Hallo Wolfgang,
Parallelgerichtsbarkeiten sind bei uns auf vielen Gebieten
üblich. Grundsätzlich sehe ich nichts, was Bürger hindern
könnte, Streit durch einen Schiedsmann klären zu lassen. So
gibt es Sportgerichte, Schlichtungsstellen bei Streit mit
Kfz-Werkstätten oder Versicherungen und auch Kirchen haben m.
W. eine eigene Gerichtsbarkeit. Übrigens auch die
Streitkräfte.
diese Schiedsgerichte haben aber alle relativ konkret umrissene Aufgabenbereiche und dienen im wesentlichen der Entlastung der ordentlichen Gerichtsbarkeit bzw. zur Verkürzung der Dauer des Rechtsstreites. Außerdem urteilen sie nach dem gleichen übergeordneten Rechtsverständnis, d.h. sie bewegen sich innerhalb der gleichen gesellschaftlich-juristisch anerkannten Maßstäbe wie die ordentliche Gerichtsbarkeit.
Die Gerichte, über die ich sprach, stellen sich aber bewußt außerhalb des Wirkungskreises der deutschen (und britischen) Justiz und urteilen auch nicht in unserer „Rechtswelt“, sondern eben in der traditionell islamischen. Die Gerichte decken zudem das ganze rechtliche Spektrum ab, vom Familienstreit bis hin zu Gewalttaten und Verstößen gegen Sitte, Ehre und die reine Glaubenslehre.
Von einer ergänzenden Gerichtsbarkeit wie bei einem Sport- oder Handelsgericht kann also nicht die Rede sein. Es handelt sich schlicht und ergreifend um eine Veranstaltung, die nicht ergänzend, sondern konkurrierend zur ordentlichen Gerichtsbarkeit agiert und leichfüßigem Desinteresse an unserem Rechtssystem vorbeitanzt.
So weit, daß vor solchen Gerichten in Deutschland Tötungsdelikte verhandelt werden, ist es vermutlich noch nicht (wobei ich da die Formulierung der interviewten Autorin durchaus bemerkenswert finde), aber es fällt mir schwer zu glauben, daß man ausgerechnet bei Körperverletzung die Grenze zieht und alles, was schlimmer (nach welchen Maßstäben überhaupt?) oder noch schwerer zu vertuschen ist, dauerhaft an die ordentliche Gerichtsbarkeit verweist.
Genau. Daß die Extremisten nun Judikative und Exekutive offen
für sich beanspruchen (die Legislative wird ja ohnehin schon
weitgehend ignoriert), ist keinesfalls ein Anlaß zur
Besorgnis.
Ich sehe Handlungsbedarf, ohne eine Patentlösung bieten zu
können. Insbesondere müssen wir aufpassen, nicht genau die
Rechtsordnung, an der uns etwas liegt, bei der Gelegenheit
über Bord zu werfen. Unsere Freiheit ist so verdammt
anstrengend
Das Grundproblem, das gelöst werden muß, bevor sich überhaupt eine Patentlösung finden lassen kann, ist, daß jeder Versuch, dieses Thema ernsthaft und kritisch auf das gesellschaftliche und/oder politische Parkett zu bringen, mit dem Verlust von Amt und Würden endet, weil man unweigerlich in die rechte Ecke gestellt wird.
Es ist schlicht und ergreifend nicht opportun, in Menschen bestimmter Herkunft/bestimmten Glaubens etwas anderes zu sehen als eine Bereicherung unseres Gemeinwesens und unserer kulturellen Landschaft.
Daß aber ein nicht geringer und zunehmender Teil der betreffenden Personen weder mit unserem Gemeinwesen noch mit unserer Kultur noch unseren gesellschaftlichen Werten irgendetwas am Hut hat, ist öffentlich nicht diskutabel. Daß die Sittenwächter inzwischen unverhohlen auf der Straße Patrouille laufen, ist kein Zeichen für eine an sich neue Entwicklung, sondern lediglich Ausdruck des Umstandes, daß bestimmte Gruppierungen offensichtlich jeglichen Respekt vor unseren Strukturen und Ordnungsbehörden verloren haben und nicht einmal mehr die Notwendigkeit sehen, sich unauffällig.
Gruß
C.