Ganz im Gegenteil, ich kritisiere stets, dass Leute
dergleichen tun. Du, du tust es z.B.: Du hast erst einmal ein
Ergebnis, nämlich: Die Bibel ist wörtlich zu verstehen und
auch wahr. Nun suchst du etwaige Konflikte bei der Exegese zu
lösen, in dem du Argumente suchst, die das gewünschte Ergebnis
bringen. Bei dir steht also erst das Ergebnis und dann das
Argument.
Das ist zumindst bei mir zu kurz geschossen. Am Anfang stand,
das ich mich mit der Bibel ernsthaft auseinandergesetzt habe.
Ich kam dann als bisheriger Agnostiker zum Schluß, dass es
einen Gott gibt und die Bibel sein Wort ist, d.h. die Bibel
ist… Es handelt sich dabei um einen langen und fortlaufenden
Prozeß.
Gut, das nehme ich jetzt einfach mal so hin. Meine Kritik an deiner Vorgehensweise war aber auch sekundär. Es ging mir nicht in erster Linie darum, dir zu zeigen, dass du dich einer unzulässigen Methode bedienst. Es ging mir vielmehr darum, mich gegen deinen Vorwurf zu verteidigen, ich selbst bediente mich dieser Methode. Es kann in meinem Leben schon Situationen geben, in denen ich für ein gewünschtes Ergebnis Argumente suche. Ich denke da insbesondere an den juristischen Bereich. In weltanschaulichen Fragen aber ergibt eine solche Vorgehensweise für mich keinen Sinn.
Ich halte sie sogar für höchst problematisch, denn wenn man Erkenntnisse gewinnt, die man gleichzeitig ablehnen muss, weil sie einer vermeintlich unumstößlichen Wahrheit widersprechen, dann gerät man in einen unauflösbaren Widerspruch; zumindest aber können bestimmte Erkenntnisse, auch wenn sie wahr sind, nie gewonnen und auch akzeptiert werden, weil sie ja dem als ewig wahren Weltbild widersprechen. Ob das folgende Beispiel nur eine fiktive Geschichte ist, die das Problem verdeutlichen soll, oder ob es sich um eine wahre Begebenheit handelt, weiß ich nicht; ich habe sie von einem Philosophie-Professor:
Fast 2.000 Jahre lang galt im Abendland neben den christlichen Wahrheiten das aristotelische Weltbild. Dazu gehört neben vielem anderen (und nun etwas vereinfacht gesagt) der Gedanke, dass die menschlichen Nerven nur mit dem Herzen, nicht aber mit dem Gehirn verbunden sind. Als in der frühen Neuzeit jemand einigen Gelehrten an einer offenen Leiche demonstrierte, dass dies nicht stimmt, erwiderten diese: „Das hast du uns schön gezeigt, und wir würden es auch glauben, wenn nicht Aristoteles etwas anderes sagen würde.“
Nebenbei bemerkt hat mich der Professor dann auf die Theorie von Thomas S. Kuhn hingewiesen, die laut Klappentext des entsprechendes Buches so zusammengefasst werden kann: „Fortschritt in der Wissenschaft […] vollzieht sich nicht durch kontinuierliche Veränderung, sondern durch revolutionäre Prozesse.“ Es reicht demnach nicht aus, einzelne Widersprüche zum Weltbild aufzudecken, so dass es keine wissenschaftliche Evolution gibt, sondern erst, wenn sich ein Weltbild auf Grund einer Vielzahl von Gegenargumenten nicht mehr halten lässt, kippt das Weltbild, was dann statt einer wissenschaftlichen Evolution einer wissenschaftlichen Revolution entspricht. Wenn diese Theorie stimmt, erklärt sie vielleicht auch die Vorgehensweise von Gläubigen, die bestimmte Erkenntnisse ignorieren, die zu dem von ihnen Geglaubtem im Widerspruch stehen. Aber das führt hier nun zu weit, und viel mehr kann ich dazu auch gar nicht sagen, weil ich kein Philosoph und auch kein Fachphilosoph bin und das Buch von Thomas S. Kuhn, obwohl es in meinem Regal steht, noch nicht gelesen habe.
Die Bibel darf dabei gar nicht immer wortwörtlich verstanden
werden, weil dort explizit auch Prophezeiungen und Allegorien
verwendet werden.
