Zur sog. "Deutsche Einheit"

Dir ist bekannt, dass man (außer bei den neoliberalen :poop: ) eine Gesellschaft auch unter anderen Gesichtspunkten als nur dem Geld betrachten kann?

Dir ist bekannt, dass man sich beim Aushandeln, welcher westdeutsche Großkonzern welchen Ostdeutschen Großkonzern übernehmen darf/ eingegliederte wird die wirtschaftliche Struktur der DDR und ihr spezielles Wirtschaftssystem völlig außer acht gelassen hat, weil die damaligen Entscheider keine Volkswirte waren (ähnlich wie in der heutigen und wahrscheinlich der zukünftigen Regierung die wirtschaftlich wichtigsten Posten nicht von Volkswirten sondern von Anwälten besetzt werden - was für eine Idiotie!).

Und es hätte dutzende andere Möglichkeiten für eine Eingliederung der DDR in die Gesellschaft der BRD gegeben, als die Bürger der DDR nur als Konsumenten zu sehen. Ein Stichwort: Sonderwirtschaftszone.

Was wir an dieser Stelle mal nicht vergessen sollten ist, dass die „Milliarden“ die in den Osten investiert wurden, an Firmen gingen, die im Westen ansässig waren. Das Ganze war ein gewaltiges Konjunkturprogramm für den Westen. Tatsächlich ist damals auch vieles schief gelaufen - Vieles bei der Treuhand, irgendwelche „Alteigentümer“, Lug und Betrug allerorten. Auch deswegen sind viele unzufrieden.

Ich finde es auch durchaus noch immer beklagenswert, dass so viele durchaus sinnvolle Einrichtungen nicht übernommen wurde: Das Schulsystem oder die Poliklinik.

PS: Als jemand, der den direkten Vergleich hat, kann ich wohl sagen, dass das ostdeutsche Schulsystem dem westdeutschen weit voraus war, insofern wundere ich mich, dass Ossis angeblich beweisen müssen, dass sie die Schlaueren sind…

Definitiv keine Vereinigung.

Was 1990 geschah, war nach jedem anlegbaren Maßstab, ein Anschluss bzw. ein Beitritt. So ist meines Erachtens auch die offizielle Formulierung. Eine Vereinigung impliziert einen Zusammenschluss, eine Integration in ein Neues gemeinsames. Das ist nicht passiert. Die Strukturen der DDR wurden aufgelöst bzw in die bestehenden westdeutschen Strukturen überführt, ohne dass dabei eigene Akzente gesetzt wurden.

Es gab also im engeren Sinne keine Vereinigung, nur einen Anschluss.

Bin ich voll bei dir. Trotzdem begegnen mir immer noch Leute, die meinen, dass Ossis nicht besonders schlau sind. Es hängt m.E. auch davon ab, wie interessiert die Menschen aneinander sind.

Data

Es gab in der DDR sowohl ein erhebliches Rassismusproblem, als auch eine aktive und gewalttätige Neonazi-Szene. Das es keine oder kaum Ausländer gegeben haben sollte, stimmt so auch nicht. Es gab schon recht viele von denen - im Unterschied zu Westdeutschland, gab es nur keinerlei Bestrebungen, diese im engeren Sinne in die Gesellschaft zu integrieren (in den Arbeitsmarkt sehr wohl).

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Soll wahrscheinlich heissen, dass die Anforderung „Leistung“ rigider abgefragt wurde. Während es ja in einigen westdt. Ländern bereits darum ging, die (Leistungs)Unfähigen noch irgendwie durchzuschleppen. Was dann einfach ist, wenn man das Anforderungsprofil rigide senkt.

Das Statement hat auch viel mit persönlicher Präferenz zu tun. Im Ostblock hatten Naturwissenschaften einen sehr hohen Stellenwert und wurden entsprechend auch früher und vertiefter unterrichtet. Als ich an ein westberliner Gymnasium ging, war ich in Biologie, Physik und Chemie mehr als ein Jahr voraus. Das einzige Fach, mit den ich dann ein Problem hatte war Englisch, weil mir plötzlich 2 Jahre fehlten - und das war vergleichsweise einfach aufzuholen.

Der Rückwechsel nach 2 Jahren entpuppte sich dann leider als verheerend :smile: 2 Jahre Englisch aufzuholen ist nicht so schwer, aber mach das mal mit 1 Jahr in einer Naturwissenschaft^^

Naja, Berlin ist sogar gesamtdeutsch und aktuell noch unterdurchschnittlich http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/laendervergleich-mathematik-und-naturwissenschaften-nach-bundeslaendern-a-927282.html

Und wenn das damals nicht einmal ein mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium war, dann … :sob:

Ich rede ja auch nicht von 2012 sondern von 1992. Damals waren noch die ganzen DDR-Lehrer an den Schulen und die Lehrpläne Berlin Ost waren noch deutlich andere als die Lehrpläne Berlin West. Das man sich danach so langsam aber sicher auf West-Niveau absenken musste ist klar.

Ich wollte ja auch zum Ausdruck bringen, dass das Leistungsgefälle damals noch viel krasser gewesen sein muss.

Was hätte denn „keine Vereinigung“ ergeben?
Ein eigenständiges Land?
Ein Freistaat wie Bayerm?

