es nur ein göttliches
    Menschenbild (egal wie wir uns selbst sehen).

Weil Menschen sich kein Bild vom Menschen als Menschen machen? Und Christen auch nicht?

Damit wirfst Du die Antrhopologie aus dem Fenster, was für die christliche Weltsicht doch überaus schwer zu verkraften wäre.

http://de.wikipedia.org/wiki/Anthropologie

  1. Der Mensch ist Geist, hat eine Seele und lebt in einem
    Körper. Der Körper ist dem irdischen Verfall preisgegeben,
    aber das „ich“ ist nicht mein Körper sondern mein Geist (mit
    der Seele). Und die ist unsterblich - egal wie mein Körper
    hier auf Erden „vernichtet“ wird.

Das ist eine Sicht der Dinge. Die Platonische. Die Aristotelische geht anders. (Beide sind im Übrigen zu bestimmten Zeitpunkten in der christlichen Kirchengeschichte (sic!) diskutiert.) Da bin ich Mensch, und als solches bin ich Körper (Materie) und Seele (Form). Unsterblich ist dabei nur der Intellekt, der Individualität und die persönlichen Erinnerungen trägt.

Gruss
Y.-

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Hallo Ralf,

Im Buddhismus wird keine
Seele gelehrt, sondern im Gegenteil die Nichtexistenz einer
Seele oder sonst eines den Tod überdauernden ‚Wesenskerns‘.

wie werden dann Reinkarnationen, wie z.B. des Dalei Lama erklärt?

Gandalf

Hallo Gandalf,

wie werden dann Reinkarnationen, wie z.B. des Dalei Lama
erklärt?

gar nicht - weil es keine Reinkarnationen sind, auch wenn dies hartnäckig in westlichen Medien so dargestellt wird. Es handelt sich um eine spezifisch tibetische bzw. spätbuddhistische Auffassung, die nicht im Sinne einer Reinkarnationslehre, sondern doketisch zu deuten ist. Und die im übrigen außerhalb der tibetischen buddhistischen Tradition wenig Akzeptanz bei Buddhisten findet.

Die Dalai Lamas (alle 14) werden im tibetischen Buddhismus als materielle Erscheinungsform / Emanation (nirmanakaya) des ‚transzendenten‘ Bodhisattva Avalokitesvara, der einer überzeitlichen Existenzebene (sambhogakaya) angehört, angesehen. Der jetzige (14.) Dalai Lama ist gemäß dieser Auffassung also wie alle seine Vorgänger eine Inkarnation Avalokitevaras, aber nicht eine Re inkarnation des 13. Dalai Lama.

Im tibetischen spricht man auch nicht von einer ‚Reinkarnation‘ oder ‚Wiedergeburt‘, sondern von einem Tulku (sPrul sku), was wiederum lediglich das tibetische Wort für skrt. nirmanakaya ist. Ein anderer bekannter Tulku ist etwa der Panchen Lama, der jeweilige ‚Amtsinhaber‘ gilt als Inkarnation des ‚transzendenten‘ Buddha Amitabha.

Die Tulku-Tradition (genauer: die Auffassung, dass die Träger eines bestimmten geistlichen Titels Emanationen des jeweils gleichen personifizierten geistigen Prinzips sind) entstand, soweit ich es überblicke, im 12. Jahrhundert u.Z. mit Dusum Khyenpa, dem ersten Karmapa. Jedenfalls scheint dies die erste, historisch fassbare Person zu sein, die eine solche Tulku-Linie begründete.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Ralf,

wie werden dann Reinkarnationen, wie z.B. des Dalei Lama
erklärt?

gar nicht - …

danke für die Erklärung

Gandalf

Hi,

Unsterblich ist dabei nur
der Intellekt, der Individualität und die persönlichen
Erinnerungen trägt.

Die Erinnerungen sind aber doch stofflich gebunden, ohne Körper bzw. ohne Gehirn oder bei einem defekten Gehirn also verloren, wie etwa bei Alzheimer-Kranken.

Viele Grüße
WoDi

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Hallo Tobias,

Man sollte noch anmerken:

  1. es gibt kein „christliches Menschenbild“. Wenn (was ich
    überzeugt bin) den Gott gibt dann gibt es nur ein göttliches
    Menschenbild (egal wie wir uns selbst sehen).

Weil Menschen sich kein Bild vom Menschen als Menschen machen?
Und Christen auch nicht?

habs hinterher bemerkt dass es ne falsche Formulierung war. Klar macht sich jeder Mensch sein „bild“ (egal ob Christ oder Moslem). Aber es gibt nur ein Bild was wahr ist.

Damit wirfst Du die Antrhopologie aus dem Fenster, was für die
christliche Weltsicht doch überaus schwer zu verkraften wäre.

mag sein :smile: vielleicht bin ich ja ein neuer Galilei

http://de.wikipedia.org/wiki/Anthropologie

  1. Der Mensch ist Geist, hat eine Seele und lebt in einem
    Körper. Der Körper ist dem irdischen Verfall preisgegeben,
    aber das „ich“ ist nicht mein Körper sondern mein Geist (mit
    der Seele). Und die ist unsterblich - egal wie mein Körper
    hier auf Erden „vernichtet“ wird.

Das ist eine Sicht der Dinge. Die Platonische. Die
Aristotelische geht anders. (Beide sind im Übrigen zu
bestimmten Zeitpunkten in der christlichen
Kirchengeschichte (sic!) diskutiert.) Da bin ich Mensch, und
als solches bin ich Körper (Materie)
und Seele (Form). Unsterblich ist dabei nur
der Intellekt, der Individualität und die persönlichen
Erinnerungen trägt.

Wenn nur der Intellekt unsterblich ist, was ist mit denen die Alzheimer haben oder dumm geboren wurden (oder wurden *gg*) etc.?

Wiedergeburt im Buddhismus
Moin Gandalf,

Im Buddhismus wird keine
Seele gelehrt, sondern im Gegenteil die Nichtexistenz einer
Seele oder sonst eines den Tod überdauernden ‚Wesenskerns‘.

wie werden dann Reinkarnationen, wie z.B. des Dalei Lama
erklärt?

Willst du die lange Erklärung, oder die kurze? :smile:

Die lange wäre das hier:
http://www.berzinarchives.com/web/de/archives/sutra/…

Die beste kurze Erklärung, die ich bislang gehört habe, war der Vergleich mit zwei Billardkugeln, die zusammenstoßen. Der Lauf der zweiten Kugel wird durch den Lauf der ersten Kugel „verursacht“. Hier gibt es somit ein individuelles Kontinuum, aber die zweite Billardkugel ist nicht die erste Billardkugel. Der Impuls der ersten Billardkugel, welche die zweite Billardkugel anstößt, wäre im konkreten Fall ein „karmischer Impuls“.

Diese Prozess ist bei allen Wesen gleich. Das einzige, was uns von hochgradig verwirklichten Meditierenden unnterscheidet ist, dass letztere Zugang zu sehr subtilen Bewußtseinsstufen haben, und der Prozess dort nicht so unkontrolliert abläuft, wie bei unsereiner.

Dies ist auch keineswegs eine Spezialität des tibetischen Buddhismus, sondern hat seine Wurzlen in den Sutren

http://www.palikanon.de/samyutta/sam12_20.html#s12_17

Ich verweise insbesondere auf S. 12.17, S. 12.18 und S 12.19 und diesen Kommentar dazu:

Das Leiden, von dem in § 7 ff. unseres Sutta gesprochen wird, ist das Leiden der Wiedergeburten, des samsāra (Komm.: vattadukhham). Die Fragestellung ist also die, ob die Wiedergeburt eine selbstverschuldete ist, oder die Folge der Taten, des kamma, irgend eines anderen. Der Tathāgata lehnt diese Alternative ab. Durch sie würden nur zwei Extreme zum Ausdruck gebracht, die Wahrheit liegt in der Mitte. Bei Annahme der ersteren Alternative - dies ist Sinn von § 14 - käme man zu dem Schluß, daß ein bleibendes Ich von Existenz zu Existenz fortdauert; ein solches Ich gibt es aber nicht. Bei Annahme der zweiten Möglichkeit würde jeder Zusammenhang zwischen den einzelnen Existenzen aufgehoben. Ein solcher Zusammenhang besteht aber immerhin. Er wird hergestellt nicht durch ein dauerndes Ich, sondern nur durch die Bindeglieder, die in der Nidānakette aufgezählt sind, also durch die aus der früheren Existenz zurückbleibenden „Gestaltungen“, die zu „Bewußtsein“, „Name und Form“ usw. hinüberleiten. Über die beiden Theorien der sassata- und der ucchedaditthi s. N. zu 12. 48. 3 ff.

„Gestaltungen“ ist nun das, was ich oben als „Karmischen Impuls“ bezeichnet habe.

und den Erkenntnissen nordindischer Tantriker wie dem Bardo Thödröl von Padmasmbhava. Ich kann eigentlich nur jedem, der sich ernsthaft für diese Thematik interessiert, sich (auf der Grundlage fundierter Kenntnisse des Abidhamma) hiermit zu beschäftigen. Ich empfehle die Ausgabe von Robert Thurman, ISBN 3596151503 Buch anschauen (Der Titel „Tibetisches Totenbuch“ gibt den Inhalt nicht wirklich wieder. Weder ist es vom Ursprung her tibetisch, noch ein Todenbuch, das mal am Rande :smile:). Ein weiteres meiner Meinung nach empfehlenswertes Buch als Einführung in diese Thematik ist das Buch „Die Buddha-Natur. Tod und Unsterblichkeit im Buddhismus“ vom Dalai Lama; ISBN 3894270799 Buch anschauen.

Dem was Ralf zur tibetischen „Himmelsbestattung“ geschrieben hat, würde ich hingegen soweit zustimmen.

Lieben Gruß
Marion

Hö?

der Mensch hat von Gott aus in der Regel die Freiheit die Bestattungsart zu wählen.

Soweit noch akzeptabel.

Bisher dachte ich immer, das bezieht sich auf ein „Aus Erde geworden, zu Erde geworden“, frei nach Genesis.

Im Übrigen, wenn das Christentum eine spezielle Form der Behandlung der sterblichen Überreste nach dem Ableben verlangt hätte, wäre es sicher im Keim erstickt, da sich die christlichen Gefangenen in den Kolosseen nicht aussuchen konnten, dass der Löwe sie wieder ausspuckt oder die Fackel rechtzeitig ausgemacht wird!

Die noch im Leib verbliebenen und beim Scheiden der Seele noch nicht freigewordenen Seelenbestandteile, werden dann der Seele nach und nach zugefügt.

Interessante Lehre, die sich aber in keinster Weise mit dem Empfinden des Christentums deckt, denn dort ist die „Seele“ eine Entität und kein Flickenteppich.

Bei der Feuerbestattung erfolgt die Auflösung des Leichnams jedoch in sehr kurzer Zeit von etwa einer Stunde.

Also ähnlich wie bei den frühen Christen, die verbrannt wurden.

Die noch im Leib verbliebenen und beim Scheiden der Seele noch nicht freigewordenen Seelenbestandteile, werden dann der Seele s c h l a g a r t i g zugefügt. Das kann für die Seele eine Überladung und daher schmerzhaft sein.

Oha, dann hat die Inquisition ja den „durch das Feuer geläuterten“ sogar im Jenseits noch Schaden zugefügt!

Hast Du für diese These eine christlich basierte, also am besten biblische oder päpstlich abgesegnete Grundlage?

Es ist deshalb empfehlenswert, das Heil der Seele vor den Kostenvorteil der Feuerbestattung zu stellen und den Leichnam nach alter guter Sitte zu begraben.

Und bloß nicht von einer Bombe zerfetzt zu werden oder in einem Flugzeugabsturz zu verbrennen.
Wie ist das dann eigentlich mit Leichen, die in Säure aufgelöst werden? O.o

Sorry, das christliche „Seelenheil“ hatte weder vor 2000 Jahren noch heute etwas mit den sterblichen Überresten zu tun.

Gruß,
Michael

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Hallo Marion,

Dies ist auch keineswegs eine Spezialität des tibetischen
Buddhismus, sondern hat seine Wurzlen in den Sutren

soweit sich Dein Posting auf wechselseitig bedingtes Entstehen (pratityasamutpada) bezieht ist das schon richtig - das nidana ‚samskara‘ ist gewissermaßen der ‚karmische Motor‘ von Samsara. Für dieses karma gilt nach buddhistischem Verständnis:

Die in der Vergangenheit durch Karma bedingt entstandenen Daseinsgruppen [= skandhas, also Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, Wille und Bewusstsein], die sind eben dort erloschen. Durch das vergangene Karma aber bedingt , sind in diesem Dasein andere Gruppen entstanden; doch ist aus dem vergangenen Dasein nichts in dieses Dasein übergegangen. Auch die in diesem Dasein durch Karma bedingt entstandenen Gruppen [skandhas] _werden erlöschen; doch wird aus diesem Dasein nichts in das künftige Dasein übergehen.

(Visuddhimagga XIX.8)_

Was freilich die Identifikation von Kindern mit Epiphanien des sambhoghakaya und die Einsetzung dieser Kinder in geistliche Ämter angeht, so ist dies unzweifelhaft eine tibetische Spezialität. Jedenfalls, soweit es den Buddhismus angeht.

