Scharia in Deutschland
Salaam Aqib,
mich würde mal interessieren wie ihr dazu stehen würdet, wenn die Scharia wie in Teilen Griechenlands, in etwas abgeschwächter Form für Muslime eingeführt werden würde
Zunächst einmal ist festzustellen, dass es in einem Rechtsstaat selbstverständlich kein konkurrierendes Parallelrecht für bestimmte Bevölkerungsgruppen geben darf - das widerspräche unmittelbar Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz gehört zu den Grundrechten, und zwar zu denen, die nicht aufgrund Art. 17a und 19 GG eingeschränkt werden dürfen und die auch nicht gem. Art. 18 verwirkt werden können. Außerdem steht Art. 3 Abs. 1 unter dem besonderen Schutz der sog. Ewigkeitsklausel Art. 79 Abs. 3 GG - ist also einer Verfassungsänderung entzogen. Rechtliche Ungleichbehandlung ist darüber hinaus in Deutschland durch internationales Recht ausgeschlossen, insbesondere durch Art. 20 der Charta der Grundrechte der EU sowie Art. 14 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten i.V.m. Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls zur Konvention. Außerdem natürlich durch Art. 1 und 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Soweit die rechtlichen Rahmenbedingungen, die einer Anwendung der Scharia im Geltungsgebiet des deutschen Grundgesetzes zwar nicht grundsätzlich entgegen stehen, aber ihr doch sehr enge Grenzen setzen.
Sonderrechte bestimmter Bevölkerungsgruppen (beispielsweise das Kirchenrecht der katholischen Kirche oder auch die Scharia) können also allenfalls ergänzend zum staatlichen Recht angewandt werden - nicht konkurrierend - und nur aufgrund eines freien Konsenses der betroffenen Parteien, die sich einem solchen Sonderrecht freiwillig unterwerfen…
Das Konkurrenzverbot schließt schon einmal die Anwendung von Teilen der Scharia in Deutschland kategorisch aus. Insbesondere betroffen sind dabei die Bestimmungen über hadd-Vergehen, qisas-Vergehen und ta’zir-Vergehen. Hier ist ohne Wenn und Aber ausschließlich nach den staatlichen Gesetzen zu verfahren; jegliche ersatzweise oder gar zusätzliche Verfolgung der genannten Vergehen nach der Scharia wäre illegale Privatjustiz und selbst eine Straftat. Insbesondere gilt dies natürlich für Scharia-Vergehen, die nach dem staatlichen Strafrecht nicht strafbar sind - beispielsweise Weingenuss oder Homosexualität. Hier darf und kann es keinerlei Kompromisse geben.
Leider haben Menschen im Westen, wenn über die Scharia gesprochen wird, häufig lediglich diesen strafrechtlichen Teil im Auge und sie übersehen dabei, dass die Scharia hauptsächlich Ehe- und Familienrecht zum Gegenstand hat. Hier ist es in der Tat diskussionswürdig, ob nach dem Subsidiaritätsgrundsatz offiziell Schieds- oder Mediationsstellen anerkannt werden können, die Konflikte in diesem Bereich nach Scharia-Grundsätzen zu schlichten versuchen. Dabei muss natürlich unmissverständlich deutlich sein, dass eine solche Schiedsstelle kein Gericht ist - wie auch die sog. Kirchengerichte der christlichen Kirchen oder Parteigerichte keine Gerichte im Sinne des Gerichtsverfassungsgesetzes sind.
Niemand darf gezwungen werden, sich einem Verfahren an einer solchen Schiedsstelle zu unterziehen - dies bedarf der Freiwilligkeit aller Beteiligten (wie dies gesichert werden kann, ist allerdings eine andere Frage) - und es muss auch klar sein, dass die Entscheidung einer solchen Schiedsstelle nicht rechtlich bindend ist, sondern allen Beteiligten der Rechtsweg offenbleibt. Diese Schiedsstellen wären also darauf beschränkt, in Abstimmung mit den Parteien nach Scharia-Grundsätzen einvernehmliche Lösungen zu finden - weswegen die Bezeichnung ‚Mediationsstelle‘ auch deutlich treffender ist als ‚Schiedsstelle‘.
Genau diese Möglichkeit besteht ja schon - sie muss nicht erst eingeführt werden. Ich denke auch, dass es de facto solche hier skizzierten Mediationsverfahren im Rahmen muslimischer Gemeinden längst gibt. Insofern werden mit dem Vorschlag, „die Scharia … in etwas abgeschwächter Form für Muslime“ einzuführen eigentlich offene Türen eingerannt. Mehr als das, was ich beschrieben habe und was wahrscheinlich ohnehin schon geschieht, ist rechtlich gar nicht zulässig und auch für den größten Teil der Bevölkerung nicht akzeptabel.