Das russische Besatzungsgebiet, später DDR, wurde von Russland rigoros ausgeplündert.
Die DDR war pleite und konnte nur mit massiven Krediten überleben.
Eine Wirtschaftskraft war fast nicht vorhanden.

Wie hätte man da neben der BRD als eigenständiger Staat überleben wollen?

So wie die benachbarten Ex-Ostblock-Staaten, die ebenfalls eine Systemtransformation (ohne „Vereinigung“) durchführen mussten?

Gruß
F.

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Ich betrachte es ja, anders als du, stark „von außen“ (d.h. aus meiner südbayerischen Perspektive, der Mailand nicht nur geographisch näher ist als Dresden), aber dieses letztlich stimmungsmäßig traurige Gefühl des „Ausgemerzt- und Angeschlossenwordenseins“ habe ich bei mitbekommen bei den ostdeutschen Leiharbeitern, denen ich hier in Bayern Ende der 90er bis 2002 Arbeiterzimmer in meinem Haus vermietet habe.
Das hat meine Sicht bis heute sehr geprägt.

Gruß
F.

Nette Erklärung für Erfolglosigkeit. Extrem nett.

Franz

Wer Ostdeutsche fuer duemmer haelt sollte sich mal die Ergebnisse der Pisatests ansehen:

Es gibt zwischen Ost- und Westdeutschen aber immer noch Unterschiede in einigen Gesellschaftsmerkmalen, ob es aehnliche Unterschiede innerhalb der Ost- und Westdeutschen Bundeslaender gibt wurde leider nicht untersucht.

Die Voraussetzungen 1989/1990 waren völlig verschieden und auch die Situation in den restlichen Ostblockstaaten ist heute eine völlig andere als in der ehemaligen DDR. Für letzteres braucht man sich nur mal die Pro-Kopf-Einkommen anzuschauen oder auch, wie weit die jeweilige Wirtschaft international wettbewerbsfähig ist.

Um Ostblockstaaten heute gehts in dem Punkt ja gar nicht.
Die Frage ist schlicht und einfach: Hätte die DDR ab 1990 deutlich schlechtere Chancen gehabt als eigenständiger Staat zu überleben als das benachbarte Polen ab 1990 (wenn die spezifischen deutsch-politischen Gegebenheiten aus der DDR nicht einen „Sonderfall“ gemacht hätten natürlich)?

Gruß
F.

Ja, natürlich. Darauf will ich ja gerade hinaus: die restlichen ehemaligen Ostblockstaaten spiegeln doch gerade wider, was aus einem ehemaligen Ostblockland wird, in das über inzwischen fast Jahrzehnte nicht jährlich zig Milliarden transferiert werden. Und das ist nur der rein wirtschaftliche Aspekt. Politisch gibt es ja in einigen ehem. Ostblockstaaten ja auch die ein oder andere „Spezialität“.

Man kann über die Art und Weise, wie die Vereinigung Deutschlands abgelaufen ist, in vielerlei Hinsicht diskutieren. Man kann über die Treuhand diskutieren, über den Umtauschkurs, über die Art der Vereinigung, über die Geschwindigkeit bzw. die Gewissenhaftigkeit der Vorbereitung usw. usf.

Das alles ändert aber nichts daran, daß die DDR-Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig war (bezogen auf die Produkte, die Produktivität, die Entwicklungsprozesse, den Vertrieb usw.) und die DDR selber praktisch pleite (so wurde meiner Erinnerung nach der 3. Oktober gewählt, weil im November die Renten schon nicht mehr hätten gezahlt werden können).

Ohne die massiven Geldflüsse von West nach Ost und den rechtlichen Rahmen wäre selbst der kärgliche kleine Rest der Wirtschaft, der übrig geblieben ist, nicht in dem Maße erhalten geblieben. Ganz abgesehen von den massiven Investitionen in die Infrastruktur, den Wohnraum usw.

Kurz gesagt: rein wirtschaftlich stünde die ehemalige DDR heute (noch) schlechter dar als der ein oder andere der anderen ehemaligen Ostblockstaaten.

Hallo,

in gewisser Weise faszinierend finde ich vor diesem Hintergrund, daß es durchaus nicht wenige „Ossis“ der Nachwendegeneration gibt, die heute - höchstwahrscheinlich inspiriert durch ihre Eltern und Großeltern - durchaus Sympathie hinsichtlich der ein oder anderen „Besonderheit“ des DDR-Wirtschaftssystems durchklingen lassen sowie ein deutlich weitgehenderes Eingreifen des Staates in wirtschaftliche und gesellschaftliche Belange befürworten.

Gruß
C.

Von welchen ehemaligen Ostblockstaaten sprichst du denn überhaupt?

Meine Grundthese, die letztlich der ganzen Threadfrage zu Grunde liegt: Abstrahiert man von den speziellen deutsch-politischen Gegebenheiten und geht man davon aus, dass eine eigenständige DDR in den 90er und 00er Jahren politisch (Finanzhilfen, Westintegration, EU usw.) nicht anders behandelt worden wäre als z.B. Polen, dann stünde eine eigenständig gebliebene DDR heute ungefähr so da wie Polen Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und Überschuldung waren ja kein spezifisches DDR-Problem, das z.B. Polen nicht gehabt hätte.

Gruß
F.