Gleichermaßen ist das, was Alexander Berzin in dem von Dir verlinkten Artikel erläutert, keineswegs eine allgemein buddhistische Auffassung. Hier wird über pratityasamutpada hinaus noch ein ‚Bewusstseinskontinuum‘ bemüht. Eben diese Lehre ist eine (in Nordindien entstandene) tibetische Spezialität; ihre frühesten Wurzeln finden sich nach meiner Kenntnis im Pramanavarttika des Dharmakirti (7. Jahrhundert u.Z.) sowie im von Berzin ja auch erwähnten Anuttara-Yoga-Tantra (nicht vor dem 8. Jahrhundert u.Z. entstanden). Die Kagyupa (eine der vier tibetischen buddhistischen ‚Sekten‘) führen außerdem noch gerne das Uttaratantra-Shastra an, das Asanga von dem zukunftigen Buddha Maitreya persönlich diktiert worden sein soll. Was natürlich ein krasser Anachronismus ist, wenn man es mit anderen Schriften des Yogacara-Begründers Asanga (geb. um 300) vergleicht. ‚Entdeckt‘ wurde der Text von Maitripa, im 11. Jahrhundert u.Z… Diese ‚Bewusstseinskontinuum-Theorie‘ ist also über ein Jahrtausend nach Buddha Shakyamuni und ein halbes Jahrtausend nach Nagarjuna (dem bedeutendsten Lehrer des Mahayana) entwickelt worden. Sie hat keinen Eingang in den fernöstlichen Buddhismus (China, Korea, Japan, Vietnam) gefunden und auch nicht in den Theravada-Buddhismus Sri Lankas und Südostasiens (Burma, Thailand, Siam, Kambodscha).

Freundliche Grüße,
Ralf

Moin Ralf,

Dies ist auch keineswegs eine Spezialität des tibetischen
Buddhismus, sondern hat seine Wurzlen in den Sutren

soweit sich Dein Posting auf wechselseitig bedingtes Entstehen

Nein, ich beziehe mich ganz konkret auf das Samyutta Nikaya, wie ich es ja auch in meinem Posting verlinkt habe.

Auch die in diesem Dasein durch Karma
bedingt entstandenen Gruppen [skandhas]
werden erlöschen; doch wird aus diesem Dasein nichts in das
künftige Dasein übergehen.

(Visuddhimagga XIX.8)

Das ist korrekt, widerspricht aber auch nicht meiner Textquelle oder dem, was ich geschrieben habe. Hier wird ja auch zwischen Karma (gestaltender Faktor) und Skandhas unterschieden.

Was freilich die Identifikation von Kindern mit Epiphanien des
sambhoghakaya und die Einsetzung dieser Kinder in geistliche
Ämter angeht, so ist dies unzweifelhaft eine tibetische
Spezialität. Jedenfalls, soweit es den Buddhismus angeht.

Ich merke schon, dass du dich nicht sonderlich mit dem Phänomen der Tulkus beschäftigt hast. Hier werden z.B. keine Kinder in geistliche Ämter eingesetzt, sondern die Übernehme des jeweils „geistigen Amts“ findet erst nach bestandenen Prüfungen im Erwachsenenalter statt. Soviel nur dazu.

Dass es ein individuelles Kontinuum der gestaltenden Faktoren (Karma) gibt, hab ich ja mit der Stelle im Samyutta Nikaya belegt. Bleibt die Frage offen, ob es grundsätzlich möglich ist, bei seinem Tod Einfluss auf den Verbleib dieser gestaltenden Faktoren zu nehmen. Auch dies muss vor dem Hintergrund allgemeiner buddhistischer Lehre bejaht werden, da, wie aus der verlinkten Textstelle hervorgeht, die Beseitigung der Unwissenheit den gestaltenden Faktoren die Kontrolle nimmt. Mensche Buddhisten nennen diesen Zustand dann Erleuchtung oder Erwachen :smile:

Die einzige Frage, die letztendlich offen bleibt ist, ob sich nun diese individuellen gestaltenden Faktoren, wenn sie sich mit einem neuen „Skandha-Bausatz“ verbinden, tatsächlich auch erkannt werden können (theoretisch ist diese Möglichkeit eh zu bejahen). Hier sagen nun die Tibeter, dass sie dies in bestimmten Einzelfällen können. Das kann man nun glauben oder nicht, aber hier ging es ja nicht um die Frage, was du glaubst, sondern um die Frage, ob dieses Phänomen aus der buddhistischen Lehre heraus erklärt werden kann. Und das kann es.

Ich glaube zum Beispiel auch nicht, dass man mit „Koans“ irgend sowas wie Erleuchtung erlangen kann. Dennoch würde ich mich hier nicht hinstellen und verlauten lassen, dass „Koans“ nicht durch buddhistische Lehre gedeckt sind und so eine Art japanische Folklore darstellen.

Gleichermaßen ist das, was Alexander Berzin in dem von Dir
verlinkten Artikel erläutert, keineswegs eine allgemein
buddhistische Auffassung. Hier wird über pratityasamutpada
hinaus noch ein ‚Bewusstseinskontinuum‘ bemüht.

Es geht um die gestaltenden Faktoren, also das Karma. Ein Buddha hat vollständige Einsicht in die karmischen Zusammenhänge, somit muss es sich dabei um einen Teil des Bewusstseins handeln, sonst könnte sich nämlich auch ein Buddha nicht dieser Zusammenhänge bewusst werden. Allerdings befindet sich dieses Bewusstsein auf einer so subtilen Stufe, dass der normale Durchschnittsmeditierende darauf keinen Zugriff hat.

Eben diese
Lehre ist eine (in Nordindien entstandene) tibetische
Spezialität;

Nun, du musst mir schon konkret sagen, was du für eine „tibetische Spezialität“ hältst. Das Prinzip der gestaltenden Faktoren oder Karma kann es ja wohl nicht sein, genau so wenig wie die Lehre, dass Karma und Skandhas nicht das gleiche sind oder Karma Teil der Skandhas ist.

ihre frühesten Wurzeln finden sich nach meiner
Kenntnis

Wenn du spezifizierst, was genau dau mit „ihre“ meinst, dann können wir gerne diskutieren. Das Prinzip der Gestaltenden Faktoren und ihre Eigenschaften, um die es hier geht, wird es jedenfalls wohl nicht sein.

Deine weiteren Hinweise sind ja ganz schön, allerdings wüsste ich gerne, was du mit „Bewusstseinstheorie“ bezeichnest. Ich bin auch gerne bereit, mit dir Asanga, Nagarjuna oder andere buddhistische philosophische Richtungen zu diskutieren, sofern du diese Namen auch mit etwas Inhalt füllst und mir verrätst, was genau du eigentlich diskutieren möchtest.

Ansonsten weiß jeder, der sich eigehend mit dem Buddhismus beschäftigt hat, dass sich sehr früh unterschiedliche Buddhistische Strömungen entwickelt haben, die sich teilweise auch ganz schön widersprechen, und zumindest die unterschiedlichen Sichtweisen der Schulen, die im tibetischen Buddhismus angekommen sind, werden hier gerne und mit Freuden diskutiert.

In diesem Sinn frage ich dich dann mal, was denn sie Zen-Buddhisten annehmen, was mit den gestaltenden Faktoren passiert, wenn die Skandhas zerfallen?

Diese ‚Bewusstseinskontinuum-Theorie‘ ist also über ein Jahrtausend :nach Buddha Shakyamuni und ein halbes Jahrtausend nach Nagarjuna (dem :bedeutendsten Lehrer des Mahayana) entwickelt worden. Sie hat keinen :Eingang in den fernöstlichen Buddhismus (China, Korea, Japan, :Vietnam) gefunden und auch nicht in den Theravada-Buddhismus Sri :Lankas und Südostasiens (Burma, Thailand, Siam, Kambodscha).

Hier irrst du übrigens schon wieder. Selbsverständlich geht man im Theravada von einem nicht endenden Daseinskreislauf aus. Schließlich ist es das vornehmlichste Ziel im Theravada, diesen Daseinskreislauf zu verlassen. Der Grundlegende Unterschied zum Mahayana besteht lediglich darin, dass es im Theravada nach Erreichen der Buddhaschaft kein freiwilliges Verweilen im Daseinskreislauf gibt. Aber auch im Theravada geht man davon aus, dass „man“ bis zur Erleuchtung immer und immer weiter im Daseinkreislauf gefangen ist, was natürlich nichts anderes ist, als ein Kontinuum bis zum „Ausstieg“ durch Erreichen der Buddhaschaft.

Wäre es nicht so, würden, mit Verlaub, alle Anstrengungen auch gar keinen Sinn machen. Dann wechselt man eben ins Lager der Materialisten über und postuliert, mit dem Tod ist alles aus und es gibt keinen immerwährenden Daseinskreislauf. Aber dann wäre man auch kein Buddhist mehr.

Gruß
Marion

Hallo Marion

Ich merke schon, dass du dich nicht sonderlich mit dem
Phänomen der Tulkus beschäftigt hast. Hier werden z.B. keine
Kinder in geistliche Ämter eingesetzt, sondern die Übernehme
des jeweils „geistigen Amts“ findet erst nach bestandenen
Prüfungen im Erwachsenenalter statt. Soviel nur dazu.

geschenkt. Hältst Du das in diesem Zusammenhang für tatsächlich für ein wesentliches Argument, in welchem Alter die offizielle Einsetzung stattfindet? Mal abgesehen davon, dass mw wohl noch keiner dieser Tulkus durch die Prüfungen gefallen ist … Der Punkt ist, dass es Vergleichbares in anderen buddhistischen Traditionen nicht gibt.

Dass es ein individuelles Kontinuum der gestaltenden Faktoren
(Karma) gibt, hab ich ja mit der Stelle im Samyutta Nikaya
belegt.

Das war ja auch überhaupt nicht strittig - es ging darum, ob ein ‚Bewusstseinskontinuum‘ oder ‚geistiges Kontinuum‘ über den Tod hinaus besteht. Ein „individuelles“ sogar - so steht es nämlich in dem Text von Alexander Berzin. Und eben dies kannst Du mit dieser oder irgendeiner anderen Stelle aus dem Palikanon nicht belegen. Schau dir z.B. mal Samyutta Nikaya 22.49 an:

18. „Ist das Bewußtsein unvergänglich oder vergänglich?“ - „Vergänglich, o Herr.“ - „Was aber vergänglich ist, ist das leidig oder freudig?“ - „Leidig, o Herr.“ - „Was nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit Recht so ansehen: ‚Dies ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst‘?“ - „Gewiß nicht, o Herr.“
[…]
23. "Daher, o Sona, was es irgend an Bewußtsein gibt, vergangen, künftig, gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder fein, gewöhnlich oder edel, fern oder nahe: von jedem Bewußtsein gilt: ‚Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst‘. - So hat man dies der Wirklichkeit gemäß mit rechter Weisheit zu betrachten.

  • diese Aussage über das Bewusstsein (vijnana-skandha) wird für sämtliche weiteren skandhas wiederholt. Darüber hinaus existiert nichts weiter, auch kein „geistiges Kontinuum“:

Wenn nun, ihr Mönche, einer sagt: ‚Außerhalb von Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen will ich des Bewußtseins Kommen oder Gehen, Schwinden oder Entstehen, Wachstum, Entwicklung, Fülle verkünden‘ - so besteht keine Möglichkeit dafür.
(S.22.53.)

So weit jedenfalls der Palikanon. Die Lehre von einem anfangs- und endlosen Bewusstseinkontinuum oder geistigen Kontinuum - also das, was Berzin da referiert - steht eindeutig in krassem Widerspruch zu den Sutren des Palikanon, da beisst die Maus keinen Faden ab.

Vielleicht magst Du Dir zur theravadischen Position einmal Visuddhimagga XIV anschauen - dort ist von einem individuellem ‚Bewusstseinstrom‘ oder ‚Bewusstseinskontinuum‘ (bhavanga sota) die Rede. Allerdings keinem anfangs- und endlosen, sondern einem, das mit der Geburt ins Dasein tritt (patisandhi citta) und mit dem Sterben endet (cuti citta).

Bleibt die Frage offen, ob es grundsätzlich möglich
ist, bei seinem Tod Einfluss auf den Verbleib dieser
gestaltenden Faktoren zu nehmen. Auch dies muss vor dem
Hintergrund allgemeiner buddhistischer Lehre bejaht werden,
da, wie aus der verlinkten Textstelle hervorgeht,

Die Frage selbst will ich einmal offen lassen aber Dich darauf hinweisen, dass du den Grund meines Einwandes offenbar nicht verstanden hast. Herr Berzin mag in "der verlinkten Textstelle " sehr beredt die tibetische Position darstellen, das heisst noch lange nicht, dass dies „vor dem Hintergrund allgemeiner buddhistischer Lehre bejaht werden“ muss. Wirklich nicht.

Nun, du musst mir schon konkret sagen, was du für eine
„tibetische Spezialität“ hältst.

Das habe ich sehr deutlich - einschließlich Verweis auf die Herkunft dieses Konzeptes. Nochmals: das Postulieren eines individuellen anfangs- und endlosen ‚geistigen Kontinuums‘ (wie bei Berzin) oder ‚Bewusstseinskontinuums‘ bzw. ‚Bewusstseinsstroms‘ (diese Begriffe findet man in anderen erläuternden Texten) findet sich im Buddhismus außerhalb der tibetischen Tradition nicht.

Das Prinzip der Gestaltenden
Faktoren und ihre Eigenschaften, um die es hier geht, wird es
jedenfalls wohl nicht sein.

Das hast Du richtig erkannt.

Deine weiteren Hinweise sind ja ganz schön, allerdings wüsste
ich gerne, was du mit „Bewusstseinstheorie“ bezeichnest.