Im Detail zeigen sich hier natürlich Schwierigkeiten in Hülle und Fülle. Speziell kann nach den Kriterien unseres Rechts im islamischen Familien- und Eherecht nicht wirklich von einer Gleichberechtigung der Geschlechter ausgegangen werden, wie sie bei uns verfassungsmäßig garantiert ist. Auch wenn sich aus dem Qu’ran grundsätzlich eine Gleichberechtigung der Geschlechter ableiten lässt (u.a. Suren 4.1, 9.72, 39.6, 49.13), so sieht die Scharia-Praxis in der Regel doch anders aus. Es gibt eben auch eine Fülle von Belegstellen im Qu’ran, die der Frau deutlich eine untergeordnete Rolle zuweisen (u.a. Suren 4.34, 2.228, 2.223, 2.187) und die in scharfem Gegensatz zu den Normen unserer Rechtsordnung stehen. Zwar ist es eine grobe Vereinfachung, von der Scharia-Praxis zu sprechen (es gibt vielmehr eine große Bandbreite je nach gesellschaftlichem / stattlichen Kontext), doch kann man meines Erachtens einer Frau nicht wirklich empfehlen oder ihr auch nur nahelegen, sich dem Entscheid einer Scharia-Schiedsstelle zu beugen statt sich an ein staatliches Gericht zu wenden. In der Praxis, d.h. in Hinsicht auf die konkreten Lebensumstände, muss man sich allerdings auch fragen, ob die Anrufung eines Gerichts für die betroffene Frau überhaupt eine realistische Option und die Einschaltung einer Scharia-Stelle nicht das geringere Übel ist.
Ansonsten bleibt es islamischen Gemeinden natürlich unbenommen, das Verhalten von Mitgliedern nach Scharia-Grundsätzen zu bewerten - so wie dies beispielsweise die katholische Kirche auf Grundlage des Kirchenrechtes tut. Konsequenz einer solchen Beurteilung dürfen jedoch selbstverständlich in der Regel nicht die von der Scharia vorgesehenen Sanktionen (insbesondere Körperstrafen) sein - allenfalls der Ausschluss aus der Gemeinde als ‚Höchststrafe‘. Alles andere - eine implizite Aufforderung an Gemeindemitglieder, darüber hinaus Privatjustiz zu üben (nach dem Muster: „eigentlich müsste nach der Scharia …“) mit inbegriffen - ist eine strafbare Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols. Und da reagiert der Staat zu Recht äußerst empfindlich.
Grundsätzlich sollte man sich hier natürlich auch eine andere Frage stellen. Natürlich kommen Scharia-Schieds- oder Mediationsstellen den besonderen kulturellen Bedingungen und damit den Bedürfnissen islamischer Migranten entgegen, was man positiv sehen kann - andererseits ist zu bedenken, ob gerade dies die Bemühungen zur Integration nicht konterkariert. Es besteht die Gefahr, damit die Entwicklung einer islamischen Parallelgesellschaft in Deutschland zu fördern - etwas, das von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung (aus guten Gründen, möchte ich hinzufügen) strikt abgelehnt wird. Akzeptabel ist - muss nach den Vorgaben des Grundgesetzes sein - eine islamische Subkultur, nicht aber eine islamische Parallelgesellschaft. Wenn sich eine solche Parallelgesellschaft verfestigt, d.h. wenn sie sich zunehmend dem Zugriff staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Institutionen entzieht, dann ist auch abzusehen, dass sich Scharia-Einrichtungen von subsidiären Mediationsstellen de facto zu konkurrierenden Sondergerichten entwickeln würden, gegen deren ‚Rechtsprechung‘ die Angehörigen einer islamischen Parallelgesellschaft nur noch unter großen Schwierigkeiten an die staatliche Rechtsprechung apellieren könnten. Abschottung gegen die Mehrheitsgesellschaft und sozialer Druck innerhalb der Minderheitsgesellschaft würden dafür sorgen.
Denjenigen unter den Muslimen, denen eine Parallelgesellschaft als etwas Wünschenswertes erscheint, muss man deutlich machen, dass eine solche Fraktionierung der Gesellschaft in aller Regel und insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und der damit verbundenen sozialen Verteilungskämpfe zu gewaltsamen Entladungen führt - und da hat die Minderheit dann allemal schlechte Karten. Zur Integration gibt es keine wirklich akzeptable Alternative - schon gar nicht im wohlverstandenen Interesse der Muslime in Deutschland.
Freundliche Grüße,
Ralf