Ich hatte mich schon gefragt, ob du das wohl so sehen würdest, wollte die Frage aber nicht stellen, um nicht abermals den Eindruck zu erwecken, ich wollte das dann diskutieren. Dass du aber Jesus nicht für einen Weinstock hältst, habe ich mir dann schon gedacht. Warum aber darf man Prophezeiungen nicht wörtlich nehmen? Fällt nicht auch die Apokalypse hierunter? Sind z.B. die apokalyptischen Reiter für dich ganz persönlich eine Metapher, oder sind es wirkliche Reiter? Aus purer Neugierde und ohne, dass ich hier irgendwas mit dir diskutieren wollte, würde mich auch Folgendes interessieren. Glaubst du, du ganz persönlich, an (irgendeine Form von) Kreationismus (lehnst du also die Evolutionstheorie ab)? Von welchem Erdalter gehst du aus? Wenn ich nicht irre, dann kommen bibelworttreue Christen auf rund 6.000 Jahren, was mit den Stammbäumen begründet wird, aus denen man das in Kenntnis der Anzahl von Menschheitsgenerationen ablesen kann. Ist das auch für dich so? Und weil ich gestern gelernt habe, dass die Evangelisten unterschiedliche Geburtsorte von Jesus behaupten, würde mich interessieren, von welchem Geburtsort du ausgehst und warum, und warum die anderen Evangelisten einen anderen Geburtsort behaupten, oder ob es nach deiner Auffassung womöglich gar keine unterschiedlichen Behauptungen gibt.
Nun lebe ich in einer Gesellschaft, die zwar ein christliche
Tradition hat, in der aber ein atheistischer Grundtenor
besteht.
Wir müssen in zwei verschiedenen Gesellschaften leben. Fast unsere ganze Führungselite versteht sich als christlich, ebenso zahlreiche Prominente aus allen Bereichen. Auch die Bevölkerung ist zu einem erheblichen Teil gläubig. Zwar haben viele Menschen einen ganz eigenen Glauben entwickelt, der nur noch bedingt christlich ist; allerdings gibt es ja nun auch mehr als Christentum und Atheismus. Soll heißen: Selbst wenn es kaum noch Christen geben würde (was schon nicht stimmt), wäre der Grundtenor nicht automatisch atheistisch. Und er ist auch tatsächlich nicht.
Die hiesige Artikelbaum ist ein schönes Beispiel. Was noch
gefehlt hat war der Klassiker „Woher nahm Kain seine Frau?“.
Es gibt gute Beispiele für Widersprüche oder offene Pnkte. Nur
kommen die nicht, sondern eine Handvoll Klassiker die unter
Bibelgegnern weitergereicht werden.
Der Ausdruck „Bibelgegner“ erweckt bei mir den Verdacht, dass du einem unter Christen weit verbreiteten Irrtum erliegst. Es wird immer wieder unterstellt, dass Atheisten gegen Gott sind und gegen alles, was mit ihm verbunden wird. Nun gibt es tatsächlich Atheisten, die sagen, sie glaubten nicht an Gott, dass aber, wenn Gott existierte, man gegen ihn sein müsse. Das ist aber, wie ich das sehe, eine Minderheit. Atheismus bedeutet in allererster Linie einmal, dass man daran glaubt, dass Gott nicht existiert. Man kann aber denklogisch gar nicht gegen jemanden sein, an dessen Existenz man nicht glaubt. Ich z.B. glaube (sehr fest) daran, dass ich keinen Bruder habe (obwohl ich das nicht mit allerletzter Sicherheit wissen kann). Es wäre nun völlig widersinnig zu sagen, dass ich für diesen Bruder, an den ich nicht glaube, irgendwelche Gefühle hege. Ich kann ihn wieder mögen noch unsympathisch finden, weder lieben noch hassen. Ich habe einfach gar kein Gefühl zu ihm. Sollte ich irren, und sollte ich doch einen Bruder haben, so würde sich nichts daran ändern, dass ich, solange ich vom Gegenteil ausgehe, keine Meinung zu ihm haben kann.
Wenn ich
eine Position hätte, die ich nicht ohne fremde Hilfe begründen
könnte, würde ich meine Position anzweifeln.
Was gehört alles zur fremden Hilfe? Ein langes Studium? Ein
Haufen Lehrbücher? Andere Expertenmeinungen?