Das wüsste ich jetzt aber auch gerne - mir ist nämlich nicht erinnerlich, dass ich eine solche Bezeichnung gebraucht hätte. Ich habe vielmehr von „dieser Bewusstseinskontinuum-Theorie“ geschrieben und was damit gemeint war, kannst Du den unmittelbar vorangehenden sechs Sätzen unschwer entnehmen.

Ich
bin auch gerne bereit, mit dir Asanga, Nagarjuna oder andere
buddhistische philosophische Richtungen zu diskutieren, sofern
du diese Namen auch mit etwas Inhalt füllst und mir verrätst,
was genau du eigentlich diskutieren möchtest.

Mir ging es nicht eine Diskussion dieses Konzeptes eines ‚geistigen Kontinuums‘ (das wäre ein Thema für buddhistisches Spezialforum) - nur um die Klarstellung, dass es sich nicht um eine allgemein anerkannte buddhistische Lehre handelt, wie in dem von Dir verlinkten Text unterstellt. Die meisten Buddhisten haben mit Texten wie dem Anuttara Yogatantra oder dem Uttara Tantra Shastra nämlich absolut nichts am Hut.

In diesem Sinn frage ich dich dann mal, was denn sie
Zen-Buddhisten annehmen, was mit den gestaltenden Faktoren
passiert, wenn die Skandhas zerfallen?

Ist jetzt zwar völlig offtopic - aber Du wirst Dich vielleicht erinnern, dass ich vor einer Weile die Thematik ‚punarbhava‘ anhand des Mahayana Shraddhotpada Shastra und des alaya-vijnana erläutert habe: /t/kritische-frage-zum-thema-wiedergeburt/3869705/44

… mit deutlichen Hinweis darauf, dass es sich um die Sicht einer speziellen Schule des Buddhismus (Vijnaptimatra / Yogacara) handelt. Nicht wie Berzin: " Der Buddhismus erklärt …". „… gemäß der buddhistischen Erläuterung …“ usw. usf. So etwas ist schlicht irreführend und eine ungerechtfertigte Vereinnahmung.

Hier irrst du übrigens schon wieder. Selbsverständlich geht
man im Theravada von einem nicht endenden Daseinskreislauf
aus. Schließlich ist es das vornehmlichste Ziel im Theravada,
diesen Daseinskreislauf zu verlassen. Der Grundlegende
Unterschied zum Mahayana besteht lediglich darin, dass es im
Theravada nach Erreichen der Buddhaschaft kein
freiwilliges Verweilen im Daseinskreislauf
gibt. Aber auch im Theravada geht man davon aus, dass „man“
bis zur Erleuchtung immer und immer weiter im Daseinkreislauf
gefangen ist, was natürlich nichts anderes ist, als ein
Kontinuum bis zum „Ausstieg“ durch Erreichen der Buddhaschaft.

Ich irre mich da durchaus nicht. Hier kommen genau zu dem Punkt, wo der Hund begraben liegt. Dieses „man“ existiert so nach Auffassung der Theravadin (und btw auch der Madhyamika) nämlich nicht, es ist maya, leidhafte Täuschung. Da ist nichts Substanzielles „im Daseinskreislauf gefangen“, auch kein in Anführungsstriche gesetztes „man“. Vgl. die Zitate oben aus S.22. Über die empirische Existenz einer vergänglichen Zusammensetzung von skandhas (eines Individuums) hinaus gibt es keine Kontinuität, lediglich karmische Früchte.

Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Die Taten gibt es, doch kein Täter findet sich. Erlösung gibt es, doch nicht den erlösten Mann. Den Pfad gibt es, doch keinen Wanderer sieht man da.
(Visuddhimagga XVI.4)

Deswegen erlischt nach Auffassung der Theravadin das individuelle ‚geistige Kontinuum‘ (bhavanga sota) mit dem Sterbebewusstsein, s.o. Was das alaya-vijnana der Yogacarin angeht - das ist zwar ein anfangs- und endloses (überzeitliches) Kontinuum, aber eben kein individuelles.

Das „man“, das da in den „subtilsten“ Schichten des Bewusstseins herumgeistern soll und dem eine überzeitliche Existenz als individuelles „geistiges Kontinuum“ zugebilligt wird, ist nichts anderes als ein ‚atman‘. Das ist der begrabene Hund.

Freundliche Grüße,
Ralf

Moin,

geschenkt. Hältst Du das in diesem Zusammenhang für
tatsächlich für ein wesentliches Argument, in welchem Alter
die offizielle Einsetzung stattfindet?

Ja. Ich gehe nämlich davon aus, dass der Mensch in 15-20 Jahren eine Menge lernen kann. Auch ein kleiner Tulku muss lernen wie alle anderen auch.

Mal abgesehen davon,
dass mw wohl noch keiner dieser Tulkus durch die Prüfungen
gefallen ist …

Ich möchte gerne auf ein in buddhistischen Kreisen bekanntes Beispiel des 6. Dalai Lama Tsangyang Gyatso vertweisen, der nicht nur niemals ein geistiges Amt ausübte, sondern sogar seine Mönschgelübte zurückgab und das Leben eines Laien führte.

Sicher hat ein kleiner Tulkus vermutlich größere Chancen, glatt durch die jahrzehntelange buddhistische Schulung zu kommen, schlichtweg weil der Zugang zur feinsten Ausbildung und den fähigsten Lehrern hat, die der tibetische Buddhismus zu seiner jeweiligen Zeit aufbieten kann, aber eine Garantie gibt es trotzdem nicht. Bestimmte „geistige Ämter“ sind sowieso mit den wenigstens Tulkus verknüpft. Irgendwann muss jeder Tulku zeigen, wo seine Fähigkeiten sind.

Der Punkt ist, dass es Vergleichbares in
anderen buddhistischen Traditionen nicht gibt.

Was ich ja auch eingeräumt habe.

Dass es ein individuelles Kontinuum der gestaltenden Faktoren
(Karma) gibt, hab ich ja mit der Stelle im Samyutta Nikaya
belegt.

Das war ja auch überhaupt nicht strittig - es ging darum, ob
ein ‚Bewusstseinskontinuum‘ oder ‚geistiges Kontinuum‘ über
den Tod hinaus besteht. Ein „individuelles“ sogar - so steht
es nämlich in dem Text von Alexander Berzin. Und eben dies
kannst Du mit dieser oder irgendeiner anderen Stelle aus dem
Palikanon nicht belegen. Schau dir z.B. mal Samyutta Nikaya
22.49 an:

18. „Ist das Bewußtsein unvergänglich oder
vergänglich?“ - „Vergänglich, o Herr.“ - „Was aber vergänglich
ist, ist das leidig oder freudig?“ - „Leidig, o Herr.“ - „Was
nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit
Recht so ansehen: ‚Dies ist mein, das bin ich, das ist mein
Selbst‘?“ - „Gewiß nicht, o Herr.“
[…]
23. "Daher, o Sona, was es irgend an Bewußtsein gibt,
vergangen, künftig, gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder
fein, gewöhnlich oder edel, fern oder nahe: von jedem
Bewußtsein gilt: ‚Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das
ist nicht mein Selbst‘. - So hat man dies der Wirklichkeit
gemäß mit rechter Weisheit zu betrachten.

Das ist ja auch richtig. Bitte vesteh mich nicht falsch. Es war keinesfalls meine Absicht, die gestaltenden Faktoren, die eben dieses Kontinuum bilden, nun als neues „Selbst“ oder gar nicht wandelbares, nicht vergängliches Selbst zu postulieren, das quasi wie ein Koffer durch die verschiedenen Leben reist. Das wäre das eine Extrem, dass zu verneinen ist, wie ja ach im Text von Berin beschrieben. Die andere Vorstellung hingegen, die ebenfalls zu verneinen ist, wäre das andere Extrem, nämlich die Vorstellung, dass diese „gestaltenden Faktoren“ nun etwas vom Individuum völllig unabhängiges sind und quasi ein „Eigenleben“ führen. Auch diese Vorstellung wird im Samyutta Nikaya verneint. Die „Wahhrheit“ muss also irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegen und hier wird es einfach schwierig mit der Beschreibung.

Ich würde mich letztendlich auch damit zufriedengeben, wenn wir als Ergebnis dieser Diskussion festhalten, dass wir uns einig sind, dass diese beiden Extreme abzulehnen sind, uns aber nicht darüber einig sind, wie jetzt dass zu beschreiben ist, was eben den mittleren Weg zwischen diesen beiden Extremen kennzeichnet.

  • diese Aussage über das Bewusstsein (vijnana-skandha) wird
    für sämtliche weiteren skandhas wiederholt. Darüber hinaus
    existiert nichts weiter, auch kein „geistiges Kontinuum“:

Wenn nun, ihr Mönche, einer sagt: ‚Außerhalb von
Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen will ich des
Bewußtseins Kommen oder Gehen, Schwinden oder Entstehen,
Wachstum, Entwicklung, Fülle verkünden‘ - so besteht keine
Möglichkeit dafür.
(S.22.53.)

Korrekt. Das wäre nämlich das andere Extrem, dass z.B. die „gestaltenden Faktoren“ als außerhalb und unabhängig vom Individuum stehend angesehen werden.

So weit jedenfalls der Palikanon. Die Lehre von einem anfangs-
und endlosen Bewusstseinkontinuum oder geistigen Kontinuum -
also das, was Berzin da referiert - steht eindeutig in krassem
Widerspruch zu den Sutren des Palikanon, da beisst die Maus
keinen Faden ab.

Das sehe ich anders. Berzin macht ja gerade in seinem Text deutlich, dass dieses Kontinuum der gestaltenden Faktoren weder auf die eine Weise (Fließbandbeispiel), noch auf die andere Weise (es gibt Kontinuum der gestaltenden Faktoren, die völlig unabhängig vom Individuum existieren). Ich weiß nicht, ob sein Beispiel vom Kinofilm gut gewählt ist, ich hatte einige Schwierigkeiten, es anfangs überhaupt zu verstehen. Mir ist da der Vergleich mit den Billardkugeln „eingängiger“, aber Berzin ist mit seinem Beispiel sicher näher am Abidhamma und den Aussagen darüber, was Bewusstsein eigentlich ist.

Vielleicht magst Du Dir zur theravadischen Position einmal
Visuddhimagga XIV anschauen - dort ist von einem individuellem
‚Bewusstseinstrom‘ oder ‚Bewusstseinskontinuum‘ (bhavanga
sota) die Rede. Allerdings keinem anfangs- und endlosen,
sondern einem, das mit der Geburt ins Dasein tritt (patisandhi
citta) und mit dem Sterben endet (cuti citta).

Ja, korrekt. Das würde ich mit dem gleichsetzen, was man heutzutage als „Hirntod“ beschreibt, also das Bewusstsein, das mit den Hirnaktivitäten verknüpft ist. Dieses erlischt tatsächlich zusammen mit dem Gehirn. Dies ist auch das, was die meisten Menschen als ihr „geistiges Selbst“ bezeichnen würden, und ja, davon bleibt nichts.

Das habe ich sehr deutlich - einschließlich
Verweis auf die Herkunft dieses Konzeptes. Nochmals: das
Postulieren eines individuellen anfangs- und endlosen
‚geistigen Kontinuums‘ (wie bei Berzin) oder
‚Bewusstseinskontinuums‘ bzw. ‚Bewusstseinsstroms‘ (diese
Begriffe findet man in anderen erläuternden Texten) findet
sich im Buddhismus außerhalb der tibetischen Tradition nicht.

Ok, aber das läuft doch letztendlich dann auf eine Diskussion hinaus, als was man die „gestaltenden Faktoren“, also die karmischen Anlagen, karmische Samen oder was auch immer ansehen will. Streng genommen ist der Begriff „Same“ hier gennau so falsch, weil er eine gewisse Körperlichkeit suggeriert, die diese Faktoren sicher nicht haben. Genau so suggeriert „Bewusstsein“ einen Geisteszustand, auf den wir tatsächlich bewusst „zugreifen“ können. Auch das ist ja nicht der Fall. Nenn mir ein besseres Wort :smile:
(Ich will auch gerne nochmal nachschauen, welches Wort die Tibeter nun tatsächlich verwendet haben und was hier so unterschiedlich übersetzt wird und dann hoffen, dass es in meine Tibetisch/Sanskrit-Lexikon drinsteht, damit wir wiederum nachvollziehen können, worauf sich die Tibeter nun wiederum in den Sutras beziehen.) Es kann aber sein, dass ich danach einen meiner tibetisch Dozenten fragen muss, und davon sehe ich erst frühestens Montag wieder eine. Ich bitte also in dieser Frage um etwas Geduld.

Mir ging es nicht eine Diskussion dieses Konzeptes eines
‚geistigen Kontinuums‘ (das wäre ein Thema für buddhistisches
Spezialforum) - nur um die Klarstellung, dass es sich nicht um
eine allgemein anerkannte buddhistische Lehre handelt, wie in
dem von Dir verlinkten Text unterstellt. Die meisten
Buddhisten haben mit Texten wie dem Anuttara Yogatantra oder
dem Uttara Tantra Shastra nämlich absolut nichts am Hut.

Müssen sie ja auch nicht. Man könnte sagen, diese Texte sind Versuche in einer bestimmten Philosophischen Schule die Fragen zu beantworten, die aus dem Text im Samyutta Nikaya entstehen, also meinetwegen nenne es „Geist-Kontinuum“ wenn dir mit dem Begriff „Geist“ wohler ist, als mit dem Begriff „Bewusstsein“.

In diesem Sinn frage ich dich dann mal, was denn sie
Zen-Buddhisten annehmen, was mit den gestaltenden Faktoren
passiert, wenn die Skandhas zerfallen?

