Wittgenstein und Demokratie?

Hi,

bekanntlich gibt es „zwei“ Wittgesteins: den früheren und späteren.

Der spätere Professor Ludwig Wittgenstein scheint mir als RELATIVIST durchaus vereinbar mit der pluralistischen Demokratie der heutigen Mediengesellschaft.

Was meinen die EXPERTEN, bitte???

C.

Hallo Claus,

ich halte das Problem von Wittgenstein II und der Radikaldemokratie ( - die von vielen als Gegensatz zur deliberativen Demokratie von Habermas gesehen wird, also eher „Demokratie nur wenn es den schon vorhandenen Staat betrifft“ statt „Demokratie wenn es alles betrifft“ - ) für das Problem der Abstraktion. Kann ich von zwei oder drei Enten, die an mir vorbeiwatscheln, den Gedanken mitnehmen, was eine Ente ist? Oder ist dann dieser Gedanke nur mein subjektiver Begriff von Ente, der zwar irgendetwas damit zu tun hat, was eine Ente tatsächlich ist, der jedoch von jedem andern Bürger gleichberechtigt konkurrenziert werden kann? Und falls ja, gilt das dann auch noch, wenn der Mitbürger einen Schwan mitzählt und gilt das dann auch noch, wenn einer der Mitbürger tausende Enten studiert, ihre Federn seziert, ihr Verhalten dokumentiert und ihre Jungen aufgezogen hat?

Oder anders gefragt: Ist eine Demokratie nur die Verhütung von Schlimmerem und für konkrete Fälle da, oder ist eine Demokratie bei engagierter Teilnahme aller Betroffenen ein Lebensziel und eher abstrakt? Ich glaube, dass das auf die Erfahrungen ankommt. Steht die Demokratie alternativlos und erfolgsverwöhnt da wie in Deutschland (und also etwa bei Habermas - solange man z. B. die Probleme der Wirtschaft darauf zurückführen kann, dass die Wirtschaft weit weniger demokratisch funktioniere als die übrige Gesellschaft) - oder ist sie eher eines von mehreren Modellen, die mehr oder weniger friedlich nebeneinanderherlaufen wie in Grossbritannien, wo Wittgenstein II lebte? Obschon Wittgenstein wohl nicht wörtlich von der

pluralistischen Demokratie

schreibt, könnte immerhin noch gefragt werden, ob sein Denken als Vorläufer zum Relativismus evtl. einem radikalen Pluralismus (um nicht zu sagen einem babylonischen Sprachengewirr) Vorschub leistet, wenn er feststellt, dass das Denken nicht kohärent ist, weil zu sachgebunden; allerdings stellt er das in Bezug auf sich selber fest und nicht etwa auf die Allgemeinheit, nämlich etwa wenn er (sinngemäss) die Bemerkung macht, dass seine Philosophie sich am besten auf Einzelsätze beschränkt. Dann heisst das noch lange nicht, dass etwa ein hegelsches System ebenso seinen Sinn verlöre. Es heisst einfach schlicht, dass Wittgenstein sich letztendlich nicht als Konstrukteur hegelscher Systeme betrachtet, sondern eher als (wie ich meine virtuoser) Dichter prägnanter Einzelsätze. Wenn diese heute gefragter sein sollten als es Systeme sind, ist das nicht Wittgensteins Problem gewesen, könnte ihn aber insofern bestätigen, als dass er eher zu denen gehört, die die Grenzen von Abstraktion betonen.

Aber „Experten“ … naja, ich bin nur ein kleiner Fisch und habe kaum Wittgenstein gelesen und ihn auch nicht bei der Hand, sondern mein Wissen über ihn ist nur aus Vorlesungen.

