Salü chusger,
kurz vorab: In D ist anders als in der CH der Eisenbahnverkehr auf wenige Achsen zurückgenommen und in großem Umfang stillgelegt, so dass man nicht mit dem Kriterium „Kilometer Radius“ planen kann, sondern sich an den noch nicht stillgelegten Eisenbahnlinien orientieren muss. Auch dort, wo noch Schienenverkehr betrieben wird, gibt es große Unterschiede, u.a. auf vielen Linien relativ schwerfälligen Betrieb mit Dieseltriebwagen und hier im „Delta“ einige verbliebene Überlandstraßenbahnen, die zwar charmant, aber langsam sind - man kommt von Mannheim aus leichter nach Stuttgart als nach Bad Dürkheim, und Orte wie Ketsch, Planckstadt und Altrip liegen zwar ganz in der Nähe, aber wenn man dort wohnen möchte, braucht man pro Familie zwei bis drei Autos, sonst ist kein Fortkommen.
Du fragst nach Landschaft als wichtigem Kriterium. In der Oberrheinebene zwischen der Haardt im Westen und der Bergstraße im Osten gibt es Landschaft im landläufigen Sinn bloß noch ganz punktuell, das meiste ist eine ausgeräumte Agrarsteppe, in der man zwar Auslauf finden kann, aber damit hat es sich schon. Der Rhein ist im 19. Jahrhundert groß angelegt begradigt worden, von seinen alten Flussauen sind nur mehr einzelne Altwasserschlingen übrig (bereits erwähnt wurde Lampertheim, dort ein schönes Rheinaltwasser).
Die Wälder auf Buntsandstein, Pfälzer Wald und Odenwald, sind nur in den Tallagen gerodet; sie mögen im Vergleich zu dem freundlichen Gehügel bei Luzern und im Aargau auf den ersten Eindruck finster wirken, aber insbesondere der Pfälzerwald ist in Landschaft, Flora und Fauna voll von Schätzen - die fünfzehn Jahre, die wir jetzt in Mannheim sind, kommen wir an rund zwanzig Sonntagen im Jahr in den Wald und entdecken ständig noch Neues.
Dass es Dir an der Bergstrasse nicht gefallen hat, verwundert mich ein bissle - ich vermute, es lag am Ausschnitt, den Du gesehen hast. Die Vorhügel der beiden Waldgebiete, Bergstrasse im Osten und Haardt im Westen, sind landschaftlich eigentlich die Vorzeigestücklein der Gegend.
Der schönste Abschnitt der Bergstrasse zwischen Weinheim und Heidelberg ist nur per Straßenbahn erreichbar - von dort kann man gut nach Heidelberg und nach Weinheim pendeln, aber nicht nach Mannheim.
Ab Weinheim gibt es eine Bahn nach Fürth im Odenwald, die zu Berufsverkehrszeiten ohne Umsteiger von und nach Mannheim unterwegs ist. Schaut Euch mal Rimbach und Fürth an.
Heidelberg selber ist etwas ganz Besonderes: Es gibt weit und breit keine Stadt dieser Größe, die wie Heidelberg so gut wie nicht bombardiert worden ist. Der in der Tat unangenehme Touristenrummel beschränkt sich auf einen kleinen Bereich, Hauptstrasse zwischen Bismackplatz und Karlstor. Wohnen in Heidelberg erfordert allerdings ein Budget, dass man eher mit einem Schweizer als mit einem deutschen Salär haben kann. Zu der schönen Bausubstanz kommt eine städtische Struktur, die in anderen hübschen Orten der Region, die eben deutlich kleiner sind und nicht den Einfluss der Universität haben, stärker beschränkt ist.
Wenn es bloß um „Alltagstechnik“ geht, ist das bereits empfohlene Freinsheim eine Option: Im Mittelalter lange Zeit freie Reichsstadt und einer der bedeutenden Orte der Region, später von der Zeit und der Industrialisierung an den Rheinhäfen links liegen gelassen, so dass im 19. Jahrhundert, als überall die alten Stadtmauern, Tore usw. abgebrochen wurden, kein Geld mehr für diese Modernisierung da war, ein sehr charmanter kleiner Flecken, sozusagen die kleine Cousine von Rothenburg ob der Tauber. Freinsheim und Grünstadt (auch dieses von früherer Bedeutung mit etwas städtischem Charakter, z.B. das Amtsgericht Grünstadt ist vergessen worden aufzulösen) landschaftlich schön in der Haardt gelegen, wo die Agrarsteppe des Oberrheintals durch ein mildes Gehügel mit Obst- und Weinbau abgelöst wird. Beide sind noch erträglich, aber wegen Dieselbetrieb schon relativ langsam zu erreichen; der Umsteiger in Frankenthal ist schon seit Jahrzehnten in der Diskussion, aber der Neubau von ungefähr 500 Meter Gleis und vier Weichen, der für einen durchgehenden Betrieb nach Mannheim notwendig wäre, liegt irgendwo in einer Schublade und wird wohl mittelfristig nicht realisiert werden.
An der Bergstraße werfe ich mal Weinheim, eventuell auch Hemsbach und Laudenbach in den Ring. Weinheim gut an Mannheim angebunden, mit städtischem Charakter und hübscher Lage zwischen Tal und Odenwald.
Sonst gibt es noch die Möglichkeit, östlich von Heidelberg das Neckartal entlang zu schauen - auf dem letzten Abschnitt eine der Wiegen der deutschen Romantik. Von den Fahrzeiten her kämen hier Neckargemünd und südlich davon Mauer und Bammental in Frage, die S-Bahn-Anbindung dieser Orte ist recht ordentlich.
Interessant auch Seckenheim (heute zu Mannheim gehörig und gut an Mannheim und Heidelberg angebunden), dessen Ortsbild von behäbigem Wohlstand und den großen Scheuern der Tabakbauern geprägt ist - der Seggener Duwagg wurde noch bis vor wenigen Jahren dort kultiviert. Auf der Höhe Seckenheim schöne Partien am alten Neckar (parallel dazu wurde ein schiffbarer Kanal gebaut). Ebenfalls ein hübscher Ort, allerdings halt in der Talebene gelegen, ist das einstmals bedeutende Ladenburg. Von Ladenburg aus kommt man etwa so leicht ins ganze „Delta“ wie von Mannheim, Heidelberg und Weinheim, aber man ist halt schon ein bissle „im Freien“, und das Ortsbild ist schon schöner als das der schwer bombengeschädigten Städte Mannheim, Ludwigshafen, Darmstadt.
Wir haben das Thema anders angegangen: Wir sitzen mitten im Netz in der bei der ersten Begegnung ziemlich verlebt und verwettert wirkenden Rock’n Roll - Mama Mannheim sieben Minuten vom Bahnsteig weg, sind in dreieinhalb Stunden in Paris, in eineinhalb Stunden im Elsass, in einer Stunde in vielen Teilen des Pfälzerwaldes und mit den Rädern in einem knappen Tag im goldenen Mainz, haben die ganze Infrastruktur der Großstadt und gleichzeitig leichten Zugang zu den schönen Gegenden, die hier unten im Delta tatsächlich nicht so ganz dicht gestreut liegen.
Schöne Grüße
MM