Ist jetzt zwar völlig offtopic - aber Du wirst Dich vielleicht
erinnern, dass ich vor einer Weile die Thematik ‚punarbhava‘
anhand des Mahayana Shraddhotpada Shastra und des
alaya-vijnana erläutert habe:
/t/kritische-frage-zum-thema-wiedergeburt/3869705/44

Ich finde das überhaupt nicht off-topic. Ganz im Gegenteil, ich finde, dass du in dem Posting den Standpunkt des Buddhismus hervorragend erklärst und auch den unterschiedlichen Standpunkten diesbezügilch innerhalb des Buddhismus durchaus gerecht wirst. Deshalb verstehe ich auch nicht, wieso wir hier nicht auf einen Nenner kommen.

Genau darum (ich zitiere mal aus deinem Posting)

_Das, was diesem Wandern Zusammenhang gibt, was es zu einem Wandern über unzählige Existenzen hinweg macht, ist nicht eine Seele, ein fester personaler ‚Kern‘, der die Existenzform wandelt, sondern eine unpersönliche Wirkungskraft – karma.

Geht es doch. Diese Wirkungskraft (ich hab es „gestaltende Faktoren“ genann) ist in der Tat unpersönlich, weil zu einer Person eben noch mehr dazu gehört, nämmlich die Skandhas. Aber es ist dennoch individuell.

Hier irrst du übrigens schon wieder. Selbsverständlich geht
man im Theravada von einem nicht endenden Daseinskreislauf
aus. Schließlich ist es das vornehmlichste Ziel im Theravada,
diesen Daseinskreislauf zu verlassen. Der Grundlegende
Unterschied zum Mahayana besteht lediglich darin, dass es im
Theravada nach Erreichen der Buddhaschaft kein
freiwilliges Verweilen im Daseinskreislauf
gibt. Aber auch im Theravada geht man davon aus, dass „man“
bis zur Erleuchtung immer und immer weiter im Daseinkreislauf
gefangen ist, was natürlich nichts anderes ist, als ein
Kontinuum bis zum „Ausstieg“ durch Erreichen der Buddhaschaft.

Ich irre mich da durchaus nicht. Hier kommen genau zu dem
Punkt, wo der Hund begraben liegt. Dieses „man“ existiert
so nach Auffassung der Theravadin (und btw
auch der Madhyamika) nämlich nicht, es ist maya, leidhafte
Täuschung. Da ist nichts Substanzielles „im Daseinskreislauf
gefangen“, auch kein in Anführungsstriche gesetztes „man“.
Vgl. die Zitate oben aus S.22. Über die empirische Existenz
einer vergänglichen Zusammensetzung von skandhas (eines
Individuums) hinaus gibt es keine Kontinuität, lediglich
karmische Früchte.

Also wenn du meinst, dass „karmische Früchte“ nun irgendwie eine bessere Umschreibung ist als „gestaltende Faktoren“ oder „man“, dann bitte, nennen wir die Kontinuität meinetwegen „karmische Früchte“. Wenn ich jetzt deine Wortwahl so zerpflücken würde wie du meine, dann könnte ich auch sagen, was hat das jetzt mit Obst und Gemüse zutun, aber so bin ich ja nicht :smile:

Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Die
Taten gibt es, doch kein Täter findet sich. Erlösung gibt es,
doch nicht den erlösten Mann. Den Pfad gibt es, doch keinen
Wanderer sieht man da.
(Visuddhimagga XVI.4)

Deswegen erlischt nach Auffassung der Theravadin das
individuelle ‚geistige Kontinuum‘ (bhavanga sota) mit dem
Sterbebewusstsein, s.o. Was das alaya-vijnana der Yogacarin
angeht - das ist zwar ein anfangs- und endloses
(überzeitliches) Kontinuum, aber eben kein individuelles.

Die Menschen kommen aber nunmal nicht mit „Null Karma“ auf die Welt. Auch Säuglingen oder Kleinkinder müssen teilweise furchtbar leiden und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man nach dem was du schreibst, dieses Leiden erklären will. Wenn es kein individuelles Kontinuum diesbezüglich gibt, was bleibt dann? Zufall? Dies wird vom Buddha ausdrücklich verneint. Ich zitiere nochmal aus dem Samyutta Nikaya:

Auf die Frage ,ist etwa Lust und Leiden, Herr Gotama, selbstverursacht?’ antwortest du: ,nicht so (sollst du sprechen), Timbaruka’. - Auf die Frage ,oder aber ist Lust und Leiden, Herr Gotama, von einem anderen verursacht?’ antwortest du: ,nicht so (sollst du sprechen), Timbaruka’ (*f49). - Auf die Frage ,ist etwa Lust und Leiden, Herr Gotama, sowohl selbstverursacht als auch von einem anderen verursacht?’ antwortest du: ,nicht so (sollst du sprechen), Timbaruka.’ - Auf die Frage ,oder aber ist Lust und Leiden, Herr Gotama, nicht selbstbewirkt und auch nicht von einem anderen bewirkt, sondern durch Zufall entstanden?’ antwortest du: ,nicht so (sollst du sprechen), Timbaruka.’ - Auf die Frage ,gibt es also, Herr Gotama, überhaupt keine Lust und kein Leiden?’ antwortest du: ,es ist nicht so, Timbaruka, daß es keine Lust und kein Leiden gibt; es gibt wohl Lust und Leiden, Timbaruka.’ - Auf die Frage ,kennt also der Herr Gotama Lust und Leiden nicht und sieht es nicht?’ antwortest du: ,es ist nicht so, Timbaruka, daß ich Lust und Leiden nicht kenne und nicht sehe; ich kenne Lust und Leiden wohl, Timbaruka, ich sehe Lust und Leiden wohl, Timbaruka.’ - Es soll mir der Herr Gotama Lust und Leiden darlegen, es soll mir der Herr Gotama Lust und Leiden verkündigen."

  1. "Behauptet man ,die nämliche Empfindung ist es, die (wieder) empfindet,’ so gibt es einen, der von Anbeginn da ist und seine Lust und sein Leiden ist selbstverursacht: so aber lehre ich nicht.

  2. Behauptet man ,eine andere Empfindung ist es, die (wieder) empfindet, so ist für den, der von Empfindung betroffen ist, Lust und Leiden von einem anderen verursacht: so aber lehre ich nicht.

  3. Diese beiden Enden vermeidend, Timbaruka, verkündet in der Mitte der Tathāgata die wahre Lehre: "Aus dem Nichtwissen als Ursache entstehen die Gestaltungen; aus den Gestaltungen als Ursache entsteht das Bewußtsein usw. usw. (= 1. 3). Auf solche Art kommt der Ursprung der ganzen Masse des Leidens zu stande. Aus dem restlosen Verschwinden aber und der Aufhebung des Nichtwissens folgt Aufhebung der Gestaltungen; aus der Aufhebung der Gestaltungen folgt Aufhebung des Bewußtseins usw. usw. (= 1. 4). Auf solche Art kommt die Aufhebung der ganzen Masse des Leidens zu stande. "

Das „man“, das da in den „subtilsten“ Schichten des
Bewusstseins herumgeistern soll und dem eine überzeitliche
Existenz als individuelles „geistiges Kontinuum“ zugebilligt
wird, ist nichts anderes als ein ‚atman‘. Das ist der
begrabene Hund.

Nein, das ist Quark. Das es unterschiedlich subtile Formen des Bewusstseins gibt, ist heutzutage selbst unter nicht Buddhisten eine anerkannte Feststellung. Wenn du schläfst, dann schaltet sich dein Gehirn nicht ab. Dennoch hast du im allgemeinen keinen Zugriff darauf, was sich in deinem „Geist“ oder Bewusstsein abspielt. Wer es nun tatsächlich schafft, z.B. durch Training in diese Geistesebene vorzudringen oder sich zufällig an einen Traum erinnert, wenn er gerade aufwacht, der hat lediglich Zugang zu einer subtileren Schicht des Bewusstseins (was es in dem Moment ja ist, wenn man es sich bewusst mach). Auch dieses substilen und subtilste Schichten sind unbeständig, wandelbar, haben keinen inhärenten Kern etc. und sind mitnichten irgendwas wie „atman“.

Gruß
Marion_

Hallo Marion,
ich möchte diese Diskussion, die mit dem eigentlichen Thread ja nichts zu tun hat nicht übermäßig auswalzen. Wie schon geschrieben ging es mir vorrangig darum, dem Missverständnis entgegenzuwirken, der Artikel von Berzin stelle eine im Buddhismus allgemein akzeptierte und vertretene Position dar.

Ich möchte gerne auf ein in buddhistischen Kreisen bekanntes
Beispiel des 6. Dalai Lama Tsangyang Gyatso vertweisen, der
nicht nur niemals ein geistiges Amt ausübte, sondern sogar
seine Mönschgelübte zurückgab und das Leben eines Laien
führte.

Ja sicher - was nichts daran änderte, dass er weiterhin den Titel des Dalai Lama führte. Wie Du richtig schreibst, übte er die damit verbunden Befugnisse und Aufgaben nicht aus. Übrigens sprach ich von ‚geistlichen Ämtern‘ - sicher ein Ausdruck, der auf Titel wie Dalai Lama, Panchen Rinpoche, Karmapa usw. nur bedingt passt. Andererseits - nur von einem ‚Titel‘ zu sprechen, trifft es ja auch nicht. Aber verzetteln wir uns hier nicht.

Der Punkt ist, dass es Vergleichbares in
anderen buddhistischen Traditionen nicht gibt.

Was ich ja auch eingeräumt habe.

So weit, so gut.

Ich würde mich letztendlich auch damit zufriedengeben, wenn
wir als Ergebnis dieser Diskussion festhalten, dass wir uns
einig sind, dass diese beiden Extreme abzulehnen sind, uns
aber nicht darüber einig sind, wie jetzt dass zu beschreiben
ist, was eben den mittleren Weg zwischen diesen beiden
Extremen kennzeichnet.

Völlig d’accord.

Das sehe ich anders. Berzin macht ja gerade in seinem Text
deutlich,

Ich halte Berzins Handhabung des Kontinuumsbegriffes für in mehrerer Hinsicht angreifbar. Vor allem wäre da seine Unterscheidung materieller Kontinua und geistiger Kontinua zu nennen; dieser Geist/Materie-Dualismus steht z.B. im Gegensatz zur monistischen Vijnaptimatra-Auffassung. Das wäre ein Ansatzpunkt für eine Kritik vom Yogacara-Standpunkt her - die ich hier freilich inhaltlich nicht führen möchte, das wäre eine recht einsame Angelegenheit zwischen uns beiden und dürfte für ein Publikum ohne tiefere Sachkenntnis kaum nachvollziehbar sein. Ein anderer problematischer Punkt ist die These der Isoliertheit individueller geistiger Kontinua - konkret ignoriert dies die Rolle der Kommunikation; theoretisch sehe ich damit sogar die Bedingtheit dieser Kontinua (ihr samskrta) in Frage gestellt. Dies wäre ein Ansatzpunkt für eine Kritik vom (Prasanghika-) Madhyamaka-Standpunkt aus.

Wie gesagt, ich halte diese inhaltliche Diskussion hier nicht für sinnvoll. Du (und die meisten tibetischen Buddhisten mit Dir) siehst das anders als z.B. ich. Ich denke, es kann uns genügen, hier festzustellen, dass es da keinen allgemeinen buddhistischen Konsens gibt.

Ok, aber das läuft doch letztendlich dann auf eine Diskussion
hinaus, als was man die „gestaltenden Faktoren“, also die
karmischen Anlagen, karmische Samen oder was auch immer
ansehen will. Streng genommen ist der Begriff „Same“ hier
gennau so falsch, weil er eine gewisse Körperlichkeit
suggeriert, die diese Faktoren sicher nicht haben.

Richtig, der Begriff ‚bija‘ (Same) ist hier eine durchaus problematische Metapher. Passend ist das Bild insofern, als der Baum, der aus einem Samen wächst, mit dem Baum, der den Samen erzeugt hat, nichts gemeinsam hat außer dem ‚Programm‘ (in diesem Fall dem genetischen), das der Same überträgt und dass dieser Same zusätzliche Bedingungen (einen fruchtbaren Boden) benötigt, um zu reifen. Der Alternativbegriff (im Yogacara) ‚vasana‘ (Gewohnheitsenergieen, Konditionierungen) hat wiederum den Nachteil, dass er ein Etwas suggeriert, das konditioniert wird und entsprechend handelt - während lediglich Handeln als solches konditioniert wird

Genau so
suggeriert „Bewusstsein“ einen Geisteszustand, auf den wir
tatsächlich bewusst „zugreifen“ können. Auch das ist ja nicht
der Fall. Nenn mir ein besseres Wort :smile:

Richtig - natürlich umfasst der Vijnana-skandha nicht nur des Bewusste, sondern auch Un- und Vorbewusstes.

Die meisten
Buddhisten haben mit Texten wie dem Anuttara Yogatantra oder
dem Uttara Tantra Shastra nämlich absolut nichts am Hut.

Müssen sie ja auch nicht. Man könnte sagen, diese Texte sind
Versuche in einer bestimmten Philosophischen Schule die Fragen
zu beantworten, die aus dem Text im Samyutta Nikaya entstehen,
also meinetwegen nenne es „Geist-Kontinuum“ wenn dir mit dem
Begriff „Geist“ wohler ist, als mit dem Begriff „Bewusstsein“.

Den Begriff ‚geistiges Kontinuum‘ benutzt Berzin … :wink:

Genau darum (ich zitiere mal aus deinem Posting)

_Das, was diesem Wandern Zusammenhang gibt, was es zu
einem Wandern über unzählige Existenzen hinweg macht, ist
nicht eine Seele, ein fester personaler ‚Kern‘, der die
Existenzform wandelt, sondern eine unpersönliche Wirkungskraft
– karma.