Gruss
Mike

Hallo,

„Behandle die deutlichen Fälle in der Philosophie,
nicht die undeutlichen. Diese werden sich lösen
wenn jene gelöst sind.
Die Tendenz mit der Untersuchung eines Satzes da
anzufangen, wo seine Anwendung ganz nebelhaft und
unsicher ist (der Satz der Identität ist ein gutes
Beispiel), anstatt die Sätze vorläufig beiseite
zu lassen und den Satz dort anzugehen, wo wir
mit gesundem Menschenverstand über ihn reden
können, diese Tendenz ist für die aussichtslose
Methode der meisten Menschen die philosophieren
bezeichnend.“

Ludwig Wittgenstein

Sein Werk ist eben grad keine Aneinandereihung von
einzelnen Sätzen, sondern ein komplexes System,
ein zusammenhängender Organismus.
Die Wende zu seiner Spätphilosophie ist
der neuralgische Punkt. Man muss bei seinem
Werk bleiben. Die späteren Arbeiten von
der „Philosophischen Grammatik“ bis hin zu
„Über Gewißheit“ zeigen Wittgensteins
philosophische Methode. Dort können
wir mit gesundem Menschenverstand
analysieren und agieren.

Mit solchen unsinnigen wie unnötigen Analogien
begibt man sich, wie W. oben selbst aussagt,
in eine aussichtslose Lage.

Das scheint dein Faible zu sein.

Gruß
Junktor

Hi Mike,

Pluralismus (um nicht zu sagen einem babylonischen
Sprachengewirr)

Also sollten wir unterscheiden zwischen Institutionen, wo es um sprachliche Klarheit und Hierarchie von Macht und Kontrolle geht - und dem wirklichen Leben, wo es heute Kommunikationsnetzwerke gibt, wie nie zuvor.

Sozial-Netzwerke gibt es heute in den Demokratien in so einer unglaublichen Menge, dass man sie als eine unglaubliche Vielzahl unterschiedlicher Interessengemeinschaften sehen muss, wo Kommunikation stattfindet.

(dass das) Denken nicht kohärent ist, weil zu sachgebunden; allerdings
stellt er das in Bezug auf sich selber fest und nicht etwa auf
die Allgemeinheit

Ich habe schon einmal behauptet, dass Wittgenstein (als früherer Techniker) ein schlechter Psychologe ist, wenn sich seine „Sprachspiele“ nur auf äußere „Sachen“ beschränken, statt dem Leben zu DIENEN.

Wo das wirkliche Leben völlig außer acht gelassen wird durch bloße Abstraktionen, kann das im Extremfall krankmachend oder sogar tödlich SEIN (Umweltprobleme durch Wissenschaft und Technik wie z. B. die Öl-Katastrophen usw.).

Ich glaube, dass Wittgensteins „Sprachspiele“ die Medienvielfalt RELATIVIEREN kann, anstatt die einzige und absolute „Wahrheit“ für alle zu beanspruchen. Deshalb ist Wittgenstein für die Demokratie heute TOPAKTUELL.

Gruß
C.

Hi Junktor,

danke für deinen Beitrag!

Daran kann ich erkennen, dass du hervorragend ZITIEREN vermagst, aber interpretieren?

Fantasie ist wichtiger als Wissen, wie Einstein feststellte als kreativer Wissenschaftler…

Gruß
C.

Hallo Claus,

Institutionen

gehören auch zum

wirklichen Leben

die Frage ist nur, wie sie mit ihm vernetzt sind.

krankmachend oder sogar tödlich

selbstverständlich. Ich hatte vor dem einen Extrem gewarnt, hier ist das andere.

anstatt die einzige und absolute „Wahrheit“ für alle zu beanspruchen

Den Verdacht, dass die Medienvielfalt diesen Anspruch stellt, kann man etwa mit Blick auf Habermas teilen. Inwiefern sollten die „Sprachspiele“ aber dazu beitragen, die Gefahr der medienbedingten Gleichgültigkeit (im Sinne eines Sprachengewirrs) (oder meinetwegen auch die gegenteilige Gefahr der vorschnellen Abstraktionen) nachhaltig zu bannen?

Gruss
Mike

Lieber Herr Walz,
Da Sie ja mit beachtlicher Frequenz Beiträge posten, in denen ich zwei sehr bestimmte Themen immer wieder antreffe, nämlich WARHEIT und DEMOKRATIE(sowie MEDIENGESELLSCHAFT) komme ich nicht umhin der Meinung zu sein, dass Sie eine sehr konktete Meinung zu diesem Themenbereich haben, die Sie liebend gern loswerden würden.
Da aber alle ihre Beiträge lediglich recht nebulöse, ein wenig altklug wirkende Fragen beinhalten, keine konkteten Aussagen, frage ich Sie hiermit offiziell:
Was wollen Sie uns sagen?