Das kann vielfältig sein. Deine Rückfrage deutet aber ein Missverständnis an, weswegen ich das, was ich meine, noch einmal anders formulieren möchte: Ich bin bemüht, meine Ansichten auf der Grundlage von Argumenten zu entwickeln, z.B. im politischen aber auch im weltanschaulichen Bereich. Ob das nun eine gute Vorgehensweise ist, stehe dahin; es verhält sich derzeit jedenfalls so. Ich sammle also Argumente, egal ob sie von mir selbst kommen, oder ob ich sie von anderen übernehme, weil sie mich überzeugen, und hieraus bilde ich mir eine Meinung. Beispiel: Ich war als Kind oder Jugendlicher schon davon überzeugt, dass es keine sichere Erkenntnis geben kann, weil man nicht ausschließen kann, dass ein höheres Wesen uns alles, was wir zu wissen glauben, nur vorgaukelt. Diesen Gedanken habe ich später dann bei Descartes gefunden. (Descartes denkt allerdings noch über diesen Gedanken hinaus auf eine Weise, die ich, vielleicht mit Ausnahme des „Cogito ergo sum“, nicht richtig finde.) Hätte ich meinen Gedanken also nicht selbst entwickelt, so hätte ich ihn später bei Descartes gefunden, und er hätte mich wohl überzeugt. Es kommt mir also nicht darauf an, wie der Gedanke, das Argument zustande kommt. Es geht mir nur darum, das ich es habe. Und auf Grund dieser Gedanken oder eben Argumente bilde ich mir dann meine Überzeugung.
Wenn ich nun in eine Diskussion gerate, in der jemand überzeugend gegen meine Gedanken zu argumentieren weiß, dann fällt die Grundlage meine Überzeugung weg und damit auch die Überzeugung selbst. Wenn ich an dieser Stelle nun - wie von dir angedeutet - in ein Forum ginge, um nach neuen Argumenten für meine Position zu fragen, dann würde ich damit zugeben, dass die Argumente gar nicht Grundlage der Position waren. So verhält es sich bei mir aber nicht, auch wenn mir völlig klar ist, dass die meisten Menschen so ticken, du vermutlich im gewissen Rahmen auch. Ich könnte mir wohl vorstellen, dass ich noch einmal nach Argumenten für meine alte Position frage, aber dann in allererster Linie, um zu überprüfen, ob meine Position denn nun wirklich falsch war. Völlig unsinnig fände ich es hingegen, meine Position trotz Wegfalles ihrer Grundlage aufrecht zu erhalten und nach einer neuen Grundlage dafür zu suchen. Gerade die Tatsache, dass viele, auch viele religiöse Menschen, so vorgehen, lässt mich sehr daran zweifeln, dass ich etwas darauf geben muss, wenn sie von etwas überzeugt sind. Diese Art der Überzeugungsbildung ist mir fremd.
Dein Gedanke war ja, dass ich vielleicht ein Atheist sei, dem in einer Diskussion mit Christen oder sonstigen religiösen Menschen die Argumente ausgegangen sind, und der, weil er an seiner Ansicht auf jeden Fall festhalten will, nach neuen Argumenten für die Position sucht. Dem ist nicht so, und das würde eben auch gar nicht meiner Art entsprechen. Wenn ich Atheist wäre und alle meine atheistischen Argumente widerlegt würden, dann könnte ich natürlich u.U. noch sagen, dass mein Atheismus eben nur ein nicht begründbarer Glaube ist. Okay, das wäre möglich. Es wäre dann aber für mich gleichwohl widersinnig, speziell nach Argumenten für das zu fragen, was ich sowieso schon glaube, nur um jemand anderen davon zu überzeugen.
Nebenbei bemerkt gibt es so viele Argumente für den Atheismus, dass ich viel häufiger nach Argumenten für den Theismus suche. Das ist dann nichts anderes als das Unternehmen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Ich kaufe auch nicht Bücher mit dem Ziel, das bestätigt zu finden, was ich sowieso schon glaube. Und schon gar nicht gehöre ich zu denen, die immer alle Argumente für richtig erachten, die meine eigene Position unterstützen. Ich bin z.B. ein leidenschaftlicher Gegner der Todesstrafe, aber ich finde nicht alle Argumente gegen die Todesstrafe automatisch richtig. Und so gibt es auch ganz viele atheistische Argumente, die ich jetzt schon unsinnig finde und auch unsinnig finden müsste, wenn ich überzeugter Atheist wäre. Ich finde z.B. nicht, dass man aus dem Leid in der Welt schließen kann, dass keinen Gott gibt. Das Theodizee-Problem ist für mich ein Scheinproblem. Oder nehmen wir das Pseudoparadoxon, dass Gott nicht allmächtig sein kann, weil er andernfalls einen Stein schaffen können müsste, der so schwer ist, dass er selbst ihn nicht heben kann. Solche Wortspielereien sind zwar ganz streng logisch gesehen richtig, aber ohne Aussagekraft. Eine solche Definition von Allmacht, die nicht berücksichtigt, dass Gott sich nicht selbst Grenzen setzen kann, ist unbrauchbar. Das ist, als würde man sagen, dass, wer tolerant ist, auch die Intoleranz tolerieren muss.
Mevius