Hallo,
angeregt durch die zahlreichen Hinweise auf den Anspruch der
Wissenschaftlichkeit an dieses Forum hat sich mir eine Frage
aufgedrängt. Nachdem ich christlich erzogen wurde, erlaube ich
mir die Frage rein auf das Christentum hin zu formulieren.
Religionswissenschaft beschäftigt sich nur eher beiläufig mit dem Glauben selbst. Vorrangig geht es um Geschichte, Sprache und Literatur. Wobei aber Religion(swissenschaft) sich überschneidet mit Disziplinen wie Psychologie, Soziologie, Philosophie… usw.
Der Glaube selbst, als etwas Tranzendentes, kann nicht Objekt einer Wissenschaft sein.
Von daher spielt es auch keine Rolle ob und was ein Individuum glaubt hinsichtlich der religionswissenschaftlichen Kenntnisse eines „Experten“.
Die Religionswissenschaft kann auch keine Aussagen treffen über die „Wahrheit“. Kein Mensch der Welt, egal wie schlau und gebildet, kann dir sagen ob das, was du glaubst, richtig ist oder nicht.
Wenn es also um Glaubensfragen geht, entsteht zwangsweise eine Diskussion ausserhalb jeglicher Wissenschaftlichkeit. Da kann Einer so oft die Bibel oder andere Schriften gelesen haben wie er will, er wird immer Einen finden der ihm grundlegend widerspricht.
Ab wann darf man sich mündiger Christ nennen? Mündig in dem
Sinn, dass man weiß was man glaubt.
Wenn man sich zu einer Religion bekennen will, muss man gewisse Grundkenntnisse über eine allgemeingültigen, verbindlichen gemeinsamen Nenner haben. Angesichts der vielen Abspaltungen innerhalb der christlichen Kirchen, ist dieser gemeinsame Nenner so weit auf das Wesentliche beschränkt, so dass das Etikett „christlicher Glaube“ ziemlich willkürlich erscheint. Denn, so wie ich denke, lautet der gemeinsame Nenner: „Es gibt einer allmächtigen und allwissenden Gott, der das Universum und Alles darin erschaffen hat.“ Die Unterschiede zwichen all den Abspaltungen innerhalb des Christentums liegen in Detailfragen wie: "Gibt es eine Hölle und/oder ein Paradies? Ist Jesus Gott selbst oder dessen Sohn oder Beides oder gibt es die Dreifaltigkeit? Hat Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen so wie es in der Bibel steht oder ist die Schöpfungsgeschichte eine Metapher für die Evolution und der Schöpfungsakt dauert noch an? usw…
Hier im Forum tummeln sich wie ich zur Kenntnis nehme Christen
mit mehr oder weniger Hintergrundwissen. Ich zähle mich
irgendwo zum Mittelbereich. Aber es wird immer wieder der
Eindruck erweckt zum Glauben dürfe bzw. auch könne sich nur
jemand kompetent äußern, der mindestens 2 Doktortitel
aufzuweisen hat und sämtliche antike Literatur in seinem Leben
bereits zumindest einmal selbst übersetzt hat. (Ich weiß das
ist überspitzt, aber ihr wisst was ich meine, die kognitiven
Fähigkeiten sind ja vorhanden)
Ich will niemandem seine Bildung absprechen (wie könnte ich!),
ziehe auch meinen Hut, aber was weiß denn im Gegensatz zu
einem derart Wissenden der einfache Gläubige dann tatsächlich
über seine Religion? Schulwissen, das was die Kirche ihren
Schäfchen vermittelt ist, das wird hier oft genug betont,
nicht ausreichend um über den christlichen Glauben bescheid zu
wissen.
Im Prinzip hat man auf der einen Seite die Bibel, und auf der anderen Seite die ganzen Deutungen. Bibelexegese könnte man als den Versuch sehen, die Inhalte irgendwie in die Realität der heutigen Zeit herüber zu retten um ihnen einen Sinn zu geben der sich der Kritik durch ein wörtliches Verständnis der Aussagen in der Bibel entzieht.
Ein schönes Beispiel dafür sind die zehn Gebote in Gegenüberstellung der „offiziellen Formulierung“ durch die Katholische Kirche:
Der Dekalog enthält alle Elemente, die notwendig sind, um eine moralische Reflexion zu begründen, die ausgeglichen ist und unserer Zeit entspricht. Es genügt aber nicht, ihn einfach aus dem Hebräischen in eine moderne Sprache zu übersetzen. In seiner kanonischen Formulierung hat er die Form von apodiktischen Gesetzen und gehört zu einer Moral der Pflichten (Pflichtenlehre).
Drei vertikale Werte (sie betreffen die Beziehung des Menschen mit Gott):
Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.
Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.