Lieber Herr (bzw. liebe Frau?) Grotemson,

Da die Sprache die Wirklichkeit nicht exakt REPRÄSENTIERT, weil sie ja in der Realität eine künstliche Welt ist - (wenn ich ich über Sex SPRECHE - ist das ja nicht mit dem gleichzusetzen, dass ich „wirklich“ Sex mache usw.) sind wir meines Erachtens heute genauso weit wie bei der Relativität der WAHRHEIT durch Protagoras: Ob es Gott gibt oder nicht, kann ich nicht wissen, aber sicher kann ich WISSEN: Der MENSCH ist das Maß aller Dinge!

Diese Meinung vertrat ja auch der späte Wittgenstein mit seinen „Sprachspielen“.

Und ich glaube, diese „Sprachspiele“ - die ja hier in diesem Brett auch die künstliche Medienwelt widerspiegeln, sind eben trotz dem GLAUBEN an die Logik und sprachliche „Stringenz“ keine echte Wahrheit, sondern nur Interpretaion.

Wo ist der Sinn, das Ziel, wenn alles nur willkürliche „Sprachspiele“ sind??? Diese Frage beschäftigt mich, denn darauf habe ich nur immer eine Antwort des GLAUBENS, jedoch keine Sicherheit von WISSEN: Deshalb behauptet auch der jüngst verstorbene amerikanische Philosoph Prof. Richard Rorty:

„Dewey war genauso wie Hegel der MEINUNG, dass die Philosophen NIEMALS imstande sein werden, die Dinge unter dem Aspekt der Ewigkeit zu sehen. Statt dessen sollten sie versuchen, einen Beitrag zum fortwährenden GESPRÄCH der Menschheit… zu leisten.“

Das ist ein fortwährender PROZESS und keine ewige WAHRHEIT, wobei man diese von innen her möglicherweise ONTOLOGISCH rechtfertigen kann als GLAUBE…

Gruß
C.

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Wittgenstein: ‚Es gibt das Mystische‘
Hi Claus.

Da die Sprache die Wirklichkeit nicht exakt REPRÄSENTIERT,
weil sie ja in der Realität eine künstliche Welt ist -

Wieder ein Beispiel für einen relativistischen Zirkelschluss: m i t Sprache kritisierst du die Sprache und behauptest, sie könne die Wirklichkeit nicht „repräsentieren“. Letzeres ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, die jeder anerkennt (auch ein Kind weiß, dass man das Wort „Brot“ nicht essen kann). Du äußerst diese Wahrheit mittels des sprachlichen Mediums. Wenn aber dieses Medium hoffnungslos weit von der Wirklichkeit entfernt ist (wie du sagst), wie kann dann dein obiger Satz wahr sein? Wie kann er etwas anderes sein als ein sinnloses Sprachspiel ohne Referenten in der Wirklichkeit?

Ich denke also, dass man das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit differenzierter konzipieren muss, als dies mit Hilfe der simplen Schablone des Relativismus möglich ist.

… sind wir
meines Erachtens heute genauso weit wie bei der Relativität
der WAHRHEIT durch Protagoras: Ob es Gott gibt oder nicht,
kann ich nicht wissen, aber sicher kann ich WISSEN: Der MENSCH
ist das Maß aller Dinge!

„Der“ Mensch - was ist das? Im Menschen steckt sicher sehr viel mehr, als Protagoras annahm. Der menschliche Geist ist nämlich unendlich. Protagoras ging von einem reduktionistischen Menschenbild aus.

Diese Meinung vertrat ja auch der späte Wittgenstein mit
seinen „Sprachspielen“.

Es gibt einen „Wittgenstein III“, und der war ein Mystiker. Das deutete sich klar im Tractatus an: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“

Das ist eine Wahrheit beanspruchende Aussage, und dessen war sich Wittgenstein gewiss bewusst. Die Tiefenstruktur beider Sätze lautet: „Es gibt das Mystische“.