Geht es doch. Diese Wirkungskraft (ich hab es „gestaltende
Faktoren“ genann) ist in der Tat unpersönlich, weil zu einer
Person eben noch mehr dazu gehört, nämmlich
die Skandhas. Aber es ist dennoch
individuell._

Eben da ist, glaube ich, unser Dissenz. Die ‚gestaltenden Faktoren‘, also die karmisch wirksamen samskara, sind gesetzte Ursachen und Bedingungen, die unter entsprechenden Voraussetzungen (weiteren Bedingungen) ihnen entsprechende Früchte erzeugen. Sie sind das willentliche Wirken eines ‚Individuums‘ (einer ephemeren Konstellation von skandhas) und sie sind ein Teil der Ursachen und Bedingungen (hetupratyaya), die andere ‚Individuen‘ bedingen. Ich sehe da keine karmische 1:1 Beziehung zwischen aufeinanderfolgenden ‚Individuen‘ (was nun wiederum, wie ich einräume, keine theravadische Auffassung ist).

Die Menschen kommen aber nunmal nicht mit „Null Karma“ auf die
Welt. Auch Säuglingen oder Kleinkinder müssen teilweise
furchtbar leiden und ich kann mir beim besten Willen nicht
vorstellen, wie man nach dem was du schreibst, dieses Leiden
erklären will.

Es ist bedingt. Die Säuglinge oder Kleinkinder (als ‚Individuen‘) haben mit diesen Bedingungen allerdings lediglich insofern etwas zu tun, als sie deren Produkt sind.

Das es unterschiedlich subtile Formen des
Bewusstseins gibt, ist heutzutage selbst unter nicht
Buddhisten eine anerkannte Feststellung. Wenn du schläfst,
dann schaltet sich dein Gehirn nicht ab. Dennoch hast du im
allgemeinen keinen Zugriff darauf, was sich in deinem „Geist“
oder Bewusstsein abspielt.

Das ist genau das, was im Theravada als ‚bhavanga sota‘ gelehrt wird, als subtilste Form des Bewusstseins - und das wie alles Bedingte anitya, vergänglich ist.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Tobias,

Damit wirfst Du die Antrhopologie aus dem Fenster, was für die
christliche Weltsicht doch überaus schwer zu verkraften wäre.

mag sein :smile: vielleicht bin ich ja ein neuer Galilei

Indem Du die Anthropologie als ungültig erklärst? Hmmm…

Wenn nur der Intellekt unsterblich ist, was ist mit denen die
Alzheimer haben oder dumm geboren wurden (oder wurden *gg*)
etc.?

Deine beiden Beispiele Deines Einwands entsprechen sich nicht. Bei einem Alzheimer muss man von einem ‚voll entwickelten‘ Gehirn ausgehen, dass degenrativ Erinnerungen, Erfahrungen und somit Teile seiner Selbst verliert. Je nach der Definition von personaler Identität, die man annehmen möchte, geht dabei die persönliche Individualität verloren.
Ein solcher Fall lässt sich also kaum auf dieselbe Ebene, wie ein von Anfang an minderer IQ oder limitierter EQ o.Ä. (was Du als ‚dumm geboren‘ umschreibst) setzen.

Bitte informiere Dich über die Unterschiede zwischen intellekt und Intelligenz, denn Deine Antwort geht komplett an meinem Einwand vorbei.

Herzliche Grüsse
Y.-

Moin Ralf,

Genau so
suggeriert „Bewusstsein“ einen Geisteszustand, auf den wir
tatsächlich bewusst „zugreifen“ können. Auch das ist ja nicht
der Fall. Nenn mir ein besseres Wort :smile:

Richtig - natürlich umfasst der Vijnana-skandha nicht nur des
Bewusste, sondern auch Un- und Vorbewusstes.

Ich hatte doch weiter oben bereits geschrieben, dass es nicht um den Teil des Bewussten geht, der üblicherweise den Skandhas zugeordnet wird. Ich hab jetzt mal etwas in den Sanskrit-Bezeichnungen gekramt und es geht um das hier: „patisandhi“

http://www.palikanon.de/wtb/patisandhi.html

Auch hier wird durchaus der Begriff „Bewusstsein“ verwendet, und wir befinden uns hier mitten im Abidhamma. Das meine ich mit der Anmerkung, dass Berzin mit seinen Bezeichnungen und Vergleichen eher am Abidhamma ist, als ich mit meinen Billardkugeln.

Bhavanga-citta oder Bhavango-sota, was du am Ende deines Postings erwähnst, ist hier explizit nicht gemeint.

Siehe auch diese Aufstellung:
http://www.palikanon.de/visuddhi/vis14_02.html#bhavanga

Müssen sie ja auch nicht. Man könnte sagen, diese Texte sind
Versuche in einer bestimmten Philosophischen Schule die Fragen
zu beantworten, die aus dem Text im Samyutta Nikaya entstehen,
also meinetwegen nenne es „Geist-Kontinuum“ wenn dir mit dem
Begriff „Geist“ wohler ist, als mit dem Begriff „Bewusstsein“.

Den Begriff ‚geistiges Kontinuum‘ benutzt Berzin … :wink:

Und welchen Begriff nutzt du?

Geht es doch. Diese Wirkungskraft (ich hab es „gestaltende
Faktoren“ genann) ist in der Tat unpersönlich, weil zu einer
Person eben noch mehr dazu gehört, nämmlich
die Skandhas. Aber es ist dennoch
individuell.

Eben da ist, glaube ich, unser Dissenz. Die ‚gestaltenden
Faktoren‘, also die karmisch wirksamen samskara, sind gesetzte
Ursachen und Bedingungen, die unter entsprechenden
Voraussetzungen (weiteren Bedingungen) ihnen entsprechende
Früchte erzeugen. Sie sind das willentliche Wirken eines
‚Individuums‘

Einverstanden

(einer ephemeren Konstellation von skandhas) und

sie sind ein Teil der Ursachen und
Bedingungen (hetupratyaya), die andere ‚Individuen‘ bedingen.
Ich sehe da keine karmische 1:1 Beziehung zwischen
aufeinanderfolgenden ‚Individuen‘ (was nun wiederum, wie ich
einräume, keine theravadische Auffassung ist).

Grundsätzlich auch einverstanden. von einer karmischen 1:1 Beziehung zwischen aufeinander folgenden Individuen war auch nicht die Rede, bzw. dies wurde bereits verneint. Ebenfalls wurde aber verneint, dass es keinerlei Beziehung zwischen aufeinsnder folgenden Individuen gibt.

Die Menschen kommen aber nunmal nicht mit „Null Karma“ auf die
Welt. Auch Säuglingen oder Kleinkinder müssen teilweise
furchtbar leiden und ich kann mir beim besten Willen nicht
vorstellen, wie man nach dem was du schreibst, dieses Leiden
erklären will.

Es ist bedingt. Die Säuglinge oder Kleinkinder (als
‚Individuen‘) haben mit diesen Bedingungen allerdings
lediglich insofern etwas zu tun, als sie deren Produkt sind.

Moooment, das würde ja bedeuten, dass es zweierlei Leiden gibt. Zum einen das Leiden, für das man selbst karmische Ursachen gelegt hat, zum anderen das Leiden als Produkt der Handlungen anderer. Dies widerspricht aber nun ganz klar der zweiten Edlen Wahrheit, die ja die Ursachen für Leiden genau spezifiziert. Wenn man sich diese Ursachen genau anschaut, dann wird deutlich, dass hier eigentlich nur „tanha“ als Ursache in Frage kommt, die Gier oder der Durst nach Leben. Dies Gier muss aber nun vor der eigentlichen Geburt des Säuglings stattgefunden haben. Wo wir dann also bei der Frage wären, wessen Gier nach Leben ist es, die dazu führt, dass ein weiters Leben im Daseinskreislauf entsteht?

Gruß
Marion

Moin Marion,

Richtig - natürlich umfasst der Vijnana-skandha nicht nur des
Bewusste, sondern auch Un- und Vorbewusstes.

Ich hatte doch weiter oben bereits geschrieben, dass es nicht
um den Teil des Bewussten geht, der üblicherweise den Skandhas
zugeordnet wird.

Und eben eine solche Möglichkeit wird im Theravada bestritten. Ich hatte die Stelle schon zitiert:

Wenn nun, ihr Mönche, einer sagt: ‚Außerhalb von Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen will ich des Bewußtseins Kommen oder Gehen, Schwinden oder Entstehen, Wachstum, Entwicklung, Fülle verkünden‘ - so besteht keine Möglichkeit dafür.
(S.22.53.)

Ich hab jetzt mal etwas in den
Sanskrit-Bezeichnungen gekramt und es geht um das hier:
„patisandhi“

‚Patisandhi‘ ist der zeitlich erste Bewustseinsmoment des vijnana-skandha, so wie ‚cuticitta‘ sein letzter ist. Die Kontinuität zwischen ihnen stellt der ‚Werdensstrom‘ bhavanga-citta her - die subtile Bewusstseinsschicht, auf die der vijnana-skandha in Zeiten tiefen Schlafes oder der Bewusstlosigkeit’ reduziert ist. Patisandhi, bhavanga-sota, cuti-citta - das sind alles Formen des vijnana-skandha, nichts außerhalb davon Existierendes.

Auch hier wird durchaus der Begriff „Bewusstsein“ verwendet,
und wir befinden uns hier mitten im Abidhamma. Das meine ich
mit der Anmerkung, dass Berzin mit seinen Bezeichnungen und
Vergleichen eher am Abidhamma ist, als ich mit meinen
Billardkugeln.

Das sehe ich anders - Berzin ist mit seinem überzeitlichen geistigen Kontinuum im Gegenteil sehr weit vom theravadischen Abhidhamma entfernt. Dein Billardkugelmodell veranschaulicht hingegen recht treffend die Beziehung zwischen dem Sterbebewusstsein (cuti-citta, 1. Billardkugel) einer Existenz und dem ‚Verknüpfungsbewusstsein‘ (patisandhi-citta, 2. Billardkugel) einer anderen, darauf folgenden.

Bhavanga-citta oder Bhavango-sota, was du am Ende deines
Postings erwähnst, ist hier explizit nicht
gemeint.

Schon klar - eben darauf hatte ich Wert gelegt, dass das Bewusstseinskontinuum des Abhidhamma (bhavanga-citta oder bhavanga-sota) zwar ein individuelles Kontinuum ist, aber anders als das von Berzin geschilderte zeitlich begrenzt. An eine ephemere und unwiederholbare Kombination von skandhas gebunden.

Den Begriff ‚geistiges Kontinuum‘ benutzt Berzin … :wink:

Und welchen Begriff nutzt du?

Wie schon erwähnt habe ich in ähnlichen Diskussionen von ‚Tibetern‘ auch die Begriffe ‚Bewusstseinskontinuum‘ oder ‚Bewusstseinsstrom‘ gehört, mit denen offenbar dasselbe gemeint war. Ich persönlich kann mich mit diesem Konzept nicht anfreunden, es schmeckt mir zu sehr nach ‚atman‘.

Für mich sind geistige Kontinua entweder individuell und als tiefste Schicht des vijnana-skandha zeitlich begrenzt oder aber es handelt sich um den ‚alaya‘, den ‚Speicher‘ - wobei dieser alaya nicht mehr als das Medium der samskara ist. Nichts Individuelles. Das nun wiederum (ich schreibe dies für die Mitlesenden) ist das Modell der Yogacara-Schule; es wird von den Theravadin als ‚atman-verdächtig‘ abgelehnt.

Wobei ich diese Modelle durchaus im wissenschaftlichen Sinn verstehe - als reines Erklärungsmodell für eine begrenzten Menge von Phänomenen. Grundsätzlich sehe ich mich eher als Madhyamika :wink:

Grundsätzlich auch einverstanden. von einer karmischen 1:1
Beziehung zwischen aufeinander folgenden Individuen war auch
nicht die Rede, bzw. dies wurde bereits verneint. Ebenfalls
wurde aber verneint, dass es keinerlei
Beziehung zwischen aufeinsnder folgenden Individuen gibt.

Richtig - diese karmische Beziehung besteht in von Individuum A erzeugten samskara, die einen Teil der Ursachen und Bedingungen darstellen, aus denen heraus Individuum B existiert. Simpel gesagt: unser Tun hat Folgen - nicht nur für uns, auch für andere bis weit in die Zukunft hinein.

Moooment, das würde ja bedeuten, dass es zweierlei Leiden
gibt. Zum einen das Leiden, für das man selbst karmische
Ursachen gelegt hat, zum anderen das Leiden als Produkt der
Handlungen anderer.

Der Knoten liegt hier im Dualismus „selbst“ und „anderer“ (anderer „Selbste“). Im Postulieren von Tätern zu Taten, von Leidenden zu Leiden. Im Voraussetzen eines atman. Auch hier möchte ich nochmals ein Zitat wiederholen:

Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Die Taten gibt es, doch kein Täter findet sich. Erlösung gibt es, doch nicht den erlösten Mann. Den Pfad gibt es, doch keinen Wanderer sieht man da.
(Visuddhimagga XVI.4)

Dies widerspricht aber nun ganz klar der
zweiten Edlen Wahrheit, die ja die Ursachen für Leiden genau
spezifiziert.

Nun - die zweite Wahrheit besagt, dass Leiden aus Verblendung, Gier und Hass (Unwissen, Lust und Unlust) entstehen, da eben diese Antriebe zum ‚Ergreifen‘ (upadana) mittels der skandhas führt.

