‚Wahrheit‘ Zentralbegriff in Joh. und Avesta
Hallo
Aber warum läßt du die User hier im Unklaren über die Bedeutung des Wahrheitsbegriffes ?
Vorausgesetzt, du meinst hier das, was ich „religionsimmanenten“ Wahrheitsbegriff nannte: Das ist leicht zu beantworten: Weil danach in den 14 Jahren meiner Aktivität in diesem Brett noch nie jemand gefragt hat
Da das auch nicht wenig aufwendig wäre, würde mir auch im Traum nicht einfallen, soetwas ausgerechnet in einem Thread wie diesem hier zu unternehmen, und dann auch noch auf einem 7. Unterstockwerk …
Dagegen ist schon in zahllosen Threads - zumindest von mir - auf den Unterschied zwischen diesem und philosophischen resp. naturwissenschaftlich motivierten Wahrheitsbegriffen hingewiesen worden. Meist im Zusammenhang mit Fragen rund um (die behauptete oder bestrittene „Wahrheit“ von) Mythen. Hier handelt es sich um eine sog. Kategorienverwechslung. Der Wahrheits-Anspruch von Mythen ist eine ganz andere Kategorie als der Wahrheitsanspruch von historischen bzw naturwissenschaftlichen Aussagen. Sie haben nichts miteinander zu tun.
Und dasselbe gilt auch vom religionsimmanenten Begriff „Wahrheit“, der besonders im Corpus Johanneum einerseits und in alt- und mittelavestischen Texten des Zarathustrismus eine wesentliche Rolle spielt. Hier geht es nicht um aussagenlogische Wahrheit, nicht darum daß eine Aussage („es regnet draußen“) mit einer Tatsache (draußen regnet es) übereinstimmt (oder eben nicht, dann ist sie unwahr). Anders gesagt, es geht um etwas, das nicht einem Beweis- oder einem Widerlegungskriterium unterliegt.
So zumindest bei johanneischen Ausdrücken wie „Ich bin die Wahrheit“, oder „Die Wahrheit wird euch frei machen“, oder die Rede vom „Geist der Wahrheit“. Anders dagegen aber z.B., wenn gefragt wird, ob es „wahr“ ist, daß Jesus aus dem Grab auferstanden ist. Hier geht es tatsächlich (zumindest dem ersten Anschein nach) um eine Behauptung, die eines Beweises bedarf, aber zumindest eines vertrauenswürdigen Zeugen. Wie wir wissen behandelt der Autor des Joh.-Ev. genau diese Frage, Joh.-Ev. 20.24-29 (ähnlich die skandalöse Lazarus-Episode). Daran ist erkennbar, daß er, der Autor, sehr wohl unterscheidet zwischen diesem (aussagenlogischen: Eine Aussage ist dann wahr, wenn das Ausgesagte der Fall ist) und dem ersteren, anderen Begriff von Wahrheit.
Wahrheit wird doch (bei Joh) mit Erkenntnis (…) gleich gesetzt bzw. assoziiert.
Völlig richtig. Aber nicht nur assoziiert: In der zentralen Rede Joh.-Ev. 17, die eine Art Grundsatzerklärung oder gar ein Glaubensbekenntnis einer zu vermutenden johanneischen Gemeinschaft ist, steht es ja sogar wörtlich: Die Aufgabe des Gesandten (so seine vorzügliche Selbstbezeichnung) sei, den Menschen „äonisches Leben“ zu schenken … und dann, 17.3:
αυτη δε εστιν η αιωνιος ζωη ινα γινωσκωσιν σε τον μονον αληθινον θεον και ον απεστειλας ιησουν χριστον
„Das ist [sic!] das äonische Leben, daß sie dich, den alleinigen, wahren Gott, erkennen , und Jesus Christus, den du gesandt hast.“
In der johanneischen Literatur, Joh. und 1. Joh., gehört dieses γινώσκω, ginōnskō, „erkennen“, zu den Zentralbegriffen. So ja z.B. auch in einer der anderen glaubensbekenntnisartigen Formulierungen in 1. Joh. 3.19-20:
και εν τουτω γνωσομεθα οτι εκ της αληθειας εσμεν
„Und daran erkennen wir, daß wir aus der Wahrheit sind …“ (wo dann dieses „daran“ genauer expliziert wird.
Btw. genau dies ist - in der aktuellen Situation der Johannesforschung, in der ich beteiligt bin - einer der Anhaltspunkte dafür, daß der Joh.-Autor, bzw sein Umfeld, zu den Anfängen der ca. 100 Jahre später sich entfaltenden verzweigten Richtungen der sog. „Gnosis“ gezählt werden könnte. (Dies ganz im Gegensatz zu den auch ansonsten wieder einmal abstrusen Thesen des Hobby-Wiki-Google-„Religionshistorikers“, der dich in seiner Antwort hier unten mit phantasievollen Abhandlungen belehren zu sollen meint).
Wird dieser Begriff in der zarathustrischen Religion, welche du angesprochen hast auch gleich oder ähnlich zugeordnet ?
Ja. In manchen Sätzen sogar fast wörtlich. Das avestische „aša“ (später „arta“, auch häufiger Namensbestandteil) wird teils als Abstraktum präsentiert, teils als wesentliche Bestimmung der Anhänger des Gottes Mazda (d.h. der „Aša-Anhänger“ bestimmt sich durch „aša-isches“ a. Denken, b. Reden und c. Handeln). Teils ist aša, wie viele Abstrakta im frühen Avesta, personifiziert und als solches Mitglied einer Art Bundesrat des Gottes (in diesem Zusammenhang findet sich u.a. auch die Benennung „Geist der Wahrheit“, und auch der „Heilige Geist“, spǝnta mainyush).
In den Anfängen (d.h. in den Gaθas des Zarathushtra) steht der aša-Anhänger (oder Heilige Geist, spǝnta mainyush) noch im Gegensatz (auf gleicher Ebene, bzw. als Zwilling) zu einem druj-Anhänger („Geist des Trugs“, oder aŋgra mainyush, „böser Geist“). Später wird ersterer mit dem Gott Mazda Ahura identifiziert und es entsteht nun eine dualistische Theologie, mit „Ormuzd“ (Ahura Mazda) einerseits und „Ahriman“ (aŋgra mainyu) andererseits. Letzterer wird dann später ab ca. 3./2. Jhdt. v.u.Zt im palästinischen Judentum der Anstoß für die Verwandlung des Satan/Sammael zum bösen Dämon, und dann das Muster für den christlichen Diabolos/Teufel als Instanz des Bösen.
Näheres dazu gerne bei Interesse, aber nicht in diesem sinnbefreiten Thread.
Schönen Gruß
Metapher