Er spielt damit auf eine Dimension an, die einen ontologischen Wahrheitsbegriff nahelegt.

Sprachspiele (in der Dimension der propositionalen Wahrheit) enden an einer Grenze, jenseits dieser Grenze beginnt das Mystische (die unsagbare Wirklichkeit). Wittgenstein ist also gerade kein Verfechter einer absolut relativen Wahrheit (wenn ich das mal so formulieren darf). Er sagt nur, dass die Darstellungsfunktion der Sprache beim Mystischen versagt. Das aber sagen die östlichen Mystiker des Buddhismus und des Vedanta und viele westliche Mystiker schon seit Jahrtausenden.

Rorty reduziert Wahrheit auf Aussagenwahrheit:

„Da Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist, da die Existenz von Sätzen abhängig von Vokabularen ist und da Vokabulare von Menschen gemacht werden, gilt dasselbe für Wahrheiten.“
(Der Spiegel der Natur, 49)

Seine Aussagen über Mystik oder Metaphysik sind so irrelevant wie die Aussagen eines Mönches über Sex.

Gruß

Horst

Was ist das so genannte Mystische??
Hi Horst,

ich kann dir in Vielem, was du gegen den RADIKALEN Reduktionismus und Relativismus sagst, zustimmen, deshalb, weil ich mich selbst jahrelang mit östlicher Philosophie beschäftigt habe, aber eben nicht aus dem Grund der Mystik, sondern der PSYCHOLOGIE, die in der westlichen Kultur generell MECHANISTISCH ist in ihrer Sprache. Dies gilt sogar für Psychologen und Philosophen, wie z. B. Maslow, Wilber oder Capra usw., weil sie sich eben gerade NICHT auf die Sprache der Mystik einlassen wollen.

Was bleibt ist sind zwei Weltanschauungs-Axiome, die gemeinsam die Welt beherrschen: Gott als Methaper einer „Philosophie des Als Ob“ sowie die „Mechanik“ als einer „Philosophie des Als Ob“.

Deine Behauptung, Wittgenstein hätte sich der „dritten“ Phase seines Denkens als Mystiker geäußert, ist doch eine Null-Argumentation für das WISSEN.

Aus diesem Grunde bleibt nach wie vor die RELATIVE Aussage bestehen, in der Wittgenstein von relativistischen Sprachspielen spricht, im Gegensatz zu der „ersten“ Phase seines Denkens, wo er so naiv ist, die Sprache als eine exakte ABBILDUNG der Wirklichkeit zu betrachten, so naiv, wie die Buschneger, die an ein Totem glauben und es als WAHRHEIT definieren.

Was ich sagen will, ist im Kern, dass durch die Demokratie der globalen Mediengesellschaft die Wahrheit „aufgeweicht“ wird, die seit Jahrtausenden für alle Menschen in einer Kultur als „politisch korrekt“ vertreten wurde. Dieser Anspruch auf eine ewig gleichbleibende WAHRHEIT wurde heute schon weltweit bei den gebildeten Schichten „erschüttert“ und wird sich in der Zukunft noch weiter „aufweichen“, über das Internet und alle sonstigen Medien, über die immer mehr Normalbürger zu Wort kommen und nicht mehr ausschließlich nur wenige Machthaber, wie früher.

Gegen die „Aufweichung“ der Wahrheit kämpfen fundamentalistische GLÄUBIGE an, bis zur Tötung von „Ungläubigen“ und sich selbst. Warum gibt es diese Kämpfe überhaupt um die sogenannte „ewige Wahrheit“ oder sozialpsychologisch gefragt:

Was ist das so genannte Mystische??

Gruß
C.

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Hi Mike,

Inwiefern sollten

die „Sprachspiele“ aber dazu beitragen, die Gefahr der
medienbedingten Gleichgültigkeit (im Sinne eines
Sprachengewirrs) (oder meinetwegen auch die gegenteilige
Gefahr der vorschnellen Abstraktionen) nachhaltig zu bannen?