1.ein einziges Absolutes verehren
Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.
„Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht.
2. die Gegenwart und Sendung Gottes in der Welt achten (das, was der „Name“ symbolisiert)
Achte auf den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat.
Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht.
An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Rind, dein Esel und dein ganzes Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du.
3. die heilige Dimension der Zeit wertschätzen
Sieben horizontale Werte (sie betreffen die Beziehungen zwischen den Menschen)
Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat, damit du lange lebst und es dir gut geht in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.
4. die Familie ehren
Du sollst nicht morden
5. das Recht auf Leben fördern
Du sollst nicht die Ehe brechen
6. die Einheit der Ehegatten aufrecht erhalten
Du sollst nicht stehlen
7. für jeden Menschen das Recht verteidigen, dass seine Freiheit und Würde von allen geachtet wird
Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen
8. die Ehre der anderen wahren
du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen und du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren, nicht sein Feld, seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel, nichts, was deinem Nächsten gehört
9. die Personen achten (die zu einem Haus, einer Familie, einem Unternehmen gehören)
10. dem anderen sein materielles Eigentum lassen
(Anmerkung: Ziemlich knifflig die Auslegungen exakt den einzenlen Geboten zuzuordnen, oder?)
Zum Vergleich die Auslegungen der Westboro Baptisten Kirche grob zusammengefasst: „Gott hasst Schwuchteln!“
http://www.youtube.com/watch?v=5zzjNlPCDZE
Nicht zuletzt bildet ja zumindest die r.k. Kirche ihre
Gläubigen im Religionsunterricht nach dem Katechismus aus.
Aber diese Bildung zählt nicht, um zu jenen gerechnet zu
werden, die über den Glauben bescheid wissen?
Das praktische an der Katholischen Kirche ist, dass es einen Papst gibt der sich selbst als unfehlbar bezeichnet und der ziemlich genau vorgibt was man als Katholik zu glauben hat.
Wer daran etwas zu kritisieren oder auch nur zu spekulieren hat, sollte meines Erachtens aus der Katholischen Kirche austreten.
Ich will auch nicht zu lange nerven mit dieser Frage,
angesichts des Umgangstones - gerade von Seiten der Experten
hier - ziehe ich mich ohnehin bald zurück.
Meine Frage lautet nach wie vor: Wie mündig ist ein
normalsterblicher Glaubender?
Ich gebe mein Bestes diese Frage in einem Umgangston zu formulieren der keinen Anlass gibt beleidigt zu sein. Was den Inhalt meiner Antwort angeht, muss ich als Atheist leider davon ausgehen, dass er für Viele mehr als beleidigend ist, auch wenn es nicht im Geringsten meine Absicht ist zu beleidigen - Es ist nur die Äußerung meiner Meinung und ich kanns nicht anders sagen ohne zu lügen: Glaube und Mündigkeit schließen sich gegenseitig aus.
Folgt man dem Expertencrescendo unten habe ich langsam aber
sicher den Eindruck, dass den Positionen eines (namentlich)
CJW (so seltsam sie auch vorgetragen werden) ein wenig
Wahrheit innewohnt: Der normalsterbliche Gläubige weiß gar
nicht was er glaubt, und kann es mangels Bildungsniveau,
Sprachkenntnissen etc. etc. auch gar nicht erfahren. Kurzum:
der Normalsterbliche ist dumm. Es reicht ja wenn er GLAUBT.
Möglicherweise klingt das etwas hart, wie dem auch sei -
jedenfalls
Ich gehe davon aus, dass es zuallererst die Motivation für den Glauben gibt. Diese Motivation setzt keine religiöse Bildung vorraus.
Es gibt Gläubige die einfach nur glauben weil es sich in ihrer Gesellschaft so gehört, und es gibt Leute wie z.B. Eugen Drewermann, der sich enorm umfassend gebildet hat um (erstmal) seinen eigenen Glauben für sich selbst zu festigen und vor sich selbst und anderen rechtfertigen zu können.
http://youtu.be/gVzGO-AyM_w
http://youtu.be/JlkwuyTHoqw
Ich als Atheist hatte ziemliche Schwierigkeiten der Argumentation Drewermanns in diesen Videos zu folgen. Eigentlich entspricht sein Weltbild recht genau meinen Vorstellungen - nur kommt er, anders als ich, zu dem Schluß, dass es einen Gott gibt.
…freue ich mich über angeregte Diskussionen, sofern sie im
höflichen Bereich bleiben, beteilige ich mich gegebenenfalls
auch daran.
Wie gesagt: Ich will niemanden beleidigen. Aber bei so grundlegenden Fragen wie der nach der Möglichkeit einer Existenz eines Gottes, gibt es zwichen Atheisten und Gläubigen leider gewisse Differenzen.