Die Beschreibung „letzter Grund“ ist eine Umschreibung. Der Begriff „Beweis“ geht an der Frage nach dem „letzten Grund“ vorbei. Ein Grund ist kein Beweis. Ein Beweis hat Gründe, deretwegen er geführt wird, und er sucht ein Ziel, das ihm vorgegeben ist. Der Beweis ist eine Funktion zur Begründung, kein eigener Grund.
Die Frage nach dem „Letzten Grund“ ist die Frage nach der Begründung eines umfassenden Lebenssinnes. Wer bin ich? Wieso bin ich? Was bringt mich an diese Stelle? Wozu bin ich? Wozu dient diese ganze Welt? Was soll ich in dieser Welt? Was soll ich mit diesem Leben anfangen?
Gründe gibt es tausende, etwas Sinnloses zu tun oder etwas Sinnvolles zu lassen. Wir konstruieren jeder für sich seine Welt, deren Begründung für uns selbst plausibel ist (wer Verschwörungstheorien anhängt, wird am Ende in jedem Menschen einen Feind sehen).
Die Sicht eines Menschen auf diese Welt ist begrenzt dadurch, wie er in diese Welt gekommen ist, wie er in ihr lebt, durch seine Wünsche und Erfahrungen. Darum stoßen wir an Grenzen - regelmäßig und schmerzhaft.
Persönliche Begründungen werden durch Begründungszusammenhänge, die die eigenen Lebenszusammenhänge überschreiten - z.B. Zusammenleben/Toleranz/Menschlichkeit/Pflicht/Freiheit uva. - ergänzt oder in Frage gestellt.
Weil Menschen verschiedene Bedürfnisse haben, entwickeln sie verschiedene Vorstellungen von einem glückenden Leben.
Überpersönlich - über die Sprachen und Kulturen hinweg - über die Grenzen religiöser Vorstellungen - selbst über die Grenzen des Menschseins hinweg bis hin zum Mitgefühl mit Tieren hat sich an mehreren Stellen dieser Erde unabhängig voneinander ein Verständnis entwickelt, das eine letzte Begründung für ein glückendes und erfülltes Leben für alle Lebewesen sucht - und eine Ethik entwickelt, die den Bedürfnissen und Konflikten im täglichen Leben einen Leitfaden gibt.
Juden sehen diese letzte Begründung eines heilvollen Lebens des Einzelnen und damit der Gemeinschaft darin, dass G’tt (Jhwh) sich dieses Volk ausgesucht hat, ihm Hilfen/Regeln für ein gelingendes Leben gegeben hat (Sinai) und dieses Volkes begleitet wie Eltern ihr kleines Kind.
Die Christen finden die Botschaft von Jesus, dass G’ttes Liebe nicht den Starken, Reichen, Mächtigen gehört, sondern genauso den Schwachen, Hilflosen, Sprachlosen wieder in der Auferstehung, eigentlich besser: Auferweckung Jesu vom Tod. G’tt hat Jesus neues Leben geschenkt, ein Protest gegen die Ungerechtigkeit des Justizmordes an Jesus, ein Protest gegen jede Form von Ungerechtigkeit auf dieser Welt: wenn es überhaupt eine Begründung für ein heilvolles Miteinander aller Menschen geben kann, dann diese, dass wir auch den Schwachen ein gelingendes Leben ermöglichen müssen.
Muslime verstehen sich ebenso als Beschenkte Allahs, der den Menschen ein erfülltes Leben ermöglichen will, weswegen er ihnen die fünf Säulen und das Bewusstsein der weltumspannenden Familie/Gemeinschaft gegeben hat.
Anders im Buddhismus: Die Begründung wird hier deutlicher noch in die Zukunft verschoben: Das Erreichen des Nirvanas, des Zustandes von Wunschlosigkeit, Bedürfnislosigkeit und völliger innerer Ruhe wird erreicht, indem man von sich selbst absieht und ein Karma schafft, das einem neuen Lebewesen zu einer besseren Existenz verhilft - nicht man selbst!
Der „letzte Grund“ ist von daher gesehen eine Zukunft, auf die wir hinarbeiten, ohne dass wir sie schon zu unserer Lebenszeit vollenden könnten - weder der Einzelne (Gefahr des Größenwahns/Diktatur, vgl. die Funktion des Staatoberhauptes Nordkoreas als Präsident, Vater und als g’ttähnliches Wesen), noch die Gemeinschaft (Gefahr des Fundamentalismus/Sektiererei: „allein wir werden am Ende der Zeit gerettet“ vgl. Zeugen Jehovas), noch ein Volk (vgl. nationalsozialistisches Deutschland).
Aus dem „letzten Grund“, aus seiner letzten, äußersten Begründung heraus, wie Leben gelingen kann, muss jeder sein Handeln gestalten und so den Beweis führen, dass seine letzter Lebensbegründung tragfähig ist.
Religionen leiten zu einer Lebensweise und einem Denken an, dass weiterführt, weiterhilft, aufbaut, verbessert, das nach vorne offen bleibt.
Das Ziel ist alltäglich: dankbar das Schöne und Gute annehmen, es teilen, mit-teilen und das Schwere miteinander er-tragen, und für die Verbesserung der Lebensumstände sorgen, hier, in der Nachbarschaft und in der ganzen Welt.
Das ist der letzte Grund jeder großen Religion - und ihre Begründung.
Gruß
chrigchl