Karl Jaspers hat es so ausgedrückt: Wir verstehen heute das Bedürfnis nach Kommunikation in uns selbst. Dieser deutsche Existenzphilosoph hatte jedoch keine Ahnung vom heutigen globalen Medienzeitalter, aber was er schon damals in seiner Zeit richtig (nicht nur als Philosoph, sondern als Arzt und Psychologe) sehr richtig analysierte, stimmt doch heute noch viel mehr als damals.

Es ist nicht eine, wie du es definierst, „Gleichgültigkeit“, warum die Menschen heute in der globalen Medienwelt so explosionsartig kommunizieren.

Es ist ein BEDÜRFNIS, das so real ist, wie das BEDÜRFNIS nach Sex, Essen, Schlafen, Kleidung, modische Schönheit, Reichtum oder Intelligenz usw…

Gruß
C.

Hi,

Fantasie ist wichtiger als Wissen, wie Einstein feststellte
als kreativer Wissenschaftler…

und du meinst diese Aussage kann man immer
und überall einsetzen? Selbst in der
Mathematik und Logik!? :smile:
Bei Verständnisfragen oder Vergleichen?

Natürlich kann ich sagen:

Ein Ei gleicht einem Golfball, nur
wenn ich den einen in die Pfanne hauen
oder das andere mit dem Golfschläger
in ein Loch schlagen will, werde ich
einen gewissen Unterschied feststellen.

Genau dies ist dein Problem!
Will ich Wittgenstein verstehen oder will ich
ihn als Stichwortgeber missbrauchen und
der Kunst meiner kreativen Fantasie freien
Lauf lassen?

Aber genug jetzt, ich wollte deinen Unsinn
nur nicht so stehen lassen. Wittgenstein
liegt mir am Herzen und es ist unerträglich
ihn so kontaminiert zu sehen.
Meine Antwort galt eher den Mitlesern
als dir.

Ciao
Junktor

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Hi Junktor,

Genau dies ist dein Problem!
Will ich Wittgenstein verstehen oder will ich
ihn als Stichwortgeber missbrauchen und
der Kunst meiner kreativen Fantasie freien
Lauf lassen?

Ja genau DAS!!!

Aber genug jetzt, ich wollte deinen Unsinn
nur nicht so stehen lassen. Wittgenstein
liegt mir am Herzen und es ist unerträglich
ihn so kontaminiert zu sehen.
Meine Antwort galt eher den Mitlesern
als dir.

Das weiß ich doch, lieber Junktor, deswegen mein Posting vorrangig für DICH!!!

Gruß
C.

Kommunikationsbedürfnis
Hallo Claus,

zuerst Eines vorweg: Das Kommunikationsbedürfnis des Menschen erkenne ich an.

„Gleichgültigkeit“

wurzelt darin, nicht alles, was kommunikativ an Dich herangetragen wird, aufnehmen zu müssen. Das ist zunächst ein legitimes Bedürfnis.
Es wird erst dann zum Problem, wenn es unbewusst abläuft und alle Sätze, egal von wem und zu welcher Zeit geäussert, gleichen Wert haben, nur weil der Mensch seine (an sich legitime) Elephantenhaut braucht und sich vor gewissen Katastrophenmeldungen emotional verschliessen muss. Was daraus aber abgeleitet wird, ist eben oft der Relativismus, der eigentlich begrifflich nichts damit zu tun hätte. Ob nun gerade die philosophische Selbstreflexion dazu angetan ist, hier Gegensteuer zu geben, bleibt fraglich; die Gefahr der Gleichgültigkeit kann übrigens mit der Gefahr vorschneller Abstraktion sogar einhergehen, sodass sie statt gegeneinander nebeneinander marschieren, und dann verkommt auch das Bedürfnis nach

Intelligenz

oder wie sagt Wittgenstein?
«Seltsamer Zufall, dass alle die Menschen, deren Schädel man geöffnet hat, ein Gehirn hatten.»

Gruss
Mike

Hi Mike,

da kann ich dir nur zustimmen, natürlich ist es auch ein BEDÜRFNIS, sich Meinungen bewusst auszuwählen und aus denen dann auch WAHRHEIT abzuleiten.