Dies Gier muss aber nun
vor der eigentlichen Geburt des Säuglings
stattgefunden haben. Wo wir dann also bei der Frage wären,
wessen Gier nach Leben ist es, die dazu führt, dass ein
weiters Leben im Daseinskreislauf entsteht?

Auch hier liegt der Knoten bei „wessen“. Das ist die Frage nach einem atman. Auf diese Frage kann ich Dir keine Antwort geben.

Freundliche Grüße,
Ralf

Moin Ralf,

‚Patisandhi‘ ist der zeitlich erste Bewustseinsmoment des
vijnana-skandha, so wie ‚cuticitta‘ sein letzter ist. Die
Kontinuität zwischen ihnen stellt der ‚Werdensstrom‘
bhavanga-citta her - die subtile Bewusstseinsschicht, auf die
der vijnana-skandha in Zeiten tiefen Schlafes oder der
Bewusstlosigkeit’ reduziert ist. Patisandhi, bhavanga-sota,
cuti-citta - das sind alles Formen des vijnana-skandha, nichts
außerhalb davon Existierendes.

Ich denke, hier irrst du. Deshalb hatte ich ja extra den Link zum Visuddhi Magga gesetzt:

http://www.palikanon.de/visuddhi/vis14_02.html

(ich hoffe du hast etwas gescrollt, der entscheidende Passus stand nämlich etwas höher als die Stelle, die durch meinen Link im letzten Posting angezeigt wurde:

_Die 14 Bewußtseinsfunktionen eines Bewußtseinmomentes

Somit gibt es insgesamt 89 Bewußtseinszustände: -

21 karmisch heilsame (kusala),
12 karmisch-unheilsame (akusala),
36 karmagewirkte (vipāka) und
20 funktionelle (kiriya).

Und diese entstehen bei 14 Anlässen: -

  1. bei Wiedergeburt (patisandhi),
  2. im Unterbewußtsein (bhavanga),
  3. beim Aufmerken (āvajjana),
  4. Sehen,
  5. Hören,
  6. Riechen,
  7. Schmecken,
  8. körperlichen Fühlen,
  9. Rezipieren (des Sinnenobjektes) (sampaticchana),
  10. Prüfen (santīrana),
  11. Feststellen (votthapana),
  12. im Impulsivprozesse (javana),
  13. beim Registrieren (tad-ārammana) und
  14. beim Sterben (cuti).

[Ein normaler Bewusstseinsprozess oder einfacher ausgedrückt ein Gedanke beginnt bei 2 und endet bei 13. Der darauf folgende Bewusstseinsprozess beginnt wieder bei 2 und so reiht sich Bewusstseinsmoment an Bewusstseinmoment, Gedanke an Gedanke seit unendlichen Zeiten. Nur bei der Geburt und beim Tod steigen zusätzlich die beiden Bewusstseinsmomente 1 und 14 auf. Von 4 bis 8 kann allerdings nur eins zur Zeit aufsteigen. Auch läuft ein Bewusstseinsprozess nicht immer bis Ende. Z.B. während des Schlafs steigt nur 2 (bhavanga) unzählige Male auf. Ausführlich erklärt weiter unten.WG]

Und in welcher Weise?

Wiedergeburtsprozeß: patisandhi

Werden z.B. kraft der 8 karmisch-heilsamen Bewußtseinszustände der Sinnensphäre (1 bis 8) die Wesen unter Menschen und Himmelswesen wiedergeboren, **so steigt bei ihrer Wiedergeburt (im Empfängnismomente) einer von 9 karmagewirkten Bewußtseinszuständen auf -

mit einem im Sterbemomente jener Wesen anwesend gewesenen Objekte,**
als wie

* einer (früher begangenen) Tat (kamma) oder
* einem Erkennungszeichen der Tat (kamma-nimitta) oder
* einem Erkennungszeichen der (neuen) Daseinsfährte (gati-nimitta), -
nämlich:_
etc.

Hier ist ganz eindeutig von den Objekten die Rede, die im Sterbemoment eines Wesens (also individuell ) Anwesend sind, die im Moment der Zeugung den entscheidenden Impuls lifern (patisandhi). Ich weiß wirklich nicht, wo du bei diesem Prozess irgend etwas anderes erkennen möchtest, als einen individuellen Prozess oder „Strom“. Und dieser Text ist nun wirklich zweifelsfrei Theravada.

Somit finde ich deine Kritik an Berzin, er würde mit einem individuellen Prozess lediglich die tibetisch-buddhistische Sichtweise wiedergeben, widerlegt.

Zudem ist hier ebenfalls von einem Wiedergebutsbewusstsein (oder „Verknüpfungsbewusstsein“, wie du es weiter unten nennst) die Rede, somit sehe ich auch deine Kritik an der Verwendung des Wortes „Bewusstsein“ bei Berzin als tibetisch-buddhistisch oder gar eine Eigenschöpfung entkräftet.

Das sehe ich anders - Berzin ist mit seinem überzeitlichen
geistigen Kontinuum im Gegenteil sehr weit vom theravadischen
Abhidhamma entfernt.

Das siehst du nur deshalb anders, weil du nicht akzeptieren willst, dass das entsprechende Kontinuum als geistiger Prozess oder ein wie auch immer zu verstehendes „Bewusstsein“ beschrieben wird. Ich würde sagen, dass hier eher du derjenige bisst, der sich vom theravadischen Abhidamma entfernt, wie mein Verweis auf „patisandhi“ und die Visuddi Magga meiner Meinung nach zweifelsfrei belegen.

Dein Billardkugelmodell veranschaulicht
hingegen recht treffend die Beziehung zwischen dem
Sterbebewusstsein (cuti-citta, 1. Billardkugel) einer Existenz
und dem ‚Verknüpfungsbewusstsein‘ (patisandhi-citta, 2.
Billardkugel) einer anderen, darauf folgenden.

Ja richtig, und auch das Billardkugelmodell beschreibt einen individuellen Vorgang. Die (individuelle) vorlaufende Billardkugel bedingt durch den Anstoß ganz individuell den Lauf der angestoßenen Billardkugel, und zwar den Lauf nur dieser Kugel, keiner anderen. Das wird dir jeder Billardspieler bestätigen können.

Bhavanga-citta oder Bhavango-sota, was du am Ende deines
Postings erwähnst, ist hier explizit nicht
gemeint.

Schon klar - eben darauf hatte ich Wert gelegt, dass das
Bewusstseinskontinuum des Abhidhamma (bhavanga-citta oder
bhavanga-sota) zwar ein individuelles Kontinuum ist, aber
anders als das von Berzin geschilderte zeitlich begrenzt. An
eine ephemere und unwiederholbare Kombination von skandhas
gebunden.

Das war ja gar nicht der Streitpunkt. Es ging darum, ob das Bewusstsein eines Individuums insgesamt zeitlich begrenzt ist, und das wäre es nur, wenn du das „Verknüfungsbewusstsein“ (patisandhi) unterschlägst.

Wie schon erwähnt habe ich in ähnlichen Diskussionen von
‚Tibetern‘ auch die Begriffe ‚Bewusstseinskontinuum‘ oder
‚Bewusstseinsstrom‘ gehört, mit denen offenbar dasselbe
gemeint war. Ich persönlich kann mich mit diesem Konzept nicht
anfreunden, es schmeckt mir zu sehr nach ‚atman‘.

Diese Meinung kann ich als deine persönliche Meinung durchaus akzeptieren, nicht aber vor dem Hintergrund des Abhidhamma im Theravada. Ich kann auch durchaus akzeptieren, wenn du spezielle Begriffsverwendungen von tibetischen Buddhisten kritisierst oder als ungenau wahrnimmst. Nur kann dieser Vorwurf meiner Meinung nach nur an die Übersetzer gerichtet sein, und nicht an die Inhalte des tibetischen Buddhismus, solange nicht geklärt ist, auf welche tibetischen Wörter und ihren jeweiligen Entsprechungen im Sanskrit sich eine inhaltliche Aussage eigentlich bezieht.

Für mich sind geistige Kontinua entweder individuell und als
tiefste Schicht des vijnana-skandha zeitlich begrenzt oder
aber es handelt sich um den ‚alaya‘, den ‚Speicher‘ - wobei
dieser alaya nicht mehr als das Medium der samskara ist.
Nichts Individuelles. Das nun wiederum (ich schreibe dies für
die Mitlesenden) ist das Modell der Yogacara-Schule; es wird
von den Theravadin als ‚atman-verdächtig‘ abgelehnt.

Richtig, und aus tibetisch-buddhistischer Sicht würde ich diese „Speicher“-Idee ebenfalls als „atman-verdächtig“, oder eher noch „brahman-verdächtig“.

Wobei ich diese Modelle durchaus im wissenschaftlichen Sinn
verstehe - als reines Erklärungsmodell für eine begrenzten
Menge von Phänomenen. Grundsätzlich sehe ich mich eher als
Madhyamika :wink:

Nun ja, die Buddhisten standen damals wie heute vor dem Problem, Menschen zu erklären, wie „anatman“ eigentlich funktionieren soll. Es ist ja nicht so, dass Buddha mal eben so salopp in die Runde geworfen hat, dass er nun einfach so das Konzept von „atman“ durch „anatman“ ersetzt und wer das glauben möchte ist gut und wer nicht ist auch gut. Wir reden hier ja über einen Prozess tiefgründiger Introspektion an dessen Ende u.a. das Ergebnis „anatman“ stand und welches für die damalige Zeit revolutionär war. Die tibetischen Buddhisten haben nun in der Tradition der nordindischen Buddhisten und z.B. der buddhistischen Hochschulen wie Nalanda nichts weiter getan, als diesesn Erkenntnissprozess im Detail nachzuverfolgen und immer wieder zu hinterfragen, beziehungseise gegen jede bestehende und aufkommende Beobachtung und Erkenntnis gegenzuhalten und auf Widersprüche abzuklopfen. Nur so kann man meiner Meinung nach auch von einem „Glauben an anatman“ zu einer „Erkenntnis von anatman“ gelangen.

Grundsätzlich auch einverstanden. von einer karmischen 1:1
Beziehung zwischen aufeinander folgenden Individuen war auch
nicht die Rede, bzw. dies wurde bereits verneint. Ebenfalls
wurde aber verneint, dass es keinerlei
Beziehung zwischen aufeinsnder folgenden Individuen gibt.

Richtig - diese karmische Beziehung besteht in von Individuum
A erzeugten samskara, die einen Teil der Ursachen und
Bedingungen darstellen, aus denen heraus Individuum B
existiert. Simpel gesagt: unser Tun hat Folgen - nicht nur für
uns, auch für andere bis weit in die Zukunft hinein.

Jajaja :smile:
Von Individuum A zu Individuum B. Das ist mit „individueller“ Prozess gemeint. Es gibt hier einen Verknüpfungspunkt zwischen zwei ganz bestimmten Individuen, die aber nicht identisch sind. Das ist es doch. „Individueller Prozess“ war nie so gemeint, dass es hier nur um ein Individuum geht, das sich wie ein Köfferchen auf dem Laufband fortsetzt (mir scheint, hier hatten wir ein Missverständnis um die Verwendung der Bezeichnung „individueller“ Prozess).

Moooment, das würde ja bedeuten, dass es zweierlei Leiden
gibt. Zum einen das Leiden, für das man selbst karmische
Ursachen gelegt hat, zum anderen das Leiden als Produkt der
Handlungen anderer.

Der Knoten liegt hier im Dualismus „selbst“ und „anderer“
(anderer „Selbste“). Im Postulieren von Tätern zu Taten, von
Leidenden zu Leiden. Im Voraussetzen eines atman. Auch hier
möchte ich nochmals ein Zitat wiederholen:

Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Die
Taten gibt es, doch kein Täter findet sich. Erlösung gibt es,
doch nicht den erlösten Mann. Den Pfad gibt es, doch keinen
Wanderer sieht man da.
(Visuddhimagga XVI.4)

Diesen Knoten kann ich hier erhlich gesagt nicht erkennen. Es ging hier ja nicht um das Hinterfragen dessen, wer (der Säugling) nun leidet und ob einer (der Säugling) leidet etc., sondern es ging hier um die Ursache des Leides , manifest durch zum Beispiel „das Schreien“ oder „die Vorgänge zwischen Nervenzellen und Gehirn“ etc.

Dies widerspricht aber nun ganz klar der
zweiten Edlen Wahrheit, die ja die Ursachen für Leiden genau
spezifiziert.

Nun - die zweite Wahrheit besagt, dass Leiden aus Verblendung,
Gier und Hass (Unwissen, Lust und Unlust) entstehen, da eben
diese Antriebe zum ‚Ergreifen‘ (upadana) mittels der skandhas
führt.

Dies Gier muss aber nun
vor der eigentlichen Geburt des Säuglings
stattgefunden haben. Wo wir dann also bei der Frage wären,
wessen Gier nach Leben ist es, die dazu führt, dass ein
weiters Leben im Daseinskreislauf entsteht?

Auch hier liegt der Knoten bei „wessen“. Das ist die Frage
nach einem atman. Auf diese Frage kann ich Dir keine Antwort
geben.

Also wirklich. Man kann diese Mechanismen von karma und kleshas sehr wohl ohne „atman“ erläutern. Genau das macht ja den Buddhismus aus. Und ja, da darf man dann auch das Wort „wessen“ verwnden, genau wie man im Buddhismus das Wort „Buddha“ oder „Ralf“ verwendet darf, ohne gleich ein atman zu postulieren. Mir scheint hier eher ein Problem der Zen-Buddhisten zu liegen, dass sie nicht klar unterscheiden, ob sie sich nun auf der Ebene der Konvention bewegen wollen oder nicht. Ich kenne da eine sehr schöne Geschichte über einen Zen-Meister und eine Apfelsine :smile:

Gruß
Marion

Also erstmal moechte ich mich bedanken fuer eure vielen Antworten, sie waren auf jeden Fall schon mal sehr hilfreich!!

