Ausserdem glauben Millionen Buddhisten daran, also auch nicht
viel weniger als an Himmel unf Hölle glauben.
Hallo,
mit Leuten, die sich selbst als ‚Buddhisten‘ definieren würden, ist es nicht viel anders als bei anderen Menschen auch. Manche glauben an Reinkarnation und manche nicht. Die, die ein wenig mehr von der Sache verstehen, tun es meistens nicht.
Das, was im Westen gewöhnlich unter Reinkarnation verstanden wird, widerspricht fundamental einer wesentlichen buddhistischen Doktrin, nämlich der Lehre der drei Seinsmerkmale (trilakshana). Von Interesse in diesem Zusammenhang sind die Merkmale ‚anitya‘ und ‚anatman‘.
‚Anitya‘ bedeutet in etwa ‚Unbeständigkeit‘ und beschreibt die dynamische Natur alles Bedingten (= Samsara, wörtl. ‚unaufhörliches Wandern‘). D.h., dass alles der Kausalität Unterworfene instabil und veränderlich ist. Mithin besitzt nichts eine feste, unveränderliche Identität. In engem Zusammenhang damit steht das Merkmal ‚anatman‘. Dies besagt, dass nichts ein eigenständiges, nicht-bedingtes Selbst besitzt. Dies gilt natürlich auch für Personen; so etwas wie eine die individuelle Existenz überdauernde Seele oder ein Ich, einen ‚Persönlichkeitskern‘ (‚atman‘) gibt es im Buddhismus nicht.
Der Mensch ist nach dieser Auffassung ein temporäres, sich stetig wandelndes Konglomerat psycho-physischer Faktoren (‚skandhas‘). Der Tod ist die Auflösung dieses Konglomerates (‚nama-rupa‘); keines der skandhas kann für sich, unabhängig von den anderen existieren und keines kann auf irgendeine Weise mit einem ‚Ich‘, einer ‚Seele‘ oder einem irgendwie gearteten Persönlichkeitskern identifiziert werden.
Aus dem Angeführten ist wohl deutlich geworden, dass das Konzept der Reinkarnation (Wiederverkörperung) im Sinne von Metempsychose oder Transmigration (‚Seelenwanderung‘) nicht buddhistisch ist. Nach buddhistischer Lehre gibt es keine Seele, die sich hin und wieder einen neuen Körper zulegt, so wie unsereiner die Unterwäsche wechselt.
Das Einzige, was der Buddhismus mit der hinduistischen Reinkarnationslehre gemeinsam hat, ist das Postulat einer karmischen Verbindung zwischen verschiedenen Existenzformen - wobei sich die Auffassungen von ‚karma‘ allerdings stark unterscheiden. Diese Verbindung besteht in geistigen Prozessen, die über den Tod des Individuums hinaus als Impuls eine Neu inkarnation (nicht Re- ) bewirken. Wohl bemerkt - sie wirken über den Tod hinaus; das heisst nicht, sie existieren darüber hinaus. Diese Prozesse (zusammenfassend als ‚Durst‘, tanha, bezeichnet) sind weitgehend undifferenziert; sie bedingen das Da -Sein einer neuen Existenz, aber nicht ihr So -Sein. In Termen westlicher Philosophie: den intelligiblen Charakter, aber nicht den empirischen. Der buddhistischen Karmavorstellung fehlt der Aspekt von ‚Vergeltung‘ und auch der mit der hinduistischen Karmavorstellung häufig verbundene Fatalismus.
Das Wirken von tanha, dem geistigen Prozess, der die karmische Verbindung zwischen zwei Inkarnationen herstellt, lässt sich mit zwei Billardkugeln vergleichen. Die erste Kugel stösst an die zweite und gibt ihr dabei als Impuls ihre Bewegungsenergie ab. Die zweite Kugel setzt sich auf Grund dieses Impulses in Bewegung - nicht notwendig in die gleiche Richtung wie die erste Kugel. Ansonsten sind beide Kugeln unabhängig voneinander - in der zweiten Kugel ist nichts, was mit etwas in der ersten Kugel identisch wäre.
Ich bitte um Nachsicht für die etwas weitschweifigen Ausführungen. Aber ich finde es irreführend, wenn die Lehre Buddhas als Kronzeuge herhalten soll für hinduistische, esoterische, parawissenschaftliche oder sonstwie inspirierte Reinkarnationstheorien. Leider herrscht im Westen - gerade was Begriffe wie ‚karma‘ oder ‚samsara‘ angeht - eine ziemliche Begriffsverwirrung.
Freundliche Grüße,
Ralf