Es geht nur darum, dass es keine verbindliche WAHRHEIT für alle Menschen gibt.

Dass Einzelne und Gruppen trotzdem „meinen“, die einzige und absolute WAHRHEIT zu besitzen und andere Meinungen bekämpfen, das ist normal und selbstverständlich in einer Demokratie. Und dass es Unterschiede gibt, in der QUALITÄT von Meinungen, ist klar und bedarf nicht sonderlich der Erwähnung.

D. O.

Postskriptum
Philosophen sollte die Identifikation mit WAHRHEIT beanspruchenden „Sprachspielen“ und reflektiertem Selbstgefühl und Selbstbewusstsein interessieren…

Der Mensch Mohammed wurde z. B. durch die KULTURPRÄGUNG in islamischen Ländern so unbewusst verinnerlicht, dass eine Mohammed-Karikatur (als Kunst) so „unerträglich“ für manche war, dass sie nach der Art eines Pawlow-Hundes reagierten, als ein „bedingter Reflex“ gegen eine andere Meinung.

Seit Jahrtausenden werden Menschen getötet, weil sie eine andere WAHRHEITSINTERPRETAION vertreten als die Identifikation mit der eigenen Gruppe.

Darüber sollten Philosophen NACHDENKEN, weil das zum wirklichen Leben gehört!!!

D. O.

Seit Jahrtausenden werden Menschen getötet, weil sie eine
andere WAHRHEITSINTERPRETAION vertreten als die Identifikation
mit der eigenen Gruppe.

U.a dieser Punkt ist Antrieb und Intention der
Philosophie! Eine objektive oder zumindest
intersubjektive Sicht der Dinge zu finden,
von jedem vernünftigen Menschen nachvollziehbar.

Darüber sollten Philosophen NACHDENKEN, weil das zum
wirklichen Leben gehört!!!

Wie schon gesagt, darüber wird und wurde nicht nur
nachgedacht, es ist Antrieb.
Dass es an Dogma, mangelnder Vernunft
und mitunter Begriffsstutzigkeit scheitert, ist
nicht der Philosophie zuzuschreiben.
Aber immerhin erkennst du es schon bei anderen,
das ist ein guter Ansatz!

Omnis mundi creatura
quasi liber et pictura
nobis est et speculum

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Mystik vs. Fanatismus
Hi Claus.

Du hältst einen ja richtig auf Trab :smile:

… weil ich mich selbst jahrelang mit östlicher Philosophie
beschäftigt habe, aber eben nicht aus dem Grund der Mystik,
sondern der PSYCHOLOGIE, die in der westlichen Kultur generell
MECHANISTISCH ist in ihrer Sprache. Dies gilt sogar für Psychologen und Philosophen, wie z. B. Maslow, Wilber oder
Capra usw., weil sie sich eben gerade NICHT auf die Sprache
der Mystik einlassen wollen.

Wilber lässt sich nicht auf die Sprache der Mystik ein? Er hat wie kein anderer versucht, Mystik und Wissenschaftlichkeit zu verbinden, und das mit einem tiefen Verständnis für das Mystische. Er zitiert zudem oft asiatische Mystikliteratur (Haikus, Zen-Sprüche usw.). Da haust du wieder hübsch auf den Putz.

Icih zitiere eine Wilber-Stelle, die ihrerseits einen tibetischen Mystiker zitiert:

„Dies Gewahrsein, ohne ein Innen oder Außen,
ist offen wie der Himmel.
Es ist allesdurchdringende Wachheit, frei von
Beschränkung und Voreingenommenheit.
Im weiten, offenen Raum dieses allumfangen-
den Geistes
manifestieren sich alle Phänomene von
Samsara und Nirvana wie Regenbogen am
Himmel.
In diesem Zustand unablässiger Bewußtheit
ist alles Erscheinende und Existierende wie
ein Spiegelbild -
es erscheint und ist doch leer, es tönt und ist
doch leer.
Sein Wesen ist Leerheit von Urbeginn an.“

Tsogdruk Rangdrola

(aus: Ken Wilber: „Eros, Kosmos, Logos“)

Dann behauptest du, nur die westliche Psychologie konzipiere mechanistisch. Irrtum. Es gibt die buddhistische Abhidarma-Psychologie, die gleichfalls Aspekte hat, die man mechanistisch nennen könnte (in dem Sinne, dass der menschliche Geist fein säuberlich in seine Bestandteile zerlegt wird, die kausal interagieren).