Nun ist es so, dass ich mich nochmal mit meinem Lehrer auseinandergesetzt habe ( ich hab Pruefungskurs kath. Religion) und der meinte es bezieht sich auf das Liebesgebot und dass es etwas mit der Gemeinschaft innerhalb der Kirche zu tun haette.Von Toten wie von lebenden.

Ich fand das schwierig umzusetzen und habe geschrieben, dass dadurch dass jede Mensch eine eigene Identitaet hat, er/sie mit einem Grab nicht in Vergessenheit geraten soll.

Jedoch kommt mir dass sehr schwammig und irgendwie auch nicht christlich genug vor.

Moin Marion,

‚Patisandhi‘ ist der zeitlich erste Bewustseinsmoment des
vijnana-skandha, so wie ‚cuticitta‘ sein letzter ist. Die
Kontinuität zwischen ihnen stellt der ‚Werdensstrom‘
bhavanga-citta her - die subtile Bewusstseinsschicht, auf die
der vijnana-skandha in Zeiten tiefen Schlafes oder der
Bewusstlosigkeit’ reduziert ist. Patisandhi, bhavanga-sota,
cuti-citta - das sind alles Formen des vijnana-skandha, nichts
außerhalb davon Existierendes.

Ich denke, hier irrst du. Deshalb hatte ich ja extra den Link
zum Visuddhi Magga gesetzt:

http://www.palikanon.de/visuddhi/vis14_02.html

sehr freundlich, aber der Tatsache, dass ich in diesem Thread schon mehrfach diesen Text zitiert habe hättest Du entnehmen können, dass mir der Text vorliegt.

(ich hoffe du hast etwas gescrollt, der entscheidende Passus
stand nämlich etwas höher als die Stelle, die durch meinen
Link im letzten Posting angezeigt wurde:

Entscheidend ist zunächst einmal die Überschrift des Kapitels - es geht um eine Analyse des Bewusstseins, Vijnana-skandha. Nicht weniger und auch nicht mehr.

_Die 14 Bewußtseinsfunktionen eines Bewußtseinmomentes
[…]
Somit gibt es insgesamt 89 Bewußtseinszustände: -
[…]
Und diese entstehen bei 14 Anlässen: -

  1. bei Wiedergeburt (patisandhi),
  2. im Unterbewußtsein (bhavanga),
  3. beim Aufmerken (āvajjana),
  4. Sehen,
  5. Hören,
  6. Riechen,
  7. Schmecken,
  8. körperlichen Fühlen,
  9. Rezipieren (des Sinnenobjektes) (sampaticchana),
  10. Prüfen (santīrana),
  11. Feststellen (votthapana),
  12. im Impulsivprozesse (javana),
  13. beim Registrieren (tad-ārammana) und
  14. beim Sterben (cuti)._

Halten wir einmal fest - es geht um Bewusstseinsmomente und ihre Funktionen.

Hier ist ganz eindeutig von den Objekten die Rede, die im
Sterbemoment eines Wesens (also
individuell ) Anwesend sind, die im Moment
der Zeugung den entscheidenden Impuls lifern (patisandhi). Ich
weiß wirklich nicht, wo du bei diesem Prozess irgend etwas
anderes erkennen möchtest, als einen
individuellen Prozess oder „Strom“. Und
dieser Text ist nun wirklich zweifelsfrei Theravada.

Die Verknüpfung patisandhi wird über ein karmisch gestaltetes Bewusstseinsobjekt hergestellt. Das Subjekt dieses Bewusstseinsobjektes ist zunächst ein Sterbebewusstsein, cuti-citta. „Der allerletzte Unterbewußtseinsmoment in einem Dasein nämlich wird wegen seines Schwindens als das ‚Abscheiden‘ (cuti, Sterben) bezeichnet.“. Mit diesem „Schwinden“ ist die Kontinuität eines Bewusstseins beendet, der Vijnana-skandha nicht mehr existent. Das Bewusstseinsobjekt wird nun als initialisierendes Objekt eines anderen Subjektes, eines neu entstehenden Bewusstseins, ergriffen. Eben dies ist patisandhi, der erste Bewusstseinsmoment eines neuen Vijnana-skandha.

_Ein bloßes Phänomen ist’s, ein bedingtes Ding,
Was da ins Leben tritt im spätern Dasein.
Nicht wandert es aus früh’rem Dasein dort hinüber,
Und doch ist’s nicht entstanden ohne früh’ren Grund.

[…]
Hierbei nun wird das frühere Bewußtsein wegen seines Abscheidens als das ‚Sterben‘ (cuti) bezeichnet, das spätere Bewußtsein aber wegen seines Sichwiederverbindens mit dem Anfang eines neuen Daseins als die ‚Wiedergeburt‘ (patisandhi, wörtl. ‚Wiederverbindung‘). Nicht aber ist dieses Bewußtsein aus dem früheren Dasein in dieses herübergewandert , noch auch ist es entstanden ohne solche Anlässe wie Karma, Karmaformationen, Neigung, Objekt usw., wie man wissen sollte._

Das findest Du im 17. Kapitel des Visuddhimagga, bei der Erörterung bedingten Entstehens.

Unmittelbar auf patisandhi („Sobald aber das Wiedergeburtsbewußtsein geschwunden ist“) folgt nun das ‚Unterbewusstsein‘ bhavanga mit demselben Bewusstseinsobjekt. Das bhavanga ist nicht präexistent, es entsteht erst mit dem „Schwinden“ des patisandhi-vinnana. Dieses bhavanga liegt sämtlichen folgenden Bewusstseinsprozessen zugrunde; die es konstituierenden Bewusstseinsmomente bilden nun eben das einzige „geistige Kontinuum“, das im Theravada gelehrt wird, bhavanga-santana.

Somit finde ich deine Kritik an Berzin, er würde mit einem
individuellen Prozess lediglich die tibetisch-buddhistische
Sichtweise wiedergeben, widerlegt.

Das ist sie nicht. Berzin schreibt von einem „geistigen Kontinuum“, das anfangs- und endlos ist, er bestreitet sogar kategorisch die Möglichkeit, geistige Kontinua könnten zeitlich begrenzt sein. Greifen wir einmal einen Abschnitt seiner Argumentation heraus:

„Erinnern wir uns daran, dass das physische Kontinuum eines Körpers oder eine gewisse subtile Energie, wie wir sie im Zustand zwischen zwei Lebzeiten finden lediglich eine notwendige unterstützende Bedingung für ein geistiges Kontinuum ist, und nichts weiter. Nun mögen die Funktionen eines spezifischen Körpers ein geistiges Kontinuum für eine gewisse Zeit unterstützen. Aber wenn dieser spezifische Körper aufhört zu funktionieren und das bestimmte geistige Kontinuum nicht mehr genügend unterstützen kann, dann, so wird es im Buddhismus erklärt, wird sich dieses geistige Kontinuum mit einer anderen physischen Grundlage fortsetzen zuerst mit einem subtiler Körper und später dann mit einem anderen groben Körper.“

Im Theravada weiss man schlicht nichts von solch einem „geistigen Kontinuum“, das „wenn dieser spezifische Körper aufhört zu funktionieren“ auf der Grundlage einer „gewissen subtilen Energie“ oder mit Hilfe eines „subtilen Körpers“ weiterexistiert, bis es sich mit einem neuen physischen Körper verbindet. Da ist nur die Rede von einem Bewusstseinsobjekt, das von einem schwindenden Bewusstseinskontinuum in ein neu entstehendes wechselt.

Die Yogacara-Schule hingegen hat ein solches Kontinuum postuliert - eben um das Problem zu lösen, wie ein Bewusstseinsobjekt von einem Bewusstsein in anderes wechseln kann, ohne dass dafür ein Medium existiert. Dieses Medium oder Kontinuum ist der alaya.

Dharmakirti und die Autoren des Anuttara-Yoga-Tantra und des Uttara-tantra-shastra - deren Ideen Berzin in seinem Artikel darstellt - gingen nun noch einen Schritt weiter, indem sie aus dem alaya einen individuellen Bewusstseinstrom machten. D.h. jedem Wesen wird ein eigenes, isoliertes „geistiges Kontinuum“ zugeordnet, das ohne Anfang und Ende ist, das nach dem Tod dieses Wesens auf Grundlage einer „subtilen Energie“ oder eines „subtilen Körpers“ weiterexistiert bis es sich „mit einer anderen physischen Grundlage fortsetzt“. Würde ich um eine Definition von ‚atman‘ oder ‚Seele‘ gebeten, dann würde sie sich ziemlich genau so anhören.

Zudem ist hier ebenfalls von einem Wiedergebutsbewusstsein
(oder „Verknüpfungsbewusstsein“, wie du es weiter unten
nennst)

Nyanatiloka gibt in seiner Übersetzung ‚patisandhi‘ bzw. ‚patisandhi-vinnana‘ mit ‚Wiedergeburt‘ und ‚Wiedergeburtsbewusstsein‘ wieder, was vielleicht seine eigenen Ideen wiedergibt, aber nicht den Text. ‚Patisandhi‘ heisst nun einmal ‚Wiederverknüpfung‘, ‚Regruppierung‘. Was das wieder verknüpft wird, sind skandhas.

die Rede, somit sehe ich auch deine Kritik an der
Verwendung des Wortes „Bewusstsein“ bei Berzin als
tibetisch-buddhistisch oder gar eine Eigenschöpfung
entkräftet.

… mir nicht erinnerlich, dass ich das kritiisert hätte. Ich habe lediglich auf die uneinheitliche deutsche Terminologie hingewiesen, in der dieses Konzept mal als „geistiges Kontinuum“ (bei Berzin), mal als ‚Bewusstseinskontinuum‘ oder als ‚Bewustseinsstrom‘ bezeichnet wird.

Ja richtig, und auch das Billardkugelmodell beschreibt einen
individuellen Vorgang. Die (individuelle)
vorlaufende Billardkugel bedingt durch den Anstoß ganz
individuell den Lauf der angestoßenen Billardkugel, und zwar
den Lauf nur dieser Kugel, keiner anderen.
Das wird dir jeder Billardspieler bestätigen können.

Nur sind beide Billardkugeln eben nicht verschiedene Momente eines Kontinuums - auch nicht im Moment des Kontaktes, in dem die eine Kugel an die andere ihren Impuls weitergibt.

Das war ja gar nicht der Streitpunkt. Es ging darum, ob das
Bewusstsein eines Individuums insgesamt zeitlich begrenzt ist,
und das wäre es nur, wenn du das „Verknüfungsbewusstsein“
(patisandhi) unterschlägst.

Nochmals - patisandhi ist der Moment, in dem ein neu entstehendes („aufsteigendes“) Bewusstsein, das als patisandhi-vinnana bezeichnet wird, ein Bewusstseinsobjekt ergreift, das vorher Objekt eines nicht mehr existenten (geschwundenen) Bewusstseins (cuti-vinnana) war. Zwischen cuti-vinnana und patisandhi-vinnana ist eine ‚Nullstelle‘ (um den Begriff ‚Kontinuum‘ physikalisch zu gebrauchen), ist die Grenze zwischen zwei individuellen geistigen Kontinua, die als bhavanga-santana bezeichnet werden. An dieser ‚Nullstelle‘ existiert kein Bewusstsein, es existiert lediglich das Bewusstseinsobjekt.

Man kann diese Mechanismen von karma und
kleshas sehr wohl ohne „atman“ erläutern. Genau das macht ja
den Buddhismus aus.

Eben.

Und ja, da darf man dann auch das Wort
„wessen“ verwnden, genau wie man im Buddhismus das Wort
„Buddha“ oder „Ralf“ verwendet darf, ohne gleich ein atman zu
postulieren.

Da ist die Frage, in welchem Kontext Du das anwendest. Wenn der Kontext die Frage nach karma und phala ist - nach einem Täter der Tat und einem Erleidenden des Leidens und ob sie identisch sind oder nicht, dann ist das im buddhistischen Kontext sinnlos. Ein Kategoriefehler.

Freundliche Grüße,
Ralf

Moin Ralf,

http://www.palikanon.de/visuddhi/vis14_02.html

sehr freundlich, aber der Tatsache, dass ich in diesem Thread
schon mehrfach diesen Text zitiert habe hättest Du entnehmen
können, dass mir der Text vorliegt.

Dann verstehe ich deine Einwände noch weniger.

Entscheidend ist zunächst einmal die Überschrift des Kapitels

  • es geht um eine Analyse des Bewusstseins, Vijnana-skandha.
    Nicht weniger und auch nicht mehr.

Korrekt. Deshalb kann man Berzin auch wohl kaum kritisieren, wenn er ebenfalls den Begriff „Bewusstsein“ verwendet.

_Die 14 Bewußtseinsfunktionen eines Bewußtseinmomentes
[…]
Somit gibt es insgesamt 89 Bewußtseinszustände: -
[…]
Und diese entstehen bei 14 Anlässen: -

  1. bei Wiedergeburt (patisandhi),
  2. im Unterbewußtsein (bhavanga),
  3. beim Aufmerken (āvajjana),
  4. Sehen,
  5. Hören,
  6. Riechen,
  7. Schmecken,
  8. körperlichen Fühlen,
  9. Rezipieren (des Sinnenobjektes) (sampaticchana),
  10. Prüfen (santīrana),
  11. Feststellen (votthapana),
  12. im Impulsivprozesse (javana),
  13. beim Registrieren (tad-ārammana) und
  14. beim Sterben (cuti)._

Halten wir einmal fest - es geht um Bewusstseinsmomente und
ihre Funktionen.