Zitat:

http://www.tibet.de/studium/grundstudium/neuer-lehrp…

"Hinzu kommen entsprechend dem System des Abhidharma Begriffe und Kategorien wie die 18 Elemente, 12 Sinnesquellen und fünf Aggregate, welche erklären, wie aus buddhistischer Sicht die Welt und die Lebewesen beschaffen sind, wie Sinneswahrnehmungen zustande kommen usw.

Im Abhidharma werden die Phänomene eingeteilt in materielle und immaterielle, befleckte und unbefleckte, verursachte und unverursachte usw. In diesem Zusammenhang werden auch Themen besprochen wie die sechs Ursachen, die fünf Wirkungen, die vier Umstände, Karma (Handlungen und ihre Resultate), sowie Grundlagen der ethischen Disziplin (Vinaya) …

Die buddhistische Psychologie wird anhand der Darstellung von Geist und Geistesfaktoren, den sieben Arten von Gewahrsein und Erkenntnis sowie den verschiedenen Arten der Wahrnehmung von Objekten eingehend betrachtet."

Zitat Ende.

Was bleibt ist sind zwei Weltanschauungs-Axiome, die gemeinsam
die Welt beherrschen: Gott als Methaper einer „Philosophie des
Als Ob“ sowie die „Mechanik“ als einer „Philosophie des Als
Ob“.

Auch hier kann ich dir nicht folgen. Was soll das heißen, „Gott“ sei eine philosophische Metapher? Dieser Begriff kommt nicht aus der Philosophie, sondern entstammt Epochen eines naiven mythisch-religiösen Denkens. Bitte nicht dieses klare Faktum aus dem Blick verlieren. Danke.

…im Gegensatz zu der „ersten“ Phase
seines Denkens, wo er so naiv ist, die Sprache als eine exakte
ABBILDUNG der Wirklichkeit zu betrachten, so naiv, wie die
Buschneger, die an ein Totem glauben und es als WAHRHEIT
definieren.

Just in dieser ersten Phase aber sprach er auch von der Mystik als dem Unsagbaren (ich zitierte ja aus dem Tractatus). Ganz so naiv war er also auch damals nicht. Und er hatte zeitlebens diese mystische Affinität, auch als Wittgenstein II.

(Am Rande: „Buschneger“ ist als Wort mega-out)

Was ich sagen will, ist im Kern, dass durch die Demokratie der
globalen Mediengesellschaft die Wahrheit „aufgeweicht“ wird,
die seit Jahrtausenden für alle Menschen in einer Kultur als
„politisch korrekt“ vertreten wurde.

Die Einzahl „Wahrheit“ ist hier extrem ungebracht. Auch früher war die Welt voll von sich widersprechenden Wahrheits-Konzeptionen, nicht anders als heute. Der Unterschied ist, dass damals die Konzeptionen in der Regel mit Gewalt propagiert und verbreitet wurden. Die Demokratie gibt den einzelnen Weltanschauungen ein formal gleiches Recht und dem Individuum die Möglichkeit, ungefährdet einem religiösen Weltbild frönen zu können.

Was du als „Aufweichen“ bezeichnest, ist das Zerbröckeln autoritärer Gewaltstrukturen, die bestimmte Welt-Konzepte als Dogma gewaltsam durchsetzten.

Das ist ein großer Unterschied. Du verwechselst also wieder einmal etwas: nämlich „Wahrheiten“ und die politisch-religiösen Machtstrukturen, die diese „Wahrheiten“ vertraten. Dass z.B. die christliche „Wahrheit“ aufweichte, liegt einfach nur daran, dass sie nicht mehr gewaltsam durchgesetzt und zementiert werden konnte.

Dieser Anspruch auf eine
ewig gleichbleibende WAHRHEIT wurde heute schon weltweit bei
den gebildeten Schichten „erschüttert“

Das ist einfach nur ein Christo-Zentrismus, der aus dir spricht, auch wenn du kein Christ bist. Die Welt ist voller anderer metaphysischer Konzepte, die in deiner Argumentation gar nicht auftauchen.

und wird sich in der
Zukunft noch weiter „aufweichen“, über das Internet und alle
sonstigen Medien, über die immer mehr Normalbürger zu Wort
kommen und nicht mehr ausschließlich nur wenige Machthaber,
wie früher.

Immer wieder dein „Normalbürger“. Kenne ich immer noch nicht. Meinst du vielleicht den Hemm-Bürger?

Gegen die „Aufweichung“ der Wahrheit kämpfen
fundamentalistische GLÄUBIGE an, bis zur Tötung von
„Ungläubigen“ und sich selbst. Warum gibt es diese Kämpfe
überhaupt um die sogenannte „ewige Wahrheit“ oder
sozialpsychologisch gefragt:
Was ist das so genannte Mystische??

Das sind doch völlig verschiedene Fragen.

  1. Warum es diese Kämpfe gibt, das hat komplexe Gründe, die man hier nicht mit links auflisten kann. Da vermischen sich jedenfalls politische Motive mit primitiv-magischem Denken und sadistischen Impulsen, die sich ausleben wollen.

Mit Mystik hat das nichts zu tun, das ist doch wohl klar. Denn das Mystische ist

  1. das Bewusstsein bzw. die Erfahrung des Einsseins von indivdiuellem und universellem, non-personalem Geist.

Aus diesem Bewusstsein kann unmöglich ein theoretisches oder praktisches Konzept erwachsen, das nach gewaltsamer Durchsetzung der mystischen Idee strebt. Die religiösen Fanatismen entspringen immer einem monotheistischen Glauben, bei dem das Wahre mit dem Glauben an einen allmächtigen personalen Gott zusammenfällt.

Einer plausiblen Hypothese zufolge (die ich bei Wilber las) entspringt dieser Bekehrungsfanatismus den eigenen unbewussten Glaubenszweifeln des Fanatikers. Er projiziert diese Zweifel auf „Nichtgläubige“, um sie, die Zweifel, mit Gewalt im Andern zu bekämpfen. Nur so kann er den eigenen Glauben stabilisieren.

Gruß

Horst

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Hi Horst,

Ken Wilber ist Buddhist und will mystische Religion und Wissenschaft vereinen.

Da ich zuerst eine Menge östlicher Mystiker gelesen hatte, wollte ich von Ken Wilber mehr WISSEN, mittlerweile habe ich von ihm fast sämtliche Bücher gelesen, auch „Eros, Kosmos, Logos“.

Will nur erwähnen, dass Wilber auch zahlreiche Kritiker hat, die eine wichtige Aufklärungsarbeit leisten, zum Beispiel Steve McInthosh mit seinem Werk „Integrales Bewusstsein und die Zukunft der Evolution - Wie die Integrale Weltsicht Politik, Kultur und Spiritualität transformiert“.

Gruß
C,

Hallo Claus,

dann dürfte aber eine konsequente Demokratietheorie nicht absolut sein, weil sie ja sonst den Absolutheitsanspruch (den einzelne Gruppen haben) mit einem eigenen Absolutheitsanspruch ausgrenzen würde. Eine konsequente Demokratietheorie würde sich und die Demokratie also als subsidiär betrachten, nicht als leitend, auch nicht als allgemeinverbindlich. Sie würde sagen: „Es ist Demokratie als Begleiterscheinung von XY. Ihre Folgen sind gewisse Vorteile.“ Aber sie würde nicht sagen „Demokratie ist der Wert an sich, weil sie gewisse Vorteile hat“, weil sonst Demokratie eben zur absoluten Wahrheit wird und damit jeden Absolutheitsanspruch ausgrenzen würde, womit sie wenigstens den grössten Teil ihrer Kundschaft verlöre, um nicht zu sagen die ganze Kundschaft.

Gruss
Mike