Genau. Somit ist auch patisandhi ein Bewusstseinsmoment und hat eine bestimmte Funktion. Bleibt die Frage zu klären, was ist die Ursache dieses Bewusstseinsmoments und was ist seine Funktion.

Hier ist ganz eindeutig von den Objekten die Rede, die im
Sterbemoment eines Wesens (also
individuell ) Anwesend sind, die im Moment
der Zeugung den entscheidenden Impuls lifern (patisandhi). Ich
weiß wirklich nicht, wo du bei diesem Prozess irgend etwas
anderes erkennen möchtest, als einen
individuellen Prozess oder „Strom“. Und
dieser Text ist nun wirklich zweifelsfrei Theravada.

Die Verknüpfung patisandhi wird über ein karmisch gestaltetes
Bewusstseinsobjekt hergestellt. Das Subjekt
dieses Bewusstseinsobjektes ist zunächst ein
Sterbebewusstsein, cuti-citta.

Korrekt. Genau das sagt auch Berzin.

"_Der allerletzte

Unterbewußtseinsmoment in einem Dasein nämlich wird wegen
seines Schwindens als das ‚Abscheiden‘ (cuti, Sterben)
bezeichnet._

". Mit diesem „Schwinden“ ist die
Kontinuität eines Bewusstseins beendet, der Vijnana-skandha
nicht mehr existent. Das Bewusstseinsobjekt wird nun als
initialisierendes Objekt eines anderen Subjektes, eines neu
entstehenden Bewusstseins, ergriffen. Eben dies ist
patisandhi, der erste Bewusstseinsmoment eines neuen
Vijnana-skandha.

Und genau hier ist meiner Meinung nach dein Denkfehler. Was soll denn dieses „andere Subjekt eines neu entstehenden Bewusstseins“ sein? Wo soll es herkommen? Was ist deiner Meinung nach die Ursache für dieses „Ergreifen“? Nach buddhistischer Vorstellung hat alls eine Ursache. Nichts geschieht ohne Ursache. Das ist die Kontinuität.

Wenn eine endlose Kette von Billiardkugeln immer wieder die nächste zum Laufen bringt, dann ist das Kontinuität, und zwar eine sehr individuelle Kontinuität, die sich vom Lauf jeder anderen Kette mit Sicherheit unterscheidet. So ist auch der Begriff Kontnuität bei Berzin zu verstehen. Eine andere Argumentation ist aus buddhistischer Sicht meiner Meinung nach auch gar nicht möglich, da jedes Bewusstsein nur eine Aneinanderreihung von Bewusstseinsmomenten ist. Auch in der Zeit zwischen Geburt und Tod reist ein Bewusstsein nicht an die Skandhas gebunden wie ein Koffer durch die Weltgeschichte.

Ein bloßes Phänomen ist’s, ein bedingtes Ding,
Was da ins Leben tritt im spätern Dasein.
Nicht wandert es aus früh’rem Dasein dort hinüber,
Und doch ist’s nicht entstanden ohne früh’ren Grund.

Korrekt. Und über den „früh’ren Grund“ reden wir gerade, bzw. versuchen herauszufinden, was das konkret sein mag.

[…]
Hierbei nun wird das frühere Bewußtsein wegen seines
Abscheidens als das ‚Sterben‘ (cuti) bezeichnet, das spätere
Bewußtsein aber wegen seines Sichwiederverbindens mit dem
Anfang eines neuen Daseins als die ‚Wiedergeburt‘ (patisandhi,
wörtl. ‚Wiederverbindung‘). Nicht aber ist dieses
Bewußtsein aus dem früheren Dasein in dieses
herübergewandert
, noch auch ist es entstanden ohne
solche Anlässe wie Karma, Karmaformationen, Neigung, Objekt
usw., wie man wissen sollte.

Das findest Du im 17. Kapitel des Visuddhimagga, bei der
Erörterung bedingten Entstehens.

Korrekt. Nicht das „Bewusstsein ist herübergewandert aus einem früheren Dasein“ (was hier auch niemand behauptet hat) sondern die (individuellen) karmischen Ursachen eben dieses (individuellen) karmischen Prozesses der kontinuierlich die Ursache für neue Bewusstseinsmoment liefert.

http://www.palikanon.de/visuddhi/vis17_03.htm

Somit finde ich deine Kritik an Berzin, er würde mit einem
individuellen Prozess lediglich die tibetisch-buddhistische
Sichtweise wiedergeben, widerlegt.

Das ist sie nicht. Berzin schreibt von einem „geistigen
Kontinuum“, das anfangs- und endlos ist, er bestreitet sogar
kategorisch die Möglichkeit, geistige Kontinua könnten
zeitlich begrenzt sein. Greifen wir einmal einen Abschnitt
seiner Argumentation heraus:

Natürlich bestreitet er das. Er vertritt hier ja auch einen buddhistischen Standpnkt. „Patisandhi“ kann nicht „einfach so“ aus „nichts“ heraus entstehen. Das ist nach buddhistischer Vorstellung einfach unmöglich. Es muss eine Ursache für „patisandhi“ geben, und die kann nur karmisch sein. Karmische Ursachen sind aber ihrerseits immer die Folge karmischer Handlungen. Du könntest jetzt höchstens noch argumentieren, dass Karma deiner Meinung nach nichts „geistiges“ ist.

„Erinnern wir uns daran, dass das physische Kontinuum
eines Körpers oder eine gewisse subtile Energie, wie wir sie
im Zustand zwischen zwei Lebzeiten finden lediglich eine
notwendige unterstützende Bedingung für ein geistiges
Kontinuum ist, und nichts weiter. Nun mögen die Funktionen
eines spezifischen Körpers ein geistiges Kontinuum für eine
gewisse Zeit unterstützen. Aber wenn dieser spezifische Körper
aufhört zu funktionieren und das bestimmte geistige Kontinuum
nicht mehr genügend unterstützen kann, dann, so wird es im
Buddhismus erklärt, wird sich dieses geistige Kontinuum mit
einer anderen physischen Grundlage fortsetzen zuerst mit einem
subtiler Körper und später dann mit einem anderen groben
Körper.“

Im Theravada weiss man schlicht nichts von solch einem
„geistigen Kontinuum“,

Du meinst, im Theravada hat man noch nie von Karma gehört? Das bezweifel ich jetzt einfach mal :smile:

das „wenn dieser spezifische Körper
aufhört zu funktionieren“ auf der Grundlage einer „gewissen
subtilen Energie“ oder mit Hilfe eines „subtilen Körpers“
weiterexistiert, bis es sich mit einem neuen physischen Körper
verbindet. Da ist nur die Rede von einem Bewusstseinsobjekt,
das von einem schwindenden Bewusstseinskontinuum in ein neu
entstehendes wechselt.

Das ist die Rede von einem „geistigen Kontinuum“, nicht von einem „Bewusstseinsobjekt“. Den Begriff „Bewusstseinsobjekt“ hast du erst hier rein gebracht (Berzin verwendet ihn nicht). Bliebe zu klären, was Berzin denn eigentlich mit „geistigem Kontinuum“ mein? Auch das geht aus dem Text hervor:

Gemäß der buddhistischen Erläuterung, veranlassen drei Arten des Erlebens von etwas ein individuelles geistiges Kontinuum dazu, den nächsten Moment seiner samsarischen Phase zu erzeugen; und zwar geschieht das entweder ganz allgemein oder zum Zeitpunkt des Todes im Besonderen. Diese sind (1) Begierde, (2) ein herbeiführende störende Emotion oder Geisteshaltung und (3) ein karmischer Impuls oder Drang, aus der sich die weitere Existenz ergibt normalerweise übersetzt als „Begierde“, „Greifen“ und „Werden“. Hierbei handelt es sich um drei der zwölf Glieder des abhängen Entstehens, einem tiefgründigen Thema, das den Mechanismus von Samsara erklärt, d. h. die sich unkontrollierbar wiederholende Wiedergeburt.

Ich sehe nicht, was dies mit „alaya“ zutun haben soll.

Dharmakirti und die Autoren des Anuttara-Yoga-Tantra und des
Uttara-tantra-shastra - deren Ideen Berzin in seinem Artikel
darstellt - gingen nun noch einen Schritt weiter, indem sie
aus dem alaya einen individuellen
Bewusstseinstrom machten. D.h. jedem Wesen wird ein eigenes,
isoliertes „geistiges Kontinuum“ zugeordnet, das ohne Anfang
und Ende ist, das nach dem Tod dieses Wesens auf Grundlage
einer „subtilen Energie“ oder eines „subtilen Körpers“
weiterexistiert bis es sich „mit einer anderen physischen
Grundlage fortsetzt“. Würde ich um eine Definition von ‚atman‘
oder ‚Seele‘ gebeten, dann würde sie sich ziemlich genau so
anhören.

Dharmakirti redete von einem „Bewusstseinsstrom“ (Santana). Wenn du hier eine Definition dessen anführen kannst, was Dharmakirti mit diesen Bewusstseinsstrom gemeint hat, dann können wir ja leicht überprüfen, ob diese mit mit der Definition von Berzin vom „geistigen Bewusstsein“ übereinstimmt. Soweit ich mich an Dharmakirti erinnere, düften diese beiden Definitionen jedoch kaum etwas gemein haben. Bei Dharmakirti geht es vornehmlich um „Bewusstsein“ als kognitiver Vorgang oder als „erkenntnistheoretisches“ Modell des Geistes, während Berzin über ein (ein besseres Wort fällt mir nicht ein) „psychologisches“ Modell des Geistes redet. Falls dir diese Unterscheidung im buddhistischen Kontext nicht geläufig ist, empfehle ich „Der Geist und seine Funktionen“ von Geshe Rabten, ISBN: 3905497476 Buch anschauen

Nyanatiloka gibt in seiner Übersetzung ‚patisandhi‘ bzw.
‚patisandhi-vinnana‘ mit ‚Wiedergeburt‘ und
‚Wiedergeburtsbewusstsein‘ wieder, was vielleicht seine
eigenen Ideen wiedergibt, aber nicht den Text.

Ich befürchte, mit dieser Meinung stehst du ziemlich alleine da. Es lassen sich selbst im Internet zahlreiche Übersetzungen des Worts „vinnana“ mit „Bewusstsein“ finden. Da scheint schon eher der Begriff „patisandhi“ umstritten, als der Begriff „vinnana“

http://www.buddhistisches-haus.de/dhamma_viewer.php?..

(nein, ich will jetzt nicht Paul Dahlke diskutieren :smile:)

‚Patisandhi‘
heisst nun einmal ‚Wiederverknüpfung‘, ‚Regruppierung‘.
Was das wieder verknüpft wird, sind
skandhas.

Ja, und „vinnana“ heißt nunmal „Bewusstsein“ und die Verknüfung zwischen patisandhi und Bewusstsein findest du wiederum bei der List 1-14 oben.

… mir nicht erinnerlich, dass ich das kritiisert hätte. Ich
habe lediglich auf die uneinheitliche deutsche Terminologie
hingewiesen, in der dieses Konzept mal als „geistiges
Kontinuum“ (bei Berzin), mal als ‚Bewusstseinskontinuum‘ oder
als ‚Bewustseinsstrom‘ bezeichnet wird.

Nun, vielleicht sollte man dann doch auch einmal näher hinschauen, welches Konzept denn eigentlich genau mit diesen unterschiedlichen Begriffen bezeichnet wird und ob es sich hier tatsächlich um die gleichen Konzepte handelt.

Und ja, da darf man dann auch das Wort
„wessen“ verwnden, genau wie man im Buddhismus das Wort
„Buddha“ oder „Ralf“ verwendet darf, ohne gleich ein atman zu
postulieren.

Da ist die Frage, in welchem Kontext Du das anwendest. Wenn
der Kontext die Frage nach karma und phala ist - nach einem
Täter der Tat und einem Erleidenden des Leidens und ob sie
identisch sind oder nicht, dann ist das im buddhistischen
Kontext sinnlos. Ein Kategoriefehler.

Nun denn, ich formuliere meine Frage auch gerne um:

Moooment, das würde ja bedeuten, dass es zweierlei Leiden gibt. Zum einen das Leiden, für das man selbst karmische Ursachen gelegt hat, zum anderen das Leiden als Produkt der Handlungen anderer. Dies widerspricht aber nun ganz klar der zweiten Edlen Wahrheit, die ja die Ursachen für Leiden genau spezifiziert. Wenn man sich diese Ursachen genau anschaut, dann wird deutlich, dass hier eigentlich nur „tanha“ als Ursache in Frage kommt, die Gier oder der Durst nach Leben. Diese Gier muss aber nun vor der eigentlichen Geburt des Säuglings stattgefunden haben. Wo wir dann also bei der Frage wären, was ist die Ursache für die Gier nach Leben, die dazu führt, dass ein weiters Leben im Daseinskreislauf entsteht?

Und noch ein Gedicht:

_»Nicht findet man der Taten ‘Täter’,
Kein ‘Wesen’, das die Wirkung trifft
Nur leere Dinge zieh’n vorüber:
Wer so erkennt, hat rechten Blick.

»Und während so die Tat und Wirkung
Im Gange sind, wurzelbedingt,
Kann, wie beim Samen und beim Baume,
Man keinen Anfang je erspäh’n.« (Vis. XIX).-_

lieben Gruß,
Marion